Wissenschaft + Forschung

<p>&Uuml;ber das gesamte Jahr verteilt publiziert die Redaktion der <em>Nachrichten aus der Chemie</em> Trendberichte &uuml;ber alle chemischen Disziplinen hinweg.</p>

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Trendbericht Analytische Chemie

Zusätzlich zu Methodenentwicklung, Miniaturisierung und Kopplungsverfahren zeigen sich die Hyperspektroskopie zusammen mit Imaging-Verfahren, der Einzelmolekülnachweis und der Einsatz von 3-D-Druckern als neue Schwerpunkte. Hinzu kommen künstliche Intelligenz bei Sensoren, Bildgebungsverfahren un...

<p>Sie sind geniale Chemiker: Pilze duften oder stinken, ein scharfer Geschmack weist oft auf ihre Ungenießbarkeit hin. Pilze der Gattung Psilocybe beeinflussen Wahrnehmung sowie Bewusstsein des Menschen, und sie haben noch eine Besonderheit: Wird der Fruchtkörper verletzt, färbt er sich blau. Über den dafür verantwortlichen Farbstoff und was daraus werden kann.</p>
<p>Unter den Pilzinhaltsstoffen hat das Tryptaminderivat Psilocybin (4-Phosphoryloxy-N,N-dimethyltryptamin, Abbildung 1) wegen seiner pharmakologischen Effekte eine Sonderstellung. Es ist der Hauptinhaltsstoff der Zauberpilze oder magic mushrooms, also Pilzen der Gattung Psilocybe (Kahlkopf) oder anderer Gattungen, die nach oraler Einnahme zu Bewusstseinsveränderungen führen. Die psychotrope Wirkung beruht auf Psilocin (4-Hydroxy-N,N-dimethyltryptamin, Abbildung 1), einem instabilen, oxidationsempfindlichen 4-Hydroxyindol. Dieses ist der Wirkstoff, der im menschlichen Körper aus Psilocybin durch Hydrolyse von dessen Phosphatester entsteht.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/vzhzchNySbnsX3INhrwZ"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Chemische Strukturen des Pilz-Naturstoffs Psilocybin, seinem Folgeprodukt Psilocin und des menschlichen Neurotransmitters Serotonin.</figcaption></figure>
<h2>So wirkt Psilocin</h2><p>Die Aktivität von Psilocin auf das menschliche Nervensystem beruht auf seiner Struktur, die der des Neurotransmitters Serotonin (5-Hydroxytryptamin, 5-HT, Abbildung 1) ähnelt. Psilocin interferiert mit der serotonergen Neurotransmission, da es als partieller Agonist mit hoher Affinität hauptsächlich an 5-HT<sub>2A</sub>- und 5-HT<sub>2C</sub>-Rezeptoren bindet (Gleichgewichts-Dissoziationskonstante K<sub>i</sub>= 6 nM für den 5-HT<sub>2A</sub>-Rezeptor).</p><p>Die Schwellendosis für Psilocybin, also die Dosis, bei der eine biologische Wirkung gerade noch nachweisbar ist, beträgt bei einem etwa 70 kg schweren Menschen zirka 5 mg. 15 bis 20 mg führen zu typischen physiologischen Effekten: erweiterte Pupillen, andere Herzfrequenz und Blutdruck. Zudem verändern sich Bewusstsein und Wahrnehmung: Die Zeit scheint extrem langsam zu vergehen, der Konsument halluziniert visuell und sieht farbige Fraktale sowie geometrische Objekte. Mehr als 25 mg können zur Depersonalisierung, zum völligen Verlust des Körpergefühls und zu mystischen Erlebnissen führen: einem Gefühl der Einheit mit der Welt und dem Universum, ein Verschmelzen der Vergangenheit mit der Gegenwart. Mittelamerikanische Kulturen versuchten, über die Pilze mit Gott in Kontakt zu treten.</p><p>Und ein weiteres Phänomen hat seinen Ursprung im Psilocybin: Sofort nach Verletzung des Pilzes, etwa durch ein Messer, durch Druck oder Abbrechen, färben sich die verletzten Stellen blau (Abbildung 2).</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/gTt2ZFQpTXiWjZkvENH2"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Fruchtkörper von Psilocybe cubensis (intakt und nach Schnitt bläuend).</figcaption></figure>
