Wissenschaft + Forschung

&Uuml;ber das gesamte Jahr verteilt publiziert die Redaktion der Nachrichten aus der Chemie Trendberichte &uuml;ber alle chemischen Disziplinen hinweg.

Trendberichte

<h2>Massenspektrometrie gegen Viren</h2><h2>Massenspektrometrie- Vereinigung</h2>Unter den Wissenschaftlern, die Sars-CoV-2 erforschen, sind auch diejenigen, die Massenspektrometrie (MS) in den Biowissenschaften einsetzen. Bereits im April 2020 wurde die internationale Covid-19-MS-Vereinigung gegründet. Diese machte es sich zur Aufgabe, „Massenspektrometrie zu nutzen, um den durch das Sars-CoV-2-Virus ausgelösten Schaden zu reduzieren“.1) Diese Vereinigung hat jetzt über 600 Mitglieder aus mehr als 40 Ländern. Ihre Aktivitäten konzentrieren sich sowohl auf Diagnostik als auch auf das grundlegende Verständnis des Virus.Sinz und Mitarbeiter entwickelten eine zielgerichtete Proteomik-Methode, die das Sars-CoV-2-Nukleoprotein in Gurgellösungen von Patienten mit einer aktiven Infektion nachweist.2) Im Wesentlichen besteht diese Analyse aus einem enzymatischen Verdau der Proteine in der Gurgellösung, einer anschließenden chromatographischen Trennung der Peptide und der Identifizierung mit Tandem-MS. Dabei wird hauptsächlich menschliches Protein nachgewiesen, aber auch Virusprotein einer aktiven Infektion. Dies stellt die Basis einer potenziell alternativen, hochdurchsatzfähigen Methode dar, die verglichen mit dem gängigen Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktionstest weniger unangenehm bei der Probenentnahme ist. Zudem benötigt sie keine virusspezifischen Primer und Reagenzien. Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Methode sich durchsetzen wird.Ein weiteres Ziel der Vereinigung ist, frühe Biomarker durch einen Multi-omik-Ansatz zu finden. Dies soll helfen, Patienten mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für einen schweren Krankheitsverlauf zu ermitteln und ihnen eine individualisierte Behandlung zu ermöglichen.1) Einen Großteil dieser Arbeit treiben Barran und sein Team am Manchester Institute of Biotechnology voran. Dort läuft ein Pilotprogramm, das Proben Zehntausender Patienten analysiert.Die Massenspektrometrie hat auch zu unserem Verständnis des Sars-CoV-2-Virus selbst beigetragen. Ein Beispiel ist die Glykosylierung des Virus-Spikeproteins, das essenziell für das Andocken an menschliche Zellen ist. Sie lässt sich durch die genetische Analyse des Virus allein nicht aufklären.1) Ein Großteil des Glykosylierungsmusters hat die Gruppe um Crispin mit MS-basierter Proteomik aufgeklärt.3) Demnach gibt es 22 Glykosylierungsstellen pro Monomer. Das bedeutet, dass jeder trimere, funktionelle Spike 66 Glykosylierungen aufweist, die eine Art Schutzschild um immunogene Epitope bilden, hauptsächlich, um diese vor dem Immunsystem zu verbergen. Erfreulicherweise ist das Glykanschild von Sars-CoV-2-Spike wie bei anderen Coronaviren anfälliger als das anderer viraler Glykoproteine. Dies trägt möglicherweise zur hohen Wirksamkeit mehrerer Impfstoffe bei (Abbildung 1, S. 55).3,4)<figure><img src="https://media.graphcms.com/yzuYUl04QRq3ua08SMna"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Strukturen der Virusproteine von Sars-CoV-1, Sars-CoV-2, Mers-CoV, LASV und HIV-1 mit farblich hervorgehobenen Glykanschildern. Seitenspezifische N-verknüpfte Glykan-Oligomannose-Quantifikationen sind entsprechend der Legende eingefärbt. Reproduziert mit Erlaubnis von Watanabe et al.3)</figcaption></figure>
