Bildung + Gesellschaft

<p>Kurioses, Erstaunliches, &Uuml;berraschendes &mdash; was vor 50 Jahren in den &bdquo;Nachrichten aus der Chemie&ldquo; stand, die damals noch &bdquo;Nachrichten aus Chemie und Technik&ldquo; hie&szlig;en.</p>

Vor 50 Jahren

<h2 type="main">Kernspaltung in Gabun</h2><p>Von Erkenntnissen französischer Forscher zur Leistung eines zwei Milliarden Jahre alten Atomreaktors berichteten die Nachrichten aus der Chemie im Mai 1973 (Abbildung). Vor Äonen lagerte in Oklo, Gabun, so viel <sup>235</sup>U, dass dieses eine nukleare Kettenreaktion unterhielt, moderiert durch Wasser. Der Reaktor lief eine Million Jahre lang und spaltete dabei zehn Tonnen Uran. Dem Reaktor auf die Fährte gekommen war im Jahr 1972 der Mitarbeiter einer französischen Urananreicherungsanlage. Das Uranerz aus Oklo enthielt nämlich zu wenig <sup>235</sup>U.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/hbFJhriqQkWwXPdZaM6k"></p><p>Mehr Erstaunliches oder aus heutiger Sicht Skurriles aus den Blauen Blättern von anno dazumal lesen Sie in der GDCh-App: <a href="https://gdch.app/category/vor-50-jahren" target="_blank">gdch.app/category/vor-50-jahren</a></p>

Vor 50 Jahren in den Blauen Blättern

Kernspaltung in Gabun

Kernspaltung in GabunVon Erkenntnissen französischer Forscher zur Leistung eines zwei Milliarden Jahre alten Atomreaktors berichteten die Nachrichten aus der Chemie im Mai 1973 (Abbildung). Vor Äonen lagerte in Oklo, Gabun, so viel 235U, dass dieses eine nukleare Kettenreaktion unterhielt, moderi...