<h2>Der Aufbau ist vergleichsweise einfach</h2><p>Albert Hofmann begann Ende der 1950er Jahre damit, an Psilocybin zu forschen. Seitdem ist bekannt, dass es sich biosynthetisch aus der Aminosäure l-Tryptophan ableitet. Als achirales Molekül und Derivat des Tryptamins ist Psilocybin für einen pilzlichen Naturstoff recht einfach aufgebaut.</p><p>Einen ersten Vorschlag zur Biosynthese machten im Jahr 1968 die pharmazeutischen Chemiker Stig Agurell und Lars Nilsson. Wie eine Fortführung dieser Arbeiten am Kubanischen Kahlkopf Psilocybe cubensis kürzlich gezeigt hat, benötigen die Zauberpilze lediglich vier Enzyme, um l-Tryptophan in Psilocybin umzusetzen (Abbildung 3):</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/kFHR0iRtRxmiu0bM05o2"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Übersicht über die von l-Tryptophan ausgehende Biosynthese von Psilocybin in Pilzen der Gattung Psilocybe sowie der Umbau in den strukturell heterogenen blauen Farbstoff im Pilz sowie in das psychoaktive Psilocin im Menschen. Mesomeriestabilisierte Elektronenpositionen im Psilocylradikal sind rot markiert.</figcaption></figure>
<p>Zunächst decarboxyliert das Enzym PsiD l-Tryptophan zu Tryptamin. Anschließend bildet sich durch die membranständige Cytochrom-P<sub>450</sub>-Monooxygenase PsiH eine phenolische OH-Gruppe am Kohlenstoffatom C-4 zum 4-Hydroxytryptamin. Dem folgt dessen ATP-abhängige Phosphatesterbildung durch die Kinase PsiK zum Norbaeocystin. Dieser Schritt ist wichtig, da die Phosphorylierung das oxidationsempfindliche 4-Hydroxyindol stabilisiert. Dieser Schutz lässt sich jedoch leicht rückgängig machen, was uns im Zusammenhang mit der Bläuung wieder begegnen wird. Zwei von der Methyltransferase PsiM katalysierte SAM-abhängige Methylierungen schließen die Synthese ab, indem sie Norbaeocystin in das tertiäre Amin Psilocybin überführen.</p><p>Die Biosynthesegene und -enzyme zu identifizieren, entsprang zunächst naturforscherischer Neugier und gehörte zur mykologischen Grundlagenforschung. Die Kenntnis der Enzyme und Gene der Psilocybin-Biosynthese ermöglicht jedoch, die Substanz biokatalytisch in vitro oder in rekombinanten Wirtsorganismen in vivo herzustellen. Diese Herstellungswege bieten entweder eine Alternative zur chemischen Synthese oder dienen dazu, den problematischen und schwermetallabhängigen Phosphorylierungsschritt zu umgehen. Die biotechnische Herstellung ist wichtig, da Ärzte und Therapeuten seit etwa zehn Jahren untersuchen, ob sich Psilocybin klinisch nutzen lässt.</p><h2>Psilocybin in der Therapie</h2><p>Wie klinische Studien der Phase II, also an Erkrankten, zeigen, wirkt Psilocybin gut gegen Existenzängste bei Krebspatienten im finalen Stadium, vor allem aber bei solchen Depressionen, die nicht mit üblichen Mitteln therapierbar sind.</p><p>Unter ärztlicher Aufsicht und mit therapeutischer Begleitung milderten sich nach einmaligem Einnehmen von 20 bis 25 mg Psilocybin in den klinischen Studien bei vielen Patienten die Symptome wochen- bis monatelang.