<h2>Sars-CoV-2 behandeln</h2>Trotz Impfstoffen bleibt es wichtig, die Behandlung von Sars-CoV-2-Infektionen zu verbessern. Robinson und Mitarbeiter verwendeten MS von nativen Proteinen, um Inhibitoren der Virus-Hauptprotease zu untersuchen.5) Bei diesem Ansatz werden Proteine in einem nativ-ähnlichen Zustand gehalten, sodass sie einen Teil ihrer gefalteten Struktur in der Gasphase beibehalten. Üblicherweise dient hierbei Elektrospray-Ionisation aus einer rein wässrigen Lösung bei physiologischem pH-Wert dazu, die Proteine in das Massenspektrometer einzubringen. Wie die Autoren in Übereinstimmung mit Literaturbefunden bestätigten, bildet die virale Protease in Lösung ein Homodimer. Darüber hinaus identifizierten sie vier Moleküle, die die Umsatzrate dieses Enzyms signifikant reduzierten. Eines der Moleküle destabilisiert dabei das funktionale Homodimer. Dieser Ansatz könnte vielversprechende Hinweise für die Entwicklung von Therapeutika liefern.Die Massenspektrometrie hat also im Jahr 2020 Erkenntnisse für die Covid-19-Diagnostik, für das verursachende Virus selbst und für die Entwicklung von Impfstoffen und Therapien geliefert.<h2>Technische Fortschritte</h2>Williams und Mitarbeiter berichteten über die Modifikation eines Ionenmobilitäts(IM)-Massenspektrometers mit einer Elektroneneinfang-Dissoziations(ECD)-Zelle.6) Bei der IM-Spektrometrie werden Ionen auf Grundlage ihrer elektrophoretischen Mobilität durch ein Inertgas getrennt. In Kombination mit dem Ladungszustand, der im selben Experiment durch MS ermittelt wird, liefert dies ein Maß für den physikalischen Querschnitt eines Ions. Daraus resultieren Informationen über molekulare Konformationen, insbesondere in Kombination mit nativer MS. ECD ist eine Methode, um die Fragmentierung von Ionen im Tandem-MS zu induzieren. Normalerweise dient die Fragmentierung dazu, die Primärstruktur eines Proteins aufzuklären; das Fragmentierungsmuster bei ECD liefert zudem Informationen über nicht-kovalente Wechselwirkungen.7) ECD wird in der Regel in Ionen-Zyklotron-Resonanz-Geräten durchgeführt, und aus technischen Gründen ist die Kombination mit IM-Trennung schwierig.Ein in ein bestehendes IM-MS-Gerät eingebautes ECD-Modul ermöglicht jedoch, den Querschnitt von Proteinionen direkt mit ihrem ECD-Fragmentierungsmuster zu korrelieren (Abbildung 2). Die Einführung dieser ECD-Zelle als Standardoption in einem kürzlich vorgestellten IM-MS-Gerät des Geräteherstellers Waters belegt den Vorteil dieser Kombination.<figure><img src="https://media.graphcms.com/zfXTSa0jRCuVvi1lkYdK"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Kristallstrukturen des Hämoglobin-Tetramers. Links: mit Elektroneneinfang-Dissoziation (ECD) fragmentierte Regionen, rechts: dazugehörige Ionenmobilitäts(IM)-Messwerte bei hoher/niedriger Aktivierungsenergie. Hämgruppen in cyan. Stoßaktivierung in der Gasphase induziert eine Veränderung der Konformation, was sich sowohl in einer Verschiebung im IM-Spektrum zeigt als auch neue Regionen für ECD-Fragmentierung zugänglich macht.</figcaption></figure>
