Wissenschaft + Forschung

Insektenschwärme sind bereits umfassend untersucht. Bei Fischen, Vögeln und Menschen erleichtert jetzt eine neue Technik, die zugleich umfassend und detailliert ist, die Analyse des Kollektivverhaltens. Dabei sind chemische Signalstoffe wichtig.
Menschen, die von wissenschaftlicher Neugier angetrieben werden, neigen zur Schwarmbildung. Sie versammeln sich in Forschungsinstituten und in Konferenzen ihres Interessengebiets. In Konstanz gibt es jetzt einen neuen Anziehungspunkt für alle die, die sich für kollektives Verhalten interessieren.Im Jahr 2015 hatte das Max-Planck-Institut (MPI) für Ornithologie in Radolfzell den Verhaltensforscher Iain Couzin nach Konstanz berufen, und zwar als Direktor der neuen Abteilung für Schwarmforschung. Im Mai 2019 hat die Gesellschaft ein neues Institut rund um diese Abteilung gegründet, die vorher dem Radolfzeller MPI für Ornithologie unterstellt war. Jetzt residiert in Konstanz ein MPI für Verhaltensbiologie, in dem neben Couzin Martin Wikelski und Margaret Crofoot eigene Abteilungen leiten, die sich mit Migration beziehungsweise Verhaltensökologie befassen. Die Universität Konstanz ist im Rahmen des Forschungskollegs Kollektives Verhalten – eines ihrer zwei Exzellenzcluster – an dieser Forschung beteiligt.Um zu erkennen, was die Schwärme von Wirbeltieren umtreibt, greifen die Forscher am Bodensee auf moderner Technik zurück und – auf ein bisschen Chemie.<h2>Alarm im Schwarm</h2>In ihrer jüngsten Publikation befasste sich Couzins Arbeitsgruppe mit dem Schwarmverhalten des nordamerikanischen Süßwasserfischs Notemigonus crysoleucas (engl. Trivialname: golden shiner), der zu den Karpfenfischen zählt. Wie andere Fischarten hat N. crysoleucas eine chemische Alarmanlage in seiner Haut. Wird das Tier von einem Räuber gebissen, so gelangt Schreckstoff – der deutsche Begriff ist in der englischsprachigen Literatur gebräuchlich – in das Wasser und alarmiert die anderen Mitglieder des Schwarms.Nach der ursprünglichen Entdeckung Karl von Frischs, dass es bei Fischen solche Alarmstoffe gibt, wurde Hypoxanthin-3-N-oxid (Formel links) als aktive Komponente des Hautextrakts identifiziert. Allerdings ist diese Substanz nicht in allen Arten vertreten, welche die Verhaltensreaktion zeigen. Nach einer neueren Studie ist die alarmierende Substanz vielmehr eine Mischung aus Fragmenten des Chondroitinsulfats, eines Disaccharidbausteins, der in Glykoproteinen vorkommt.1) Selbst intaktes Chondroitinsulfat löst bei den Fischen Alarm aus. Sie können es riechen.<figure><img src="https://media.graphcms.com/NTzl0ICuSE2BuEHC9V5s"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Hypoxanthin-3-N-oxid, der Schreckstoff, den Fische bei Gefahr absondern.</figcaption></figure>
Couzins Team untersuchte nun, ob sich der von Schreckstoff ausgelöste Zustand der erhöhten Alarmbereitschaft in einer erhöhten Wachsamkeit jedes einzelnen Fischs äußert oder ob sich das Verhalten der Gruppe insgesamt an die Gefahrensituation anpasst. Denkbar wäre auch eine Kombination beider Möglichkeiten. Hierzu filmten die Forscher Gruppen von jeweils 40 Fischen in einem Tank, in dem sie unter kontrollierten Bedingungen Schreckstoff freisetzten.2)Schreckstoff im Tank lässt den Schwarm enger zusammenrücken. Damit breiten sich Aktionen wie eine Richtungsänderung noch schneller als sonst durch den ganzen Schwarm aus. Dies bestätigt frühere Untersuchungen, nach denen sich Wellen von Verhaltensänderungen im Schwarm