Industrie + Technik

Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft diskutieren über den Weg in eine CO-neutrale Chemieindustrie im Jahr 2050.
„Die wirtschaftlich erfolgreiche Transformation der Chemieindustrie ist eine Herkulesaufgabe,“ sagt Hannes Utikal, Provadis-Hochschule. Entscheidend sei, dass die Unternehmen diese Aufgabe mit Wissenschaft, Gesellschaft und Politik angingen. Dazu hatten die GDCh-Vereinigung Chemie und Wirtschaft (VCW), Infraserv Höchst und Provadis eine Digitalkonferenz organisiert.Jürgen Vormann von Infraserv zufolge unterstützen Chemieunternehmen die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung. Jedoch seien neben ökologischen Aspekten ökonomische und soziale Belange wichtig. Die Politik müsse sich der praktischen Folgen gesetzlicher Vorgaben bewusst sein.Jörg Rothermel vom Verband der Chemischen Industrie sagte: „Treibhausgasneutralität ist machbar.“ Die chemische Industrie in Deutschland habe die Treibhausgasemissionen seit dem Jahr 1990 um 50 Prozent reduziert, obwohl die Produktionsmengen im gleichen Zeitraum um 70 Prozent gestiegen seien. Für eine CO2-neutrale Chemieproduktion müssten allerdings große Mengen an Strom, gewonnen aus erneuerbaren Quellen, und Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Konditionen verfügbar sein. Hier fehlten Infrastruktur, Produktionskapazitäten und teilweise die notwendige Technik. MB<a href="https://veranstaltungen.gdch.de/tms/frontend/index.cfm?l=10747&amp;sp_id=1" target="_blank">veranstaltungen.gdch.de/tms/frontend/index.cfm?l=10747&amp;sp_id=1</a>

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Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft diskutieren über den Weg in eine CO-neutrale Chemieindustrie im Jahr 2050. „Die wirtschaftlich erfolgreiche Transformation der Chemieindustrie ist eine Herkulesaufgabe,“ sagt Hannes Utikal, Provadis-Hochschule. Entscheidend sei, dass...

Temperiersysteme für Chemielabore, Biotech oder Pharmaproduktion sollen umweltfreundlicher und effizienter werden. Als Innovationstreiber wirken dabei gesetzliche Vorgaben und die Neugier auf Quantencomputer.
In Kühlsystemen mit Kompressortechnik sind voll- und teilfluorierte Fluorkohlenwasserstoffe (FKW beziehungsweise HFKW) durch die F-Gase-Verordnung der Europäischen Union aus dem Jahr 2015 reglementiert. Die erlaubten Obergrenzen für die Vermarktung in der EU sollen Schritt für Schritt sinken.Wie die Erfolge der Zollfahndung aber immer wieder zeigen, gelangen vor allem HFKW sowohl durch Schmuggel als auch durch Import mit falscher Deklarierung nach Europa.1) Dabei gibt es längst Alternativen.<h2>Fluoriertes ersetzen: Ammoniak, Kohlendioxid, Propan</h2>Welches Kältemittel statt der FKW oder FHKW eingesetzt wird, hängt vom Arbeitstemperaturbereich ab und von den Druckunterschieden, die erforderlich sind, um das Kältemittel zu verflüssigen und zu verdampfen.Als Kältemittel kommen Stoffe infrage, welche die Hersteller von Temperiersystemen als natürliche Kältemittel bezeichnen, also Ammoniak, Kohlendioxid, Propan oder Ethen. Diese Substanzen können die halogenierten Kohlenwasserstoffe ersetzen. In einem Anwendungsbeispiel gelang mit natürlichen Kältemitteln die Temperierung auf – 60 °C mit einer Abweichung unter 1 K in Tanks mit einem Volumen von bis zu 200 Litern, um Wirkstoffe zwischenzulagern (Foto S. 46 links). Die Temperatur erreichte das Kühlgerät mit einem Kaskadensystem: Der Verdampfer des ersten Kältekreises kühlt den Kondensator im zweiten Kältekreis, damit sich das dort zirkulierende Kältemittel verflüssigt. Denn dieses ist in der Regel bei Raumtemperatur überkritisch.Allerdings sind Kohlenwasserstoffe oder Ammoniak als Kältemittel nicht ungefährlich. So reicht eine Leckage in einem 25-Kilowatt-Gerät aus, wie es üblicherweise in Innenräumen genutzt wird, um Explosionen auszulösen oder Vergiftungen bei Personen hervorzurufen. Deswegen muss ab einer Füllmenge von 150 Gramm ein Sensor die Dichtigkeit der Kältekreise überwachen und die Kühlanlage im Gefahrenfall selbsttätig abschalten (Foto S. 46 Mitte). Hinzu kommen weitere Sicherheitskomponenten nach DIN EN 378 (Foto S. 46 rechts), darunter Druckentlastungseinrichtungen (EN 13136) oder Positionierung der Kälteanlage in einem separaten Kühlungsmaschinenraum (FprEN 378–3). Daher erscheinen die Investitionen in Gerät und Absicherung des Aufstellorts zunächst hoch.