Bildung + Gesellschaft

Farbige Gläser aus Verhüttungsschlacken

Goethes Blauer Stein

Farbige Gläser aus Verhüttungsschlacken dienten bis in die Neuzeit in Kunst und Architektur als Ersatz für teurere Edelsteine und mineralische Pigmente. Wie die Farben der Gläser zustande kamen, war lange unklar. Elektronenmikroskopie und Röntgenspektrometrie haben das Rätsel nun entschlüsselt. „...

Der menschliche Organismus spaltet Azofarbstoffe und bildet dabei aromatische Amine. Die Pharmakologie macht sich dies zunutze: mit dem Prodrug-Konzept. Was dabei chemisch passiert, können Schüler:innen in Experimenten am Beispiel eines Medikaments gegen eine chronisch- entzündliche Darmerkrankung herausfinden.
Azofarbstoffe sind als größte Gruppe synthetischer Farbstoffe Bestandteil der Bildungspläne vieler Bundesländer. In der Regel werden sie im Rahmen der elektrophilen Substitution an Aromaten thematisiert. Bereits in einem früheren Beitrag in dieser Zeitschrift hat der Autor vorgeschlagen, die reduktive Spaltung von Azofarbstoffen zum Unterrichtsgegenstand zu machen.1,2)In einem neuen Unterrichtskonzept zum Thema Prodrugs geht es um einen Azofarbstoff, der in Medikamenten eingesetzt wird. Dabei können Schüler:innen der Kursstufe einen vergleichbaren Stoff synthetisieren und den Spaltprozess, der zur Freisetzung des eigentlichen Wirkstoffs führt, experimentell nachvollziehen.<h2>Risiko oder Nutzen für die Gesundheit</h2>Bei der reduktiven Spaltung von Azofarbstoffen entstehen aromatische Amine, die ein Gesundheitsrisiko sein können. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn Kleidungsstücke mit verbotenen Azofarbstoffen gefärbt sind. Manchmal enthalten auch Kosmetika oder kulinarische Mitbringsel aus dem Urlaub wie Gewürze solche Farbstoffe, die nach deutschem Lebensmittelrecht nicht zugelassen sind.Die reduktive Spaltung kann aber auch erwünscht sein, etwa in der Pharmakologie. Ein Beispiel hierzu ist im Folgenden als Unterrichtskonzept skizziert. Eine ausführliche Beschreibung steht in der Literatur.3)<h2>Ein Entzündungshemmer im Darm</h2>Die 5-Aminosalicylsäure (5-ASA) wirkt entzündungshemmend und dient unter der Bezeichnung Mesalazin zur Therapie chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Bei beiden Krankheiten ist vor allem der Dickdarm betroffen, bei Morbus Crohn auch der untere Dünndarm. Der Wirkmechanismus ist noch nicht genau verstanden, nur so viel: Mesalazin hemmt wie die chemisch eng verwandte Salicylsäure die Produktion von entzündungsvermittelnden Prostaglandinen und Leukotrienen.Der Unterricht soll zunächst eine chemische Eigenschaft in den Fokus nehmen: Wenige Kristalle dieser Substanz in Leitungswasser ergeben eine unter UV-Licht (Wellenlänge 365 nm) mintgrün fluoreszierende Lösung (Abbildung 1). Zufügen verdünnter Salzsäure löscht die Fluoreszenz. Wenige Tropfen verdünnter Natronlauge kehren diesen Prozess um. Im stärker Alkalischen – ein scharfer Umschlagpunkt ist nicht erkennbar – geht die Fluoreszenzfarbe ins Blaugrüne über. Ursache für dieses Verhalten ist die Verschiebung der Gleichgewichte von 5-ASA in wässrigen Lösungen (Abbildung 2).<figure><img src="https://media.graphcms.com/UPVV3guOQXiuCeajItPw"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Versuchsablauf; links: wässrige 5-ASA-Lösung bei Tageslicht; Mitte: unter UV-Licht; rechts: dieselbe Lösung nach dem Ansäuern (ohne Umrühren), kurz bevor die Fluoreszenz erlischt.</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/3FFNko6SDyReqg8H4HPY"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Gleichgewichte von 5-ASA in wässrigen Lösungen.</figcaption></figure>
