Industrie + Technik

Neue Ansätze gegen Sars-CoV-2 berücksichtigen künftige Virusvarianten und besondere Patientengruppen, etwa Immunsupprimierte. Zu Entwicklungsstrategien gehören Computersimulationen sowie die Beobachtung realer Viren und ihrer Evolution im Hochsicherheitslabor.Heute gibt es unterschiedliche Impfstoffe gegen Viren, etwa Lebend- und Totimpfstoffe in zwei Varianten: Vektorimpfstoffe und auf Messengerribonukleinsäure (mRNA) beruhende. In Forschungsvorhaben sind zurzeit Lebendimpfstoffe besonders wichtig. Denn fast alle Virusimpfstoffe mit langanhaltender Wirkung zählen dazu. Man denke nur an die gängigen Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln, gegen Gelbfieber und gegen Windpocken.Verimpft <link href="#nadc20244140285-fig-0001">werden geschwächte (attenuierte) Viren. Sie sind zwar lebensfähig, weil sie sich noch vermehren können. Aber in der Regel erkrankt ein Impfling nicht. Allerdings haben Lebendimpfstoffe eine gewisse Restinfektiosität.<figure xml:id="nadc20244140285-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/HBtEZearQ5qRVXcJOJId"><figcaption><label>Abb.1: </label>Mit der Technik clustered regularly interspaced short palindromic repeats (Crispr) lassen sich Genome bearbeiten. Abbildung: Astrazeneca</figcaption></figure></figure>Totimpfstoffe <link href="#nadc20244140285-fig-0002">dagegen enthalten nur nicht vermehrungsfähige Krankheitserreger: entweder ein abgetötetes vollständiges Virus (Ganzvirusimpfstoff) oder einen Teil davon (Spalt- oder Subunitimpfstoffe). Gegen Hepatitis A setzt man beispielsweise einen Ganzvirusimpfstoff ein, gegen Influenza, also die echte Grippe, Spalt- oder Subunitimpfstoffe.1) Zwei spezielle Totimpfstoffkonzepte sind Vektorimpfstoffe und mRNA-Impfstoffe.<figure xml:id="nadc20244140285-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/5WrKE9XGSO68AghD6x0x"><figcaption><label>Abb.2: </label>Forschungsarbeiten zu Impfstoffen mit abgeschwächten Viren und zu Lebendimpfstoffen gegen Sars-CoV-2 beginnen in einem Labor mit der biologischen Schutzstufe 3. Foto: Universität Basel, Departement Biomedizin</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Gegen Coronaviren</h2>Bei Vektorimpfstoffen dienen harmlose Viren (Vektoren) als Vehikel. Entweder sind die Virushüllen in ein Molekül aus der Hülle des Krankheitserregers integriert. Oder man gibt den Vektoren die Information zum Aufbau eines oder mehrerer Proteinmoleküle (Antigene) des Krankheitserregers mit; dann stellen die menschlichen Zellen selbst das Impfantigen her. In beiden Fällen wird letztlich beim Impfling eine Immunantwort hervorgerufen.Die mRNA-Impfstoffe stellen nicht direkt Antigene zur Verfügung, sondern modifizierte mRNA. Diese bringt die Zielzellen des Geimpften dazu, das Protein herzustellen, das die Immunantwort auslöst – bei Covid-19 ist das das Spike-Protein (S-Protein) des severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2 (Sars-CoV-2).Gegen diesen Erreger kommen heute verschiedene Impfstrategien zum Einsatz: <link href="#nadc20244140285-fig-0003">Das schwedische Unternehmen Novavax führt einen fast klassischen Totimpfstoff ins Feld, das britische Unternehmen Astrazeneca einen Vektorimpfstoff, Biontech aus Mainz und Moderna aus Cambridge in den USA unterschiedliche mRNA-Impfstoffe. Einen mRNA-Ansatz versuchte auch Curevac mit rechtlichem Sitz in den Niederlanden und Zentrale in Tübingen, ohne dabei erfolgreich zu sein. Entscheidend für die Gewinner des Rennens um wirksame Impfstoffe war die mRNA-Modifikation (Uridin-Modifikation), deren Entdeckung der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 2023 galt. Die Modifikation stabilisiert den Impfstoff innerhalb der Zelle.