Bildung + Gesellschaft

Wie lassen sich Studienwerbung, Wissenschaftskommunikation, Freude an Schauspiel und Interesse an Naturwissenschaften verbinden? Im Jahr 2019 haben sich an der Fakultät für Chemie, Physik und Biowissenschaften der TU Bergakademie Freiberg naturwissenschaftsbegeisterte Menschen zusammengetan, um das herauszufinden. Das jährliche Highlight: die Schauvorlesung.<p>Um eine Schauvorlesung vorzubereiten, ist vor allem zweierlei nötig: Organisation und Aufgaben (ver-)teilen. Aber wer macht was? Die Mitglieder unserer Schauvorlesungsgruppe verteilen sich je nach ihren Interessen auf sieben Untergruppen, die verschiedene Arbeitsschwerpunkte haben (<link href="#nadc20244142957-fig-0001">Foto S. 9 und <link href="#nadc20244142957-fig-0002">Abbildung S. 10 oben). Pro Gruppe strukturieren zwei Verantwortliche die Arbeit und tauschen sich mit den anderen Leitenden aus.</p><figure xml:id="nadc20244142957-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/Kz1dPEotQICCNs6RtQg4"><figcaption><label>Abb.1: </label>Oben: Mitglieder der Schauvorlesungsgruppe der Fakultät für Chemie, Physik und Biowissenschaften der TU Bergakademie Freiberg. Unten: Autoren des Beitrags.</figcaption></figure></figure><figure xml:id="nadc20244142957-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/81LVmnVRnCDstjkTugCv"><figcaption><label>Abb.2: </label>Je nach Interessen teilen sich die Mitglieder der Schauvorlesungsgruppe in eine der sieben Untergruppen auf. Diese werden jeweils von einem Gruppenleiter repräsentiert. (Opal: Online-Plattform für Akademisches Lehren und Lernen)</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Wie finde ich ein Thema?</h2><p>Wenn es gilt, das Thema für eine Schauvorlesung auszumachen, hilft ein Blick auf das vergangene Jahr. Um möglichst viele Zuschauer zu begeistern, bietet sich Bekanntes an: etwa klassische Märchen, Mythologie und Sagen oder Comics wie Asterix und Obelix. Besonders beliebt sind zudem Anspielungen auf Filme, Bücher oder Theaterstücke – diese haben idealerweise direkten Bezug zu Naturwissenschaften oder sogar zur Fakultät für Chemie, Physik und Biowissenschaften an der TU Freiberg.</p><p>Das gewählte Stück muss sich an den zur Verfügung stehenden Hörsaal anpassen lassen. Ein Beispiel ist „In 8 Tagen um die Welt – zwei Forschungsreisen“, ein Stück, das auf Jules Vernes „In 80 Tagen um die Welt“ basiert. Die Stücke der Jahre davor gründeten sich auf Märchen („In einem Labor vor unserer Zeit“, 2019), Charles Dickens‘ „A christmas carol“ („Wenn‘s pufft und knallt, dann weihnachtet es bald: Eine chemische Weihnachtsgeschichte“, 2020), Goethes „Zauberlehrling“ und weiteren Balladen („Der Alchimistenlehrling – Freiberger Weihnachtsballaden“, 2021) und Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ („Alice im Winklerland“, 2022).</p><p>Welches Thema es letztlich wird, ergibt sich aus einem mehrstufigen kooperativen Prozess, bei dem alle gemeinsam Ideen sammeln und diskutieren. Entscheidend ist eine demokratische Abstimmung, bei der die zuvor durch die Drehbuchgruppe priorisierten Themen zur Wahl stehen.