Als Medikament liegt 5-ASA in magensaftresistenten Tabletten vor. Auf diese Weise wird verhindert, dass die Substanz zu früh im Darm resorbiert und anschließend verstoffwechselt wird. Der Hauptmetabolit von Mesalazin ist die pharmakologisch inaktive N-Acetyl-5-aminosalicylsäure.Die Magensaftresistenz ist durch Acrylatpolymere erreichbar, zum Beispiel durch Eudragit L. Das ist ein anionisches Copolymer aus Methacrylsäure (2-Methylpropensäure) und Methacrylat im Säure-Ester-Verhältnis von eins zu eins. Im sauren Magensaft ist diese Verbindung unlöslich. Im Dünn- und im Dickdarm dagegen wird der Wirkstoff aufgrund des dort deutlich höheren pH-Werts von 6 bis 8 frei.<h2>Das Prodrug Sulfasalazin</h2>Eine andere Strategie, die die Schüler:innen jetzt kennenlernen, wird mit dem Prodrug-Konzept verfolgt: Prodrugs sind Arzneistoffe ohne pharmakologische Wirkung, da dem Wirkstoff (drug) chemisch ein Strukturelement (mask) hinzugefügt wurde. Im Organismus (in vivo) spaltet sich das Strukturelement vom Stoff ab, der damit medizinisch aktiv wird.Der weitere Verlauf des Unterrichts hängt nun von den Vorkenntnissen und den Inhalten des bisherigen Unterrichts ab: Falls die Schüler:innen noch nicht wissen, dass Darmbakterien Azofarbstoffe im Organismus reduktiv spalten, erhalten sie Textauszüge aus medizinischen Fachzeitschriften mit den entsprechenden Informationen.3) Sie erkennen an der Struktur von 5-ASA, dass sich über die freie Aminogruppe durch deren Diazotierung und anschließende Azokupplung ein Strukturelement hinzufügen ließe, das im Darm abgespalten wird.Das erste Medikament dieser Art ist das von der schwedischen Ärztin Nana Svartz (1890 – 1986) entwickelte Sulfasalazin. Es wird heute noch eingesetzt. Svartz war die erste Professorin an einer öffentlichen Universität in Schweden. Erste Studien mit diesem Wirkstoff stammen aus den 1940er Jahren. Anhand der Strukturformel dieser Verbindung können die Schüler:innen ableiten: Bei der reduktiven Spaltung der Azogruppe entstehen zwei Verbindungen, und zwar das gewünschte 5-ASA und Sulfapyridin (Abbildung 3).<figure><img src="https://media.graphcms.com/y8tEMP4bQ5SlWXpKgBeT"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Reduktive Spaltung von Sulfasalazin in 5-ASA und Sulfapyridin.</figcaption></figure>
Aus einem weiteren medizinischen Fachtext3) erfahren die Schüler:innen, dass mit Sulfasalzin ein spezielles Prodrug-Konzept verfolgt wird, da nicht nur 5-ASA, sondern auch Sulfapyridin einen pharmakologischen Nutzen hat: Es wirkt antibiotisch. Derartige Medikamente werden auch als Codrug bezeichnet.Allerdings verursacht das freigesetzte Sulfapyridin Nebenwirkungen, unter anderem Übelkeit, Dyspepsie, also Oberbauchbeschwerden wie Völlegefühl, Erbrechen oder Sodbrennen sowie Kopfschmerzen.<h2>Der Syntheseweg zum Medikament</h2>Die Lehrkraft wirft die Frage nach der Strukturformel eines Moleküls auf. Dieses soll als Codrug entzündungshemmend wirken, aber bei dessen Spaltung soll kein Sulfapyridin mit seinen Nebenwirkungen entstehen. Durch entsprechende Impulse3) erarbeiten die Schüler:innen, dass bei Spaltung dieses Moleküls ausschließlich 5-ASA-Moleküle gebildet werden sollten und somit die Struktur der Azosalicylsäure (Abbildung 4) haben muss. Diese Verbindung wird tatsächlich als wasserlösliches Dinatriumsalz unter der Bezeichnung Olsalazin zur Therapie von Colitis ulcerosa verwendet.<figure><img src="https://media.graphcms.com/gg5Sts4eSOyvFFpVo1Fp"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Strukturformel von Azosalicylsäure (5,5‘-Azodisalicylsäure).</figcaption></figure>
