Bildung + Gesellschaft

Twitter – jetzt X –, Bluesky, Instagram, Mastodon: Einige Hochschullehrende zieht es zu sozialen Netzwerken, von anderen wird erwartet, sich dort zu präsentieren. Welche sozialen Netzwerke sie nutzen, was sie sich davon versprechen und wie der Umgangston ist, verraten die Professor:innen Nina Schützenmeister, Johannes Teichert, Janine George und Daniel Wefers.<p>Mit Social <link href="#nadc20244140482-fig-0001">Media auf sich und seine Forschung aufmerksam machen: Für manche ist das noch neu, andere sind schon seit 15 Jahren dabei.</p><figure xml:id="nadc20244140482-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/Kt2qAYUwRGiyye9Wwh5f"><figcaption><label>Abb.1: </label>Abbildung: GDJ/Pixabay</figcaption></figure></figure><p>„Vor einiger Zeit bin ich eingeladen worden, einen Vortrag zu halten, weil einer meiner Posts zu einem Forschungsprojekt auf Twitter aufgefallen ist“, erzählt Janine George. „Ähnlich bin ich kürzlich auch Teil eines größeren Forschungsprojekts geworden.“</p><p>George leitet die Nachwuchsgruppe Computergestütztes Materialdesign an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung und ist Professorin für Materialinformatik an der Universität Jena. Sie ist auf Twitter (jetzt X) seit etwa 2011 aktiv. „Twitter war damals, genau wie jetzt Mastodon, nur schwer nutzbar“, sagt sie. „Es steckte kein Algorithmus dahinter, der relevante Tweets oder Informationen für einen sammelt – daher tauchte auf der Timeline alles auf, nicht nur das, was für einen wichtig ist.“ Dass Twitter dann diese Vorsortierung implementiert hat, könnte der Grund sein, warum es so erfolgreich geworden ist, meint George.</p><p>Doch seit Twitter zu X geworden ist (Kasten S. 15), ist der Algorithmus wieder ein anderer, sagt Johannes Teichert, Professor für organische Chemie an der TU Chemnitz. „Man kann seine Timeline nicht mehr kontrollieren. Es wird einem so viel Politisches untergemischt, dass es den eigentlichen Vorteil überdeckt.“ Die Arbeitsgruppe hat bereits einen Bluesky-Account und ist bei Twitter „auf dem Weg nach draußen“.</p><p>Bluesky entspricht in Optik und Funktion weitgehend X. Allerdings sind dort bisher noch nicht so viele Forschende wie bei X, und man braucht derzeit (Stand Januar 2023) noch einen Einladungslink, um auf die Plattform zu kommen.</p><h2 type="main">Was posten?</h2><p>Seit etwa 2020 postet <link href="#nadc20244140482-fig-0002">Teichert rund um seine Forschung: neue Paper, neue Preprints, er oder seine Mitarbeitenden auf Konferenzen. Und es ist ihm wichtig, für seinen Standort zu werben. Daher postet er auch, wenn andere Forschende bei ihm zu Gast sind.</p><figure xml:id="nadc20244140482-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/qsmLUzxgTH6eplJmOP8Q"><figcaption><label>Abb.2: </label>Organik-Professor Johannes Teichert postet in sozialen Medien regelmäßig zu seiner Forschung.</figcaption></figure></figure><p>George postet nicht ausschließlich zu Fachthemen. „Ich kenne Menschen, die überlegen sich sehr genau, was sie veröffentlichen: Werbung für Publikationen, extra dafür angefertigte Bilder, also speziell für X aufbereitet.