schneller ausbreiten, als die Fische oder ihre Fressfeinde schwimmen können.Die Reaktionsbereitschaft der Individuen hingegen scheint von der Wahrnehmung des Schreckstoffs nicht angestachelt zu werden – die Fische werden trotz wahrgenommener Gefahr nicht schreckhafter. Das ist sinnvoll, meint Couzin, weil jeder falsche Alarm Energie kostet und es bei einer geringeren Schreckschwelle mehr davon gäbe.Von Insekten war bekannt, dass sie Informationen im Schwarmverhalten reflektieren. Der chemische Schreck hat es nun zum ersten Mal ermöglicht, eine solche Informationsspeicherung im Kollektiv auch bei Wirbeltieren quantitativ nachzuweisen.<h2>Demokratie gewinnt</h2>In der neuen Abteilung für die Ökologie der Tiergesellschaften am Konstanzer MPI widmet sich Margaret Crofoot dem Sozialverhalten von Anubispavianen (Papio anubis). Diese leben in Gruppen, die zwischen 15 und 150 Mitglieder haben. Sie halten sich überwiegend auf dem Boden auf, was es für Verhaltensforscher einfacher macht, ihre Bewegungsmuster zu überschauen und sie mit GPS-Sendern zu verfolgen.In ihren Feldstudien in Kenia stattete Crofoot eine Gruppe von Pavianen nahezu komplett mit GPS-Sendern aus, nur zwei renitente Männchen entzogen sich der Markierung. Dank dieser Geräte und der von Couzins Arbeitsgruppe entwickelten Computeranalysen gewannen die Forscher Einblicke in das erstaunlich gut koordinierte Gruppenverhalten der Paviane.3)Obwohl die Paviane eine ausgeprägte Dominanzhierarchie aufweisen, zeigten die Ergebnisse keinerlei Kommandostruktur. Der soziale Rang eines Individuums schien nicht zu beeinflussen, ob eine Bewegung den Rest der Gruppe zum Folgen veranlasst oder ob das Tier letztlich zu den anderen zurückkehrt. Zusammenhalt der Gruppe ist das oberste Gebot, und wenn ein einzelner Pavian eine neue Richtung einschlägt, dann ist die Art, wie er sich bewegt – entschlossen oder zögerlich – ein wichtiger Faktor, der die Entscheidung der anderen beeinflusst.Sind Teile der Gruppe verschiedener Meinung, geht es sehr demokratisch zu – bei einem kleinen Unterschied zwischen den angepeilten Richtungen kommt es zum Kompromiss. Bei einem großen Unterschied entscheidet die Mehrheit. Die Grenze zwischen groß und klein liegt bei 90 Grad, es werden also spitzwinklige Richtungsunterschiede durch Kompromiss gelöst, stumpfwinklige durch Mehrheitsentscheidung.Soweit beruhen die Analysen nur auf der Beobachtung von natürlichem Verhalten. In weiteren Studien wollen Crofoot und Kollegen das Verhalten einzelner Paviane separat manipulieren, um die Rolle des Einzelnen in der Gruppe besser zu verstehen. Sie entwickeln zu diesem Zweck zum Beispiel Futterstationen, die nur für bestimmte elektronisch identifizierte Individuen das Futter freigeben.Die chemische Kommunikation zwischen Primaten wird derzeit nicht an Pavianen untersucht, wohl aber an Rhesusaffen. Dort fand man Gene für Pheromonrezeptoren. Vor kurzem wurde über mehrere Genomsequenzen von verschiedenen Pavianarten berichtet und deren Evolution analysiert.4) In diesem Datenschatz ließe sich nachschauen, welche Pheromone die Paviane vermutlich benutzen. Vielleicht sind ja die chemischen Signale an dem auffällig demokratischen Herdenverhalten beteiligt. In diesem Fall wären sie als leicht zu steuernde Variable in experimentellen Verhaltensstudien nützlich.