</p><p>Erklärt wird dieser Effekt so: Psilocybin oder vielmehr sein Dephosphoderivat Psilocin dämpfen das Ruhenetzwerk (default mode network) des menschlichen Gehirns in seiner Aktivität; dieses ist bei Depressiven oft übermäßig aktiv.</p><p>Aufgrund der bisherigen Erfolge in den klinischen Studien hat Psilocybin von der US Food and Drug Administration FDA bei den zwei Indikationen treatment-resistant depression und major depressive disorder den Status der Breakthrough Therapy erhalten, also einer wesentlichen Verbesserung gegenüber bisherigen Therapien. Auf dieser Grundlage lässt sich das Zulassungsverfahren beschleunigen.</p><p>Stellvertretend für Initiativen, die die Zulassung des Psilocybins als Arzneimittel anstreben, ist hier das Usona-Institut in Madison, WI, USA, genannt. Dieses Institut arbeitet ohne kommerzielle Interessen und unterstützt präklinische und klinische Forschung, darunter eine im Oktober 2019 begonnene, auf 80 Teilnehmer an sieben Orten ausgelegte klinische Studie der Phase II zur Behandlung schwerer Depressionen (<a href="https://www.usonainstitute.org" target="_blank">www.usonainstitute.org</a>).</p><h2>Was den Pilz blau macht</h2><p>Im Menschen entfaltet Psilocybin seine Wirkung in Form seines monomeren Derivats Psilocin (Abbildung 3). Psilocybin kann aber auch zu Oligomeren reagieren, wie bei der Bläuung bei Beschädigung von Pilzhyphen. Trotz jahrzehntelanger Untersuchungen waren bisher weder die Struktur des Farbstoffs noch sein Bildungsmechanismus verstanden. Die Forscher gingen von einer oxidativen Kupplung von Psilocin-Monomeren aus, die im oligo- oder polymeren Zustand ein blaues Chromophor bilden würden.</p><p>Wir haben zwei Enzyme in Psilocybe cubensis identifiziert, eine Phosphatase (PsiP) und eine Laccase (PsiL), die Psilocybin zum Psilocin dephosphorylieren und durch Ein-Elektronen-Oxidation Psilocylradikale erzeugen. Diese liefern je nach Oxidationskraft und Konzentration ein heterogenes Gemisch von chinoiden Dimeren bis zu 13-meren. Die hauptsächliche Verknüpfung der Monomere erfolgt vorzugsweise, aber nicht ausschließlich über das Kohlenstoffatom C-5. Diesen Effekt überlagert eine Autoxidation des Psilocins, die unter anderem zu grünlich-bräunlichen Produkten führt – dies erklärt die Färbung älterer unverletzter Fruchtkörper.</p><h2>Triebkraft der Reaktion</h2><p>Die Frage, warum der Pilz Psilocybin biosynthetisiert, bleibt unbeantwortet. Eine spekulative Erklärung: Das monomere Psilocybin wirkt via Psilocin auf natürliche Fraßfeinde des Pilzes, um – analog zum psychotropen Effekt beim Menschen – deren Verhalten zu steuern und auf diese Weise den Pilz zu schützen. Das impliziert eine Verteidigungsfunktion.</p><p>Nach einer alternativen Hypothese ist eigentlich das Psilocyl-Oligomer die ökologisch sinnvolle Substanz, nicht das Monomer. Die Psilocyl-Oligomere binden an Proteine und fällen diese. Möglicherweise dienen die Oligomere auch dem Fraßschutz, indem sie reaktive Sauerstoffspezies produzieren, sobald sie in das oxidative, basische Milieu des Verdauungstrakts von Insekten oder deren Larven gelangen.</p><p>Läge die eigentliche chemisch-ökologische Rolle beim Oligomer, würde dies erklären, warum sich in der Evolution die leicht reversible Phosphorylierung zur Stabilisierung des 4-Hydroxyindolgerüstes durchgesetzt hat. Dieser Hypothese folgend wäre Psilocybin nur die deaktivierte, monomere Vorstufe. Im Verteidigungsfall – nur dann – würde diese sofort scharf geschaltet, sprich durch Dephosphorylierung wieder reaktiv gemacht, damit die Oligomerisierung beginnen kann. Bei dieser Hypothese käme dem Psilocybin also eine Rolle für eine induzierte Verteidigung zu.