“ Das mache sie zwar gelegentlich auch, sagt George. Aber häufiger schreibe sie spontane Gedanken auf – „nicht immer mit rein fachlichem Bezug“. Auf Konferenzen werde sie beispielsweise oft auch auf die Berlin-Fotos angesprochen, die sie auf der Bildplattform Instagram teilt. Die Fotos zeigen <link href="#nadc20244140482-fig-0003">Orte in Berlin, die – zum Beispiel politisch oder gesellschaftlich – eine besondere Bedeutung haben.</p><figure xml:id="nadc20244140482-fig-0003"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/aKsodtFTSJ2bIZ5YD6Kw"><figcaption><label>Abb.3: </label>Janine George, Professorin für Materialinformatik, postet gerne auch mal Bilder aus ihrer Umgebung. Die Orte haben meist eine besondere Bedeutung.</figcaption></figure></figure><p>Auch Nina Schützenmeister, Professorin für pharmazeutische Chemie an der Universität Wien, stellt Fotos auf Instagram und X online. Zwar nehme das Posten Zeit in Anspruch, die sie lieber an anderer Stelle investieren würde. Dennoch postet sie gerne auch mal touristische Fotos von Orten, an denen sie gerade ist – meist Tagungen oder Vortragsreisen –, „damit man auch meine menschliche Seite sieht“.</p><h2 type="main">Soziale Medien auf dem Vormarsch</h2><p>Die Idee, sich nicht nur als Wissenschaftlerin, sondern auch als Mensch zu präsentieren, hatte <link href="#nadc20244140482-fig-0004">Schützenmeister selbst. Wie das gehen kann, zeigte ihr ein Workshop der Universität Wien: Als sie von der Universität Hamburg dorthin wechselte, war sie eine der ersten, die eine Schulung zur Nutzung digitaler Medien bekam. Denn in Wien ist erwünscht, dass die Wissenschaftler:innen sich und die Uni präsentieren. Das optimal umzusetzen und wie man sich in sozialen Netzwerken oder in Interviews am besten darstellt, war Teil der Schulung. Nichts posten kommt nicht infrage, erzählt Schützenmeister: „Als ich auf die Frage, wann ich meinen letzten Tweet abgesetzt habe, mit ‚Noch nie‘ geantwortet habe, hieß es: Das wird sich heute ändern.“</p><figure xml:id="nadc20244140482-fig-0004"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/8wfC6kJNRAaYMy1Wh1Ir"><figcaption><label>Abb.4: </label>Privat oder schon beruflich? Nina Schützenmeister, Professorin für pharmazeutische Chemie, zeigt auf Instagram auch Bilder aus ihrem Alltag. Dieses entstand mit Unterstützung eines interessierten Dreijährigen.</figcaption></figure></figure><p>Allzu Privates poste sie nicht, sagt Schützenmeister. Das Maximum – neben ihren Stadtfotos – seien offizielle Anlässe im Arbeitskreis: Wie viele ihrer Fachkolleg:innen lädt sie Fotos hoch, wenn ihre Mitarbeiter:innen Bachelor-, Master- oder Doktorarbeiten abschließen oder es etwas anderes zu feiern gibt.</p><p>Auch ohne den Wunsch ihrer Uni sieht sie die Notwendigkeit, sich in sozialen Netzwerken zu präsentieren. „Als ich an die Universität Wien kam, war es anfangs schwierig, neue Student:innen für Praktika und Abschlussarbeiten anzuwerben“, erzählt Schützenmeister. Und dass sie dachte, es reiche, sich in der Vorlesung zu präsentieren. „Aber die Studierenden organisieren sich heute nicht mehr so wie früher. Sie arbeiten nicht mehr mit Zettel und Stift, sondern mit Tablet und Smartphone.