<h2>Der Flug der Störche</h2>Die dritte Abteilung des Instituts unter Martin Wikelski ist in Radolfzell angesiedelt und gehörte vorher zum dortigen Institut für Ornithologie. Wikelski interessiert sich für ein kollektives Verhalten, das jeder am Himmel beobachten kann, das aber dennoch sehr schwierig in quantitativen Details zu analysieren ist: den Vogelzug.Erst seit wenigen Jahren stehen GPS-Sender zur Verfügung, die robust, leistungsfähig und leicht genug für diese Aufgabe sind. Mit diesen Geräten folgten Wikelskis Mitarbeiter einer Gruppe junger Störche auf deren erster herbstlicher Migration von Süddeutschland bis nach Spanien und untersuchten deren Verhalten.5)Störche nutzen die Thermik wie Segelflieger – sie schrauben sich mit der aufsteigenden Warmluft in die Höhe und gleiten dann im Sinkflug bis zur nächsten Thermik. So müssen sie den energieaufwendigen Flügelschlag nur sparsam einsetzen. Bei dieser Technik sind allerdings manche Störche besser als andere. Bereits am ersten Tag der Wanderung erkannten die Forscher die besten Flieger. Nur diese Tiere flogen später von Spanien weiter nach Westafrika, während die schwächeren Flieger den Winter über in Spanien blieben.<h2>Schwärmen ist menschlich</h2>Verhaltensforschung ist seit ihren Anfängen keine reine Zoologie – sie hat immer die Ausweitung auf den Menschen im Hinterkopf. Unser eigenes kollektives Verhalten ist derzeit eher kritisch zu beäugen, da die Verknüpfung von mehreren Milliarden Menschen durch das Internet nicht nur positive Effekte hat.Und auch, wenn dabei die Chemie fehlt: Die epidemische Ausbreitung von Hass, Falschmeldungen und Verschwörungstheorien in den sozialen Medien ist ein Forschungsgebiet, in dem ökologische Ansätze ebenfalls nützlich sind, wie vor kurzem eine Studie zum Hass in sozialen Medien zeigte.6)Der promovierte Chemiker Michael Groß ist freier Wissenschaftsjournalist in Oxford, England. <a href="https://www.michaelgross.co.uk" target="_blank">www.michaelgross.co.uk</a><figure><img src="https://media.graphcms.com/MRBVKqwMTKGbVJ0TCX2G"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Foto: kichigin19/<a href="https://stock.adobe.com" target="_blank">stock.adobe.com</a></figcaption></figure>
<h2>AUF EINEN BLICK</h2>Im Konstanzer Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie erforschen Wissenschaftler das Verhalten von Fischen, Affen und Vögeln.Wird ein Fisch gebissen, sondert er eine Substanz ab, welche die Schwarmmitglieder alarmiert. Der Schwarm verdichtet sich, und Aktionen wie Richtungsänderungen breiten sich schneller aus.Inwieweit chemische Signalstoffe das Herdenverhalten von Affen und Vögeln beeinflussen, ist noch nicht vollständig geklärt.
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1 A. Mathuru, C. Kibat, W. F. Cheong et al., Curr. Biol. 2012, 22, 538–544</li><li>
2 M. M. G. Sosna, C. R. Twomey, J. Bak-Coleman et al., Proc. Natl. Acad. Sci. USA 2019, 116, 20556–20561</li><li>
3 A. Strandburg-Peshkin, D.R. Farine, I. D. Couzin, M.C. Crofoot, Science 2015, 348, 1358–1361</li><li>
4 J. Rogers, M. Raveendran, R. A. Harris et al., Sci. Adv. 2019, 5, eaau6947</li><li>
5 A. Flack, M. Nagy, W.Fiedler, I. D. Couzin, M. Wikelski, Science 2018, 360, 911–914</li><li>
6 N. F. Johnson, R. Leahy, N. J. Restrepo et al., Nature 2019, 573, 261–265</li></ul>

Artikel

So eine Schwärmerei

Insektenschwärme sind bereits umfassend untersucht. Bei Fischen, Vögeln und Menschen erleichtert jetzt eine neue Technik, die zugleich umfassend und detailliert ist, die Analyse des Kollektivverhaltens. Dabei sind chemische Signalstoffe wichtig. Menschen, die von wissenschaftlicher Neugier angetr...

