Wissenschaft + Forschung

Blickpunkt Synthese

Helicene erzeugen starke asymmetrische Effekte – vorausgesetzt, man gewinnt sie enantiomerenrein. Forschungsgruppen haben nun Wege gefunden, um Helicene und Heterohelicene asymmetrisch herzustellen.Helicene sind wendeltreppenartige Moleküle, wobei jede Treppenstufe ein aromatischer Ring ist. Sind vier 1,2-anellierte Ringe verknüpft, stoßen sich die Enden sterisch ab und die Struktur wird schraubenförmig.1) Die entstehende Helix ist axial-chiral. Bei einem (P)-Helicen dreht sich die Helix mit dem Uhrzeigersinn, bei einem (M)-Helicen ist der Drehsinn entgegengesetzt (<link href="#nadc20234134057-fig-0001">Abbildung 1).<figure xml:id="nadc20234134057-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/hF82lBUiSwKOFs3TZryR"><figcaption><label>Abb.1: </label>Synthese des ersten Helicens durch Meisenheimer und Witte (1903).2)</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Ein frühes, ein langes und ein breites Helicen</h2>Jakob Meisenheimer hat 1903 durch Zufall das erste Helicen bei der Reduktion von 2-Nitronaphthalin entdeckt (Abbildung 1).2) Eines der bisher längsten Helicene ((5), <link href="#nadc20234134057-fig-0002">Abbildung 2, S. 68), wurde 2015 von Fujita einstufig über eine mehrfache oxidative Photocyclisierung dargestellt.3) Helicene müssen nicht aus 1,2-anellierten Benzolen aufgebaut sein. Toyota hat im Jahr 2020 aus Anthracenderivaten ein breites [15]helikales Anthracen ((7), <link href="#nadc20234134057-fig-0003">Abbildung 3, S. 68) vorgestellt.4)<figure xml:id="nadc20234134057-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/SGZi57EoQyGswsWHjCED"><figcaption><label>Abb.2: </label>Oxidative Photocyclisierung durch Fujita.3)</figcaption></figure></figure><figure xml:id="nadc20234134057-fig-0003"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/5SN8KlMxQDOV1ay6NNaj"><figcaption><label>Abb.3: </label>Verknüpfen von Anthracenen zu einem breiten Helicen durch Toyota.4)</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Wofür enantiomerenrein?</h2>Enantiomerenreine Helicene beeinflussen einfallendes Licht besonders stark durch ihr großes konjugiertes π-System. (P)-Carbo[6]helicen dreht die Schwingungsrichtung von polarisiertem Licht 73-Mal so stark wie Menthol oder Glucose.4,5) Der hohe spezifische Drehwinkel lässt sich nutzen, um Licht zu polarisieren.Materialien wie Helicene, die angeregt wurden, emittieren zirkular polarisiertes Fluoreszenzlicht. Das nennt man circularpolarisierte Lumineszenz (CPL). Davon profitieren zum Beispiel Fernseher. Blendschutzfilter sorgen dafür, dass Lichtquellen von außen weniger spiegeln. Licht aus organischen LEDs (Oleds) passiert die Blendschutzfilter nur zu 50 Prozent, da alle Schwingungsanteile senkrecht zum Filter zurückgehalten werden. CPL-Oleds liefern aber polarisiertes Licht. Dieses passiert den Filter zu 100 Prozent. Das macht die Displays heller und spart Strom.6)Helicene dienen außerdem als Liganden für die asymmetrische Katalyse, als Stator des molekularen Motors in molekularen Maschinen, als Chromophor für die Lichtabsorption und Detektion von nitroaromatischen Sprengstoffen in Polymeren und elektrooptische Schalter in Flüssigkristallen.1,7) Da die Moleküle für diese Anwendungen enantiomerenrein gebraucht werden, entwickeln Forschungsgruppen seit den 2010er Jahren enantioselektive Synthesen.