“ Die zwischenmenschliche Kommunikation laufe überwiegend digital über Kanäle wie Whatsapp und Instagram. Und das bedeutet: Wer in den sozialen Medien unsichtbar ist, hat es schwerer. Das habe sich deutlich gezeigt, als die Studierendenvertretung einen kurzfristig freigewordenen Masterand:innen-Platz auf Instagram gepostet hat: Da gab es plötzlich so viele Bewerbungen, dass Schützenmeister zwei Plätze statt einem angeboten hat.</p><h2 type="main">Zeit und Nutzen</h2><p>Auf X und Instagram sei sie mehrmals pro Woche, erzählt Schützenmeister. Vor allem auf X schaue sie dann, was es von den Kolleg:innen Neues gibt – das wird dann geliked, re-posted oder kommentiert.</p><p>Wie viel Zeit Janine George für soziale Medien aufwendet, hängt von ihrem Arbeitspensum ab. Sie schaue aber täglich rein. Letztlich sei Twitter „kein Karrieretool, sondern eher ein Hobby“.</p><p>Posten gehe schnell, sagt Johannes Teichert. „Was richtig Zeit kostet, ist, den Feed zu kuratieren und zu kontrollieren“, also darauf zu achten, „die Accounts auszuschließen, die zu viel Unwichtiges produzieren“. Er halte sich nur noch in den sozialen Netzwerken auf, während er auf den Zug warte. Sein Tipp: „Niemals die Kommentarspalten angucken. Sonst verliert man sich.“</p><p>Was bringt das Posten in den Netzwerken? Teichert verspricht sich „Aufmerksamkeit für unsere Forschung und unseren Standort“. Und weil das viele Arbeitsgruppen so handhaben, funktioniere das auch umgekehrt: „Wir bekommen schneller mit, wenn es Veröffentlichungen gibt, die für unsere Forschung relevant sind“, sagt Teichert. „Twitter hilft mir, up to date zu bleiben.“</p><h2 type="main">Mit sozialen Medien Wissenschaft verbreiten</h2><p>Daniel Wefers nutzt ebenfalls soziale Netzwerke, vor allem X, aber nicht nur für die Forscherblase. Für die hat der Professor für Lebensmittelchemie der Universität Halle-Wittenberg einen eigenen Kanal. Auf seinem Hauptkanal aber beleuchtet er wissenschaftliche Studien zur Lebensmittelchemie – und zwar so aufbereitet, dass vor allem Nicht-Wissenschaftler:innen sie <link href="#nadc20244140482-fig-0005">verstehen.</p><figure xml:id="nadc20244140482-fig-0005"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/uCxFHn37SbGtyIHgfBv1"><figcaption><label>Abb.5: </label>Daniel Wefers lehrt Lebensmittelchemie und klärt in seinem Hauptkanal über Missverständnisse zu Lebensmitteln auf.</figcaption></figure></figure><p>Er glaubt, dass „für Infosachen Twitter eines der besten Medien ist, weil das Publikum so divers ist und gleichzeitig viele Medienschaffende dort sind“. Und er schätzt das Format mit der begrenzten Zeichenzahl – auch wenn er mehrere Tweets braucht, um einen Sachverhalt zu erklären. „Das ist gerade gut, weil man kleine Informationshappen hat. Da kann man als Leser auch mal zwei oder drei überspringen, wenn man denkt, ‚Der Aspekt interessiert mich jetzt nicht so‘.“</p><p>Wie klein die Häppchen sind, zeigt beispielsweise Wefers‘ Beitrag zu Kokosblütenzucker: Darin beschreibt er, was Wahres an der Aussage dran ist, Kokosblütenzucker sei unraffiniert und gesünder als normaler Zucker – in 17 Tweets.</p><p>Das Format spiegele zudem das Nutzerverhalten der Gegenwart, denn „Nutzer lesen heute hauptsächlich Überschriften“.</p><p>Es sei mühsam und viel Arbeit, sich erstmal eine gewisse Reichweite aufzubauen. „Am Anfang hatte ich das Gefühl, in einen leeren Raum hineinzuschreiben“, sagt Wefers.