Prof.Dr.

Mit sichtbarem Licht lassen sich in Gegenwart bestimmter Katalysatoren Radikale bei Raumtemperatur erzeugen. Bisher waren diese Methoden auf Radikale begrenzt, die durch elektronenziehende Substituenten stabilisiert sind. Neuerdings sind auch nicht stabilisierte Radikale aus Alkoholen und Aminen zugänglich.
Radikale und geladene Intermediate mit gepaarten Elektronen sind häufig entgegengesetzt reaktiv. Konventionelle Radikalreaktionen erfordern hohe Reaktionstemperaturen, etwa Rückfluss in organischen Lösungsmitteln, Radikalstarter oder Bestrahlung mit energiereichem ultravioletten Licht (Wellenlänge λ ≤ 380 nm). Durch die harschen Reaktionsbedingungen sind viele funktionelle Gruppen nicht kompatibel; komplexe Zielverbindungen sind mit solchen Radikalen in der Regel nicht zu erschließen.Photoredoxkatalyse mit energieärmerem sichtbaren Licht ermöglicht radikalische Umsetzungen schon bei Raumtemperatur.1) Als Katalysatoren dienen etwa Komplexe von Iridium der Oxidationsstufe +III wie (1a) – (1c) (= [IrIII]) und von Ruthenium sowie organische Farbstoffe wie Eosin Y (1d) (Abbildung 1a). Die Energiedifferenz dieser Verbindungen zwischen höchstem besetzten und niedrigstem unbesetzten Molekülorbital ist gering: Für Elektronenübergänge zwischen diesen Orbitalen genügt sichtbares Licht (λ = 380 bis 520 nm). Die meisten organischen Verbindungen absorbieren kein Licht im sichtbaren Spektralbereich, sodass selektiv der Katalysator angeregt wird. Während in den Iridiumkomplexen (1a) – (1c) blaues Licht die Elektronenübergänge verursacht, erfordert die Aktivierung von Eosin Y (1d) grünes Licht.<figure><img src="https://media.graphcms.com/71ppgzGNQAtcDtOWeTtA"><figcaption><label>Abb. 1: </label>a) Beispiele für Photokatalysatoren; b,c) vereinfachte Mechanismen für photoredoxkatalysierte Reaktionen.</figcaption></figure>
Anschließend überführt der Katalysator im angeregten Zustand *[IrIII] die Eduktmoleküle (Substrate, S) in reaktive Radikalzwischenstufen, indem er ein Elektron überträgt (Abbildung 2b,c).2) Bei diesem Prozess, dem Einelektrontransfer oder Single Electron Transfer (SET), wird entweder ein Elektron vom Substrat auf den angeregten Katalysator übertragen oder umgekehrt (Abbildung 2b beziehungsweise 2c).<figure><img src="https://media.graphcms.com/6KnqtbdCTqucCUSgc6PG"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Strategien, um Alkylradikale herzustellen.</figcaption></figure>
Im ersten Fall wird das Ausgangsmaterial zum Radikalintermediat ∙S+ oxidiert, während der Katalysator zum Iridiumkomplex der Oxidationsstufe +II [IrII] reduziert wird.Beim zweiten Fall wird das Edukt zu ∙S– reduziert und der Iridiumkomplex zu [IrIV] oxidiert. Der angeregte Photokatalysator *[IrIII] kann also als Oxidations- und Reduktionsmittel dienen.Die aus dem Edukt entstandenen Radikalintermediate reagieren zu vom Produkt P abgeleiteten Radikalen ∙P+ beziehungsweise ∙P–. Ein finaler SET zwischen [IrII] oder [IrIV] und den radikalischen Intermediaten liefert das Produkt P und ermöglicht die Regenerierung des Photokatalysators [IrIII].Da der Photokatalysator sowohl ein