Industrie + Technik

Das Gaseunternehmen Linde, der Zementhersteller Heidelberg Materials und der Chemiekonzern BASF setzen erstmals ein gemeinsam entwickeltes CO2-Abtrennungsverfahren gro&szlig;technisch ein. Die Anlage im bayerischen Lengfurt (Foto) wird von Capture-to-Use betrieben, einem Gemeinschaftsunternehmen von Heidelberg Materials und Linde. Etwa 70 000 Tonnen CO2 werden dort pro Jahr abgetrennt, gereinigt, verfl&uuml;ssigt und als Rohstoff zur Verf&uuml;gung gestellt. Foto: Heidelberg Materials<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/qBe6dkcwQlSyKOsWaup8" />

Heidelberg Materials

Großtechnische CO₂-Abscheidung

Das Gaseunternehmen Linde, der Zementhersteller Heidelberg Materials und der Chemiekonzern BASF setzen erstmals ein gemeinsam entwickeltes CO2-Abtrennungsverfahren großtechnisch ein. Die Anlage im bayerischen Lengfurt (Foto) wird von Capture-to-Use betrieben, einem Gemeinschaftsunternehmen von He...

Die Chemieindustrie will Plastikm&uuml;ll in einen Erd&ouml;lersatz verwandeln und so Kunststoffe im Kreislauf halten. Kerstin Kuchta, Expertin f&uuml;r Abfallwirtschaft und Professorin an der Technischen Universit&auml;t Hamburg, ist skeptisch und sieht noch viele technische H&uuml;rden.
Chemieunternehmen setzen gro&szlig;e Hoffnungen in das chemische Recycling von Kunststoffabf&auml;llen. Umweltsch&uuml;tzer hingegen &auml;u&szlig;ern sich extrem kritisch. Was halten Sie von der Idee?
Kerstin Kuchta: Das ist eine spannende Diskussion, zumal zwischen den Lobpreisungen der Industrie und der Ablehnung eine technische Herausforderung liegt. Chemisches Recycling ist ja keine neue Idee. Die Solvolyse, also Kunststoffe mit bestimmten L&ouml;semitteln in ihre Monomere zu zerlegen, ist rund 25 Jahre alt. Und die andere Option, Kunststoffe &uuml;ber Vergasung oder Pyrolyse in ein &Ouml;l zu verwandeln und aus diesem Gemisch eine Art Naphtha herzustellen, war schon w&auml;hrend meiner Promotion in den 1990er-Jahren ein gro&szlig;es Thema. Mit der technischen Weiterentwicklung besch&auml;ftigen sich mittlerweile viele Gruppen, aber den Durchbruch haben wir noch nicht erreicht.
<figure xml:id="nadc20234136673-fig-0001">
<figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/1Ja1TjAzRSGNQK99j75u" />
<figcaption><label>Abb.1: </label>Zur Person: Seit dem Jahr 2011 ist Kerstin Kuchta Professorin an der TU Hamburg und leitet dort das Institut CREM &ndash; Circular Resource Engineering and Management. Vom Jahr 2002 bis 2010 hatte sie eine Professur f&uuml;r Energie- und Umweltmanagement an der Hochschule f&uuml;r Angewandte Wissenschaften Hamburg inne. Davor war sie in der Leitung verschiedener Ingenieurgesellschaften mit der Planung, den Genehmigungen und dem Betrieb umwelttechnischer Anlagen betraut. Kuchta hat an der TU Berlin technischen Umweltschutz studiert und wurde im Jahr 1997 an der TU Darmstadt promoviert.</figcaption>
</figure>
</figure>
Welche H&uuml;rden sehen Sie?
Die meisten Verfahren gehen jetzt &uuml;ber die Pyrolyse, und die kostet viel Energie. Je stabiler die Kunststoffe sind, desto besser ist ihre chemische Struktur. Wenn wir die zerlegen wollen, m&uuml;ssen wir viel Energie hineinstecken. Hinzu kommt der Aufwand f&uuml;r die Aufbereitung des Pyrolyse&ouml;ls f&uuml;r die anschlie&szlig;enden Raffinerieprozesse. Denn dass die Monomere so sch&ouml;n wieder herauskommen, wie sie mal produziert wurden, funktioniert mit Post-Consumer-Gemischen, also mit gemischten Kunststoffabf&auml;llen aus Haushalten und von anderen Endverbrauchern, nicht. Selbst mit einer Monofraktion als Input w&auml;re es schwierig, weil es durch anhaftenden Schmutz und Feuchtigkeit w&auml;hrend des Prozesses zu Ver&auml;nderungen in der Kohlenwasserstoffstruktur kommt.
Trotz des Aufwands investieren Chemiekonzerne weltweit in chemisches Recycling. Warum?
Gro&szlig;e Kunststoffhersteller haben keine andere Option. Sie verkaufen ja kein einfaches Polyethylen oder andere schlichte Polymere, sondern hoch angepasste und additivierte Werkstoffe &ndash; die wirklich gut sind, das muss man schon sagen. Aber mit rein mechanischen Schritten wie Waschen und Mahlen lassen sich f&uuml;r diese komplexen Materialien keine Kreisl&auml;ufe aufbauen. Hinzu kommt, dass die Abfallwirtschaft eine L&ouml;sung f&uuml;r die bislang nicht recycelbaren Kunststoffe sucht. In der Chemiebranche hat die Entsorgungsindustrie einen Partner gefunden.
