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Markus Rarbach hat ein Verfahren entwickelt, das aus Stroh biotechnisch Ethanol gewinnt. Eines der Ziele: ein autarker Prozess.
Nachrichten aus der Chemie: Herr Rarbach, Sie kamen im Jahr 2006 als Biotechnologie-Ingenieur zur damaligen Süd-Chemie, heute Clariant. Süd-Chemie war kein Biotechnologieunternehmen.<figure><img src="https://media.graphcms.com/2LIQXRTWRSeFRzv21zGI"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Markus Rarbach an einer Technikumsanlage des Clariant-Biotechnologiezentrums in Planegg bei München. Foto: Frauke Zbikowski</figcaption></figure>
Markus Rarbach: Nein, sondern ein Anbieter von Industriekatalysatoren. Aber es kamen immer mehr Kundenanfragen: Was habt ihr anzubieten für Nachhaltigkeit oder Konversion nachwachsender Rohstoffe? Daraus wurde ein Programm, Forschung und Entwicklung umzustrukturieren. Süd-Chemie hat damals ein neues Team aufgebaut, ich war früh mit dabei und konnte mein Know-how aus der Biotechnologie in neuen Zusammenhängen nutzen.Warum in der chemischen Industrie?Biokatalytische Verfahrensschritte in den Wertschöpfungsketten der chemischen Industrie haben mich gereizt.Woher kam die Idee, Agrarreststoffe umzusetzen?Es gab grundlegende strategische Diskussionen. Einer der wichtigsten Ausgangspunkte war: Wir wollen aus nachwachsenden Rohstoffen Chemie machen. Die erste Frage war: Was genau? Und dann ist früh die Entscheidung gefallen, nichtessbare Pflanzenbestandteile zu nutzen. Heute erscheint das selbstverständlich.Das war vor der „Teller-oder-Tank“-Debatte.Das war auch vor der Debatte um Bioethanol im E10-Treibstoff für Autos. Man muss heute der Geschäftsführung Weitsicht und unternehmerischen Mut attestieren, zu sagen, wir nutzen landwirtschaftliche Abfälle, Weizen- oder Maisstroh oder Pressrückstände von Zuckerrohr.Die Prozesskette, um Lignocellulose zu Ethanol umzusetzen, ist grundsätzlich seit den 1970er Jahren bekannt, musste aber wesentlich optimiert werden.Erst im letzten Jahr hat der Bau der ersten Großanlage für dieses Sunliquid-Verfahren begonnen. Warum hat es so lange gedauert?Es ist nicht ungewöhnlich, dass es zehn Jahre dauert, bis ein solches Verfahren im Markt eingeführt werden kann. Wir haben in unserer Demonstrationsanlage in Straubing in den fünf Jahren gezeigt, dass das Verfahren läuft, und viel dabei gelernt. Das war gut investierte Zeit. Es war nicht so, dass wir 2012 einen Knopf gedrückt hätten, und die Maschine summte los.<figure><img src="https://media.graphcms.com/QfHDTMiSwOXjPqDkCNx6"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Demonstrationsanlage von Clariant in Straubing. Das Stroh niederbayerischer Landwirte oder Agrarreststoffe von Kunden werden hier biotechnisch zu brennbarem Lignin, Ethanol und einem flüssigen Reststoff umgesetzt, der sich als Dünger eignet. Foto: Clariant</figcaption></figure>
Also eine ganz normale Verfahrensentwicklung.Wir haben wesentlich mehr Zeit darauf verwendet, die Qualität der Nebenprodukte zu optimieren, als die Qualität des Hauptprodukts. Das war ungewöhnlich. Ethanol als Hauptprodukt ist kaum erklärungsbedürftig, aber die Prozessgestaltung, das Ineinandergreifen von Verfahrensschritten, Nebenproduktabtrennung und -aufarbeitung.Was ist das Besondere an den Nebenprodukten?Das Nebenprodukt Lignin bleibt als Festphase suspendiert. Wir können es abfiltrieren und damit Strom und Dampf erzeugen.Man kann es verbrennen.Wir nutzen das Lignin als Energiequelle für den Prozess. Das funktioniert, da wir im Prozess keine Chemikalien einsetzen, keine Schwefelsäure. Aber es dauerte, bis wir die Verfahrensschritte optimiert hatten und Lignin nicht als brauner Matsch vorlag, sondern so, dass man damit direkt ein Kraftwerk beschicken kann.Sie setzen gar keine Lösungsmittel oder andere Chemikalien ein?Sehr begrenzt. Wir stellen zum Beispiel den pH-Wert ein. Den Zusatz von Chemikalien halten wir für einen Irrweg, denn die bezahlt man zweimal: einmal, um sie zu beschaffen, und noch einmal, um sie loszuwerden. Man generiert ein Problem mit hoch salzhaltigen Abwässern und schwefelhaltigen Nebenprodukten.Beim Gärprozess bleibt nach Abtrennen