Elektron abgibt als auch aufnimmt, sind die Prozesse insgesamt redoxneutral. Im Vergleich zu Protonen in der Brønsted-Säurekatalyse lassen sich hier Elektronen als Katalysator interpretieren.3)<h2>Lichtinduzierte Radikalbildung</h2>Alkohole (2) und Amine (3) sind gut verfügbar und kommen häufig in der Natur vor. Diese funktionellen Gruppen in Alkylradikale (I) umzuwandeln, würde also komplexe Moleküle einfach zugänglich machen (Abbildung 2). Tatsächlich entstehen Alkylradikale (I) durch Photoredoxkatalyse aus Alkylhalogeniden (4) (Abbildung 2a).Solche Transformationen initiiert ein Einelektronentransfer vom angeregten Photokatalysator zum Halogenatom von (4) zu Zwischenstufe (II) (Abbildung 1c). Dieser Reduktionsschritt ist allerdings hauptsächlich auf Alkyliodide und -bromide beschränkt, die elektronenziehende Gruppen Z wie Carbonylfunktionen, elektronenarme Heteroaromaten oder fluorierte Alkylreste tragen – negative mesomere (–M) und induktive (–I) Effekte stabilisieren nämlich die resultierenden Radikale (Ia) und (Ib).4) Zusätzlich erleichtern die elektronenarmen Substituenten die Reduktion von (4) zu (II). Selbst im angeregten Zustand sind Photokatalysatoren in der Regel keine ausreichend starken Reduktionsmittel, um die Umwandlung von Alkylhalogeniden ohne Akzeptorsubstituenten zu vermitteln. Nicht stabilisierte Radikale des Typs (Ic) sind über Oxalsäureester (5a) und (6) zugänglich (Abbildung 2a).Solche Alkylradikale reagieren insbesondere mit stark elektrophilen Molekülen. Reaktionen von Diazoniumsalzen (11), die sich von aromatischen Aminen ableiten, unter Photoredoxkatalyse liefern Arylradikale (III) (Abbildung 2c). Aliphatische Diazoniumsalze (3) hingegen sind labil und zerfallen zu Alkenen (9) (Abbildung 2b). Daher sind aliphatische Diazoniumsalze nicht als Vorstufen zur Bildung von Alkylradikalen geeignet. Im Gegensatz dazu liefern Pyridiniumsalze (8), die sich in nur einem Schritt aus Aminen (3) herstellen lassen, durch Photoredoxkatalyse nicht stabilisierte Radikale (1c). Zudem macht die photokatalytische Decarboxylierung von Carbonsäuren Alkylradikale des Typs (Ic) zugänglich.1,4)<h2>Radikale aus Alkoholen</h2>Die Gruppen von Overman und MacMillan entwickelten eine Methode, um Cäsium- und Kaliummonoalkyloxalate (6) in Alkylradikale (Ic) umzuwandeln, und zwar mit dem Iridiumkomplex (1b) (Abbildung 3a).5a,b) Reaktion mit elektronenarmen Alkenen (12) liefert die Produkte (13). Dabei sind die Salze (6) leicht aus Alkoholen (2) zugänglich, etwa durch Umsetzung mit Oxalylchlorid (COCl)2 oder mit MeO2CCOCl und anschließender Hydrolyse. Mit sichtbarem Licht bestrahltes (6) und (1b) führt unter kinetischer Kontrolle in Gegenwart von elektronenarmen Dienen des Typs (14) zu den E-konfigurierten Alkenen (15).5c)<figure><img src="https://media.graphcms.com/G9J4bp7Q9qWeTSs9mLUL"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Transformation von Alkoholen (2) über Alkylradikale (Reaktionsbedingungen a); repräsentative Beispiele (Reaktionsbedingungen b). a: mit (NH4)2S2O8; TBDMS = tert-Butyldimethylsilyl, Boc = tert-Butoxycarbonyl, Ac = Acetyl.</figcaption></figure>
