Wissenschaft + Forschung

&Uuml;ber das gesamte Jahr verteilt publiziert die Redaktion der Nachrichten aus der Chemie Trendberichte &uuml;ber alle chemischen Disziplinen hinweg.

Trendberichte

Wie funktioniert die Qualitätskontrolle, wenn Ribosome genetische Information aus der mRNA in Proteine übersetzen? Welche Einblicke in die Biochemie der Coronaviren liefert die spektroskopische Methode Fret an einzelnen Molekülen? Wie hilft Massenspektrometrie gegen Viren wie Sars-CoV-2? Und wie hat sich im letzten Jahr die Forschung zu kovalenten Proteinliganden entwickelt, die sich als Grundlage für Inhibitoren ansonsten schwer adressierbarer Proteine eignen? Antworten liefert dieser Bericht in vier Kapiteln.
Sowohl im Laboralltag als auch in der Publikationstätigkeit hat die Pandemie des vergangenen Jahres Spuren hinterlassen. Auch wenn die Situation nur entfernt der des HI-Virus der 1980er Jahre ähnelt, fällt das gesteigerte Tempo auf, mit dem Wissenszuwachs in die medizinische/klinische Praxis gelangt. Offener Zugriff auf Informationen in Datenbanken und Open-Access-Publikationen haben jedes Labor der Lebenswissenschaften in die Lage versetzt, etwas beizutragen. Trotz Produktivitätseinbußen durch Hygienemaßnahmen und ständig neue administrative Rahmenbedingungen zeigt die aktuelle Literatur eine enorme Fülle und Tiefe an Coronavirus-bezogenen Daten. In der Forschung zu Sars-CoV-2 haben sich schnell Konsortien gebildet. Die Förderorganisationen haben dies erleichtert, weil sie schnell reagierten. Zudem ist das allgemeine Interesse an dem Gebiet groß, und die Forschenden haben die Aussicht, schnell publizieren zu können. Sie haben durch Arbeitsteilung große Datenmengen er- und zur Verfügung gestellt. Von einem solchen Beispiel berichtet einer der folgenden Beiträge. Die drei anderen liefern Einblicke in Methoden, Moleküle und Zellen.<h2>Zwei Fragen an den Koordinator: Mark Helm</h2>Was ist das größte Hindernis für bessere Forschung in Deutschland? Bürokratie. Kreativität aus den Instituten wird auf allen Ebenen eingehegt. Axel Brennicke hat sich jahrelang unter dem Titel „Ansichten eines Profs“ den Frust über die eigene lokale Verwaltung von der Seele geschrieben. Viele haben das gelesen und verstanden, aber das gilt sicher nicht für die Verwaltung. Ausgabensteigerung für R&amp;D im einstelligen Prozentbereich werden uns nichts nützen, wenn sich gleichzeitig die Zahl der Schreibtische verdoppelt.Wie wird die Coronapandemie Forschende beeinflussen?Long Covid im übertragenen Sinne wird in einigen Monaten besonders junge selbstständige Forscher treffen. Sie haben weniger Fördermittel, Rekrutierungsmöglichkeiten unter Studierenden, Laborfläche, Präsenzzeit, Kontakt zu Mentoren und vor allem die Bühne der Tagungen, um Netzwerke zu etablieren.Mark Helm ist Professor für pharmazeutische Chemie an der Universität Mainz. Die Beiträge zum Trendbericht kommen von Marie-Luise Winz, Stephan Hacker, Martin Hengesbach und Frederik Lermyte. Winz ist seit 2020 Professorin für pharmazeutische und medizinische Chemie an der Universität Mainz. Hacker leitet seit 2017 eine unabhängige Nachwuchsgruppe an der Technischen Universität München. Hengesbach ist Nachwuchsgruppenleiter an der Universität Frankfurt, und Lermyte ist Professor an der Technischen Universität Darmstadt.<div><img src="https://media.graphcms.com/rDLQlennT0e9sQeiIBrr">

</div>

Artikel

Trendbericht Biochemie: Vorwort

Wie funktioniert die Qualitätskontrolle, wenn Ribosome genetische Information aus der mRNA in Proteine übersetzen? Welche Einblicke in die Biochemie der Coronaviren liefert die spektroskopische Methode Fret an einzelnen Molekülen? Wie hilft Massenspektrometrie gegen Viren wie Sars-CoV-2? Und wie...