Das Pharmaunternehmen Geigy entwickelte die Synthese der Substanz aus der Notwendigkeit, das Nebenprodukt 2-Chlorbenzoesäure aus der Produktion von 2-Sulfobenzaldehyd zu verwerten. Dies gelang erstmals im Jahr 1913. Zunächst vermarktete Geigy die Azosalicylsäure wegen ihrer intensiven gelben Farbe unter der Bezeichnung Eriochromflavin A als Eriochromfarbstoff;3) mit diesen Farbstoffen wurde in essig- oder schwefelsauren Lösungen Wolle gefärbt.Anschließend sollen die Schüler:innen einen Syntheseweg für diese Substanz planen.Wird 5-ASA diazotiert und an Salicylsäure gekuppelt, bleibt die Ausbeute gering, nach der Literatur sind es 10 %. Daher informiert die Lehrkraft, dass 5-Amino-2-methoxybenzoesäure die 5-ASA ersetzt. Die Schüler:innen erfahren zudem, dass die Etherspaltung im Syntheseprodukt durch Erhitzen mit konzentrierter Schwefelsäure gelingt und sich dabei eine Hydroxygruppe bildet. Allerdings ist es nicht erforderlich, diese Reaktionen als Experimente im Unterricht durchzuführen.Für die Synthese im Halbmikromaßstab wird 5-Amino-2-methoxybenzoesäure in zweimolarer Natronlauge gelöst. Dazu wird eine Natriumnititlösung gegeben und das Ganze mit verdünnter Salzsäure vermengt.Bei der Diazotierung darf die Temperatur nicht über 5 °C steigen. Die eiskalte, bräunlich durchscheinende Suspension mit dem Diazoniumsalz wird nach 15 Minuten vorsichtig in eine Lösung aus Salicylsäure und Natronlauge eingerührt. Das Ergebnis ist eine tiefbraune Lösung, die bei Verdünnung mit Wasser gelb erscheint (Abbildung 5) und unter UV-Licht nicht fluoresziert, auch dann nicht, wenn die Lösung mit weiterer verdünnter Natronlauge versetzt wird.<figure><img src="https://media.graphcms.com/6H3U0n3uQRmiGzoJM82D"><figcaption><label>Abb. 5: </label>Versuchsablauf; links: gelbes Syntheseprodukt; Mitte: dieselbe Lösung nach Versetzen mit Natriumdithionit und Erhitzen; rechts: Lösung aus dem mittleren Bild nach Zutropfen von verdünnter Natronlauge und unter UV-Licht (rechts).</figcaption></figure>
<h2>Fluoreszenz zeigt die Spaltung an</h2>Im Unterrichtsgespräch erarbeiten Schüler:innen und Lehrkraft, dass die Fluoreszenz bei Spaltung des Syntheseprodukts wieder auftreten sollte. Dafür ist ein Reduktionsmittel erforderlich, das die Aufgabe der bakteriellen Azoreduktasen übernehmen soll. Dafür eignet sich Natriumdithionit besonders gut.Die verdünnte Produktlösung wird mit Wasser weiter verdünnt. Anschließend wird Natriumdithionit hinzugefügt, und die Schüler:innen erhitzen die Lösung kurz über der Bunsenbrennerflamme. Nach wenigen Sekunden entfärbt sich die Lösung (Abbildung 5, Mitte). Versetzt man sie mit verdünnter Natronlauge, fluoresziert sie mintgrün (Abildung 5, rechts): 5-ASA ist durch reduktive Spaltung des Azofarbstoffes entstanden, gleichzeitig oxidieren Dithionit- zu Sulfitionen:S2O42–(aq) + 2 H2O(l) 1 2 SO32–(aq) + 4 H+(aq) + 2 e–<h2>Der Autor</h2>Matthias Ducci ist Professor für Chemie und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule in Karlsruhe sowie geschäftsführender Direktor des dortigen GDCh-Lehrerfortbildungszentrums. Ducci studierte in Oldenburg Chemie und Mathematik für das Lehramt an Gymnasien. Er war Studienrat an der Kooperativen Gesamtschule Rastede und Lehrbeauftragter an der Universität Oldenburg.<div><img src="https://media.graphcms.com/28wKSdWTjiXPRnVJMBBp">

</div><h2>AUF EINEN BLICK</h2>Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen lassen sich mit den Azoverbindungen Sulfasalazin und Olsalazin behandeln, die im Darm enzymatisch gespalten werden und erst dort ihre Wirkung entfalten.Im Experimenten lässt sich eine vergleichbare Verbindung einfach synthetisieren und reduktiv spalten.Fluoreszenz im Modellexperiment zeigt, ob die Spaltung gelungen ist.Wissenschaftler aus der experimentell-konzeptionellen Chemiedidaktik stellen in den „Nachrichten aus der Chemie“ regelmäßig ihre Arbeiten vor.
<ul class="references"><li>
1 M. Ducci, Nachr. Chem. 2017, 65, 861–976</li><li>
2 <a href="https://av.tib.eu/media/45113" target="_blank">av.tib.eu/media/45113</a>, doi: 10.5446/45113</li><li>
3 M. Ducci, CHEMKON, 2021, doi: 10.1002/ckon.202000084</li></ul>

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