</p><h2 type="main">Umgangston, Motivation und Chancen</h2><p>In der Forscherblase gebe es keine Probleme mit dem Umgangston, sagt Johannes Teichert. Bei einer seiner Präsentationen auf einer Konferenz hatte jemand seine Vortragsfolien fotografiert und online gestellt, „was ich sowieso schon nicht in Ordnung finde“, und ein Wissenschaftler meldete sich daraufhin via Twitter bei Teichert: „Der stört sich daran, wie ich meine Vorträge betitele“ – denn die Moleküle, um die es geht, seien nach Meinung des Kommentators nicht die ersten ihrer Art, wie Teichert sie nennt. „Aber er war sachlich, und sowas liegt im Rahmen der wissenschaftlichen Diskussion.“</p><p>Sachlich sind auch die meisten Kommentare, die Daniel Wefers erhält. Den Umgangston auf X empfindet er, wohl auch aufgrund seiner verschiedenen Kanäle, dennoch als gemischt. „Ein paar gab‘s, bei denen ich gedacht habe, auf sowas muss ich nicht antworten.“ Wenn Kommentare nur schnippisch seien oder Nutzer:innen meckern, lasse er diesen die Chance, weiter bei ihm zu lesen. Sobald es wirklich beleidigend werde, blocke er die Person. „Das kommt aber selten vor.“</p><p>Die Recherche für eine von Wefers Tweetserien dauere mitunter ein bis zwei Stunden, die er von seiner Freizeit abknapst. Das sei aber für ihn in Ordnung, weil es ihm Spaß macht und er die aufbereiteten Daten auch für Vorträge, Vorlesungen oder ähnliches nutze. Und: „Es ist schön zu merken, dass diese Themen manchen Menschen helfen oder sie bewegen.“ Hauptmotivation war aber, dass viel Quatsch erzählt werde und es wenige Gegenstimme in der Öffentlichkeit gebe. „Mir war wichtig, einige Dinge zumindest für einen kleinen Kreis richtigzustellen“, sagt Wefers, „sodass man die Möglichkeit hat, eine naturwissenschaftlich fundierte Sicht auf die Dinge zu lesen. Denn als Lebensmittelchemiker fragt man sich mitunter schon: Wie kann es sein, dass Leute nachweisbar falsche Sachen von sich geben und die dann weiterhin als Experten irgendwo sitzen?“</p><p>Für Janine George hingegen ist die größte Motivation, soziale Medien zu nutzen, vielfältiger netzwerken zu können als im realen Leben: „Selbst wenn man auf einer Konferenz ist, lernt man aus Zeitdruck nur einen begrenzten Kreis an Personen kennen“, sagt sie, „in den sozialen Medien ist das anders. Da trifft man leichter auf Personen außerhalb der Grenzen des eigenen Fachs.“</p><p>Je nach Zielgruppe brauche es aber unterschiedliche Medien, sagt Nina Schützenmeister: „Wenn du deine Kollegen erreichen willst, musst du X, Mastodon oder Bluesky nutzen. Wenn du die Studierenden erreichen willst, bietet sich Instagram an.“ Wer richtig Öffentlichkeitsarbeit machen wolle, für den sei wahrscheinlich die Videoplattform Tiktok interessant, sagt sie. Ihre Mitarbeiter:innen posten auf Instagram hin und wieder Bilder oder kurze Videos aus dem Laboralltag – allerdings nicht ohne Rücksprache mit ihrer Chefin. Denn manche Sachen sollten nicht passieren: „Dann rührt da eine wunderschöne Reaktion, und untendrunter ist ein dreckiges Ölbad.“ Oder – noch unwahrscheinlicher, aber schlimmer, – wenn durch einen dummen Zufall im Hintergrund jemand ohne Schutzbrille rumläuft: „Das wäre der Gau.