Wissenschaft + Forschung

&Uuml;ber das gesamte Jahr verteilt publiziert die Redaktion der Nachrichten aus der Chemie Trendberichte &uuml;ber alle chemischen Disziplinen hinweg.

Trendberichte

Dr.-Ing.

Trendbericht

Makromolekulare Chemie

Wie das letzte Jahr zeigte, ist die Forschung über Polymere und ihre Aggregate wichtig, um die Coronapandemie einzudämmen. Darüber hinaus gab es in der makromolekularen Forschung eine Vielzahl an Neuerungen und wegweisende Entwicklungen, etwa bei Materialien und polymerbasierter Elektronik. Diese...

Die Gesteinsschichten unterhalb des Bodens, den Pflanzen und Tiere nutzen, galten lange als unbelebt. Erst in den letzten zehn Jahren fand die Wissenschaft heraus, dass die Biosph&auml;re der Erde sich unerwartet weit in die Tiefe ausdehnt. Manche Arten leben sogar von Kernenergie.
Gelegentlich haben Bohrungen in tiefe Gesteinsschichten &uuml;berraschende Mikroben zutage gef&ouml;rdert. Doch diese Ergebnisse wurden lange nicht ernst genommen, da nicht auszuschlie&szlig;en war, dass es sich vielleicht um Verunreinigungen durch Lebewesen der Oberfl&auml;che handelte. Schlie&szlig;lich muss jede Bohrung in die Tiefe zun&auml;chst die dicht besiedelte Oberfl&auml;che durchqueren. Eine solche Kontamination auszuschlie&szlig;en erfordert besondere Vorkehrungen. Und niemand machte sich die M&uuml;he &ndash; schlie&szlig;lich war die allgemeine Erwartung, in tiefen Gesteinsschichten gebe es sowieso keine Energiequellen f&uuml;r Lebewesen.
Dies &auml;nderte sich erst im Jahr 1993. Da wiesen Todd Stevens und James McKinley in Basaltgestein mehrere hundert Meter tief unter der Oberfl&auml;che im US-Bundesstaat Washington Bakterien nach, die aus Wasserstoff Methan erzeugen. Dass diese Mikroben energetisch autark sind, zeigten Experimente der Forscher: Basalt katalysiert die Zersetzung von Wasser zu Wasser- und Sauerstoff; die Mikroben hatten somit eine Wasserstoffquelle vor Ort.1)
<h2>Ein Reisender</h2>
Obwohl zun&auml;chst ein Einzelfall, motivierte dieses Ergebnis andere Forscher zu Projekten, die oft von Bergwerkssch&auml;chten ausgingen. In der Goldmine Mponeng in S&uuml;dafrika, 2,8 km unter der Oberfl&auml;che, wurde dann im Jahr 2008 eine neue Bakterienart entdeckt: Candidatus Desulforudis audaxviator, ein gram-positives, sulfatreduzierendes Bakterium. Der &bdquo;wagemutige Reisende&ldquo; (audax viator) im Namen leitet sich von einer Inschrift ab, welche die H&ouml;hlenforscher aus Jules Vernes Roman &bdquo;Reise zum Mittelpunkt der Erde&ldquo; entnahmen (Descende, audax viator, et terrestre centrum attinges).
D. audaxviator brachte einige &Uuml;berraschungen mit sich. Die Art schien alleine in ihrer Umgebung zu gedeihen, stellte also m&ouml;glicherweise ein &Ouml;kosystem aus nur einer Art dar. Allerdings w&auml;re es auch denkbar, dass andere Arten so fest im Gestein verankert sind, dass sie der Probennahme erfolgreich widerstanden.1)
Die Energiequelle der Bakterien ist Wasserstoff, der in ihrer Umgebung aus nat&uuml;rlicher Radioaktivit&auml;t entsteht. Letztlich bezieht diese Art ihre Energie also nicht von der Sonne, sondern aus Kernenergie. Den Wasserstoff setzt sie mit Sulfat um. Mit Sauerstoff kann sie nicht umgehen, sie ist strikt anaerob. Diese Eigenschaft f&uuml;hrt zum n&auml;chsten Paradoxon: D. audaxviator ist inzwischen auf mehreren Kontinenten nachgewiesen &ndash; aber es ist immer noch unklar, wie der wagemutige Reisende um die Welt gereist sein k&ouml;nnte, ohne von Sauerstoff get&ouml;tet zu werden.
Olga Karnachuk von der Staatsuniversit&auml;t Tomsk, Russland, hat D. audaxviator in einer Wasserader tief unter dem Boden des westlichen Sibiriens isoliert und dann im Labor kultiviert.2) Entgegen der Annahme, dass Organismen aus extrem lebensfeindlichen Umgebungen eher langsam gedeihen, teilten sich die Bakterien im Labor bereits nach gut 28 Stunden. Sie nutzten statt des Wasserstoffs organische Molek&uuml;le als Reduktionsmittel, und sie ben&ouml;tigten metallisches Eisen.