</p><h2 type="main">Ein Drehbuch erstellen</h2><p>Steht das Thema fest, sammelt die Drehbuchgruppe Ideen, wie es sich in Dialogen umsetzen lässt. Dabei sind verschiedene Aspekte wichtig: unter anderem die Abstimmung von Schauspiel und Experimenten – also wie viel Zeit für das eine und für das andere zur Verfügung stehen soll und dass die Experimente zum Stück passen –, dass beides im Hörsaal durchführbar ist und dass ein Publikum unterschiedlicher Fachwissensstände das Stück verstehen kann. Bei den über die Frühlings- und Sommermonate verteilten Treffen tauschen die Gruppen Ideen aus und schreiben Szenen.</p><p>Das Schauspiel untermalen Kostüme, Kulissen und Requisiten. Diese konzipiert, produziert oder organisiert die Kreativgruppe. Beim Experimentieren ist der Arbeitsschutz für die Ausführenden trotz Kostümierung und Kulissen zu gewährleisten: Schutzbrille und Kittel sind Pflicht – Kittel werden passend zum Stück gefärbt oder bemalt –, Kulissen werden aus schwer entflammbaren Materialien gebaut oder als Bilder direkt an die Hörsaalwände projiziert. Ergänzend zur physischen Kulisse führt eine digitale Präsentation das Publikum durch die Szenen und verrät chemische Details zu den Experimenten, zum Beispiel die Reaktionsgleichungen oder Anwendungen einer Reaktion im Alltag.</p><p>Welche Experimente gezeigt werden, spricht die Drehbuchgruppe mit der Experimentegruppe ab. Anschließend werden alle nötigen Chemikalien, Apparaturen und Geräte beschafft, und die Experimentegruppe testet, ob sich die gewählten Experimente für die Schauvorlesung eignen.</p><h2 type="main">Proben, proben, proben</h2><p>Das Herzstück jeder Schauvorlesung ist die Aufführung, der etliche Proben in kleinem und großem Rahmen vorausgehen. Während die Drehbuchgruppe mit den Schauspielern Dialoge einstudiert und sich um Abläufe kümmert, erstellt die Experimentegruppe detaillierte Handlungsanweisungen, die garantieren, dass das Experimentieren im schauspielerischen Rahmen sicher abläuft. Gleichzeitig erarbeitet die Experimentegruppe in Rücksprache mit der Drehbuchgruppe und den Schauspielern ein Konzept, wo im Schauspiel sich die Experimente bestmöglich platzieren lassen.</p><p>Einige Apparaturen oder Versuche haben dekoratives Potenzial und eignen sich als Teil der Kulisse; andere Experimente werden in Umbaupausen ausgetauscht. Für einen reibungslosen Ablauf des Schauspiels sind die Umbauarbeiten zu koordinieren.</p><p>Die anfängliche Trennung der Proben nach Schauspiel und Experimenten hat Vorteile: Die Kosten für Chemikalien sowie die nötige Zeit in den Hörsälen (Kulisse), die unter der Woche durch anderweitige Belegung der Hörsäle begrenzt ist, bleiben in realisierbarem Umfang.</p><p>Im letzten Schritt werden alle Elemente – das Schauspiel, die Experimente und die helfenden Hände im Hintergrund – zu einem großen Ganzen zusammengefügt.</p><h2 type="main">Wer wie unterstützt</h2><p>In der Weihnachtszeit finden zwei Aufführungen statt, die überregional Besucher und Schulklassen anlocken. Während der Aufführung unterstützt die Technikgruppe mit Licht-, Ton- und Videotechnik. Der Fachschaftsrat der Fakultät unterstützt die Veranstaltung, indem er weihnachtliche Leckereien und Getränke bereitstellt.</p><p>Die Veranstaltung dient der Wissenschaftskommunikation und soll Studierende werben – beides Aufgaben der Universität. Diese hat dafür Budgets im Haushalt eingeplant und kann deswegen die Schauvorlesung finanziell unterstützen. Zudem fördern die Institute der Fakultät für Chemie, Physik und Biowissenschaften und der Verein der Freunde und Förderer der TU Bergakademie Freiberg die Schauvorlesungsgruppe.