<h2>Translations-Qualitätskontrolle: Rettung, wenn die Proteinsynthese schiefläuft</h2>Die Proteinbiosynthese – Translation – ist einer der zentralen Prozesse des Lebens. Darin übersetzen Ribosomen die genetische Information aus der mRNA in Proteine. Jeweils drei Basen bilden ein Codon, das für eine Aminosäure codiert und durch Basenpaarungen mit dem Anticodon der Transfer-RNA (tRNA) abgelesen wird. tRNAs transportieren die Aminosäuren in das katalytische Zentrum des Ribosoms, wo sie zum Protein verknüpft werden.Obwohl Translation streng reguliert ist, entstehen etwa durch DNA-Mutationen, Ablese- und Prozessierungsfehler oder Schäden auf RNA-Ebene fehlerhafte, potenziell pathogene Proteine.1) Diese können Aggregate bilden und schaden vor allem Nervenzellen. Um dies zu vermeiden haben Zellen Mechanismen entwickelt, die sowohl während als auch nach der Translation greifen. In eukaryotischen Zellen gibt es mehrere Mechanismen zur Kontrolle der Translationsqualität (Abbildung 1a).<figure><img src="https://media.graphcms.com/gWQbUmbASOu5wLqwBbAW"><figcaption><label>Abb. 1: </label>a) Eukaryotische Translations-Qualitätskontrollwege und ihre Abbautargets. Nonsense-mediated Decay (NMD) erkennt vorzeitige Stop-Codons, baut mRNA ab. Non-functional rRNA Decay (18S NRD) erkennt Mutation im Ablesezentrum der rRNA, baut rRNA ab. No-go Decay (NGD) erkennt Steckenbleiben (oder Kollision) von Ribosomen in der mRNA, baut mRNA ab. Nonstop Decay erkennt Steckenbleiben von Ribosomen am mRNA-3‘-Ende, baut mRNA ab. Ribosomen-assoziierte Qualitätskontrolle (RQC) baut die entstandenen Peptide ab. b) Schritte des NGD und c) Ribosomen-Dissoziation und RQC.</figcaption></figure>
<h2>Nonsense-mediated Decay bei vorzeitiger Translationstermination</h2>Vor zirka 40 Jahren wurde Nonsense-mediated Decay (NMD) entdeckt.2) Dieser Abbauweg erkennt Translationsabbrüche durch vorzeitige Stop-Codons, die durch Mutation, Ablesefehler oder fehlerhaftes Splicing zustande kommen. Die mRNA wird in einigen Spezies endonukleolytisch geschnitten, das schützende Cap vom 5‘-Ende entfernt, und dann wird von beiden Enden her exonukleolytisch abgebaut.2) NMD dient außerdem der Feinregulierung des Transkriptoms und betrifft zirka zehn Prozent unserer Gene. So trägt NMD unter anderem zur Regulation der Differenzierung bei.2,3)<h2>Nonstop und No-go Decay für Ribosomen, die stecken bleiben</h2>In den letzten 20 Jahren wurden weitere Kontrollwege entdeckt, die auf das Steckenbleiben von Ribosomen innerhalb der mRNA reagieren. Diese Wege sind eng miteinander verzahnt und nutzen teils dieselben Effektoren.Nonstop Decay4) detektiert Ribosomen, die am mRNA-3‘-Ende steckenbleiben. Normalerweise signalisiert ein Stop-Codon das Ende der codierenden Sequenz; das Ribosom wird dissoziiert und das entstandene Protein freigesetzt. Fehlt ein Stop-Codon, etwa durch Ablese- oder Verarbeitungsfehler, dissoziieren Ribosom und entstandenes Peptid nicht. Beim Nonstop Decay übernehmen dies andere Faktoren, und die betroffene mRNA wird abgebaut.Auch weitere mRNA-Eigenschaften führen zum Steckenbleiben: Sekundärstrukturen, bestimmte Codonfolgen wie Poly(A), das Fehlen bestimmter tRNAs und chemische Beschädigung der mRNA.1) Hier greift das No-go Decay (NGD, Abbildung 1b, S. 51).5) Im kanonischen, zuerst entdeckten Teil des NGD kommt es zur endonukleolytischen mRNA-Spaltung,6) woraufhin die Fragmente von beiden Seiten abgebaut werden. Seit kurzem ist ein weiterer NGD-Zweig charakterisiert: Ein Großteil der mRNA wird ohne vorherige endonukleolytische Spaltung abgebaut.6) Alternativ dazu dissoziieren steckengebliebene Ribosomen auch ohne mRNA-Abbau, wodurch nachfolgende Ribosomen weiter translatieren können.7)<h2>Ribosomen-assoziierte Qualitätskontrolle</h2>Sowohl bei NGD als auch bei NSD sorgen spezifische Faktoren für