Im Frühjahr vor einem Jahr waren unter den Flüchtenden aus der Ukraine auch Chemiestudentinnen aus Kyjiw. Etwa 20 hatte die Universität Gießen aufgenommen. Sie haben seitdem Forschungsprojekte gestartet, das Studium abgeschlossen, eine Doktorarbeit begonnen, Deutsch gelernt oder Deutschland verlassen.<p>Olesia Vasylets, Chemiestudentin aus der Ukraine, promoviert nun in Gießen. Anfang März hat sie im Arbeitskreis von Richard Göttlich damit begonnen, sie synthetisiert Heterocyclen. „Ich weiß jetzt, dass ich mich überall anpassen kann“, sagt sie. Vor einem Jahr, kurz nachdem die russische Armee ihr Heimatland überfallen hatte, verließ sie die Hauptstadt Kyjiw, kam als Austauschstudentin nach Deutschland, studierte online weiter und begann in Gießen mit Forschungsprojekten im Labor.</p><p>Ähnlich wie ihr erging es Nataliia Petlovana, die in Biochemie promovieren möchte, Viktoria Kuzminska, die mit fast abgeschlossenem Bachelor nach Gießen kam, und Yuliia Kurtash, die noch mitten im Bachelorstudium war, als sie vor dem Krieg floh [<i>Nachr. Chem.</i> 2022, <i>70</i>(9), 12]. <link href="#nadc20234135785-fig-0001">Alle studierten an der Nationalen Technischen Universität, Kyjiwer Polytechnisches Institut Ihor Sikorskyj.</p><figure xml:id="nadc20234135785-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/8ax0mPQ3RSO0PRtdW0au"><figcaption><label>Abb.1: </label>„Wir haben keine andere Wahl, als optimistisch zu sein“, sagen Viktoria Kuzminska, Nataliia Petlovana und Olesia Vasylets (von links), die nach ihrer Flucht aus der Ukraine an der Universität Gießen ihr Chemiestudium fortgesetzt haben.</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Kein Strom, kein Unterricht</h2><p>Aus Sicherheitsgründen stellte das Polytechnische Institut auf digitalen Fernunterricht um, an dem die Studentinnen vom Ausland aus teilnehmen. Sie absolvieren Online-Kurse und -Prüfungen – neben Laborarbeit und Deutschunterricht in Gießen.</p><p>Die Forschungsprojekte in Gießen hat die Universität in der Ukraine anerkannt, und so haben Nataliia Petlovana und Olesia Vasylets den Master abschließen können. Um in Kyjiw ihre Masterarbeiten zu verteidigen und die Zeugnisse abzuholen, reisten beide Ende des Jahres für etwa einen Monat in die Ukraine. Dort fiel aufgrund der Angriffe im Winter ständig der Strom aus. „Das bedeutet, keine Heizung, kein Wasser, kein Internet, kein Mobilfunk“, berichtet Vasylets. „Wie soll ein Online-Studium so funktionieren?“</p><p>Nataliia Petlovana, die vor Ort noch einen Biochemiekurs abschließen musste, stand teilweise nachts um zwei Uhr auf. Nur dann war das Netz stabil genug, um die Lehrvideos störungsfrei anzusehen und die Tests auszufüllen. Sie bewundere ihre Kommilitonen, die es schaffen, in Kyjiw mit dem Studium weiterzukommen.</p><p>Olesia Vasylets fühlte sich in Kyjiw unsicher. Den permanenten Luftalarm wegen der Raketen- und Drohnenangriffe fand sie zermürbend, die Reaktion der Menschen darauf fatalistisch. „Viele gehen gar nicht mehr in die Luftschutzräume“, berichtet sie, „sie sagen nur: ‚Entweder ich überlebe das oder ich sterbe halt.‘“</p><h2 type="main">Gute oder schlechte Nachrichten</h2><p>Was in der Ukraine passiert, verfolgen die Studentinnen über Telegram-Kanäle und soziale Netzwerke. Nataliia Petlovana schaut jeden Morgen auf ihr Mobiltelefon. Wenn es nur wenige Nachrichten anzeigt, ist sie beruhigt. Sorgen macht sie sich, wenn sie mehr als zehn neue Nachrichten in ihrer Timeline vorfindet.</p><p>Wenn sich nur zwei oder drei Studierende statt der üblichen dreißig in einen Online-Kurs einloggen, schreibt Viktoria Kuzminska ihren Freunden und fragt, was passiert ist. Sie verzichtete darauf, über die Weihnachtsfeiertage ihre Familie zu besuchen. Ihre Mutter wohnt in der Nähe von Saporischschja, wo die russische Armee das Atomkraftwerk besetzt hält, ihr Bruder in Dnipro, das permanenten Angriffen ausgesetzt ist, und Kuzminska befürchtete, nach einem Aufenthalt dort nicht mehr nach Deutschland zurückkehren zu können.</p><p>Wie lange der Krieg in ihrem Heimatland noch dauern wird und was aus ihren Angehörigen wird, versucht sie, nicht an sich heranzulassen. „Das ist wichtig für die geistige Gesundheit“, sagt Kuzminska. Sie versuche, optimistisch zu bleiben, und konzentriere sich auf ihre wissenschaftliche Arbeit.