Die Nutzung einer weiteren Fragmentierungsmethode, nämlich der oberflächeninduzierten Dissoziation, wurde durch die Arbeit von Wysocki und Kollegen vereinfacht.8) Diese Methode wurde nun ebenfalls als Option für das gleiche Gerät angekündigt. Der Trend, diese Techniken modular in Massenspektrometern zu implementieren, wird für Fortschritte in biomolekularen MS wichtig sein.<h2>Einzelionen-MS</h2>Die Einzelionen-MS geht auf Makarovs Arbeit aus dem Jahr 2009 zurück, der die Detektion einzelner Myoglobinionen in einem Orbitrap-Analysator demonstrierte.9) Mehrere Ionen in einem MS werden nicht nur von dem vom Gerät erzeugten elektromagnetischen Feld beeinflusst, sondern auch durch das von anderen Ionen. Dieser Effekt kann die Leistung mindern. Nur ein Ion oder wenige Ionen in die Orbitrap zu injizieren ermöglicht, ein Spektrum ohne solche Störungen aufzunehmen. Die Signalintensitäten im Orbitrap-MS hängen von der Gesamtladung in der Falle ab. Unter der Annahme, dass nur ein einziges Ion vorhanden ist, hat die Signalintensität daher eine lineare Beziehung zum Ladungszustand. Durch die tausendfache Wiederholung dieser störungsfreien Messung entsteht ein echtes Massenspektrum mit extrem hoher Auflösung anstelle eines Masse-zu-Ladung-Spektrums. Dieses Massenspektrum ist durch die Präzision der Massenmessung und nicht durch die nominale Auflösung des Geräts begrenzt.Diese Idee haben Kelleher10) und Heck leicht abgewandelt.11) Beide Labore demonstrierten die Anwendung dieser Methode für einen breiten Massenbereich, in den auch virusähnliche Partikel von mehreren MDa Größe fallen. Zudem zeigten sie die erhöhte Empfindlichkeit der Methode durch Messungen im nanomolaren Bereich. Die so erzielte extreme Auflösung und Empfindlichkeit wird in den kommenden Jahren neue Perspektiven in der Analyse heterogener Proben eröffnen.Frederik LermyteTU Darmstadt<a href="mailto:frederik.lermyte@tu-darmstadt.de">frederik.lermyte@tu-darmstadt.de</a>
<ul class="references"><li>
1 W. Struwe, E. Emmott, M. Bailey et al., Lancet 2020, 395, 1761–1762</li><li>
2 C. Ihling, D. Tanzler, S. Hagemann et al., J. Proteome Res. 2020, 19, 4389–4392</li><li>
3 Y. Watanabe, J. D. Allen, D. Wrapp, J. S. McLellan, M. Crispin, Science 2020, 369, 330–333</li><li>
4 Y. Watanabe, Z. T. Berndsen, J. Raghwani et al., Nat. Commun. 2020, 11, 2688</li><li>
5 T. J. El-Baba, C. A. Lutomski, A. L. Kantsadi et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2020, 59, 23544–23548</li><li>
6 J. P. Williams, L. J. Morrison, J. M. Brown et al., Anal. Chem. 2020, 92, 3674–3681</li><li>
7 M. Zhou, C. Lantz, K. A. Brown et al., Chem. Sci. 2020, 11, 12918–12936</li><li>
8 D. T. Snyder, E. M. Panczyk, A. Somogyi, D. A. Kaplan, V. Wysocki, Anal. Chem. 2020, 92, 11195–11203</li><li>
9 A. Makarov, E. Denisov, J. Am. Soc. Mass. Spectrom. 2009, 20, 1486–1495</li><li>
10 J. O. Kafader, R. D. Melani, K. R. Durbin et al., Nat. Methods 2020, DOI: 10.1038/s41592–020–0764–5</li><li>
11 T. P. Worner, J. Snijder, A. Bennett et al., Nat. Methods 2020, 17, 395–398</li></ul>