Ribosomendissoziation und Recycling (Abbildung 1c, S. 51). Strukturell ähnelt dies der kanonischen Translationstermination. Jedoch fehlt die Peptidyl-tRNA-Hydrolase-Aktivität. Daher bleibt die C-terminale tRNA mit dem entstandenen Peptid verknüpft, und beide bleiben in der großen ribosomalen Untereinheit. Das Peptid wird dann über die Ribosomen-assoziierte Qualitätskontrolle (RQC, Abbildung 1c)1) durch den RQC-Komplex und das Proteasom abgebaut. Der RQC-Komplex enthält eine Ubiquitinligase, die das naszierende Peptid an Lysinresten ubiquitiniert und so den proteasomalen Abbau vermittelt. Da nicht immer Lysinreste zugänglich sind, wird ein nicht codierter C-terminaler Alanin-Threonin(CAT)-Schwanz angefügt.1) Er schiebt das Peptid, das oft Lysine enthält, aus dem Exit-Tunnel. Weitere Faktoren spalten das Peptid von der letzten tRNA, extrahieren es aus der großen ribosomalen Untereinheit und überführen es zum Proteasom.1) Diese Schritte stehen im Gleichgewicht miteinander. Fehlt allerdings die Abspaltung der tRNA oder die Ubiquitinierung der naszierenden Kette, führen die CAT-Tails zu erhöhter Proteinaggregation.1)<h2>Defekte Ribosomen – non-functional rRNA Decay</h2>Ein weiterer Grund für Probleme in der Translation sind Mängel am Ribosom selbst, das aus RNA- und Proteinkomponenten besteht. Erstgenannte sind sowohl im Ablesezentrum als auch im katalytischen Peptidyltransferase-Zentrum entscheidend. Unterschiedliche Defekte werden mit Faktoren der Translations-Qualitätskontrolle behoben: Mängel in der Prozessierung der ribosomalen RNA (rRNA)8) und Mutationen am Decodierungszentrum.9) Die mutierte rRNA wird in Translationskomplexen detektiert und schließlich über einen eigenen Kontrollweg abgebaut, den 18S non-functional rRNA Decay (18S NRD).9) Bei Mutationen im Peptidyltransferasezentrum akkumuliert dagegen die betroffene rRNA in Zellkernnähe; sie wird über einen eigenen, nicht translationsabhängigen Qualitätskontrollmechanismus entfernt.9)<h2>Trigger für die Qualitätskontrolle</h2>Was ist das Erkennungsmerkmal dieser Qualitätskontrollwege? Nicht immer lässt sich das klar beantworten. Bei NMD detektieren Zellen vorzeitigen Abbruch anhand eines zu großen Abstands zwischen terminierendem Ribosom und Poly(A)Schwanz oder anhand von Exon-Junction-Komplexen (an den Nahtstellen zweier Exons) hinter dem Stop-Codon.2)Bei NGD und RQC wurde erst in den letzten Jahren deutlich, dass Kollisionen zwischen steckengebliebenem und folgendem Ribosom die Strukturbasis der Erkennung bilden.5) Neben biochemischen Hinweisen haben mittlerweile Kryo-EM-Studien Strukturen solcher kollidierter Komplexe geliefert. Die Erkennung einer Kollision führt zu einer regulatorischen Ubiquitinierung von Proteinen der kleinen ribosomalen Untereinheit5) und löst daraufhin NGD und RQC aus, und zwar mit dem kürzlich entdeckten RQC-Trigger-Komplex.5)<h2>Menschliche Gesundheit und Therapieansätze</h2>Fehler im RQC begünstigen die Proteinaggregation. Seit seiner Entdeckung ist RQC mit neurodegenerativen Erkrankungen1) und neurologischen Entwicklungsstörungen10) in Verbindung gebracht worden (Abbildung 2a). Ein Großteil der Erkrankungen bricht meist erst im fortgeschrittenen Alter aus, etwa Parkinson oder amytrophe Lateralsklerose (ALS).<figure><img src="https://media.graphcms.com/AY7QaF08QI6lJvvFyAMD"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Auswirkungen von a) Ribosomen-assoziierter Qualitätskontrolle (RQC) und b) Nonsense-mediated Decay (NMD) auf die menschliche Gesundheit. Therapieansätze: c) zur Modulierung von NMD und d) zur Aktivierung von No-go Decay (NGD).</figcaption></figure>