<figure xml:id="nadc20244140285-fig-0003"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/TxJUwiXvRsiSVcIElr2R"><figcaption><label>Abb.3: </label>Der RNA-Printer von Curevac soll eines Tages in Krankenhäusern vor Ort Medizin fertigen. Foto: Curevac</figcaption></figure></figure>Allerdings verändert sich das S-Protein des Sars-CoV-2 so schnell, dass innerhalb weniger Monate der Impfstoff nicht mehr auf neue Virusvarianten passt. Wie der Grippeimpfstoff muss er daher laufend angepasst werden. Lebendimpfstoffe gegen Covid-19 sind zurzeit nicht verfügbar.<h2 type="main">Wien wirkt</h2>An der Universität Wien wird ein Multivariantenimpfstoff gegen Corona entwickelt, insbesondere gegen die Omikron-Variante. Aber er soll noch mehr können als das und sogar dann wirken, wenn der Patient durch bisherige Impfungen keinen Schutz aufgebaut hat (Non-Responder).2)Der Impfstoff soll eine dauerhafte sterilisierende Immunität durch wiederholte Injektionen erreichen. Verabreicht werden dabei Sars-CoV-2-Proteine (Antigene). Das mag erstaunen, weil solche Antigen-basierten Impfstrategien gegen Sars-CoV-2 in der Vergangenheit wenig Erfolg hatten. Der Clou bei der neuen Strategie: Die Wiener Gruppe setzt eine bestimmte Faltung des S-Proteins ein, eine Art Ausgangsform, die (noch) nicht der endgültigen Faltung des S-Proteins beim reifen Sars-CoV-2 entspricht.Indem sie dem Körper diese Form präsentieren, hoffen die Forscher, neue Virusvarianten durch Impfen abzudecken. Präklinisch, also im Tiermodell und im Humantest auf rezeptorbindungsdomänenspezifische Antikörperreaktion ist dieses Konzept erfolgreich: Die Antikörperreaktion verhindert das Andocken und Eindringen des Virus in die Körperzellen, sodass es zu keiner Infektion kommt.<h2 type="main">Rasant im Hochsicherheitslabor</h2>Verschiedene Forschergruppen wollen die Evolution von Sars-CoV-2 durch Genmanipulation beschleunigen. So sollen im Labor besonders gefährliche, pandemieverdächtige Varianten entstehen (gain of function), sodass sich vorausblickend Impfstoffe gegen sie entwickeln lassen. Dafür ist ein S3-Sicherheitslabor notwendig (Schutzstufe 3, etwa am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI, Leipzig).3) Dieses Vorgehen gilt als riskanter als das Experimentieren mit Grippeviren, wofür ein S2-Sicherheitslabor ausreicht.Tatsächlich beginnen alle Forschungsarbeiten zu Impfstoffen mit geschwächten (attenuierten) Viren und Lebendimpfstoffen gegen Sars-CoV-2 in einem Labor mit der biologischen Schutzstufe 3. Dazu gehören ein Lüftungssystem mit Filtern, Schleusen und Schutzhelme mit autarkem Luftfiltersystem für die besonders geschulten Mitarbeitenden. Speziell der Gain-of-Funcion-Ansatz birgt die Gefahr, einen nichtnatürlichen Erreger herzustellen. Diesen gibt es dann nur im Labor und nicht draußen, und auf natürlichem Weg würde er sich draußen womöglich nie entwickeln. Die künstliche Virusevolution im Labor könnte daher gefährlichere Erreger herstellen als die Natur. Genau dies wurde in der Wissenschaft ausführlich diskutiert, als eine niederländische Forschungsgruppe auf der Basis ebendieses Gain-of-Function-Konzepts ein humangängiges, also bei Menschen wirkendes H5N1-Vogelgrippevirus im Labor herstellte.Bei der Gain-of-Function-Forschung stellt sich daher die Frage nach dem Nutzen-Risiko-Verhältnis. Prinzipiell besteht die Hoffnung, dem Virus einen Schritt voraus zu sein. Dagegen spricht die hohe natürliche Fehlerrate bei der Replikation besonders von RNA-Viren wie dem humanen Immundefizienzvirus (HIV), Sars-CoV-2 oder Hepatitis-C-Virus (HCV). So haben es Forscher im Labor nie geschafft, „HI-Virusvarianten von morgen“ schon heute zu erzeugen und im Voraus einen Impfstoff dagegen zu entwickeln. Das Virus scheint einfach zu wendig zu sein.Eine Alternative ist, das Labor in den Computer zu verlegen: Simulation statt Laborexperiment.