</p><h2 type="main">Trotz allem Wissenschaft</h2><p>Viktoria Kuzminska hat in <link href="#nadc20234135785-fig-0002">Kyjiw technische Chemie studiert. Seit sie in Gießen ist, beschäftigt sie sich mit physikalischer und Materialchemie, mit Prozesschemie nur noch theoretisch. Aber sie habe durch die Forschungsarbeit an der Universität Gießen ihre „Liebe zur Chemie wiedergefunden.“ Sie möchte unbedingt wissenschaftlich arbeiten, ihren Master abschließen und promovieren. „Mein Ziel ist, Wissenschaftlerin zu werden.“</p><figure xml:id="nadc20234135785-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/HRgX1MwLTN6sVl9VsZuc"><figcaption><label>Abb.2: </label>Unterbrochene Stromleitungen in der Ukraine. Die häufigen Stromausfälle haben im Winter die Studienbedingungen dort zusätzlich verschlechtert. Foto: Marek M. Berezowski; dpa picture alliance</figcaption></figure></figure><p>Dafür möchte Kuzminska in Deutschland bleiben und kümmerte sich darum, finanzielle Unterstützung für ihr Studium zu erhalten. Bis September erhält sie die vom Jobcenter. Inzwischen hat sie sich an Land und Leute gewöhnt, „ich habe angefangen, hier zu leben und Freunde gefunden.“ Alltagssituationen kann sie auf Deutsch bewältigen.</p><p>Nataliia Petlovana möchte ebenfalls in Deutschland promovieren, und und zwar am Karlsruher Institut für Technologie, KIT. Denn dort sind die Substanzen, die sie aus der Ukraine mitgebracht hat, und dort arbeitet eine Gruppe mit den biochemischen Methoden, die ihre Forschung braucht. Allerdings stand dem zunächst die Bürokratie entgegen: Petlovana hatte erst nur eine Aufenthaltsgenehmigung für Hessen. Mit einer Einladung und einer Doktorandenstelle hoffte sie, nach Baden-Württemberg ziehen zu dürfen. Inzwischen hat sie dafür den entsprechenden Aufenthaltstitel erhalten.</p><h2 type="main">Bleiben oder gehen</h2><p>Nataliia Petlovana kann sich gut vorstellen, nach dem Krieg wieder in die Ukraine zurückzukehren. Mit ihrer Ausbildung könnte sie dazu beitragen, das Land ökonomisch wieder aufzubauen. Viktoria Kuzminska befürchtet allerdings, „dass die Probleme des Landes, die Korruption, nicht mit dem Krieg enden.“</p><p>Ob Olesia Vasylets jemals wieder in die Ukraine zurückkehrt, weiß sie nicht. Ausschließen will sie es nicht. „Wir machen keine Pläne“, sagt sie. Sie werde dorthin gehen, wo sie Arbeit findet.</p><p>Nicht geblieben ist Yuliia Kurtash. Sie kehrte im September nach Kyjiw zurück und versucht, vor Ort weiter zu studieren. Sie sei sehr glücklich gewesen, ihre Freunde und Verwandten wieder zu sehen, schreibt sie. Mit der Zeit habe die Freude nachgelassen: Nicht nur für sie, für alle sei es schwierig, Jobs zu bekommen, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Den Krieg mit den Raketeneinschlägen und den verletzten Soldaten, nicht älter als Kurtash selbst, aus nächster Nähe zu erleben, sei etwas anderes als es aus den Nachrichten zu erfahren.</p><p>Mit Olesia Vasylets, Viktoria Kuzminska und Nataliia Petlovana sprach Nachrichten-Redakteurin Frauke Zbikowski. Wie es Yuliia Kurtash erging, erfuhr Boryslav Tkachenko, Uni Gießen, der selbst aus der Ukraine stammt, per E-Mail.</p><h2 type="main">INFO: Online-Studium für Studierende aus der Ukraine</h2><p>Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) legte im letzten Frühjahr das Programm „Ukraine digital“ auf. Das sollte es den Universitäten zusammen mit Kooperationspartnern in Deutschland ermöglichen, ihre Studierenden weiter zu unterrichten, auch wenn diese nicht mehr am Hochschulort sind. Der Bedarf war so hoch, dass das Programm Anfang des Jahres in eine zweite Förderrunde gegangen ist. In der ersten Runde hat der DAAD 73 und in der zweiten 47 Projekte finanziert. In Chemie beteiligen sich zum Beispiel die Universität Koblenz-Landau und die Universität Duisburg-Essen. Viele Projekte sind fächerübergreifend.</p><p><a href="https://t1p.de/cf61o" target="_blank">t1p.de/cf61o</a></p>

Vor 50 Jahren in den Blauen Blättern

Kernspaltung in Gabun

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