</p><p>Die Universität stellt fachgerechte Räumlichkeiten zur Vorbereitung, Durchführung und Lagerung der Chemikalien. Typischerweise proben die Beteiligten bereits am späteren Auftrittsort. Das Medienzentrum der Universität gewährt Zugriff auf Licht-, Ton- und Aufnahmetechnik. Auf weitere Ausrüstung – wie Equipment für Tonaufnahmen oder eine pyrotechnische Zündanlage – darf die Schauvorlesungsgruppe über die Fakultät zugreifen.</p><h2 type="main">Sicher muss es sein</h2><p>Zentral beim Umgang mit Gefahrstoffen ist, dass alle Beteiligten zum Arbeitsschutz belehrt worden sind und Sachkunde besitzen. Daher werden jedes Jahr alle Akteure diesbezüglich geschult. Zudem erstellt die Experimentegruppe in Abstimmung mit der Stabsstelle Arbeitssicherheit der Uni für alle Veranstaltungen eine Gefährdungsbeurteilung, die dann als Anweisung für die Durchführung aller Versuche dient. Zusätzlich gibt es in der Schauvorlesungsgruppe Ersthelfer.</p><h2 type="main">Digital zusammenarbeiten</h2><p>Um Dokumente gemeinsam und einfach zu erstellen, hat Marcus Herbig zwei Online-Werkzeuge entwickelt: Ein Werkzeug zur abgesicherten Bearbeitung geteilter Dokumente mit integrierter Versionsverwaltung (Single-User-Editor) dient dazu, das Drehbuch und andere Dokumente zu verfassen. Darauf aufbauend gibt es einen Online-Editor für die Experimentieranleitungen, in dem anhand einer Vorlage die Anleitungen formuliert werden. Spezialfunktionen ermöglichen, die Literatur online zu verwalten und GHS-Informationen wie Signalwort, Piktogramme, H- und P-Sätze der Chemikalien aus dem gemeinsamen Gefahrstoffkataster einiger Institute der Uni direkt einzufügen. Beide Werkzeuge speichern die Dokumente im html-Format und enthalten eine Versionsverwaltung.</p><h2 type="main">Wo kommen die Besucher her?</h2><p>Die Schauvorlesung hat sich als fester Bestandteil der Vorweihnachtszeit etabliert. Um die Veranstaltung anzukündigen, erstellt die Kreativgruppe thematisch passende Plakate und Postkarten (<link href="#nadc20244142957-fig-0003">Bild S. 8), die auf dem Campus und an Schulen verteilt werden. Alle Informationen zur jeweiligen Schauvorlesung und der Schauvorlesungsgruppe hält eine Website bereit: <url href="https://www.tu-freiberg.de/fakultaet2/schueler-und-lehrer/schauvorlesung"><a href="https://tu-freiberg.de/fakultaet2/schueler-und-lehrer/schauvorlesung" target="_blank">tu-freiberg.de/fakultaet2/schueler-und-lehrer/schauvorlesung</a></url>. Diese Infos gibt es zusätzlich auf den Social-Media-Kanälen der Fakultät und Universität.</p><figure xml:id="nadc20244142957-fig-0003"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/0W795YiPRUGO6Sp8Onri"><figcaption><label>Abb.3: </label>Postkarte der Schauvorlesung des Jahres 2023, die als Werbung beispielsweise auf dem Unigelände verteilt wurde.</figcaption></figure></figure><p>In den letzten Jahren haben viele Schulklassen den Weg in den Hörsaal gefunden, und manche der Schüler studieren inzwischen an der TU Bergakademie Freiberg.</p><h2 type="main">Sonderfall: Coronavarianten</h2><p>Aufgrund der Covid-19-Pandemie musste die klassische Schauvorlesung vollständig in eine digitale Form übertragen werden. Dabei sollte der Charme einer konventionellen Schauvorlesung erhalten bleiben. Die Entscheidung fiel daher auf die Hörspielform.