<h2 type="main">Immunität treibt Evolution</h2>Mit einem Modell auf Basis molekularer, genetischer, epidemiologischer und immunologischer Daten lassen sich in silico Sars-CoV-2-Varianten möglicherweise voraussagen und dann gezielt Impfstoffe dagegen entwickeln.Allerdings sind solche Rechnungen im Verlauf der Sars-CoV-2-Pandemie komplexer geworden: Es kam wiederholt zu Ausbreitungswellen, in denen mehrere Varianten gleichzeitig im globalen Umlauf und im gegenseitigen Wettbewerb waren oder eine neue Variante die vorausgehende abgelöst hat. Durch die Veränderungen können neue Varianten zum Beispiel leichter übertragen werden, oder sie können ein Krankheitsbild verändern. Zudem kann durch eine vorangegangene Infektion oder Impfung Immunität gegen frühere Varianten entstanden sein.Nun hat ein internationales Forschungsteam der Universität Köln und der Icahn School of Medicine, Mount Sinai (New York), ein Modell entwickelt, das die wahrscheinliche Evolution von Varianten des Sars-CoV-2 voraussagen soll. Die Berechnungen basieren auf international gewonnenen experimentellen Daten, Sequenzdaten und Fallzahlen von Infektionen und Impfungen.Das Modell sagt vorher, welche Varianten der menschlichen Immunität entkommen, sich in der Bevölkerung ausbreiten und schließlich zu neuen Hauptvarianten werden könnten. Bevor neue Varianten tatsächlich auftreten, identifiziert es zudem wahrscheinliche Pfade einer Fluchtevolution. Dabei flieht das Virus vor dem immer besser reagierenden Immunsystem, indem es sich evolutiv weiterentwickelt.Eine Studie der Kölner Arbeitsgruppe zeigt: Die menschliche Immunantwort ist inzwischen zur hauptsächlichen Triebkraft der Evolution von Sars-CoV-2 geworden.4) Diese wird das Virus antreiben, ständig neue Varianten hervorzubringen. Wer solche vorausberechnet, wird schneller einen Wirkstoff gegen sie entwickeln können.<h2 type="main">Gegen künftige Varianten</h2>Ebenfalls gegen gängige und künftige Coronaviren soll eine Technik auf Basis in silico errechneter Proteinsequenzen zum Impfen helfen. Dieses Konzept verfolgen mehrere Universitäten und Unternehmen gemeinsam: Uni Regensburg, Uni Cambridge, Diosynvax, Probiogen und Ethris. Die Gruppe setzt auf computergestütztes kontinuierliches Optimieren von Peptidstrukturen; die körpereigene Immunabwehr gegen Viren soll diese erkennen und neutralisieren.Es handelt sich dabei um eine generelle antivirale Strategie, nicht nur eine gegen Sars-CoV-2. Die Forscher identifizieren dabei kritische Proteinsequenzen, die also potenziell wirksam sind in dem Sinn, dass sie eine Immunantwort auslösen können. Diese werden anschließend für eine Impfung gemeinsam in ein Vehikel verpackt. Ein solches Konzept könnte sich für vektorbasierte oder mRNA-Ansätze eignen. Im Tiermodell hat es sich als erfolgreich erwiesen, und momentan laufen die ersten Versuche an Menschen.5)Inwieweit sich allerdings mit diesem Konzept eine Impfung gegen alle künftigen Sars-CoV-2-Varianten erreichen lässt, ist durch eine Machbarkeitsstudie zu untermauern.<h2 type="main">Für Immunsupprimierte</h2>Die Universität Basel und das Schweizer Unternehmen Rocketvax wollen eine Lücke beim Impfschutz schließen, indem sie einen Ganzvirusimpfstoff ohne Infektionsrisiko anbieten. Dazu entwickeln sie einen Impfstoff aus abgewandelten Coronaviren.Das zugrundeliegende Konzept beruht auf zwei Neuerungen. Die erste ist, dass es sich bei dem Impfstoff um ein funktionsfähiges Virus handelt; ihm fehlt jedoch eine Komponente. So kann das Impfvirus wie der natürliche Erreger Zellen in Nase und Lunge erreichen und eine Immunantwort auslösen. Eine weitere Infektion ist aber im Geimpften blockiert, weil sich das Impfvirus wegen der fehlenden Komponente nicht vermehrt (Single-cycle-Konzept). Daher können auch Immunsupprimierte ohne Infektionsgefahr geimpft werden.Die zweite Neuerung betrifft die Interferon-Abwehr. Das Sars-CoV-2 schaltet in seiner ursprünglichen Form diese Immunabwehr aus und verstärkt damit die eigene Vermehrung. Dem Impfvirus wurden jedoch mehrere dafür verantwortliche Funktionen entfernt. Dadurch entsteht eine stärkere Immunantwort. Dies haben Tierversuche und Versuche an menschlichen Spenderzellen gezeigt. Die Forscher erhoffen sich von dem neuen kompletten Impfvirus, dass es zugleich eine länger anhaltende Immunantwort des Körpers hervorruft und künftige Virusvarianten mit nur einer Impfung abdeckt.Patienten sollen es nasal oder oral aufnehmen – keine Spritze, keine Spritzenangst, ein Grund weniger, eine Impfung abzulehnen. Bisher fehlt dem Single-cycle-Konzept der abschließende Beleg durch die Impfung im Menschen. Ist er erbracht, verspricht das neuartige Wirkprinzip an der Grenze zwischen Lebend- und Totimpfstoff, auch gegen andere Viren einsetzbar zu sein.Zwei Forscher haben mit dieser Idee und einem daraus entwickelten Start-up schon tropische Infektionskrankheiten ins Visier genommen: Dengue- und Chikungunya-Viren werden durch bestimmte Stechmücken übertragen und verursachen etwa Fieber. Das Start-up arbeitet zudem an einem Mittel gegen das für Kleinkinder lebensbedrohliche respiratorische Synzytial-Virus (RSV). Allein der Markt für Impfungen gegen das Chikungunya-Virus wird bis zum Jahr 2032 auf 500 Mio. US-Dollar geschätzt. Aktiv sind hier die Unternehmen Valneva aus Frankreich (im November zugelassen von der US-amerikanischen Behörde Food and Drug Administration, FDA) und Bavarian Nordic aus Norwegen (Zulassung frühestens im Jahr 2025).Das Beispiel des Chikungunya-Virus zeigt: Konzepte, die durch die Coronaforschung Auftrieb bekommen, befruchten auch andere Bereiche. So passen Unternehmen ihre Impfstoffe an neu auftretende Sars-CoV-2-Varianten an, arbeiten an Coronaimpfstoffen der nächsten Generation und hoffen gleichzeitig auf Erfolge bei Impfungen gegen Krebs.Hierzu hat Biontech kürzlich den Start einer klinischen Phase-2-Studie mit 260 Menschen vorgestellt, die an Bauchspeicheldrüsenkrebs leiden.6) Curevac befindet sich mit einem eigenen Kandidaten dazu in einer Phase-1-Studie, testet sein Medikament also erstmals am Menschen.<h2 type="main">Der Autor</h2>Der promovierte Chemiker Christian Ehrensberger ist freier Mitarbeiter der Nachrichten aus der Chemie.<ul class="references" xml:id="nadc20244140285-bibl-0001" cited="no" style="numbered"><li xml:id="nadc20244140285-bib-0001">1 BMBF, <a href="https://t1p.de/j80st" target="_blank">t1p.de/j80st</a>, Stand 15.11.2023</li><li xml:id="nadc20244140285-bib-0002">2 Allergy 2023, doi: <accessionid ref="info:doi/10.1111/all.15305">10.1111/all.15305</accessionid></li><li xml:id="nadc20244140285-bib-0003">3 Deutschlandfunk: <a href="https://t1p.de/5ihin" target="_blank">t1p.de/5ihin</a>, Stand 14.10.2023</li><li xml:id="nadc20244140285-bib-0004">4 Cell 2023, doi: <accessionid ref="info:doi/10.1016/j.cell.2023.09.022">10.1016/j.cell.2023.09.022</accessionid></li><li xml:id="nadc20244140285-bib-0005">5 Nat. Biomed. Eng. 2023, doi: <accessionid ref="info:doi/10.1038/s41551–023–01094–2">10.1038/s41551–023–01094–2</accessionid></li><li xml:id="nadc20244140285-bib-0006">6 Biontech, <a href="https://t1p.de/j2chb" target="_blank">t1p.de/j2chb</a>, Stand 16.11.2023</li></ul>

Impfstoffkonzepte

Tot oder lebendig

Neue Ansätze gegen Sars-CoV-2 berücksichtigen künftige Virusvarianten und besondere Patientengruppen, etwa Immunsupprimierte. Zu Entwicklungsstrategien gehören Computersimulationen sowie die Beobachtung realer Viren und ihrer Evolution im Hochsicherheitslabor.Heute gibt es unterschiedliche Impfst...