<figure><img src="https://media.graphcms.com/2PvPV2WEQzeJJUq9ZHCk"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Links: Die Prozesskühlanlage bei einem Biopharma-Hersteller temperiert mit eine FKW-freien Kühlmittel auf –60 °C. Vor der endgültigen Inbetriebnahme werden die Komponenten mit einer Isolationsschicht versehen. Mitte: Messfühler an einem Temperiersystem mit brennbarem Kühlmittel. Rechts: Ein Durchflussmessgerät überwacht die Abkühlgeschwindigkeit, um den Prozess nachvollziehbar zu machen und standortübergreifend zu sichern. Foto: Lauda Heiz- und Kühlsysteme</figcaption></figure>
Der Vorteil natürlicher Kältemittel ist ihr günstiger Preis, zudem verbrauchen sie oft weniger Energie für die Kälteleistung als konventionelle fluorierte Kohlenwasserstoffe oder synthetisch hergestellte Ersatzstoffe.<h2>Wasser als Kältemittel</h2>Das Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik IPM in Freiburg hat in Laborversuchen mit magnetokalorischen Systemen und Wasser als Kältemittel eine hohe Effizienz erreicht.Der Thermodynamik zufolge ist eine Mindeststeigung der Dampfdruckkurve im Phasendiagramm des Kältemittels für den Kreisprozess günstig. Nach dem Übergang von der flüssigen in die gasförmige Phase wird das Gas in einem Kompressor unter Temperaturanstieg verdichtet, gibt die Wärme dann an die Umgebung ab, wird im Kondensator bei erhöhtem Druck wieder flüssig und schließlich mit einer Drossel auf den geringeren Druck auf der Kaltseite des Systems zurückgebracht. Dort beginnt der Kreislauf von neuem, indem das Kältemittel bei erneutem Phasenübergang dem Kühlraum (Verdampfungs-)Wärme entzieht.Wasser dagegen weist eine flachere Dampfdruckkurve als klassische Kältemittel auf. Ein Kühlsystem müsste über weite Bereiche im Zweiphasengebiet arbeiten (Nassdampf), Kompressoren kommen mit Flüssigkeitszufuhr jedoch nicht zurecht. Daher erreicht Kompressortechnik mit Wasser und Kältemitteln mit wasserähnlichen Phasendiagrammen schlechtere Wirkungsgrade als mit Kältemitteln mit einem Phasendiagramm wie FKW.Die Fraunhofer-Forscher gehen einen Umweg: Sie leiten das Wasser in eine Kammer mit magnetokalorischem Material und induzieren darin mit dem Feld eines Permanentmagneten einen Phasenübergang von paramagnetisch (ungeordnet) nach ferromagnetisch (geordnet). Damit gehen Gitterschwingungen einher, die Wärme erzeugen, wodurch das Wasser verdampft. Der Dampf strömt in eine zweite magnetokalorische Kammer, kondensiert dort, und die beschriebene Kaskade von Phasenübergängen vollzieht sich ein weiteres Mal: Ein Permanentmagnet erzeugt durch das Feld Wärme, das Wasser verdampft und strömt weiter.In der ersten Kammer wird das Magnetfeld abgeschaltet, und das magnetokalorische Material geht vom ferromagnetischen zurück in den paramagnetischen Zustand und entzieht dabei dem Kältemittel (hier Wasser) Wärme. Deshalb kondensiert es und verdampft beim Anlegen des Magnetfeldes erneut; dadurch steigt der Druck und damit die Temperatur, bevor das Fluid in die nächste Kammer überströmt.Auf dem Weg von der ersten Kammer in die zweite Kammer muss der Wasserdampf verdichtet werden. Dazu wird die Verdampfungswärme direkt genutzt. Gleichzeitig strömt der Dampf durch die Druckerhöhung infolge des Phasenübergangs in die zweite Kammer. Dabei wird der Dampf im Zweiphasengebiet verdichtet, wodurch der Wirkungsgrad der Kältemaschine steigt.Durch Anlegen des Magnetfelds gewinnt das System ein Joule. Die Fraunhofer-Forscher kommen auf zehn Joule pro Sekunde.2)<h2>Magnetokalorische Materialien und Heatpipes</h2>Als magnetokalorisches Material dient eine Lanthan-Eisen-Silicium-Legierung. Der Phasenübergang im Material erfolgt in der Nähe der Raumtemperatur. Alternativ bieten sich Gadolinium oder eine Legierung aus Mangan, Eisen und Phosphor an.Kühlsysteme mit magnetokalorischem Material sind nach dem Heatpipe-Prinzip aufgebaut: Das kalorische Material wird in Wärmerohre eingebracht und ist im Zeitablauf abwechselnd Verdampfungs- und Kondensationszone. Entsprechend wechselt es zwischen heiß und kalt.