Auch radikalische Substitutionen an elektronenarmen Heteroaromaten (16) sind mit dem Iridiumkatalysator (1b) und blauem Licht möglich.5d) Mit dem Photokatalysator (1a) synthetisierten Studer und Mitarbeiter die Alkylboronsäureester (19) mit Biscatecholdiboran (18) und Alkylmethyloxalaten (5a).6) Über Suzuki-Kreuzkupplung ermöglichen Boronsäureester, C-C-Bindungen zu knüpfen. Eine ähnliche Methode stellte die Gruppe von Opatz vor: Sie kuppelte Cäsiumoxalate (6) mit Arylcyaniden unter Decarboxylierung.7) Dabei dient Phenanthren als Katalysator, Anregung erfolgt durch ultraviolettes Licht.Um Radikale herzustellen, eignen sich insbesondere tertiäre (3°) Alkohole; sekundäre (2°) liefern geringere Ausbeuten (Beispiel (15a) in Abbildung 3b). Dies beruht vermutlich auf der abnehmenden Stabilität von Radikalen in der Reihenfolge 3° &gt; 2° &gt; 1°. Wie die Beispiele in Abbildung 3b verdeutlichen, werden viele funktionelle Gruppen toleriert, darunter auch Boc-Carbamate und Silylether (Beispiele (13a) und (15a)). Radikalische Additionen durch sichtbares Licht eignen sich zudem, um komplexe Naturstoffe herzustellen: Umsetzung des Lactons (13b) über vier Stufen liefert das Terpenoid Cheloviolen A.5b)<h2>Oxidieren oder reduzieren</h2>Umsetzungen des Substrats (6) (S in Abbildung 1b) werden eingeleitet, indem (6) ein Elektron auf den angeregten Iridiumkatalysator *[IrIII] überträgt (Abbildung 4a). Das so entstandene neutrale, mesomeriestabilisierte O-Radikal (IV) (∙S+) zerfällt dann unter CO2-Entwicklung zum C-Radikal (Ic). Dieses wiederum geht eine radikalische Addition (AR) an das elektrophile, akzeptorsubstituierte Olefin (12) ein. Das gebildete Radikal (V) wird durch Konjugation mit dem Substituenten Z stabilisiert, was Ursache für die regioselektive Addition an das β-C-Atom ist. (Das Intermediat (V) entspricht dem vom Produkt abgeleiteten Radikal ∙P+ in Abbildung 1b.) Reduktion durch SET vom Metallkomplex [IrII] liefert das durch Konjugation stabilisierte Anion (VI). Protonierung durch Wasser führt schließlich zu Produkt (13).<figure><img src="https://media.graphcms.com/WY2ZYDalRAmmNhL8Fxgw"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Mechanismen für Generierung von Radikalen aus Oxalsäurederivaten. Cat = Catechol.</figcaption></figure>
Die Fragmentierung der Alkylmethyloxalate (5a) dagegen wird durch eine Reduktion anhand eines SETs vom aktivierten Photokatalysator *[IrIII] auf das Substrat eingeleitet (Abbildung 4b). Aus der homolytischen Spaltung der C-O-Einfachbindung zum Alkylrest geht das Radikal (1c) hervor. Das Lösungsmittel DMF reagiert im Gleichgewicht mit dem Diboran (18) zum Lewis-Säure-Base-Komplex (VII). Dieser überträgt einen Borylrest auf das Alkylradikal (1c), wodurch Produkt (20) entsteht. Daraufhin oxidiert der Komplex [IrIV] das dabei entstandene Radikal (IX) durch einen Einzelelektronentransfer zum DMF-Addukt (X). Eine Umesterung des Boronats (20) mit Pinakol liefert letztendlich den Boronsäureester (19), der weniger hydrolysempfindlich ist als (20).