Die Chemieindustrie ist interessiert an einem funktionierenden Kunststoffmarkt, aber warum braucht die Abfallwirtschaft einen Partner?
Unsere St&auml;dte wollen klimaneutral werden, da k&ouml;nnten M&uuml;llverbrennungsanlagen bald die letzten Emittenten von Treibhausgasen sein. Um ihre Kohlendioxidemissionen zu senken, wollen sie die fossilen Kunststoffe vor der Verbrennung weitgehend entfernen. EEW (Anmerkung: EEW Energy from Waste, eine Tochter des chinesischen Mischkonzerns Beijing Enterprises Holdings, betreibt M&uuml;llverbrennungsanlagen in Deutschland, den Niederlanden und Luxemburg) &uuml;berlegt zum Beispiel, entsprechende Anlagen in den Niederlanden und in Deutschland zu errichten. Hamburg ist auch als Standort im Gespr&auml;ch. Allerdings sind die ausgesonderten Kunststoffabf&auml;lle nicht gut genug f&uuml;r das mechanische Recycling. Eine Pyrolyse erscheint den M&uuml;llverbrennern nicht abwegig, zumal sie sich mit Energie und W&auml;rme auskennen. Aktuell gibt es aber noch keine Pyrolyseanlagen f&uuml;r diese Anwendung zu kaufen. Die Entsorgungsindustrie sieht in den Chemieunternehmen potente Partner, die solche Anlagen entwickeln.
Umweltsch&uuml;tzer, etwa Vertreter der Initiative Zero Waste Europe, behaupten, dass chemisches Recycling mehr Treibhausgase freisetzt als die Kunststoffherstellung aus fossilen Ressourcen. Au&szlig;erdem werfen sie der Industrie vor, Studien zum chemischen Recycling zu sch&ouml;nen. Halten Sie die Kritik f&uuml;r berechtigt?
Nat&uuml;rlich stellt die Industrie das chemische Recycling positiv dar. Bei den CO2-Emissionen etwa m&uuml;ssten auch Transportwege bedacht werden. Gerade bei gro&szlig;en zentralen Anlagen ist das ein erheblicher Faktor. Die Nachbehandlung des Pyrolyse&ouml;ls und die Verwertung des Kokses, der als Nebenprodukt anf&auml;llt, werden oft ebenfalls nicht ausreichend ber&uuml;cksichtigt. Zu bedenken ist auch, dass es noch keine gro&szlig;technische Anlage gibt; das sind alles Berechnungen.
In kleinerem Ma&szlig;stab produzieren einige Anlagen schon Pyrolyse&ouml;l aus Kunststoffm&uuml;ll. Es wird anschlie&szlig;end mit fossilem Rohstoff vermischt und sogar f&uuml;r die kommerzielle Herstellung neuer Polymere, anderer Chemieprodukte und Treibstoffe verwendet.
Ja, aber auch die kleineren Anlagen verarbeiten Spezialfraktionen der Kunststoffabf&auml;lle. Bei der Aufbereitung von gemischtem Plastikm&uuml;ll werden die CO2-Emissionen noch h&ouml;her liegen. Deshalb wehre ich mich auch gegen die super Meldungen zum chemischen Recycling. Die Industrie tr&auml;umt gerne laut von L&ouml;sungen, die noch keine sind. Das weckt falsche Hoffnungen und verleitet dazu, zu denken: Plastikm&uuml;ll &ndash; egal, wird ja chemisch recycelt.
Mechanisches Recycling ist aber auch keine L&ouml;sung. Es funktioniert zwar gut bei PET-Getr&auml;nkeflaschen, doch nach mehreren Zyklen kommt es selbst hier zum Downcycling und man braucht neues Material.
Das ist &auml;hnlich wie beim Papierrecycling, und trotzdem sprechen wir da von Kreislauff&uuml;hrung. Die R&uuml;ckholung von PET-Flaschen l&auml;uft erstklassig, die Qualit&auml;t ist gut, neue Flaschen k&ouml;nnen aus 100 Prozent Rezyklat hergestellt werden. Irgendwann kommt es zum Abbau, aber das h&auml;ngt auch davon ab, wie viel Fremdstoff das Material enth&auml;lt. Deswegen w&auml;ren zum Beispiel ungef&auml;rbte Flaschen w&uuml;nschenswert. Was den Nachschub an neuem Material betrifft: Problematischer beim Recycling von PET-Flaschen ist, dass andere Industrien, etwa die Automobil- und die Kosmetikbranche, das Rezyklat wegkaufen.
Welche Ma&szlig;nahmen schlagen Sie vor gegen die Flut an Plastikm&uuml;ll?
Es wird immer einen gewissen Bedarf an Kunststoffen geben, die hochkomplex sind, viele Additive enthalten und sich kaum recyceln lassen. Die m&uuml;ssen wir dann wahrscheinlich energetisch nutzen, also verbrennen. Alle anderen Kunststoffe sollten wir vermeiden oder so gestalten, dass wir sie getrennt erfassen und mechanisch recyceln k&ouml;nnen. Als Wissenschaftlerin finde ich chemisches Recycling zwar interessant, aber das Plastikm&uuml;ll-Problem l&auml;sst sich damit nicht aus der Welt schaffen, jedenfalls nicht in den n&auml;chsten 20 Jahren.
Das Gespr&auml;ch mit Kerstin Kuchta f&uuml;hrte Uta Neubauer online.
Kerstin Kuchta. Foto: TUHH

Heidelberg Materials

Großtechnische CO₂-Abscheidung

Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...