<h2 type="main">Carbohelicene durch C-H-Aktivierung</h2>Baudoin hat im Jahr 2022 mit C–H-Aktivierung ein chirales Carbohelicen aus Stilbenen dargestellt (<link href="#nadc20234134057-fig-0004">Abbildung 4, S. 68). Der bifunktionale chirale Phosphincarboxylat-Ligand (10) dirigert die palladiumkatalysierte enantioselektive C–H-Arylierung. Quantenchemische Berechnungen zeigen, welche Wechselwirkungen die chirale Informationen weitergeben: Substrat und Ligand wechselwirken während der zweistufigen reduktiven Eliminierung nichtkovalent und stoßen sich sterisch ab.8)<figure xml:id="nadc20234134057-fig-0004"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/HIwM43psRoStASCMzPDD"><figcaption><label>Abb.4: </label>Palladiumkatalysierte enantioselektive Helicensynthese von Baudoin.8)</figcaption></figure></figure>Um nichthelikale C–H-Arylierungsprodukte zu vermeiden, wird ein difluorsubstituiertes Phenantren (8) genutzt (Abbildung 4). Dieses zersetzt sich außerdem nicht bei der Reaktionstemperatur von 140 °C.Als Ligand eignen sich bifunktionale binaphthylbasierte chirale Phosphincarbonsäuren wie (10). Phenylgruppen in der 3-Position des Binaphthylkerns erhöhen die Ausbeuten; 3,5-Substitution des Arylrests am Phosphin macht die Reaktion enantioselektiver.8)Alcarazo synthetisierte enantioselektiv aus einem polyaromatischen Dialkin goldkatalysiert 1,12-substituierte Carbo[4]helicene. You gelang dies durch rhodiumkatalysierte C–H Anellierung aus Isochinolinen mit Alkinen.8,9)<h2 type="main">Azahelicene über Fischer-Indol-Synthese</h2>Heterohelicene haben andere geometrische und elektronische Strukturen als Carbohelicene.10) List nutzte im Jahr 2014 die enantiomerenreine Brönstedsäure (13) für eine asymmetrische Fischer-Indol-Synthese.11) Das Phenylhydrazin (11) und das anellierte Keton (12) kondensieren zunächst säurekatalysiert zum Enhydrazin. Die Phosphorsäure (22) begünstigt eine der beiden möglichen [3,3]-sigmatropen Umlagerungen. Denn die Säure hat große aromatische Reste in der 3,3‘-Position. Die Reste interagieren mit dem Enhydrazin über π-π-Wechselwirkungen und geben so den Drehsinn vor. So entstehen die Azahelicene (14) im Verhältnis 95,5:4,5 (<link href="#nadc20234134057-fig-0005">Abbildung 5). Das (S)-Enantiomer des Katalysators bildet bevorzugt das M-Helicen, mit dem (R)-Enantiomer entsteht hauptsächlich das (P)-Helicen.<figure xml:id="nadc20234134057-fig-0005"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/2nsVRYMATdOqDu24mGIo"><figcaption><label>Abb.5: </label>Abb. 5 Enantioselektive Darstellung von Helicenen über eine Fischer-Indol Synthese durch List aus dem Jahr 2014.11)</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Goldkatalysierte Synthese von Thia[6]helicenen</h2>Thiahelicene sind besonders reaktiv durch ihre endocyclische Schwefeleinheit. Diese lässt sich modifizieren oder an andere (Hetero-)Helicene knüpfen. Mit aromatischen Metamorphosereaktionen gelangt man vom Schwefelcyclus zu anderen aromatischen Ringsystemen. Des Weiteren dirigiert der Schwefel nachträgliche