Über mehrere solcher hintereinandergeschaltete Heatpipe-Segmente wird insgesamt ein Wärmetransport von der ersten Verdampfungszone (Kaltseite) bis zur letzten Kondensationszone (Heißseite) erreicht. Diese Kaskade, die als thermischer Verdichter fungiert, ersetzt den Kompressor.Die restlichen Aggregate wie Kondensator, Drossel und Verdampfer entsprechen denen der üblichen Temperiersysteme. Dennoch werden nach Einschätzung von Olaf Schäfer-Welsen, Abteilungsleiter thermische Energiewandler am Fraunhofer-IPM, vom Demonstrationssystem im Labor bis zu einer fertigen Kältemaschine noch einige Jahre vergehen. Eine der ersten Anwendungsmöglichkeiten für das Labor sieht er in der Kühlung von Geräten, zum Beispiel von Zentrifugen.<h2>Kleine Temperaturdifferenzen</h2>Die magnetokalorische Kältemaschine aus Freiburg kühlt nur um wenige Grad. Um höhere Temperaturdifferenzen zu überbrücken, sind mehrere Segmente in Reihe zu schalten. Dadurch können dann ganze Räume, zum Beispiel Labore, klimatisiert werden. Eine magnetokalorische Kühlung funktioniert vermutlich auch bei Temperaturen unter Null, allerdings naturgemäß nicht mehr mit Wasser.Für die Nutzung beispielsweise von Prozessabwärme könnte das Heatpipe-Konzept ebenfalls eine Option sein. Die Wahl des Materials hängt dabei von der Anwendung ab. Im Allgemeinen erzielen magnetokalorische Materialien kleine Temperaturdifferenzen, etwa sechs Heatpipe-Segmente können um 10 K kühlen, und die Materialien arbeiten nur in einem schmalen Temperaturbereich. Dieser lässt sich aber an die jeweilige Anwendung anpassen.Mit elastokalorischen Materialien lassen sich größere Temperaturunterschiede erreichen, und der Temperaturbereich ist breiter. Elektrokalorische Keramiken senken die Temperatur nur wenig, dies jedoch im Wesentlichen ohne spezielle Anpassungen in einem breiten Temperaturbereich. Elektrokalorische Polymere lassen sich bei großer Temperaturveränderung in einem breiten Temperaturbereich verwenden. Zu den elasto- und elektrokalorischen Materialien liegen allerdings noch keine Ergebnisse aus Labordemonstrationen vor.Die Magnetokalorik könnte einen weiteren Impuls durch Elektromagnete erhalten.<h2>Zu Tiefsttemperaturen</h2>Mit dem magnetokalorischen Effekt lassen sich auch extrem niedrige Temperaturen erreichen, wie Quantencomputer sie erfordern. Typischerweise arbeiten diese bei 0,1 K, nahe am absoluten Nullpunkt, zum Beispiel Sycamore von Alphabet oder Q-System von IBM. Die Voraussetzung für alltagstaugliche Quantencomputer schaffen zurzeit cADR-Kühler (Foto S. 45, continuous adiabatic demagnetization). Denn während kommerziell verfügbare Magnetkühler die Temperaturen bis vor kurzem nur einige Stunden oder wenige Tage nahe dem absoluten Nullpunkt halten konnten, bringen es die neuen Extremkühler auf eine unbegrenzte Kühlzeit, etwa Kiutra, München.<figure><img src="https://media.graphcms.com/HjxTIlupT3ezbzrvbfkT"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Kühlfalle des Quantencomputers von IBM. Foto: Graham Carlow; Lizenz: CC BY-ND 2.0</figcaption></figure>
Der promovierte Chemiker Christian Ehrensberger ist freier Mitarbeiter der Nachrichten aus der Chemie.<h2>AUF EINEN BLICK</h2>Kältemittel wie Kohlendioxid, Ammoniak oder Propan verdrängen in Kompressor-Kühlsystemen die klassischen synthetischen Kältemittel wie FKW.Mit magnetokalorischen Effekten lässt sich Wasser als Kältemittel nutzen, obwohl es thermodynamisch ungünstig ist.Kühlgeräte, die magnetokalorische Effekte nutzen, können Quantencomputer-Komponenten auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt halten.
<ul class="references"><li>
1 R. Diermann: Kalt erwischt. Süddeutsche Zeitung, Nr. 174, 30. Juli 2020</li><li>
2 L. M. Maier, P. Corhan, A. Barcza et al., Commun. Phys. 2020, doi: 10.1038/s42005-020-00450</li></ul>

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