“</p><p>Redakteurin Eliza Leusmann bespielt gemeinsam mit ihren Kolleg:innen den Linkedin-Kanal der Nachrichten aus der Chemie (<url href="https://www.linkedin.com/showcase/nachrichten-aus-der-chemie/?originalSubdomain=de"><a href="https://linkedin.com/showcase/nachrichten-aus-der-chemie" target="_blank">linkedin.com/showcase/nachrichten-aus-der-chemie</a></url>).</p><h2 type="main">Tipps für Social Media</h2><p>Verschaffen Sie sich einen Überblick: Welcher Kanal ist der richtige für Sie? Dazu muss Ihnen klar sein, wen und was Sie erreichen wollen – und mit welchem Format.</p><p>Seien Sie regelmäßig aktiv. Liken, teilen, kommentieren oder selbst posten, alles ist wichtig. Ein Plan kann helfen zu entscheiden, wann Sie was davon tun.</p><p>Insider empfehlen: Legen Sie fest, wie viel Zeit Sie mit Social Media verbringen wollen. Das kann zum Beispiel alle zwei Tage eine Stunde sein oder immer die zehn Minuten, die Sie auf den Bus warten.</p><p>Wie bei allen guten wissenschaftlichen Veröffentlichungen gilt: Nennen Sie Ihre Quellen, wenn Sie zitieren.</p><h2 type="main">Notfallnummer bei Forscherkummer</h2><p>Für Wissenschaftler:innen, die sich öffentlich präsentieren und deswegen angefeindet werden, gibt es eine telefonische Beratung: Scicomm [diese Nachrichten, S. 6] ist täglich von 7 bis 22 Uhr erreichbar unter 0157 923 448 04.</p><h2 type="main">Hintergrund: Aus Twitter wurde X</h2><p>Aus Twitter wird X – und es ändert sich nix? Doch, und zwar nicht nur in der Nutzer-Timeline. Im Juli 2023 kaufte Elon Musk den Kurznachrichtendienst Twitter und nannte ihn X. X soll aber kein Kurznachrichtendienst bleiben, sondern eine Art Eine-für-alles-App werden,<sup>1)</sup> die vereint, wofür es im Westen einzelne Dienste gibt:<sup>2)</sup> Uber, <a href="https://Booking.com" target="_blank">Booking.com</a>, Lieferando, Paypal und mehr. Im Zuge dieser Umwandlung hat sich der Netzwerk-eigene Algorithmus verändert, sodass in der eigenen Timeline nicht mehr nur für einen selbst Relevantes auftaucht – sondern alles, darunter auch Politisches und Hetze.</p><p>Twitter hatte im Januar 2023 etwa 556 Millionen aktive Nutzer:innen, Facebook 2958 Millionen und Instagram 2000 Millionen.<sup>2)</sup> Dabei diente Twitter eher dazu, sich schnell zu informieren, während Facebook dazu beiträgt, mit Menschen in Kontakt zu kommen oder zu bleiben. Bluesky, das in Optik und Funktion Twitter entspricht, erreichte Mitte September 2023 nach Spiegel-Informationen eine Million Nutzer.</p><ul class="references" xml:id="nadc20244140482-bibl-0001" cited="no" style="numbered"><li xml:id="nadc20244140482-bib-0001"><sup>1 </sup> <url href="https://t1p.de/x318v"><a href="https://t1p.de/x318v" target="_blank">t1p.de/x318v</a></url></li><li xml:id="nadc20244140482-bib-0002"><sup>2 </sup> <url href="https://t1p.de/03znp"><a href="https://t1p.de/03znp" target="_blank">t1p.de/03znp</a></url></li></ul>

Von Laboren zu Likes

Experimentieren im Netz

Twitter – jetzt X –, Bluesky, Instagram, Mastodon: Einige Hochschullehrende zieht es zu sozialen Netzwerken, von anderen wird erwartet, sich dort zu präsentieren. Welche sozialen Netzwerke sie nutzen, was sie sich davon versprechen und wie der Umgangston ist, verraten die Professor:innen Nina Sch...