Artikel

Trendbericht Biochemie: Massenspektrometrie gegen Viren

Massenspektrometrie gegen VirenMassenspektrometrie- VereinigungUnter den Wissenschaftlern, die Sars-CoV-2 erforschen, sind auch diejenigen, die Massenspektrometrie (MS) in den Biowissenschaften einsetzen. Bereits im April 2020 wurde die internationale Covid-19-MS-Vereinigung gegründet. Diese mach...

<h2>Kovalente Proteinliganden</h2>Zu den wichtigsten Anwendungen der Verbindungen, die spezifisch mit Proteinen reagieren, gehört es, kovalente Inhibitoren zu entwickeln. Diese können aufgrund ihrer erhöhten Bindungsaffinität ansonsten schwer adressierbare Proteine hemmen. Wie die Zulassung mehrerer neuer kovalenter Inhibitoren als Medikamente zeigt, haben diese Verbindungen großes Potenzial für effiziente und sichere Anwendungen. Um Nebenwirkungen zu vermeiden, müssen sie allerdings selektiv wirken.Chemoproteomische Methoden haben wichtige Informationen über die Selektivität kovalenter Inhibitoren in biologischen Systemen geliefert. Im letzten Jahr wurden einige Neuheiten eingeführt, die diese Methoden noch effizienter und breiter anwendbar machen.<h2>Positionsaufgelöste chemoproteomische Methoden</h2>Mit modernen Methoden der chemischen Proteomik lässt sich vor allem für kovalente Inhibitoren die Selektivität in komplexen Zelllysaten und lebenden Zellen untersuchen. Hierbei sind Methoden wichtig, die eine positionsaufgelöste Untersuchung der adressierten Aminosäure erlauben. Diese Methoden basieren auf Arbeiten der Gruppe von Benjamin Cravatt. Hiermit lassen sich die Bindestellen kovalenter Inhibitoren in Proteomen kompetitiv aufklären.1)In der dafür verwendeten isoTOP-ABPP-Plattform (isotopic tandem orthogonal proteolysis-activity-based protein profiling, Abbildung 1a, S. 58) wird ein Proteom zunächst mit einem kovalenten Liganden behandelt. Im nächsten Schritt markiert eine Alkinsonde Aminosäurereste eines bestimmten Typs mit Alkinen. Hierbei wird oft eine Iodacetamid-basierte Sonde verwendet (Abbildung 2a), die Cysteinreste in Proteinen markiert. Die Reaktivität ist an den Stellen blockiert, die bereits mit dem kovalenten Liganden reagiert haben.<figure><img src="https://media.graphcms.com/9eWlcH7ToCMz1u0NcjBM"><figcaption><label>Abb. 1: </label>a) Vorgehensweise für kompetitive Experimente mit der isoTOP-ABPP-Plattform. RG reaktive funktionelle Gruppe, B Biotin. b) Struktur der isotopenmarkierten Biotinlabel, die einen mit der Tobacco-Etch-Virus(TEV)-Protease spaltbaren Linker enthalten. c) Struktur der isoDTB-Tags.</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/9kyUZGYGTpKhII6qKOYj"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Strukturen der Reagenzien, die zur proteomweiten Untersuchung oder zur Modifikation von verschiedenen Aminosäureresten verwendet wurden (TMS: Trimethylsilyl).</figcaption></figure>
Isotopenmarkierte Biotinlabel (Abbildung 1b) ermöglichen, alkinmodifizierte Aminosäuren im Vergleich zu einer Probe, die ohne kovalenten Inhibitor behandelt wurde, zu quantifizieren. Die Label werden durch kupferkatalysierte Klick-Chemie installiert und dienen zur Anreicherung der modifizierten Proteine. Anschließende Analyse mit Massenspektrometrie quantifiziert die Bindung des kovalenten Liganden und erlaubt, den modifizierten Aminosäurerest zu detektieren.Eine Schwierigkeit der ursprünglichen Methode: Es sind isotopenmarkierte Tags mit einem spaltbaren Linker nötig, um die biotinmarkierten Peptide für die massenspektrometrische Analyse zu eluieren. Wie Zanon und Coautor:innen gezeigt haben, erlauben isotopenmarkierte Desthiobiotin(isoDTB)-Tags (Abbildung 1c) eine spezifische Anreicherung. Sie lassen sich schon bei Raumtemperatur unter sauren Bedingungen für die