des Ethanols Vinasse übrig, eine Flüssigkeit, die Sie als organischen Dünger wieder aufs Feld ausbringen können. Das funktioniert aber nur, weil wir nicht viel Chemie in den Prozess reingeben.Wie haben Sie es geschafft, die Landwirte davon zu überzeugen, ein Prozessnebenprodukt auf ihren Feldern zu verteilen?Landwirte überzeugt man durch praktisches Arbeiten. Das haben wir in Straubing gemacht. Ein Landwirt interessiert sich natürlich für die agronomischen Auswirkungen. Neben der erhöhten Wertschöpfung von der Fläche sind Fragen wie Bodenqualität und Düngereintrag hier wichtig. Und das nicht nur für den Landwirt, auch für uns haben diese Themen hohe Priorität. Deswegen führen wir neben dem Betrieb der Anlage über Jahre landwirtschaftliche Versuche durch.Die erste kommerzielle Anlage errichten Sie jetzt in Rumänien. Warum nicht in Deutschland?In Rumänien gibt es wenig andere Nutzung für Stroh, etwa Viehzucht. Für den Bauern ist das Stroh eine Belastung. Um es unterpflügen zu können, muss er es erst häckseln, das ist ein weiterer Arbeitsgang und kostet Treibstoff. Deshalb wird es dort oft noch verbrannt. Je weiter man nach Osteuropa kommt, desto mehr ungenutztes Stroh gibt es. Dort sind richtige Kornkammern.Wie groß muss so eine Anlage sein, damit sich der Prozess lohnt?Die untere Grenze sind um die 50 000 Tonnen, die Obergrenze etwa 150 000 Tonnen. Sonst wird der Umkreis zu groß, aus dem die Rohstoffe geliefert werden müssen. In Rumänien, in 70, 80 km Umkreis von Craiova, wo wir die Anlage bauen, stehen ungefähr 1 Million Tonnen Stroh zur Verfügung. Davon brauchen wir ungefähr ein Viertel für die Anlage, damit auch genug für die Bodenfruchtbarkeit auf den Feldern bleibt.Sind kurze Transportwege auch ein Faktor für den geringen CO2-Fußabdruck des Verfahrens?Ja, aber in geringerem Maße, als man sich das vorstellt. Eine Life-Cycle-Analyse ergibt 95 Prozent CO2-Einsparung. Für die restlichen 5 Prozent nehmen wir an, dass fossile Energie zum Transport des Rohstoffs und des Produkts genutzt wird. Wir wollen die Rohstoffe aus Kostengründen nicht 500 km durch die Gegend fahren.Es ging also nicht nur um Nachhaltigkeit?Hinter der Idee, den Prozesses energieautark zu gestalten, stecken nicht nur nachhaltigkeitsphilosophische Erwägungen, sondern technische und wirtschaftliche Argumente. Denn die Welt sieht nicht überall so aus wie in Mitteleuropa. Der Nordosten Brasiliens oder Indonesien hat keine Energieinfrastruktur wie wir. Es gibt nicht überall eine Gaspipeline oder ein dickes Stromkabel.Ist der Prozess denn robust genug, um ihn in Brasilien oder Indonesien einzusetzen?Die Entwicklung hat auch deswegen so lange gedauert, weil das Verfahren so stabil wie möglich werden sollte. Der Rohstoff kann ja keine Spezifikation wie in der chemischen Industrie einhalten, etwa einen festgelegten Aschegehalt. Darauf hat der Bauer wenig Einfluss. Auch in Straubing steht keine Pharmaanlage.Würde der Prozess auch mit Holz laufen?Grundsätzlich ja. Holz sind ja auch Cellulosefasern mit Lignin zusammengeklebt. Allerdings haben wir uns aus strategischen Erwägungen auf landwirtschaftliche Nebenprodukte fokussiert. Für Holzabfälle sind die Wertschöpfungsketten etabliert, es bleibt gar nicht viel Abfallholz.Wie stellt sich der Prozess auf unterschiedliche Rohstoffe ein?Die Anlage stellt ihr eigenes Enzym her. Wir verkaufen dem Kunden nicht die Enzyme, sondern den ganzen Prozess mit Enzymproduktion, Prozessintegration, mit der Nutzung der Nebenprodukte und dem ganzen Know-how, wie der Prozess zu betreiben ist.Damit ist Clariant nicht mehr nur Lieferant von Produkten. Das Geschäftsmodell hat sich damit verändert.Jetzt kommen wir zurück auf die Diskussion von 2006. Ursprünglich war die Idee, Biokatalysatoren zu behandeln wie Katalysatoren. Aber die verkaufen wir an Unternehmen, die zum Teil 80 Jahre Erfahrung mit ihrem Prozess haben. In der Biotechnik ist das anders. Wenn ich einem Raffineriebesitzer einen Kanister mit Enzym in die Hand drücke, ist er damit ziemlich verlassen.Wenn Sie die Anlage samt Prozess verkaufen, haben Sie dann nur Kunden, die ein vollständig neues Verfahren aufbauen?Ja und nein. Unsere Kunden