Wer Normen gestaltet, beherrscht den Markt. Beispiele sind Kunststoffrezyklate, Frachtcontainer und analytische Methoden. Wie wichtig technische Regelwerke für den internationalen Handel sind.Normen und Standards sind omnipräsent und gestalten unseren Alltag auf eine subtile Weise. Das geht vom USB-Stecker über das LTE-Netz des Smartphones bis hin zum DIN-A-4-Papierformat.1) Sie dienen als <link href="#nadc20244141286-fig-0001">Basis, um hochwertige Techniken umzusetzen. Dafür bündeln sie das Wissen von Expertinnen und Experten über Unternehmen und Institutionen hinweg. Sie tragen damit bei zu Sicherheit, Qualität, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit von Techniken und Produkten.<figure xml:id="nadc20244141286-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/uWbawIwVTumWzq9cskUs"><figcaption><label>Abb.1: </label>Normen unterstützen den weltweiten Handel. Grafik: j-mel / Adobe Stock</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Standards definieren</h2>Erreicht eine standardisierte oder genormte Technik genügend Akzeptanz über Wirtschaftsräume hinweg, steigt der Druck, diese in nationale Normen zu übernehmen. Hieraus entsteht ein Wettbewerb, welche Normen und Standards von Unternehmen genutzt werden und folglich welche internationalen technischen Entwicklungen sie unterstützen. Diese setzen sich dann gegenüber konkurrierenden Initiativen durch und verdrängen diese.So ist das Unternehmen Huawei, das der chinesische Staat unterstützt, weltweit führend bei den standardrelevanten Patenten für den Mobilfunkstandard 5G.In den USA haben sich die Firmen Intel und Microsoft als standarddefinierende Unternehmen etabliert. Technisch möglicherweise überlegene Lösungen, die von diesen globalen Playern nicht unterstützt werden, haben dadurch kaum eine Chance, in Produkte einzufließen. Ein Beispiel ist die Normierung von Containern, ohne die der effiziente weltweite Warentransport nicht möglich wäre. 250 Millionen normierte Frachtcontainer sind jedes Jahr weltweit unterwegs. Die Containernorm ISO 668 ist ein Beispiel für die Tragweite internationaler Normung.<h2 type="main">Der Normungsprozess</h2>Trotz ihrer <link href="#nadc20244141286-fig-0002">volkswirtschaftlichen Wichtigkeit im nationalen, aber vor allem internationalen Umfeld ist der Prozess der Normung wenig bekannt und teilweise negativ behaftet. Denn er gilt häufig als umständlich, zeitraubend und langweilig.<figure xml:id="nadc20244141286-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/RLfx7VzeRTG0pHnVfUNN"><figcaption><label>Abb.2: </label>Ohne die Normierung von Containern wäre der effiziente weltweite Warentransport nicht möglich. Abbildung: generiert mit KI von Virtual Art Studio / Adobe Stock</figcaption></figure></figure>Wie wichtig Kenntnisse zu Normen und Standards sein können, zeigt das Beispiel der Geschichte des Start-ups Cirplus:2) Die Gründenden wollten mit einer Handelsplattform für Kunststoffrezyklate dafür sorgen, dass weniger Müll entsteht. Die Plattform war schnell aufgebaut, für den Handel aber brauchte es Vertrauen in die Materialeigenschaften der einzelnen Rezyklate. Ideal wäre eine DIN-Norm gewesen, mit der sich die Rezyklate kategorisieren ließen. Die gab es aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht.So reichte das Start-up seine erste Spezifizierungsidee ein. Für eine Norm sind die Inhalte zu erarbeiten, verschiedene Standpunkte einzubringen und Kompromisse zu finden. Dabei hilft Netzwerken.Ein paar Monate später, Ende 2021, wurde die DIN SPEC 91446 „Klassifizierung von Kunststoff-Rezyklaten durch Datenqualitätslevel für die Verwendung und den (internetbasierten) Handel“ veröffentlicht. Sie ist seither die Basis für