Analyse eluieren.2) Dies ermöglicht, einfachere, nicht spaltbare Linkersysteme zu nutzen, welche die Tag-Synthese vereinfachen, das Probenvorbereitungsprotokoll verkürzen und zumindest in Bakterien die Zahl der quantifizierten Cysteine erhöhen.Eine Erhöhung der Zahl quantifizierter Cysteinreste im Proteom haben Keriann Backus und ihre Gruppe erreicht.3) Hierbei sticht die Probenvorbereitungsmethode hervor: single pot, solid-phase-enhanced sample-preparation; SP3. Diese ermöglicht, überschüssige Reagenzien magnetisch abzutrennen. Kombiniert mit optimierten Bedingungen für die kupferkatalysierte Klick-Chemie und einer Faims-Einheit (field asymmetric ion mobility spectrometry) zur Untersuchung der Ionenmobilität von Peptiden steigerten die Autor:innen so die Effizienz der Methode. Sie ermöglicht nun, mehr als 14 000 Cysteinreste in einem einzigen Experiment zu detektieren.Vinogradova und Coautor:innen haben den Durchsatz der Methode weiter erhöht.4) Hierzu haben sie die Methode TMT-ABPP entwickelt, die auf TMT-Reagenzien (tandem mass tags) und einer Iodacetamid-Desthiobiotinsonde beruht (Abbildung 2b). Neben der Möglichkeit, mehrere Bedingungen im selben Experiment zu untersuchen, steigerte dies die Zahl der kovalent adressierbaren Cysteinreste auf mehr als 3000.Ein Team um Steven Gygi hat diese TMT-ABPP-Methode optimiert.5) Basierend auf einer minimalen Iodacetamid-Desthiobiotinsonde (Abbildung 2c) und einem verbesserten Probenvorbereitungsprotokoll lassen sich nun bis zu zehn kovalente Liganden im selben Experiment untersuchen. Dabei werden mehr als 8000 Cysteinreste in 18 Minuten Messzeit pro Verbindung quantifizierbar. So hat die Gruppe die Zielproteine von 285 Verbindungen kartiert und dadurch viel über kovalent adressierbare Cysteinreste erfahren.Neben der kupferkatalysierten Klick-Chemie wurden bisher nur wenige bioorthogonale Reaktionen eingesetzt. Cao und Coautor:innen haben die Suzuki-Miyaura-Reaktion für positionsaufgelöste proteomweite Experimente genutzt.6) Durch die parallele Verwendung von Klick-Chemie und Suzuki-Miyaura-Reaktion lassen sich Cystein- und Lysinreste im selben Experiment analysieren.<h2>Sonden für diverse Aminosäuren</h2>Die meisten positionsaufgelösten, chemoproteomischen Studien nutzen bisher Iodacetamid-basierte Sonden, um Cysteinreste in Proteinen zu untersuchen. Diverse andere Reaktionen stehen zur Verfügung, die sich zur Adressierung verschiedener Aminosäuren in Proteomen eignen. Neben einer Erhöhung der Zahl quantifizierter Cysteinreste ist hierbei vor allem von Interesse, andere Aminosäuren mit kovalenten Liganden zu untersuchen. Da Cystein eine selten vorkommende Aminosäure ist, könnten so die vielen Bindetaschen, die keinen Cysteinrest enthalten, für die Entwicklung kovalenter Inhibitoren zugänglich werden.Um die Zahl quantifizierter Cysteine zu erhöhen, hat Brent Martins Gruppe systematisch heteroaromatische Sulfone auf deren Reaktivität mit isoliertem Cystein und dem Proteom untersucht.7) Hierdurch haben sie eine benzothiazolbasierte Sonde entwickelt (Abbildung 2d), die zusammen mit einer Iodacetamid-basierten Sonde mehr Cysteinreste quantifiziert.Tessier und Coautor:innen zufolge eignen sich auch hypervalente Iodreagenzien, um Cysteinreste im Proteom zu untersuchen.8) Ein Reagenz mit einem Trimethylsilyl-geschützten Alkin modifiziert hierbei Cysteinreste mit einer Ethinylgruppe (Abbildung 2e).Auch bei der Untersuchung anderer Aminosäurereste gab es im letzten Jahr Fortschritte. Die Gruppe von Ku-Lung Hsu hat Sulfonyltriazole etabliert, um Tyrosinreste im Proteom mit Sulfur-Triazole-Exchange-Chemie (SuTEx) zu untersuchen (Abbildung 2f).9) Wie in folgenden Arbeiten Brulet und Team gezeigt haben,10) lassen sich