</p><p>Aus der Schauspielersuche wurde eine Sprechersuche, gleichzeitig wurden Büros zu Tonstudios umfunktioniert. Klar war: Um sowohl große als auch kleine (angehende) Naturwissenschaftler vom Laboralltag zu begeistern, reicht es nicht, Texte mit Wissenschaftsbezug einzusprechen. Das Hörspiel sollte daher bebildert werden. Dazu dienten vor allem selbst gestaltete Bilder (<link href="#nadc20244142957-fig-0004">Abbildung S. 11 oben) und Videos, die im Labor aufgenommen wurden. Letztgenannte sollten in digitaler Form das bieten, was eine Schauvorlesung ausmacht: Experimente.</p><figure xml:id="nadc20244142957-fig-0004"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/33G1qSRkTbWl8jRlDZtF"><figcaption><label>Abb.4: </label>Diese Zeichnung des Clemens-Winkler-Baus diente als visuelle Unterstützung für Hörspiele.</figcaption></figure></figure><p>Für die Aufnahme hat das Medienzentrum der Universität unter anderem Kameras, Stative und Scheinwerfer organisiert. Unter Einhaltung der Corona-Maßnahmen führten Mitglieder der Experimente- und Technikgruppe die Experimente dann in den Laborsälen der Fakultät durch.</p><p>In den Jahren 2020 und 2021 gab es jeweils insgesamt vier Episoden der Hörspiele – jeweils eine an den Adventssonntagen – auf der Webseite der Uni (<url href="https://www.chemie.tu-freiberg.de/~herbigm/weihnachtsvorlesung/2020/"><a href="https://chemie.tu-freiberg.de/~herbigm/weihnachtsvorlesung/2020/" target="_blank">chemie.tu-freiberg.de/~herbigm/weihnachtsvorlesung/2020/</a></url> und <url href="https://www.chemie.tu-freiberg.de/~herbigm/weihnachtsvorlesung/"><a href="https://chemie.tu-freiberg.de/~herbigm/weihnachtsvorlesung/2021" target="_blank">chemie.tu-freiberg.de/~herbigm/weihnachtsvorlesung/2021</a></url>). Passend zur Weihnachtsstimmung wurden die Hörspiele musikalisch durch selbst eingespielte oder aufgenommene Weihnachtslieder untermalt.</p><h2 type="main">Auftritte an anderen Stellen</h2><p>Ein zentrales Ziel der Veranstaltungen der Schauvorlesungsgruppe ist die Wissenschaftskommunikation. Die Gruppe beteiligt sich mit Vorführungen und interaktiven Experimentalständen an Veranstaltungen, etwa dem Schülerkolleg der Fakultät<sup>1)</sup> sowie der Nacht der Wissenschaft (<a href="https://ndww-freiberg.de" target="_blank">ndww-freiberg.de</a>). Oft kooperiert sie dazu mit dem Fachschaftsrat der Fakultät, beispielsweise bei dessen Experimentierstand auf dem jährlichen Bergstadtfest in Freiberg (<a href="https://bergstadtfest.de" target="_blank">bergstadtfest.de</a>). Diese Kooperation führte in den letzten Jahren einige Male zu Projekten an umliegenden Schulen und Museen:</p><p>Bei einem Projekt mit dem Stadt- und Bergbaumuseum wurden Experimente für Kinder gezeigt. Bei Projekten mit Schulen wird vor Ort experimentiert, so weit das Ausstattung und Sicherheit der Schule zulassen.</p><h2 type="main">Anleitungen zur Schauvorlesung</h2><p>Um die Experimente während der Proben und Vorstellungen einfach vorzubereiten und durchzuführen, erstellt die Schauvorlesungsgruppe einheitliche Anleitungen: Diese umfassen die benötigten Chemikalien inklusive H- und P-Sätzen und deren Entsorgungswege, alle nötigen Gegenstände, die Durchführung, mögliche Beobachtungen und die Reaktionsgleichungen. Die ausgearbeiteten Experimente werden bei den Proben geprüft und zugehörige Anleitungen gegebenenfalls angepasst. Somit ist der Wissenstransfer für künftige Veranstaltungen gegeben.