Die Genomsequenz des sibirischen Isolats stimmte nahezu mit der von Bakterien aus S&uuml;dafrika &uuml;berein. Selbst hochvariable Regionen schienen sich kaum ver&auml;ndert zu haben, obwohl es seit dem Zerbrechen des Superkontinents Pang&auml;a vor 165 bis 55 Millionen Jahren keine erkennbare geologische Verbindung zwischen S&uuml;dafrika und Sibirien mehr gibt.
Die Arbeitsgruppe von Ramunas Stepanauskas vom Bigelow Laboratory for Ocean Sciences in East Boothbay, USA, hat daraufhin 126 Genome von D. audaxviator aus Afrika, Eurasien und Nordamerika sequenziert und verglichen. Demnach weisen die Bakterien rund um den Globus eine genetische &Auml;hnlichkeit auf, die sich nicht mit ihrer anaeroben Natur und den geologischen Zusammenh&auml;ngen vereinbaren l&auml;sst.3)
Nachdem die Forscher:innen alle denkbaren Erkl&auml;rungen einschlie&szlig;lich der Ausbreitung von Sporen in Gasvesikeln gepr&uuml;ft und ausgeschlossen hatten, blieb nur eine &uuml;brig: Die Bakterien mutieren vermutlich deutlich langsamer als alle bisher untersuchten Arten. Woran das liegen kann, wollen sie noch herausfinden. Ein erster Versuch war, die DNA-Polymerase und deren Fehlerkorrektur zu untersuchen. Sie erwies sich als recht zuverl&auml;ssig und etwas besser als die bei der Polymerasekettenreaktion verwendete Taq-Polymerase (aus Thermus aquaticus). Doch ihre Leistung setzte keine neuen Weltrekorde und erkl&auml;rt f&uuml;r sich allein das Paradoxon nicht. Sollten diese Untersuchungen tats&auml;chlich neue Mechanismen der extrem genauen DNA-Vervielf&auml;ltigung zutage f&ouml;rdern, w&auml;re dies interessant f&uuml;r biotechnische Anwendungen.
<h2>Volksz&auml;hlung im Untergrund</h2>
Die Biosph&auml;re in tiefen Gesteinsschichten systematisch zu erfassen wurde erstmals im interdisziplin&auml;ren Forschungsprojekt Deep Carbon Observatory versucht, das in den Jahren 2009 bis 2019 lief. Die Projektabteilung &bdquo;Deep Life&ldquo; &ndash; geleitet von Isabelle Daniel von der Universit&eacute; Claude Bernard in Lyon &ndash; f&uuml;hrte hunderte Bohrungen durch, um den Untergrund bis zu 5 km unter der Kontinentaloberfl&auml;che und bis zu 2,5 km unter dem Meeresboden zu erfassen.
Wie die Forscher:innen aufgrund dieser Stichproben errechneten, ist das Volumen des Lebensraums unter der Erde mit zwei Milliarden Kubikkilometern rund doppelt so gro&szlig; wie das aller Ozeane zusammen. Den in diesem Volumen verf&uuml;gbaren Kohlenstoff (in Lebewesen, der mit Mineralien wie Carbonaten im Austausch steht) sch&auml;tzten sie auf rund 20 Milliarden Tonnen, also etwa 300 Mal so viel, wie die gesamte Weltbev&ouml;lkerung auf die Waage bringt. Die Zahlen k&ouml;nnen noch steigen, denn eine Maximaltiefe f&uuml;r das Leben unter der Erde ist bisher nicht bekannt.
&Uuml;berraschenderweise ist die Artenvielfalt der Mikroben im Gestein &auml;hnlich gro&szlig; wie die an der Oberfl&auml;che. Das widerspricht der Erwartung, dass die geringere Diversit&auml;t an Lebensr&auml;umen und &ouml;kologischen Nischen auch die Biodiversit&auml;t einschr&auml;nkt.
Unter der Erde gibt es also noch viel zu entdecken. Und durch die Stilllegung von Bergwerken gibt es viele Orte, an denen tiefe Gesteinsschichten leicht zug&auml;nglich sind.
So wurde etwa die Homestake-Goldmine im US-Bundesstaat S&uuml;d-Dakota nach ihrer Stilllegung und &Uuml;bergabe an den Staat zu einem Untergrund-Labor, dem Sanford Underground Research Facility (Surf). Innerhalb der Surf-Anlage hat Magdalena Osburns Arbeitsgruppe von der Northwestern University in Evanston ein geochemisch stabiles Portal eingerichtet, um die Untergrund-Biosph&auml;re zu untersuchen: das deep mine microbial observatory (Demmo).