mit dieser Methode auch kovalente Liganden für Tyrosinreste identifizieren.Außerdem stand im letzten Jahr die Adressierung von Aspartat- und Glutamatresten im Mittelpunkt. Die Gruppe von Zhengqiu Li hat dazu Reagenzien basierend auf 2H-Azirinen etabliert (Abbildung 2g), die im Proteom chemoselektiv mit diesen Aminosäuren reagieren.11)Lichtaktivierbare Verbindungen sind eine weitere attraktive Sondenklasse, da sie anfänglich nicht reaktiv und daher potenziell nicht toxisch sind. Das ermöglicht Untersuchungen in lebenden Zellen mit Orts- und Zeitauflösung. Bach und Coautoren haben Sonden für Aspartat- und Glutamatreste entwickelt, die auf lichtaktivierbaren 2,5-substituierten Tetrazolen beruhen (Abbildung 2h).12) Unter Bestrahlung liefern diese Verbindungen reaktive Nitrilimine. Durch proteomweite Studien ließ sich ein Reagenz etablieren, das selektiv für Aspartat- und Glutamatreste ist.Zusätzlich wurden Reagenzien für weitere Aminosäuren entwickelt, die bisher nicht in proteomweiten Experimenten zum Einsatz gekommen sind. Michael Taylors Gruppe hat N-Carbamoylpyridiniumsalze entwickelt (Abbildung 2i), die selektiv Tryptophanreste in Proteinen markieren.13) Basierend auf der Phosphorus-Sulfur-Incorporation-Chemie (PSI) haben Vantourout und Coautor:innen Reagenzien eingeführt, mit denen sich Serinreste in Proteinen modifizieren lassen (Abbildung 2j).14) Außerdem hat die Gruppe von Vishal Raj aldehydbasierte Reagenzien entwickelt (Abbildung 2k), um Proteine selektiv an N-terminalen Glycinresten zu modifizieren.15)Die fortschreitende Etablierung von Sonden für proteomweite Experimente an Aminosäuren eröffnet eine Perspektive: Kovalente Liganden könnten sich in Zukunft auf ihre proteomweite Selektivität gegenüber allen nukleophilen Aminosäuren testen lassen. Dies wird dieser Verbindungsklasse neue Anwendungen eröffnen.Stephan M. HackerDepartment ChemieTechnische Universität München<a href="mailto:stephan.m.hacker@tum.de">stephan.m.hacker@tum.de</a>
<ul class="references"><li>
1 K. M. Backus, B. E. Correia, K. M Lum et al., Nature 2016, 534, 570–574</li><li>
2 P. R. A. Zanon, L. Lewald, S. M. Hacker, Angew. Chem. Int. Ed. 2020, 59, 2829–2836</li><li>
3 T. Yan, H. S. Desai, L. M. Boatner et al., ChemBioChem 2021, doi: 10.1002/cbic.202000870</li><li>
4 E. V. Vinogradova, X. Zhang, D. Remillard et al., Cell 2020, 182, 1009–1026.e29</li><li>
5 M. Kuljanin, D. C. Mitchell, D. K. Schweppe et al., Nat. Biotechnol. 2021, 39, 630–641</li><li>
6 J. Cao, L. M. Boatner, H. S. Desai et al., Anal. Chem. 2021, 93, 2610–2618</li><li>
7 H. F. Motiwala, Y.-H. Kuo, B. L. Stinger, B. A. Palfey, B. R. Martin, J. Am. Chem. Soc. 2020, 142, 1801–1810</li><li>
8 R. Tessier, R. K. Nandi, B. G. Dwyer et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2020, 59, 10961–10970</li><li>
9 H. S. Hahm, E. K. Toroitich, A. L. Borne et al., Nat. Chem. Biol. 2020, 16, 150–159</li><li>
10 J. W. Brulet, A. L. Borne, K. Yuan, A. H. Libby, K.-L. Hsu, J. Am. Chem. Soc. 2020, 142, 8270–8280</li><li>
11 N. Ma, J. Hu, Z.-M. Zhang et al., J. Am. Chem. Soc. 2020, 142, 6051–6059</li><li>
12 K. Bach, B. L. H. Beerkens, P. R. A. Zanon, S. M. Hacker, ACS Cent. Sci. 2020, 6, 546–554</li><li>
13 S. J. Tower, W. J. Hetcher, T. E. Myers, N. J. Kuehl, M. T. Taylor, J. Am. Chem. Soc. 2020, 142, 9112–9118</li><li>
14 J. C. Vantourout, S. R. Adusumalli, K. W. Knouse et al., J. Am. Chem. Soc. 2020, 142, 17236–17242</li><li>
15 L. Purushottam, V. B. Unnikrishnan, D. G. Rawale et al., Chem. Sci. 2020, 11, 13137–13142</li></ul>

Artikel

Trendbericht Biochemie: Massenspektrometrie gegen Viren

Massenspektrometrie gegen Viren

Massenspektrometrie- Vereinigung

Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...