kommen aus unterschiedlichen Geschäftsfeldern. Das sind landwirtschaftliche Genossenschaften, und das sind Unternehmen, die schon konventionell Biokraftstoffe herstellen, etwa unser Lizenznehmer in der Slowakei, der eine Cellulose-Ethanol-Anlage in einen Werksverbund einfügt. Und wir haben ein Mineralölunternehmen wie Exxon als Projektpartner. Das hat den Marktzugang für Kraftstoffe und beginnt, sein Produktportfolio umzustrukturieren. Eine neue Industrie entsteht nicht im Vakuum, sondern immer eingebettet in Wertschöpfungsketten.Während der letzten zehn Jahre haben sich die politischen und gesellschaftlichen Diskussionen über Kraftstoffe und Antriebe verändert. Ich denke nur an die Diskussion um den E10-Kraftstoff. Heute redet niemand mehr über Biokraftstoffe; Elektromobilität gilt als die Lösung. Interessiert sich noch jemand für Ethanol?Die Debatte über E10 hat der Industrie nicht gut getan. Biokraftstoffe sind aus meiner Sicht übermäßig stark kritisiert worden. Ich glaube, dass Elektromobilität einen Zweck erfüllt, etwa in Städten und für kurze Strecken. Bei vielen Mobilitätserfordernissen werden wir in absehbarer Zeit auf flüssige Kraftstoffe und deren Energiedichte angewiesen sein. Und dafür liefern wir eine Lösung, die aus der Kreislaufwirtschaft kommt und in der heutigen Verteilinfrastruktur funktioniert.War es auch ein Entwicklungsziel, dass dieser Prozess andere Grundchemikalien liefern kann?Der Prozess war immer als Plattform gedacht. Wir haben Ethanol als erstes Produkt gewählt, weil es eine transparente Wertschöpfungskette hat und relativ leicht in den Markt zu bringen ist. Anders als beispielsweise ein neues Polymer. Die Technologie bekommt Plattformcharakter, indem wir das Lignin früh vom Zucker trennen.Der ist dann die Grundchemikalie?Der Zucker kann am Ende auch zu Kohlenwasserstoffen umgesetzt werden. Wir haben organische Säuren und Polymere daraus gemacht. Es gibt die Optionen, weitere Chemieprodukte damit zu produzieren, die alleine vielleicht keine zehn Jahre Prozessentwicklung gerechtfertigt hätten.Kamen Sie während dieser Prozessentwicklung an einen Punkt, an dem Sie dachten, es geht nicht weiter?Natürlich hat es immer wieder Punkte gegeben, an denen wir neu überlegen mussten. Ich würde lügen, wenn ich sage, die Entwicklung wäre frei von Herausforderungen gewesen. So sind Forschung und Entwicklung nun mal nicht.Bevor Sie zur Süd-Chemie gingen, arbeiteten Sie bei einem Spin-off des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie. Erfordert ein Projekt wie das Sunliquid-Verfahren ein großes Unternehmen mit der entsprechenden finanziellen Basis?Ja. Es hilft auch, dass es in einem großen Konzern viele Diskussionspartner und die Unterstützung anderer Konzernbereiche gibt. Ein Start-up hätte das nicht machen können. BBMarkus Rarbach zeigte Nachrichten-Redakteurin Frauke Zbikowski die Labore im Biotechnologiezentrum von Clariant in Planegg. Das Zentrum ist ein Neubau und wurde im Jahr 2015 eröffnet.<h2>INFO: Zur Person</h2>Markus Rarbach hat an der Technischen Universität Berlin Bioverfahrenstechnik studiert. Nach der Promotion im Jahr 1999 ging er an das Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen und arbeitete ein Jahr in der Arbeitsgruppe von Manfred Eigen, der über die molekularen Prinzipien der Evolution forschte. Mitglieder des Arbeitskreises gründeten in Köln das Unternehmen Direvo Biotech, das die Erkenntnisse aus Göttingen nutzte, um Biokatalysatoren zu optimieren und für die industrielle Biotechnologie anwendbar zu machen. Im Jahr 2000 kam Rarbach zu Direvo und baute den Bereich Hochdurchsatzscreening auf. Später leitete er dort das Projektmanagement, bis er 2006 zur Süd-Chemie wechselte. Im Jahr 2011 wurde die Süd-Chemie von Clariant übernommen. Dort leitet Rarbach den Bereich Biokraftstoffe. Für das Sunliquid-Verfahren, das er und sein Team entwickelt haben, gab es inzwischen mehrere Preise, unter anderem im Jahr 2015 den Deutschen Innovationspreis für Klima und Umwelt. Ende 2018 wurde Markus Rarbach mit dem Preis für Wirtschaftschemie der Meyer-Galow-Stiftung bei der GDCh ausgezeichnet.

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