<p>Ulla Gerling-Driessen und ihr Mann arbeiten beide in der Forschung. Ohne verst&auml;ndnisvolle Vorgesetzte w&auml;re das kaum denkbar. Ein Einblick aus Deutschland und den USA.</p>
<p>Ulla Gerling-Driessen ist Nachwuchsgruppenleiterin in D&uuml;sseldorf und Mutter zweier Kinder. In ihrer Forschung zur Proteinglykosylierung konzentriert sie sich auf biologische Anwendung. Sie hat einige Standortwechsel hinter sich, beschreibt es als &bdquo;Nervenkitzel&ldquo;, von Projekt zu Projekt zu planen. Die befristeten Vertr&auml;ge sind f&uuml;r ihre Familie aber mit Unsicherheit verbunden und erschweren, langfristig zu planen. Gerling-Driessen sieht die Chance f&uuml;r junge Wissenschaftler:innen, die Familie und Forschung vereinen wollen, das aktuelle System zu &auml;ndern.</p>
<h2 type="main">Karriere und Familie planen</h2>
<p>Eigentlich will Gerling-Driessen Biotechnologie studieren, f&auml;ngt aber wegen der Zulassungsbeschr&auml;nkung zun&auml;chst mit einem Chemiestudium an der Freien Universit&auml;t Berlin an. Nach dem ersten Semester hat sie sich &bdquo;genug durchgebissen&rdquo;, und der Ehrgeiz packt sie, um in der Chemie zu bleiben. W&auml;hrend ihres Masterstudiums sammelt Gerling-Driessen Erfahrungen in der Industrie. An eine Karriere in der Forschung denkt sie in der Zeit nicht. Masterarbeit und Promotion absolviert sie in der Gruppe von Beate Koksch. Als Vertreterin ihrer Chefin, die ihr zweites Kind bekommt, reist Gerling-Driessen als PhD-Studentin auf internationale Konferenzen, h&auml;lt Vorlesungen, schreibt Antr&auml;ge und betreut Studierende. &bdquo;Diese Seiten, die der Professorin-Beruf mit sich bringt, durfte ich schon kennenlernen&ldquo;, erinnert sie sich und beschlie&szlig;t, der Forschung noch nicht den R&uuml;cken zu kehren.</p>
<p>F&uuml;r ihren Postdoc m&ouml;chte sie sich weiter in Richtung biologischer Anwendungen entwickeln, gerne im Ausland. Sie schreibt Antr&auml;ge und &uuml;bernimmt weiter Betreuungsaufgaben in der Arbeitsgruppe. Die akademische Laufbahn war nicht immer geplant, eine Familie allerdings schon, und zwar &bdquo;so fr&uuml;h wie es geht &ndash; aber w&auml;hrend der Doktorarbeit in der Peptidsynthese war das einfach nicht m&ouml;glich&ldquo;.</p>
<p>Im Juli 2015 bekommt sie ihren ersten Sohn. Zwei Wochen nach der Geburt erh&auml;lt sie die Zusage f&uuml;r ein DFG-Stipendium f&uuml;r ein Projekt in den USA, und &bdquo;es war sofort klar, dass wir gehen werden&rdquo;.</p>
<h2 type="main">Eine junge Familie in den USA</h2>
<p>Sechs Monate sp&auml;ter zieht die Familie nach Kalifornien, und Gerling-Driessen beginnt ihren Postdoc an der Universit&auml;t Stanford in der Gruppe der sp&auml;teren Chemie-Nobelpreistr&auml;gerin Carolyn Bertozzi. Ihr Mann bleibt zun&auml;chst ein Jahr lang zuhause, schreibt seine Doktorarbeit zu Ende und k&uuml;mmert sich um den Sohn. Noch vor dem Umzug nach Amerika hatte die Familie den Kleinen auf die Warteliste f&uuml;r eine Kindertagesst&auml;tte gesetzt. Aber erst mit 18 Monaten bekommt er einen Platz, als auch der Vater eine Postdoc-Stelle in Bertozzis Arbeitsgruppe antritt.</p>
