Antibiotika alternieren | Zwei Antibiotika abwechselnd einzunehmen könnte helfen, resistente Keime einzudämmen. Dies ermittelten Forscher:innen vom MPI für Evolutionsbiologie in Plön. Zeitweise zirkulieren dadurch beide Arzneimittel im Körp...
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Trendbericht Technische Chemie 2023
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Die Energiewende stellt neue Forderungen an die Verfügbarkeit von Rohstoffen – das verändert das Aufgabengebiet der technischen Chemie. Gefragt sind neue Methoden, um lastflexible Reaktoren zu optimieren, und Prozesse, die sich an die Verfügbarkeit von Ressourcen anpassen.
Die Suche nach saubereren und nachhaltigeren chemischen Prozessen verschiebt in der technischen Chemie den Fokus der Forschung, und die Umstellung von fossilen auf erneuerbare Ressourcen verursacht dabei die größten Herausforderungen. Fossile Brennstoffe wie Erdgas, Kohle und Erdöl stammen in der Regel aus großen Lagerstätten, aus denen sie sich in erheblichen Mengen und kontinuierlich über lange Zeiträume gewinnen lassen. Nachwachsende und erneuerbare Rohstoffe hingegen sind nicht immer verfügbar, das heißt, sie lassen sich nur dann nutzen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, und auch dann schwankt die in einem bestimmten Zeitraum verfügbare Energiemenge. Solarenergie ist beispielsweise nur bei Tageslicht und mit einem schwankenden Lastprofil tagsüber und über die Jahreszeiten hinweg verfügbar. Auch fallen die erneuerbaren Ressourcen in der Regel verteilt an, sodass für eine ausreichende Menge an Energie größere Flächen erforderlich sind – im Gegensatz zu den fossilen Ressourcen, die in der Regel aus einer oder wenigen Punktquellen gewonnen werden. Aus diesem Grund arbeiten die Verfahren, die erneuerbare Energie umwandeln, mit kleineren Kapazitäten als die derzeit verfügbaren fossilen Techniken.1)
Wenn mit erneuerbaren Ressourcen Grundchemikalien hergestellt werden, ist die Standardproduktionskette zu überdenken, um den Eigenschaften der Ausgangsstoffe besser gerecht zu werden. Insbesondere müssen sich die chemischen Reaktoren besser an die inhärente Variabilität der Rohstoffverfügbarkeit anpassen. Als Beispiel zeigt Abbildung 1 ein typisches Jahresprofil des Wind- und Photovoltaikpotenzials in der Stadt Zürich. Man beobachtet zwei Trends: eine kurzfristige Variabilität (Tag-Nacht-Zyklen) und eine langfristige Variabilität (jahreszeitliche Unterschiede). Die kurzfristige Variabilität lässt sich zumindest teilweise durch Spitzenlastreduzierung kompensieren, zum Beispiel durch Batterien, die Strom zwischenspeichern, oder durch die Produktion chemischer Zwischenprodukte wie H2, um diese vorübergehend (in Drucktanks) zu speichern. Der Strom wird in den meisten Fällen zunächst in einem elektrochemischen Syntheseschritt umgewandelt, der relativ flexibel ist und sich an die in Abbildung 1 dargestellten Profile anpassen kann.2) Die langfristige Variabilität ist hingegen schwieriger zu bewältigen: Sie führt dazu, dass die Rohstoffverfügbarkeit erheblich schwankt und sich die chemischen Umwandlungsverfahren an die unterschiedlichen Lastprofile im Lauf der Jahreszeiten anpassen müssen – eine große Herausforderung, da die chemischen Reaktoren derzeit für einen kontinuierlichen Betrieb optimiert sind.3,4)
Grundchemikalien herstellen
Erhebliche Forschungsanstrengungen gehen dahin, die Auslegungsmethoden zu überdenken und chemische Reaktoren mit mehreren Arbeitspunkten zu entwerfen. Abbildung 2 zeigt, wie sich Grundchemikalien mit erneuerbarem Strom herstellen lassen. Der erste Schritt ist ein elektrochemischer Prozess, der darauf abzielt, Strom direkt in Chemikalien umzuwandeln, entweder über eine H2-Produktion oder die direkte Synthese anderer Chemikalien. Die H2-Produktion ist je nach Elektrolysetechnik unterschiedlich flexibel. Die gebräuchlichsten Elektrolyseverfahren, die alkalische und die Protonenaustauschmembranelektrolyse, reagieren innerhalb von Sekunden auf Lastwechsel und gehen innerhalb weniger Minuten in Betrieb.5)
H2 bildet dann die Grundlage mehrerer möglicher chemischer Synthesewege für Grundchemikalien. Zu den wichtigen Zwischenprodukten gehören Synthesegas, Methan, Methanol und Ammoniak. Auf diese Verbindungen kann die chemische Industrie nicht verzichten, und ihre Herstellung aus H2 ist eine große Herausforderung. In den letzten Jahren hat man intensiv daran geforscht, vor allem im Hinblick auf eine Flexibilisierung der Synthesewege.