<h2>Radikale aus Aminen</h2>Die Gruppe von Glorius stellte Alkylradikale aus Katritzkys Salzen (8)8) her, und zwar in Gegenwart des Photokatalysators (1c) und blauen Lichts (Abbildung 5a).9a) Kondensation von Monoalkylaminen mit Pyriliumsalzen (21) macht die Pyridiniumsalze (8) zugänglich. Zudem entwickelten Glorius9b) sowie Aggarwal10a) und Mitarbeiter gleichzeitig Methoden, um Boronsäuren (19) ohne Photokatalysator herzustellen. Hier bildet Diboran (18) mit Pyridiniumkation (8) einen π-Komplex. Sichtbares Licht induziert dann einen Elektronenübergang vom elektronenreichen Catecholrest von (18) zum elektronenarmen Pyridiniumheterocyclus von (8).<figure><img src="https://media.graphcms.com/60tARXHNSXe1muw3ePCX"><figcaption><label>Abb. 5: </label>a) Entstehung von Radikalen aus Aminen; b) Produktbeispiele, c) Mechanismus der Radikalentstehung. a mit Ethyl-di-iso-propylamin, das den oxidierten Iridiumkomplex [IrIV] wieder reduziert. pTol = para-Tolyl</figcaption></figure>
Die Arbeitsgruppe von Gryko präsentierte ein Verfahren, um Alkine (24) und Alkene (25) durch lichtvermittelte homolytische Spaltung der C-N-Bindung von Katritzkys Salzen (8) herzustellen.11) Dabei dient metallfreies Eosin Y (1d) als Photokatalysator. Aggarwal und Mitarbeiter addierten Alkylradikale an Michael-Akzeptoren des Typs (12), wozu kein Photokatalysator nötig ist:10b) Das 1,4-Dihydropyridin (26) leitet die Radikalreaktion durch SET auf den Heteroaromaten (8) ein und steuert ein H-Atom für (13) bei. Ähnliche Protokolle für die Synthese von Alkenen kommen von Glorius,9c) Wang und Uchiyama12).Das Substratspektrum dieser Methoden umfasst primäre und sekundäre Amine; die Reaktion toleriert etliche funktionelle Gruppen (Abbildung 5b).Wegen sterischer Hinderung sind Triphenylpyridiniumsalze mit tertiären N-Alkylgruppen nicht zugänglich. Als Ouvertüre für die Synthesen von (13), (17), (19) und (24) und (25) dient ein reduzierender SET vom angeregten Photokatalysator [IrIII] (oder Reagenz (18) oder (26)) zum elektronenarmen heterocyclischen Kation (8) (Abbildung 5c). Es folgt Homolyse der C-N-Einfachbindung in (XI). Hieraus geht sowohl das Alkylradikal (Ic) hervor als auch das Triphenylpyridin (27). Addition von (1c) an den Heteroaromaten (16) resultiert dann im π-Radikal (XII). Deprotonierung durch das Pyridinderivat (27) und Einzelelektrontransfer zum Metallkomplex [IrIV] vollenden die radikalische aromatische Substitution (SRAr).Aktuelle Weiterentwicklung ermöglicht, schwer zugängliche tertiären Alkylfluoriden über nicht-stabilisierte Alkylradikal (1c) herzustellen.13)<h2>AUF EINEN BLICK</h2>Alkylradikale entstehen durch Photoredoxkatalyse mit sichtbarem Licht aus Alkylhalogeniden, Oxalsäureestern oder elektronenarmen Pyridiniumsalzen.Alkylradikale reagieren insbesondere mit stark elektrophilen Molekülen.Sie eignen sich als Vorstufen, um C-C-Bindungen zu knüpfen.Die Serie Synthese im Blickpunkt will zur Beschäftigung mit neuen synthetischen Verfahren oder eleganten und wichtigen organischen Synthesen anregen. Die Beiträge zur Serie verfassten seit März 2018 im Wechsel Nina Schützenmeister und Peter Huy.<h2>Der Autor</h2>Peter Huy, Jahrgang 1980, leitet seit 2014 als Liebig-Stipendiat eine Nachwuchsgruppe an der Universität des Saarlands. Seine Forschungsinteressen betreffen homogene Katalyse und Naturstoffsynthese.<div>