Osburn und Mitarbeiter:innen entnahmen mineralreiche Fluide aus Gesteinsritzen durch Bohrungen bis in 1500 Metern Tiefe. Die Zusammensetzung dieser Fl&uuml;ssigkeiten erwies sich &uuml;ber zwei Jahre als stabil und jahreszeitenunabh&auml;ngig. Osburns Mitarbeiterin Caitlin Casar hat vor Ort das Gedeihen von mikrobiellen Biofilmen zun&auml;chst auf spezifischen Mineralien6) und dann auf typischen Gesteinsproben untersucht (Abbildung, S. 68).7) Demzufolge h&auml;ngt die mikrobielle Besiedlung vor allem vom biologisch definierten Energiegehalt der Mineralien ab, also davon, was die Mikroben verwerten k&ouml;nnen: Leicht zu oxidierende Eisen(II)-Mineralien wie Pyrit gelten in der Geobiologie als energiereich. Sie ern&auml;hren mehr Biomasse als andere, energiearme Mineralien wie Gips, H&auml;matit oder Magnetit (Abbildung oben).
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<figcaption><label>Abb. 1: </label>Brittany Kruger vom Deep Mine Microbial Observatory nimmt Proben in einer fr&uuml;heren Goldmine in South Dakota, USA. Sie untersucht, wie mikrobielle Biofilme auf Gesteinsproben wachsen. Foto: Caitlin Casar</figcaption>
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<figure><img src="https://media.graphcms.com/fG1tZTp8QXehdeaWZGac" />
<figcaption><label>Abb. 2: </label>Im Rasterelektronenmikroskop: Biofilmgemeinschaften auf Oberfl&auml;chen von Glas- und polierten Mineralabschnitten, inkubiert in Reaktoren. Die Proben stammen aus verschiedenen Tiefen des Deep Mine Microbial Observatory (DMMO). Ma&szlig;stabsbalken 10 &mu;m. aus Geobiol. 2020, 18, 508</figcaption>
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Um das mikrobielle Biotop in den Gesteinsschichten ihres Untergrundportals zu charakterisieren, studierte Lily Momper zusammen mit Casar und Osburn Metagenome.8) Sie rekonstruierten damit mehr als 600 Genome, die wahrscheinlich ebensoviele Arten repr&auml;sentieren. Davon sind viele noch nicht kultiviert, m&ouml;glicherweise auch nicht kultivierbar. Manche lassen sich etablierten Gruppierungen wie den Proteobacteria oder Nitrospira zuordnen, andere sind taxonomisch neu.
Casar hat aufbauend auf dieser Studie in den Metagenomdaten Gene identifiziert, die auf ein bakterielles &Ouml;kosystem hindeuten, das eisengetrieben ist.9) Angesichts der H&auml;ufigkeit von Eisenmineralien in der geologischen Formation des Untergrundlabors und in der Erdkruste im Allgemeinen k&ouml;nnten diese Eisen-&Ouml;kosysteme bisher ungeahnte Ausma&szlig;e haben.
Der promovierte Chemiker Michael Gro&szlig; ist freier Wissenschaftsjournalist in Oxford, England.
<h2>AUF EINEN BLICK</h2>
Erst seit 1993 sind Mikroben bekannt, die mehrere hundert Meter tief unter der Erdoberfl&auml;che leben.
Im Jahr 2008 wurde Candidatus Desulforudis audaxviator knapp 3 km unter der Erde entdeckt, ein gram-positives, sulfatreduzierendes Bakterium. Obwohl strikt anaerob, ist es quer &uuml;ber den Globus verteilt.
Die Artenvielfalt der Mikroben im Gestein ist &auml;hnlich gro&szlig; wie die an der Oberfl&auml;che. Kein Wunder: Das Volumen des Lebensraums unter der Erde mit zwei Milliarden Kubikkilometern ist rund doppelt so gro&szlig; wie das aller Ozeane zusammen.
<ul class="references">
<li>1 K. W. Plaxco, M. Gro&szlig;, Astrobiologie f&uuml;r Einsteiger, Wiley-VCH 2012</li>
<li>2 O. Karnachuk et al. ISME J. 2019, 13, 1947&ndash;1959</li>
<li>3 R. Stepanauskas et al. ISME J. 2021, doi: <ext-link ext-link-type="doi">10.1038/s41396&ndash;021&ndash;00965&ndash;3</ext-link></li>
<li>4 C. Magnabosco et al., Nat. Geosci. 2018, 11, 707&ndash;717</li>
<li>5 M. R. Osburn Front. Earth Sci. 2019, 7, 196</li>
<li>6 C. P. Casar et al., Geobiology 2020, 18, 508&ndash;522</li>
<li>7 C. P. Casar, B. R. Kruger, M. R. Osburn, Front. Microbiol. 2021, doi: <ext-link ext-link-type="doi">10.3389/fmicb.2021.658988</ext-link></li>
<li>8 L. Momper, C. P. Casar, M. R. Osburn, BioRxiv 2021, doi: <ext-link ext-link-type="doi">10.1101/2021.05.06.442964</ext-link></li>
<li>9 C. P. Casar et al., Appl. Environ. Microbiol. 2021, doi: 10.1128/AEM.00832-21</li>
</ul>

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