<p>Die Kitastelle ist zun&auml;chst nur halbtags, &bdquo;das war eine ganz schwierige Zeit, weil wir uns abwechseln mussten, wer wann das Kind nimmt und wer wann ins Labor geht&ldquo;, sagt Gerling-Driessen. Ihre Chefin begegnet der Familie mit viel Verst&auml;ndnis, wenn zum Beispiel abends nur eine:r der beiden am Gruppenseminar teilnimmt. Nicht selbstverst&auml;ndlich, sagt Gerling-Driessen: &bdquo;In der gl&uuml;cklichen Position kann man sein, wenn man Vorgesetzte hat, die selbst Kinder haben.&ldquo;</p>
<p>Nach zwei Jahren bekommt Gerling-Driessen ihren zweiten Sohn in den USA. &bdquo;Ich habe beide Systeme kennenlernen d&uuml;rfen&ldquo;, lacht sie, wenn sie daran zur&uuml;ckdenkt. In den USA wird keine bezahlte Auszeit garantiert; Stanford befreit M&uuml;tter nur f&uuml;r sechs Wochen vom Arbeitsplatz. &bdquo;Ich bin bis eine Woche vor der Entbindung im Labor gewesen. Solange ging es mir k&ouml;rperlich gut.&ldquo; E-Mails habe sie noch aus dem Krei&szlig;saal beantwortet.</p>
<p>Zur&uuml;ck ins Labor ging Gerling-Driessen nach elf Wochen, diese Flexibilit&auml;t hatte sie aber nur durch ihr DFG-Stipendium. &bdquo;Es ist schwierig, in Deutschland zu erz&auml;hlen, dass man sein elf Wochen altes Baby in der Kita abgibt. Das ist aber in Amerika ganz normal.&ldquo;</p>
<h2 type="main">Zu zweit in der Forschung bleiben</h2>
<p>Ohne Kinder h&auml;tte Gerling-Driessen ihre akademische Laufbahn in den USA fortgesetzt. Denn &bdquo;so forschen werden wir in Deutschland wahrscheinlich nie wieder k&ouml;nnen&ldquo;. Besonders positiv nimmt sie die Offenheit und Bereitschaft f&uuml;r Kooperationen in Stanford wahr. Aber das Schulsystem, Sicherheitsfragen und die soziale Absicherung bewegen die Familie, nach Deutschland zur&uuml;ckzuziehen (Foto). Beide Elternteile finden Jobs in W&uuml;rzburg. Mit den Auswirkungen der Coronapandemie ist das Jahr in W&uuml;rzburg f&uuml;r Gerling-Driessen als Forscherin und Mutter besonders schwierig: &bdquo;Ich hatte das Gef&uuml;hl, mich rechtfertigen zu m&uuml;ssen, dass ich Kinder habe. Und irgendwie glaubten mir die Leute nicht, dass sich die Kinder mit f&uuml;nf und drei Jahren nicht alleine betreuen k&ouml;nnen.&ldquo;</p>
<figure xml:id="nadc20244140545-fig-0001">
<figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/sBW4POHMQ1yOJZr1FDXW">
<figcaption><label>Abb.1: </label>Ulla Gerling-Driessen mit ihrem Mann und den zwei S&ouml;hnen zur Weihnachtszeit.</figcaption>
</figure>
</figure>
<p>Beim n&auml;chsten Umzug im Jahr 2021 nach D&uuml;sseldorf schafft das Paar es nicht, gleichzeitig mit den Jobs umzuziehen. Gerling-Driessen ist bereits ein halbes Jahr als Nachwuchsgruppenleiterin an der Universit&auml;t D&uuml;sseldorf angestellt, bis ihr Mann eine Stelle in der Proteomforschung an der Uniklinik findet. &bdquo;Wir waren &ouml;fter in der Situation, in der wir uns gefragt haben, ob einer von uns jetzt zur&uuml;ckstecken muss.&ldquo; Aber da beide in der Forschung bleiben wollen, setzen sie beide Jobs sowie die Kinder als Priorit&auml;ten.</p>