Der NMD-Kontrollweg selbst wurde im Zusammenhang mit der Erbkrankheit β-Thalassämie entdeckt, einer Erkrankung der roten Blutkörperchen, bei der nicht ausreichend Hämoglobin gebildet wird.11) Das β-Globingen enthält hier ein vorzeitiges Stop-Codon, und NMD destabilisiert die mRNA. Schützt NMD heterozygote Träger der Mutation vor dem negativen Effekt zu kurzer β-Globinvarianten, so führt er bei homozygoten Trägern zum Mangel an β-Globin und damit zu schwerer Anämie.Schätzungen zufolge beruhen zirka 30 Prozent aller genetischen Erkrankungen auf vorzeitigen Stop-Codons.11) Wie bei der β-Thalassämie greift NMD als zellulärer Schutzmechanismus in vielen Fällen bei heterozygoten Trägern. In anderen Fällen verschlimmert NMD jedoch bei homozygoten und heterozygoten Trägern den Phänotyp, je nachdem, ob die verkürzte Variante voll oder teils funktionsfähig ist oder toxisch wirkt (Abbildung 2b). NMD kann also sowohl schützen als auch Krankheiten bedingen.3,11)Auch bei Krebserkrankungen ist NMD wichtig, da NMD häufig Tumor-Suppressorgene inaktiviert. Ferner wird oft durch NMD die Expression mutierter Proteine gehemmt, die als Antigene der Erkennung der Krebszellen durch das Immunsystem dienen.3) Daher gilt NMD als Therapietarget (Abbildung 2c).Kleine Moleküle können NMD modulieren3) und ein allgemeines Durchlesen vor allem vorzeitiger, aber auch regulärer Stop-Codons erzielen.11) Ein solcher Ansatz käme auch zur Unterstützung einer Immuntherapie gegen Krebs in Betracht. Mit Antisense-Oligonukleotiden (ASO) ist dagegen eine gezieltere Therapie möglich, ohne die Translationstermination generell zu beeinflussen. Um ein zwar verkürztes, aber möglicherweise funktionsfähiges Protein zu erhalten, lässt sich die Inklusion von Exons mit vorzeitigen Stop-Codons verhindern. Auf diese Weise wirken zwei kürzlich zugelassene ASO-Medikamente zur Behandlung zweier Formen von Duchenne-Muskeldystrophie.12)ASO können die Exon-Exon-Junction maskieren. So kann der Exon-Junction-Komplex nicht mehr binden,13) was die Erkennung des vorzeitigen Stop-Codons verhindert. Ebenfalls können ASO Ribosomen blockieren und dadurch NGD auslösen,14) was auch diesen Kontrollweg therapeutisch nutzbar machen könnte (Abbildung 2d). Viele dieser Ansätze befinden sich noch in der Entwicklung. Angesichts der Erfolge in der Bekämpfung der Spinalen Muskelatrophie mit dem ASO-Medikament Nusinersen sind die Hoffnungen begründet.Marie-Luise Winz,Universität Mainz<a href="mailto:mwinz@uni-mainz.de">mwinz@uni-mainz.de</a>
<ul class="references"><li>
1 C. A. P. Joazeiro, Nat. Rev. Mol. Cell Biol. 2019, 20(6), 36</li><li>
2 N. Hug, D. Longman, J. F. Cáceres, Nucleic Acids Res. 2016, 44 (4), 1483</li><li>
3 K. Pawlicka, U. Kalathiya, J. Alfaro, Cancers 2020, 12 (3)</li><li>
4 P. A. Frischmeyer, A. van Hoof, K. O’Donnell, A. L. Guerrerio, R. Parker, H. C. Dietz, Science 2002, 295 (5563), 2258</li><li>
5 K. T. Powers, J.-Y. A. Szeto, C. Schaffitzel, Curr. Opin. Struct. Biol. 2020, 65, 11</li><li>
6 K. N. D’Orazio, C. C. Wu, N. Sinha, R. Loll-Krippleber, G. W. Brown, R. Green, Elife 2019, 8</li><li>
7 S. Juszkiewicz, S. H. Speldewinde, L. Wan, J. Q. Svejstrup, R. S. Hegde, Mol. Cell 2020, 79 (4), 603.e8</li><li>
8 A. Sarkar, M. Thoms, C. Barrio-Garcia, E. Thomson, D. Flemming, R. Beckmann, E. Hurt, Nat. Struct. Mol. Biol. 2017, 24 (12), 110</li><li>
9 S. E. Cole, F. J. LaRiviere, C.N. Merrikh, M. J. Moore, Mol. Cell. 2009, 34 (4), 440</li><li>
10 P. B. Martin, Y. Kigoshi-Tansho, R. B. Sher et al., Nat. Commun. 2020, 11 (1), 4625</li><li>
11 J. N. Miller, D. A. Pearce, Mutat. Res. Mutat. Res. 2014, 762, 52</li><li>
12 K. Dhuri, C. Bechtold, E. Quijano et al., Clin. Med. 2020, 9 (6), 2004</li><li>
13 T. T. Nomakuchi, F. Rigo, I. Aznarez, A. R. Krainer, Nat. Biotechnol. 2016, 34 (2), 164–166</li><li>
14 X. Liang, J. G. Nichols, C.-W. Hsu, T. A. Vickers, S. T. Crooke, Nucleic Acids Res. 2019, 47 (13), 6900–6916</li></ul>

Artikel

Trendbericht Biochemie: Vorwort

Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...