synthetische Modifikationen, wie zum Beispiel aromatische Substitution.12)Alcarazo veröffentlichte im Jahr 2023 eine Synthese von Thia[6]helicen. Die Reaktion geht vom substituierten Alkin (15) aus, das mit Silberhexafluoroantimonat und dem Goldkatalysator (17) in einem Schritt zu dem Thiahelicen (16) umgesetzt wurde (<link href="#nadc20234134057-fig-0006">Abbildung 6). Auch hier entscheidet der chirale Ligand, in diesem Fall ein Binol, in welche Richtung sich das Helicen dreht.14)<figure xml:id="nadc20234134057-fig-0006"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/0SqPE4BSoyZHFfNp8naA"><figcaption><label>Abb.6: </label>Abb. 6 Enantioselektive goldkatalysierte Synthese von Thia[5]helicenen durch Alcarazo aus dem Jahr 2023.12)</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Die Autoren</h2>Nils Imse (oben) arbeitet in seiner Doktorarbeit bei Nadja A. Simeth (unten) an der chromoselektiven Umwandlung bioaktiver Moleküle für optochemische Sonden. Simeth ist Juniorprofessorin an der Universität Göttingen. Ihre Gruppe forscht an photochemischer Markierung und Regulierung biologischer Systeme und entwickelt lichtresponsive Bausteine, Labels und Linker. Simeth schreibt im Wechsel mit Christopher Teskey den Blickpunkt Synthese in den Nachrichten.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/1xpZaKWLRAmhcBXfpv6g"><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/HWz4nAVcQWVMXmhZJOLT"><ul class="references" xml:id="nadc20234134057-bibl-0001" style="numbered" cited="no"><li xml:id="nadc20234134057-bib-0001">1 Y. Shen, C. F. Chen, Chem. Rev. 2012, 112, 1463–1535.</li><li xml:id="nadc20234134057-bib-0002">2 J. Meisenheimer, K. Witte, Berichte der Dtsch. Chem. Gesellschaft 1903, 36, 4153–4164.</li><li xml:id="nadc20234134057-bib-0003">3 K. Mori, T. Murase, M. Fujita, Angew. Chemie Int. Ed. 2015, 54, 6847–6851.</li><li xml:id="nadc20234134057-bib-0004">4 K. Fujise, E. Tsurumaki, K. Wakamatsu, S. Toyota, Chem. – A Eur. J. 2021, 27, 4548–4552.</li><li xml:id="nadc20234134057-bib-0005">5 Y. Xu, L. Shi, T. Guan, C. Guo, S. Zhong, C. Zhou, H. Zhang, Z. Li, X. Xing, Y. Ji, W. Xie, L. Liu, Y. He, Biomed. Opt. Express 2021, 12, 5128.</li><li xml:id="nadc20234134057-bib-0006">6 D. W. Zhang, M. Li, C. F. Chen, Chem. Soc. Rev. 2020, 49, 1331–1343.</li><li xml:id="nadc20234134057-bib-0007">7 W. Liu, T. Qin, W. Xie, X. Yang, Chem. – A Eur. J. 2022, 28, e202286862.</li><li xml:id="nadc20234134057-bib-0008">8 S. M. Guo, S. Huh, M. Coehlo, L. Shen, G. Pieters, O. Baudoin, Nat. Chem. 2023 15 2023, 15, 872–880.</li><li xml:id="nadc20234134057-bib-0009">9 T. Hartung, R. Machleid, M. Simon, C. Golz, M. Alcarazo, Angew. Chemie Int. Ed. 2020, 59, 5660–5664.</li><li xml:id="nadc20234134057-bib-0010">10 S. Oda, B. Kawakami, Y. Yamasaki, R. Matsumoto, M. Yoshioka, D. Fukushima, S. Nakatsuka, T. Hatakeyama, J. Am. Chem. Soc. 2022, 144, 106–112.</li><li xml:id="nadc20234134057-bib-0011">11 L. Kötzner, M. J. Webber, A. Martínez, C. Defusco, B. List, Angew. Chemie Int. Ed. 2014, 53, 5202–5205.</li><li xml:id="nadc20234134057-bib-0012">12 W. Fu, V. Pelliccioli, M. Geyso, P. Redero, C. Böhmer, M. Simon, C. Golz, M. Alcarazo, Adv. Mater. 2023, 35, 2211279.</li></ul>