</p><h2 type="main">Gesammelte Experimente</h2><p>Weil sich Schüler und Lehrkräfte sehr für die Vorführungen interessieren, hat es sich die Schauvorlesungsgruppe zur Aufgabe gemacht, Inhalte und Experimente in den Chemieunterricht an Schulen zu bringen. Die erprobten Anleitungen wurden an die schulüblichen Mengen angepasst und in anschaulicher Form in einem „Experimentalheft für Lehrer“ zusammengetragen (Cover <link href="#nadc20244142957-fig-0005">Abbildung rechts). Dieses Heft geht Schulen auf deren Anfrage hin in gedruckter Form zu und steht zudem seit Anfang 2024 als PDF unter <url href="https://www.tu-freiberg.de/media/7188/download"><a href="https://tu-freiberg.de/media/7188/download" target="_blank">tu-freiberg.de/media/7188/download</a></url>.</p><figure xml:id="nadc20244142957-fig-0005"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/aBxgjuzTpKBCe5HBE7gr"><figcaption><label>Abb.5: </label>Cover des Experimentehefts, das die Schauvorlesungsgruppe Lehrern zur Verfügung stellt. Es enthält Reaktionsgleichungen, Erklärungen, Listen mit allen nötigen Chemikalien und Geräten sowie die Durchführung der Versuche.</figcaption></figure></figure><p>Die erste Auflage des Hefts – 150 Exemplare, gedruckt im Dezember 2022 – war im August 2023 vergriffen. Die zweite, aktuelle Auflage umfasst 30 Experimente auf 96 Seiten. Diese sind nach Schwierigkeitsgrad sortiert und danach, ob sie von Lehrkräften oder von Schülern durchzuführen sind. Weitere Auflagen sind geplant.</p><p>Detaillierte Infos zum Inhalt bisheriger Schauvorlesung gibt es unter <url href="https://t1p.de/unab8"><a href="https://t1p.de/unab8" target="_blank">t1p.de/unab8</a></url>.</p><p>Die Mitglieder der Schauvorlesungsgruppe der Fakultät für Chemie, Physik und Biowissenschaften der TU Freiberg danken besonders Gero Frisch und Edwin Kroke sowie deren Mitarbeiterinnen Andrea Brünner und Nicole Weiß, dem Dekan Jens Kortus, Jana Kriehme und Alexandra Gleißner aus dem Fakultätsdekanat und Steffen Braun, Hausdirektor und IT-Administrator, für ihre Unterstützung.</p><h2 type="main">Die Autor:innen</h2><p>Die Autoren Hanna Böhme und Konrad Burkmann haben im Jahr 2023 die Schauvorlesungsgruppe geleitet. An diesem Artikel sind außerdem beteiligt: Sara Braun, Wiebke Hadwich, Bastian Hansel, Marcus Herbig, Steven Knerr, Richard Neubert, Selina Schneider und Alexander Weiß. Böhme, Hadwich und Schneider studieren in Freiberg Chemie im Diplomstudiengang oder Angewandte Naturwissenschaft im Master. Herbig ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Anorganische Chemie. Die anderen Beteiligten promovieren derzeit in den chemischen Instituten der TU Bergakademie Freiberg.</p><ul class="references" cited="no" style="numbered" xml:id="nadc20244142957-bibl-0001"><li xml:id="nadc20244142957-bib-0001"><sup>1 </sup> K. Burkmann, D. Damaschke, G. Frisch, J. Kriehme, Nachr. Chem. 2023, 71(9), 16</li></ul>

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So entsteht eine Schauvorlesung

Wie lassen sich Studienwerbung, Wissenschaftskommunikation, Freude an Schauspiel und Interesse an Naturwissenschaften verbinden? Im Jahr 2019 haben sich an der Fakultät für Chemie, Physik und Biowissenschaften der TU Bergakademie Freiberg naturwissenschaftsbegeisterte Menschen zusammengetan, um d...