</p><p>Diese Hypothese würde auch die ausgeklügelten Substratspezifitäten der Psilocybin-Biosyntheseenzyme erklären: An keiner Stelle tritt Psilocin als Intermediat auf, sondern eben erst nach Induktion, also Verletzung.</p><h2>Forschung an Pilzen</h2><p>Warum forschen wir an den Zauberpilzen und was bringen die Ergebnisse unserer Forschung? Neben der Anwendung – also biotechnischen Verfahren, die einen erfolgversprechenden pharmazeutischen Wirkstoff zugänglich machen – gibt es einen weiteren Grund: Inzwischen haben biochemische und ökologische Fragen die traditionell mit Methoden der Chemie betriebene Forschung an mikrobiellen Inhaltsstoffen erweitert.</p><p>Oft lässt sich die Frage nach dem Wie beantworten, also durch welche Enzyme die Biosynthesen ablaufen. Offen bleibt das Warum, also die Frage, was bei den Pilzen die Evolution dieser diversitätsorientierten und energetisch oft aufwendigen Biosynthesen angetrieben hat. Hier bringt jedes Ergebnis ein Steinchen in das Mosaik, das uns helfen wird, unsere belebte Umwelt zu verstehen.</p><p>Der Sonderforschungsbereich ChemBioSys erforscht die natürlichen Funktionen mikrobieller Naturstoffe: <a href="https://www.chembiosys.de" target="_blank">www.chembiosys.de</a>.</p><h2>Der Autor</h2><p>Dirk Hoffmeister, Jahrgang 1972, ist Professor für Pharmazeutische Mikrobiologie an der Universität Jena und mit dem Leibniz-Institut für Naturstoffforschung und Infektionsbiologie assoziiert. Seine Forschung befasst sich mit Ständerpilzen, deren Biosynthesen und der biotechnischen Herstellung von Naturstoffen.</p><div><img src="https://media.graphcms.com/5wao6LOPRrGSZpoqmQcw">

</div><p></p><h2>AUF EINEN BLICK</h2><p>Pilze der Gattung Psilocybe wie der Spitzkegelige Kahlkopf enthalten das tertiäre Amin Psilocybin, das den Pilz bei Verletzung bläuen lässt.</p><p>Warum der Pilz den psychotropen Stoff herstellt, ist unklar – vermutlich dient er als Fraßschutz.</p><p>Psilocybin eignet sich zur Behandlung von Depressionen. Zurzeit laufen klinische Studien.</p>
<ul><li>
<sup>1 </sup>A. Hofmann, R. Heim, A. Brack et al., Helv. Chim. Acta 1959, 42, 1557–1572 (Psilocybin-Isolation und Strukturaufklärung)</li><li>
<sup>2 </sup>S. Agurell, J. L. Nilsson, Acta Chem. Scand. 1968, 22, 1210–1218 (Psilocybin-Biosynthese)</li><li>
<sup>3 </sup>J. Fricke, F. Blei, D. Hoffmeister, Angew. Chem. Int. Ed. 2017, 56, 12352–12355 (enzymatische Psilocybin-Synthese in vitro)</li><li>
<sup>4 </sup>S. Hoefgen, J. Lin, J. Fricke et al., Metab. Eng. 2018, 48, 44–51 (heterologe Psilocybin-Produktion)</li><li>
<sup>5 </sup>C. Lenz, J. Wick, D. Braga et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2019, (doi: 10.1002/anie.201910175, Bläuungsreaktion)</li><li>
<sup>6 </sup>J. Fricke, C. Lenz, J. Wick, F. Blei, D. Hoffmeister, Chem. Eur. J. 2019, 25, 897–903 (Übersichtsartikel zur chemischen und biokatalytischen Psilocybin-Produktion)</li><li>
<sup>7 </sup>P Spiteller, Nat. Prod. Rep. 2015, 32, 971–993 (Übersichtsartikel zur chemischen Ökologie der Pilz-Naturstoffe)</li></ul>


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