Der richtige Dreh

Helicene enantioselektiv synthetisieren

Helicene erzeugen starke asymmetrische Effekte – vorausgesetzt, man gewinnt sie enantiomerenrein. Forschungsgruppen haben nun Wege gefunden, um Helicene und Heterohelicene asymmetrisch herzustellen.Helicene sind wendeltreppenartige Moleküle, wobei jede Treppenstufe ein aromatischer Ring ist. Sind...

Interskriptum

Menschen haben eine diebische Freude daran, sich kleine bunte Bildchen auszudenken und diese dann ans Revers oder sonstwohin zu heften. Besonders ausgeprägt ist diese Sitte beim Militär (Verbandsabzeichen getragen auf rotem Mützchen mit gelber Kordel, aber nur wenn man zur zweiten Kohorte gehört; Matrosen tackern noch ihr Seepferdchen dazu) oder bei Karnevalsvereinen.Aber wir wollen nicht zu sehr spotten, die Heraldik ist eine ernste Angelegenheit, und in schnörkelvoller Sprache die Blasionierung rauszublasen (also das Wappen fachgerecht zu beschreiben) ist eine Kunst. Zum Beispiel im Wappen derer zu Taufkirchen: „Ein oberhalber goldener Löwe, der sich ein silbernes Schwert durch Rachen und Hinterkopf bohrt.“ Warum der Löwe diesen Unsinn vollführt, ist unklar.Ritter und Adel sind out, Wappen heißen heute Logo oder – wenn man Marketing-Sprech mag – Wort-Bild-Marke. Selbstverständlich leistet sich jede Organisation und Unterorganisation, ja, jede klitzekleine Fitzelkampagne ein solches Erkennungselement. Denn (siehe oben): Menschen haben eine diebische Freude daran, sich kleine bunte Bildchen auszudenken und diese dann ans Revers oder sonstwohin zu heften.Von blasierter Blasionierung à la goldener Löwe ist das Logo der GDCh weit entfernt. Aber für etwas Mythos taugt zumindest die Tatsache, dass die Entstehungsgeschichte im Dunkeln liegt. Die Jubiläumsschrift „Ein Streifzug durch 150 Jahre chemische Gesellschaften in Deutschland“ raunt dazu: „Es hält sich das Gerücht, es sei in seinem wesentlichen Erscheinungsbild von einem Teilnehmer an einer Vorstandssitzung als ‚Nebenbeschäftigung‘ entworfen worden.“ Auch mit folgenden Hinweisen aus der Reihe unnützes Wissen können Sie im Assessment Center für den GDCh-Ortsverbandsvorsitz punkten: Das GDCh-Logo ziert mitnichten eine Petrischale (so benannt seit 1887 nach dem Bakteriologen Julius Richard Petri und nicht nach – Petri Heil! – dem Fischer und Lieblingsjünger), sondern ein Uhrglas.Doch vielleicht sind die Tage des Uhrglases bald gezählt. Rethinking Chemistry – darum wird es in der GDCh die nächsten Jahre gehen, und dies soll seinen Niederschlag im Logo finden. Der wappenkundige Chemiker weiß: Steht der Text unter den Bildchen, ist er eine Maxime, steht er ganz oben, handelt es sich um ein Panier, also um einen Schlachtruf. Als was wird sich Rethinking Chemistry erweisen? Lassen wir uns überraschen.Im Interskriptum schreibt Nachrichten-Chefredakteur Christian Remenyi über Chemisches und Komisches – und was sich sonst noch so im Zettelkasten der Redaktion findet. <a href="mailto:nachrichten@gdch.de">nachrichten@gdch.de</a>

Der richtige Dreh

Helicene enantioselektiv synthetisieren

Ein frühes, ein langes und ein breites Helicen

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