Zunächst klingt alles nach einer klassischen Erfolgsgeschichte: Ein Chemiker findet direkt nach der Promotion eine Anstellung in der Industrie. Schnell steigt er im Unternehmen auf. Dann stellt er fest: Sein Job macht ihn unglücklich. Und jetzt?<p>Matthias <link href="#nadc20244141942-fig-0001">Lamping, Jahrgang 1988, weiß, was er will. Und das bekommt er schnell: Im Jahr 2008 beginnt er, Chemie an der Universität Marburg zu studieren. Das Bachelorstudium schließt er 2011 ab, nach nur einem Jahr im Masterstudium wechselt er direkt in die Promotion. Von 2012 bis 2016 forscht er für seine Doktorarbeit an der reversiblen Cyclisierung von Peptiden.</p><figure xml:id="nadc20244141942-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/RAsVd5wxSMGDKr8h09LB"><figcaption><label>Abb.1: </label>Hier erklärt Matthias Lamping Studentinnen, warum ein Iod-Stärke-Nachweis nach Zufügen von Speichel negativ ausfällt – auch als Professor steht er noch im Labor. Foto: FH Münster / Michael Anderie</figcaption></figure></figure><p>Direkt darauf, noch im Jahr 2016, macht er – wie viele Chemieabsolvent:innen – den Schritt in die Industrie. Er wird Projektmanager Food Ingredients bei Evonik Creavis in Marl. Dort beschäftigt er sich mit Prädiabetesforschung; durchforstet Literatur und Patente, geht auf Messen, trifft Universitätsforschende. „Eine schöne Zeit, in der ich ganz schön rumgekommen bin“, sagt Lamping.</p><h2 type="main">In der Industrie</h2><p>Schnell steigt er auf, gewinnt 2018 den Global Ideation Jam und wird im gleichen Jahr zunächst Corporate Entrepreneur, ein Unternehmer im Unternehmen – hier beschäftigt er sich mit Slow-Release-Mechanismen in Zahnpasta –, und im Jahr darauf Manager für Strategic Business Development in Hanau. Dort evaluiert er im Bereich der gefällten Kieselsäuren neue Geschäftsideen, entwickelt bestehende Geschäftsfelder weiter und versucht, Trends vorherzusagen.</p><p>Mit Chemie hat er nur noch indirekt zu tun, es geht hauptsächlich um Innovationen, Business Cases zur Berechnung der Rentabilität einer potenziellen Investition und ähnliches. Lamping ist viel unterwegs, bezieht eine kleine Wohnung in Hanau, um näher an der Arbeit zu sein. Doch das lässt sich nur schwer mit dem geplanten Familienleben vereinbaren – denn eigentlich lebt er gemeinsam mit seiner Frau in Dorsten. „Und dann fragt man sich irgendwann: Habe ich jetzt wirklich so lange studiert, um abends alleine in meinem Appartement zu sitzen? Nur wegen der Karriere?“</p><p>Seine Antwort: Nein. Doch glücklicherweise gibt es in Lampings direktem Umfeld einen ähnlichen Fall, der ihm einen Ausweg zeigt: Einige Jahre zuvor hat eine Kollegin den Schritt aus der Industrie in die Westfälische Hochschule Recklinghausen gewagt. Die beiden kommen ins Gespräch. „Sie erzählte, sie müsse eine Analytikvorlesung halten über NMR-Spektroskopie“, erinnert sich Lamping, „und dass ihr das Thema nicht besonders liege.“ Aber NMR-Spektroskopie ist genau das, womit sich Lamping während seiner Doktorarbeit intensiv beschäftigt hat. „Und dann habe ich gesagt: ‚Die übernehme ich gerne.‘“ Die ehemalige Kollegin nimmt das Angebot an.</p><p>Eine gute Entscheidung. Denn das Lehren macht Lamping Spaß, den Studierenden gefällt‘s, und die Ex-Kollegin lobt. Da fällt Lamping der nächste Schritt leicht: „An der Fachhochschule Münster war eine Stelle ausgeschrieben, die zu meinen Erfahrungen und Vorstellungen passte, und ich dachte: ‚Okay, ich bewerbe mich mal.‘“</p><p>Zwar bremst die Corona-Pandemie den Bewerbungsprozess, aber trotzdem klappt alles. Und so ist Lamping seit 2020 Professor für Angewandte Chemie und Lebensmittelchemie an der Fachhochschule Münster. „Und das war die mit Abstand beste Entscheidung meines Berufslebens“, sagt er.