<img src="https://media.graphcms.com/x18aPN3AQjOIPEFB7GMZ">

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1 Einige Übersichtsartikel zu Photoredoxkatalyse: a) J. Xuan, W.-J. Xiao, Angew. Chem. Int. Ed. 2012, 51, 6828; b) C. K. Prier, D. A. Rankic, D. W. C. MacMillan, Chem. Rev. 2013, 113, 5322; c) N. A. Romero, D. A. Nicewicz, Chem. Rev. 2016, 116, 10075; d) M. H. Shaw, J. Twilton, D. W. C. MacMillan, J. Org. Chem. 2016, 81, 6898</li><li>
2 Übersichtsartikel zur Aktivierung von Substraten durch Energietransfer (anstatt SET): F. S.-Kalthoff, M. J. James, M. Teders, L. Pitzer, F. Glorius, Chem. Soc. Rev. 2018, 47, 7190</li><li>
3 Übersichtsartikel: a) A. Studer, D. Curran, Nat. Chem. 2015, 6, 765; b) O. R. Luca, J. L. Gustafson, S. M. Maddox, A. Q. Fenwick, D. C. Smith, Org. Chem. Front. 2015, 2, 823</li><li>
4 Übersichtsartikel zur Bildung nicht stabilisierter Radikale: A. Roslin, L. R. Odell, Eur. J. Org. Chem. 2017, 1993</li><li>
5 C. C. Nawrat, C. R. Jamison, Y. Slutskyy, D. W. C. MacMillan, L. E. Overman, J. Am. Chem. Soc. 2015, 137, 11270; b) Y. Slutskyy, C. R. Jamison, P. Zhao et al., J. Am. Chem. Soc. 2017, 139, 7192; c) S. Y. Abbas, P. Zhao, L. E. Overman, Org. Lett. 2018, 20, 868; d) S. P. Pitre, M. Muuronen, D. A. Fishman, L. E. Overman, ACS Catal. 2019, 9, 3413</li><li>
6 F. W. Friese, A. Studer, Angew. Chem. Int. Ed. 2019, 58, 9561</li><li>
7 B. Lipp, A. M. Nauth, T. Opatz, J. Org. Chem. 2016, 81, 6875</li><li>
8 a) J. B. Bapat, R. J. Blade, A. J. Boulton et al., Tetrahedron Lett. 1976, 31, 2691; b) A. R. Katritzky, U. Gruntz, D. H. Kenny, M. C. Rezende, H. Sheikh, J. Chem. Soc. Perkin Trans. 1979, 1, 430; c) für nickelkatalysierte Kreuzkupplung mit (8) siehe: C. H. Basch, J. Liao, J. Xu, J. J. Piane, M. P. Watson, J. Am. Chem. Soc. 2017, 139, 5313</li><li>
9 a) F. J. R. Klauck, M. J. James, F. Glorius, Angew. Chem. Int. Ed. 2017, 56, 12336; b) F. Sandfort, F. Strieth-Kalthoff, F. J. R. Klauck, M. J. James, F. Glorius, Chem. Eur. J. 2018, 24, 17210; c) F. J. R. Klauck, H. Yoon, M. J. James, M. Lautens, F. Glorius, ACS Catal. 2019, 9, 236</li><li>
10 a) J. Wu, L. He, A. Noble, V. K. Aggarwal, J. Am. Chem. Soc. 2018, 140, 10700; b) J. Wu, P. S. Grant, X. Li, A. Noble, V. K. Aggarwal, Angew. Chem. Int. Ed. 2019, 58, 5697; siehe auch: c) M. J. James, F. Strieth-Kalthoff, F. Sandfort et al., Chem. Eur. J. 2019, 25, 8240</li><li>
11 M. Ociepa, J. Turkowska, D. Gryko, ACS Catal. 2018, 8, 11362</li><li>
12 Z.-K. Yang, N.-X. Xu, C. Wang, M. Uchiyama, Chem. Eur. J. 2019, 25, 5433</li><li>
13 a) J. Y. Su, D. C. Grünenfelder, K. Takeuchi, S. E. Reisman, Org. Lett. 2018, 20, 4912, b) J. Brioche, Tetrahedron Lett. 2018, 59, 4387; c) M. González-Esguevillas, J. Mirj, J. L. Jeffrey, D. W. C. MacMillan, Tetrahedron 2019, 75, 4222; d) F. J. A. Troyano, F. Ballaschk, M. Jaschinski, Y. Özkaya, A. Gómez-Suárez, Chem. Eur. J. 2019, 25, 14054</li></ul>

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