den Erfolg des Start-ups – und der Mehrwert von Normung wurde dort als so groß erlebt, dass sich Cirplus weiter in der Normung engagiert.3)<h2 type="main">Für den Green Deal</h2>International akzeptierte Normen zu etablieren ist wichtig für den Green Deal, den die EU-Kommission im Dezember 2019 vorgestellt hat. Dort ist die „Förderung von Innovationen in Richtung safe and sustainable by design (SSbD)“ verankert. Unter anderem sind dafür analytische Methoden zur Charakterisierung komplexer Systeme wie die der Polymere weiter zu entwickeln und anzupassen. Denn aufgrund der vorgeschriebenen Registrierung neuer Polymere nach der europäischen Reach-Verordnung sind international akzeptierte Standards nötig, die diese Polymere charakterisieren, gruppieren und testen.Der Green Deal bietet Möglichkeiten, neue Techniken über definierte Standards und Normen zu etablieren, um damit Innovationen voran zu bringen und in der Technologie führend zu werden. Die chemische Industrie ist hier auf einem guten Weg.4)Ein Aspekt des Green Deal ist, fossile Energieträger durch alternative Rohstoffe zu ersetzen. Dafür hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz das Projekt „Normakraft – Normkonformität alternativer Kraftstoffe“ ins Leben gerufen.5) Hier geht es darum, den Markt für alternative Kraftstoffe zu öffnen, die nicht auf Erdöl als Rohstoffquelle angewiesen sind. Solche synthetisch genannten Kraftstoffe nutzen als Rohstoff etwa Erdgas, Kohle oder Biomasse. Diese Kraftstoffe sind im aktuellen regulatorischen Rahmen nicht erfasst, und daher sind neue Normen zu entwickeln oder alte Normen anzupassen.Die Handlungsempfehlungen der Fraunhofer-Gesellschaft an die Bundesregierung dazu lauten: „Deutschland sollte politische Prioritäten strategisch in der internationalen Normung unterstützen, zum Beispiel durch finanzielle Förderung der deutschen Projektleitung und Beteiligung in den identifizierten Bereichen.“<h2 type="main">Weiterbildung: Normen und Standards</h2>Normen richtig verstanden und angewendet sind vorteilhaft, wenn man Innovationen und neue Technologien auf den internationalen Markt bringen will. Die GDCh bietet am 15. April zu diesem Thema einen Kurs an: „DIN, Normen, technische Regelwerke und Standards. Wer sie gestaltet, beherrscht den Markt: die Wichtigkeit von Normen für technologischen Transfer“.Zur Kursseite in der GDCh-Academy: <a href="https://t1p.de/wqpo6" target="_blank">t1p.de/wqpo6</a><h2 type="main">Die Autorinnen</h2>Den Beitrag haben Barbara Pohl und Amelie Leipprand verfasst. Die promovierte Ingenieurin Pohl ist freiberufliche Beraterin zu Qualitätssicherung, Dokumentenmanagement und analytischer Methodenvalidierung. Leipprand treibt im Programm „DIN Young Professionals“ des Deutschen Instituts für Normung die Idee der Normungslehre voran. Dabei helfen ihr erstes Berufsleben als Profischauspielerin und ihr Maschinenbaustudium.<ul class="references" xml:id="nadc20244141286-bibl-0001" cited="no" style="numbered"><li xml:id="nadc20244141286-bib-0001">1 Fraunhofer Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung, April 2021</li><li xml:id="nadc20244141286-bib-0002">2 C. Schiller, Nachr. Chem. 2021, 69(12), 43</li><li xml:id="nadc20244141286-bib-0003">3 <a href="https://din.de/de/din-und-seine-partner/presse/mitteilungen/schub-fuers-kunststoff-recycling-827024" target="_blank">din.de/de/din-und-seine-partner/presse/mitteilungen/schub-fuers-kunststoff-recycling-827024</a></li><li xml:id="nadc20244141286-bib-0004">4 M. Kayser, D. Kratz, C. Seidel, D. Funk-Weyer, Nachr. Chem. 2022, 70(4), 38</li><li xml:id="nadc20244141286-bib-0005">5 DECHEMA aktuell 2023, 9, No. 8</li></ul>

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