</p><p>An seiner Arbeit schätzt Lamping, dass es keine klassische Konzernstruktur gibt, aber immer wieder neue und abwechslungsreiche Aufgaben. Dabei hat er sich nicht vorstellen können, einmal im Hochschulbetrieb zu landen, denn es gab in seiner Umgebung genügend abschreckende Beispiele – etwa den Gruppenleiter, der „fachlich eine absolute Rakete“ war und trotzdem nie den erhofften Ruf an eine Universität bekommen hat.</p><h2 type="main">Was muss man mitbringen, was kann man erwarten?</h2><p>An den Fachhochschulen gibt es klassischerweise die Besoldungsstufe W2 (an Universitäten W3). Je nach Bundesland unterscheidet sich die Besoldung, Nordrhein-Westfalen hat mit 6484 Euro Grundgehalt einen recht hohen Satz. Dazu kommen Leistungs- oder Funktionszulagen. Auch einen Familienzuschlag gibt es. Um Professor:in an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften zu werden, ist keine Habilitation nötig. Man muss jedoch nach der Promotion mindestens drei Jahre außerhalb der Hochschule gearbeitet haben, und das möglichst fachspezifisch für das gewünschte Lehrgebiet.</p><p>Lamping ist für das Grundlagenwissen der Oecotrophologen zuständig: Er hält die Vorlesungen Allgemeine und Anorganische Chemie für das erste und Organische Chemie für das zweite Semester, die Drittsemester betreut er im Laborpraktikum. „Und das macht etwa 80 Prozent meiner Lehre aus“, schätzt Lamping. Wer möchte, könne noch Analytische Chemie und ein weiteres Wahlpflichtmodul bei ihm belegen, in dem die Studierenden chemische Vorgänge in der Küche analysieren.</p><h2 type="main">Schule, Fachhochschule und Familienleben</h2><p>Auch mit seinem Familienleben ist Lamping nach dem beruflichen Wechsel mehr als zufrieden. Seine Frau zog im Jahr 2021 mit ihm von Dorsten nach Haltern am See. Sie absolvierte ihr Referendariat 2018 in Borken und arbeitet derzeit als Lehrerin an einem Gymnasium in Bottrop. Zwischen Münster und Bottrop liegen zirka 80 km. „Wenn es gut läuft, brauchen wir beide 40 Minuten zur Arbeit, mit Haltern haben wir genau die Mitte getroffen“, resümiert Lamping. Dazu kommt ein weiterer Faktor, der Zeit beansprucht: Seit fast drei Jahren hat das Paar eine Tochter. Und auch im Haus der Drei gibt es einiges zu tun, was das Paar selbst übernimmt. „Alles ist sehr intensiv, aber auch sehr schön.“</p><p>Bis die Tochter in die Kita geht, jonglieren Lampings Frau und er mit ihren Anwesenheitstagen in Schule beziehungsweise Fachhochschule. „Glücklicherweise konnte sie an den Tagen zuhause bleiben, die bei mir mit Konferenzen, Vorlesungen und Übungen voll waren, an denen ich also auf jeden Fall zur Fachhochschule musste.“</p><p>Für gewöhnlich sei er im Wintersemester durch das Laborpraktikum voll ausgelastet, auch wenn ihn ein Mitarbeiter unterstütze, sagt Lamping. Denn da es an Fachhochschulen keine klassischen Doktorandenstellen gibt, stehe er selbst mit den Studierenden im Labor – täglich von 9 bis etwa 16 Uhr. Damit habe er im Winter mehr Lehre gemacht, als er müsste – etwa zwei Drittel seiner Lehrverpflichtung seien damit erfüllt –, und er kann im Sommersemester reduzieren. „Da arbeite ich dann beispielsweise zwei Tage pro Woche flexibel von Zuhause.“</p><p>Keine Woche gleiche der anderen: „Meine Frau und ich müssen jeden Sonntag neu planen, wer wann zur Arbeit fährt.“ Aber auch das ist kein Problem. „Ich habe ja im klassischen Sinne keinen Chef“, sagt Lamping, „essenziell ist, dass ich die Lehrverpflichtung erfülle, die Selbstverwaltung unterstütze und vor allem, dass die Studierenden zufrieden mit ihrem Lernerfolg sind.