<p>&bdquo;Was mich in der Forschung antreibt, sind die Dinge, mit denen ich auch schon in Stanford in Ber&uuml;hrung kam.&rdquo; Das ist insbesondere die fehlerhafte Glykosylierung von Proteinen aufgrund seltener genetischer Mutationen und wie diese zu Krankheitsbildern beitr&auml;gt. Das Thema liegt Gerling-Driessen wegen des engen Patientenkontakts am Herzen. &bdquo;Man kann den Eltern, die oft jahrelang keine Diagnose f&uuml;r ihre Kinder haben, einfach mal irgendwas sagen, wenn man forscht, und daf&uuml;r sind sie total dankbar.&ldquo;</p>
<p>Mit vielen ehemaligen Kolleg:innen aus der Zeit in Stanford arbeitet sie heute noch zusammen und ist dankbar f&uuml;r die guten Kontakte aus der Zeit.</p>
<h2 type="main">Stolz auf das Gesamtpaket</h2>
<p>Diese Kontakte aufzubauen war f&uuml;r die junge Familie in den USA nicht immer einfach. Mit einem Babysitter im Hotel oder einem f&uuml;nf Wochen alten Kind in der Babytrage war das Paar zum Beispiel auf einer Konferenz unterwegs (Foto S. 18). &bdquo;Es war unglaublich wichtig f&uuml;r uns, dass wir dort hinfahren, uns pr&auml;sentieren und unser Netzwerk ausbauen.&rdquo; Heute in D&uuml;sseldorf kann die Familie auf die Unterst&uuml;tzung der Gro&szlig;mutter bauen, wenn die Kinder nachmittags betreut werden m&uuml;ssen. &bdquo;Gr&ouml;&szlig;ere H&uuml;rden wie Krankheiten sind leider Sachen, f&uuml;r die man nicht planen kann.&ldquo; Dann geht es in Schichtarbeit und abwechselndes Homeoffice, und beide Eltern sind froh um das Verst&auml;ndnis der Vorgesetzten.</p>
<figure xml:id="nadc20244140545-fig-0002">
<figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/iRxUAYGaTYmRvELKjCNY">
<figcaption><label>Abb.2: </label>Um ein Netzwerk aufzubauen, hat Ulla Gerling-Driessen ihr Baby auch zu Konferenzen mitgenommen. Fotos: privat</figcaption>
</figure>
</figure>
<p>&bdquo;F&uuml;r mich ist es eine positive Erfahrung, Chefinnen zu haben, die mich darin unterst&uuml;tzen, Kinder zu haben und den akademischen Weg zu gehen.&ldquo; So ein Vorbild m&ouml;chte auch Gerling-Driessen sein.</p>
<p>Au&szlig;er Verst&auml;ndnis w&uuml;nscht sie sich Seminare zu familienfreundlichen Zeiten und bessere Evaluationsprozesse f&uuml;r Nachwuchswissenschaftler:innen. Diese m&uuml;ssen sich den Bed&uuml;rfnissen von Wissenschaftler:innen mit Kindern anpassen, denn &bdquo;es gibt eine Zeit, in der man nicht so produktiv sein konnte.&ldquo; Auch wenn sie Zugest&auml;ndnisse sieht, nimmt das System &bdquo;in der Realit&auml;t noch nicht so viel R&uuml;cksicht, wie es angepriesen wird&ldquo;. Dieser Prozess brauche Zeit und junge Forschende &ndash; Frauen und M&auml;nner &ndash;, die ihre W&uuml;nsche &auml;u&szlig;ern. &bdquo;Ich glaube, je mehr die neue Generation nachw&auml;chst, desto besser kommen wir da hin.&ldquo;</p>
<p>Mit Ulla Gerling-Driessen sprach Alexandra Tietze.</p>
<h2 type="main">INFO: Chemie und Elternschaft</h2>
<p>In dieser Portr&auml;tserie spricht das Team Chancengleichheit des Jungchemikerforums mit Chemiker:innen, die Elternschaft und Karriere in Studium, Forschung oder Industrie verbinden. Um Elternschaft in der Chemie und damit zusammenh&auml;ngende Problematiken sichtbar zu machen, berichten Eltern &uuml;ber ihre Erfahrungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Anregungen an <a href="mailto:chancengleichheit@jcf.io">chancengleichheit@jcf.io</a></p>

Von Laboren zu Likes

Experimentieren im Netz

Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...