“ Alles andere sei Bonus: „Ich kann forschen, muss es aber nicht. Das ist zwar gern gesehen, aber ich muss mich nicht nach fünf Jahren rechtfertigen, wo meine Publikationen sind.“</p><h2 type="main">Die Lehre als Mittelpunkt</h2><p>Weniger Platz, selbst Geld einwerben, keine Doktorandenstellen – das alles erschwere es, zu forschen. Das tut Lamping daher wenig. Zwar hat er beispielsweise ein GC-MS-Spektrometer und ein Tisch-NMR-Gerät angeschafft, aber es sei schwierig, jemanden fürs Forschen zu begeistern. „Die Studierenden lernen eben Oecotrophologie – und viele davon haben Chemie früh abgewählt, weil sie dachten: ‚Das brauche ich nie wieder.‘“</p><p>Dass die Forschung bei ihm derzeit in den Hintergrund getreten ist, störe Lamping aber nicht, denn „Lehre ist eben das Herzstück einer Fachhochschule.“ Deswegen versuche er auch, das Studieren zu vereinfachen und zu verbessern. Kürzlich hat er mit Kollegen Augmented-Reality-Lernumgebungen im Praktikum getestet, die den Studierenden helfen soll, Inhalte leichter zu verknüpfen und umzusetzen. „Wenn dann die Studierenden sagen: ‚Früher fand ich Chemie blöd, aber eigentlich macht es ja sogar Spaß‘ – das motiviert ungemein.“</p><p>Praktika, Vorlesungen, Fachbereichsratssitzungen, Berufungskommissionen, Geld zur Lehrförderung beantragen – Lamping hat eigentlich genug zu tun. Trotzdem hat er eine weitere Aufgabe übernommen: Seit März 2024 ist er Dekan des Fachbereichs. Und im Sommer bekommen er und seine Frau zum zweiten Mal Nachwuchs. Die Erfolgsgeschichte geht also weiter – wenn sie auch anders verläuft als ursprünglich gedacht.</p><h2 type="main">Zahlen und Fakten: Die Fachhochschule Münster</h2><p>Die FH Münster entstand am 1. August 1971 aus dem Zusammenschluss staatlicher und privater Bau- und Ingenieurschulen sowie Einrichtungen mit berufsbezogener Fachausbildung. Sie besteht aus zwölf Fachbereichen und einer interdisziplinären Einrichtung: Architektur, Bau-, Chemie und Physikingenieurwesen, Design, Elektrotechnik und Informatik, Energie – Gebäude – Umwelt, Gesundheit, Maschinenbau, Oecotrophologie und Facility Management, Sozialwesen, Wirtschaft beziehungsweise dem Münster Centrum für Interdisziplinarität. Im Wintersemester 2023/24 gab es 105 Studiengänge, in die 14 757 Studierende eingeschrieben waren (11 434 in Bachelor-, 3323 in Masterstudiengängen). Im Dezember 2023 gab es 308 Professor:innen, 78 Lehrkräfte für besondere Aufgaben, 535 wissenschaftliche Mitarbeiter:innen und 421 in Technik und Verwaltung sowie 42 Auszubildende.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/cxMHDikOQTmUyLuGoqNU">Das Fachhochschulzentrum an der Corrensstraße 25 in Münster ist Sitz des Fachbereichs Oecotrophologie. Hier arbeitet Matthias Lamping. <source>Foto: FH Münster / Lucie Golde</p><p>Seit der Gründung sind 183 Promotionen abgeschlossen worden; im Jahr 2023 gab es 136 kooperativ Promovierende. Die FH Münster verfügte im Jahr 2023 über insgesamt 155,5 Mio. Euro (davon 25,1 Mio. Dritt- und 3 Mio. eigene Mittel).</p><p>Zur FH und den Zahlen: <url href="https://www.fh-muenster.de/hochschule/ueber-uns/index.php"><a href="https://fh-muenster.de/hochschule/ueber-uns/index.php" target="_blank">fh-muenster.de/hochschule/ueber-uns/index.php</a></url></p><h2 type="main">Die Autorin</h2><p>Nachrichten-Redakteurin Eliza Leusmann trifft immer wieder auf Menschen mit ungewöhnlichen Karrierewegen.</p>

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So entsteht eine Schauvorlesung

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