Synthesegas entsteht aus CO2 und H2 bei hoher Temperatur in einer endothermen Reaktion (umgekehrte Wasser-Gas-Konvertierung); besonderes Augenmerk liegt auf der Wärmeübertragung, um die nötige Reaktionswärme bereitzustellen.6)
Methanol entsteht aus CO2 und H2 unter hohem Druck und mit geringem Umsatz, was ein Recycling der nicht umgesetzten Edukte erfordert – das ist schwierig im lastflexiblen Betrieb, da je nach Lastfall unterschiedliche stationäre Bedingungen einzustellen sind.7)
Methan wird aus CO2 und H2 in einer stark exothermen Reaktion erzeugt, sodass der Reaktor so ausgelegt sein muss, dass die überschüssige Wärme aus der Reaktion unabhängig vom Durchsatz effizient frei werden kann.8)
Ammoniak entsteht aus N2 und H2 in einem exothermen Prozess bei hoher Temperatur, der ähnliches Augenmerk bei der Reaktorauslegung erfordert wie bei Methanol.9)
Eine mögliche Antwort auf die Frage nach flexibler Stromumwandlung liefern direkte elektrochemische Syntheseverfahren: Dabei dienen Elektronen unmittelbar als Reagenzien, um Reaktionen in Gang zu setzen. Diese Verfahren haben sich bei der Herstellung von Basischemikalien wie H2, NH3, CH4, CH2O, CH3OH und vielen anderen als grundsätzlich geeignet erwiesen.10,11) Strom und CO2 direkt zu nutzen, um Chemikalien herzustellen, gewinnt in der Forschung zunehmend an Bedeutung und könnte in naher Zukunft eine grundlegende Lösung für die Dekarbonisierung der Energiesysteme sein.12) Im Prinzip sind diese Systeme äußerst flexibel und lassen sich in relativ kurzer Zeit in Betrieb nehmen. Auch ist es denkbar, die Energieaufnahme an die verfügbare Elektrizität anzupassen, und zwar durch eine Modularisierung und das Anpassen der Spannung.13) Leider befinden sich diese Techniken – mit der bemerkenswerten Ausnahme der H2-Produktion – noch in den Kinderschuhen; außerdem ist es derzeit schwierig, die elektrochemischen Einheiten hochzuskalieren. Gegenwärtig zielt die großtechnische Herstellung nachhaltiger Chemikalien vorzugsweise auf thermochemische Prozesse mit H2, als Ausgangsmaterial, hergestellt mit Energie aus erneuerbaren Quellen.
Größenordnungen beachten
Bei einem belastungsflexiblen chemischen Reaktor als komplexem Problem spielen unterschiedliche Größenordnungen eine Rolle (Abbildung 3). Die chemische Reaktion findet auf molekularer Ebene statt, daher braucht es Modelle, die die chemische Reaktion simulieren sowie unerwünschte Effekte berücksichtigen, wie die Bildung von Nebenprodukten, die Deaktivierung des Katalysators und die Beschränkungen des Massen- und Wärmeübergangs auf Katalysatorpartikelebene. Idealerweise sollten die Verfahren zur Reaktorauslegung mikrokinetische Modelle umfassen, die die molekularen Phänomene mit hoher Genauigkeit beschreiben.14) Der Wärme- und Stoffübergang findet auch auf größerer Skala statt, da er durch die Strömung reaktiver Fluide festgelegt ist, deren Eigenschaften wiederum durch makroskopische Phänomene bestimmt sind. Um diese Phänomene zu kontrollieren, braucht es Sorgfalt beim Entwerfen des Reaktors.15) Die Reaktorauslegung erfordert das Einbeziehen von Wärme- und Massenbilanzen auf der Makroskala, auf der sich die Strömungsmuster definieren lassen. Im speziellen Fall der chemischen Prozesse, die mit der Stromerzeugung zusammenhängen, ist eine zusätzliche Komplexitätsebene notwendig. Die Energieverfügbarkeit schwankt nämlich auf einer größeren Zeitskala als die chemische Reaktion im Reaktor (Stunden versus Sekunden). Daher sollte das Modell einer lastflexiblen chemischen Produktion mit erneuerbaren Energien Gleichungen enthalten, welche die Leistungsschwankung des Reaktors über große Zeitskalen berücksichtigen und die Leistung des Systems in Bezug auf die Lastschwankungen bewerten.16)
Auch wirkt sich die Veränderung der zu verarbeitenden Gasmenge im Lauf der Zeit auf andere mit dem chemischen Reaktor verbundene Einheiten aus, zum Beispiel auf die CO2-Abscheidung im vorgelagerten Bereich oder die dem Reaktor nachgelagerten Produktaufbereitungseinheiten. Dies ist etwa bei den lastflexiblen Verfahren der Fall, die Biogas durch Methanisierung aufbereiten.17) Das Prozessmodell muss dann Elemente enthalten, um die Modellierungsgleichungen des Reaktors flexibel mit den Bilanzen anderer Einheiten zu koppeln. Mit dieser neuen Ebene der Multiskalenmodellierung beschäftigen sich seit einigen Jahren mehrere Forschungsgruppen; der folgende Abschnitt gibt einen Überblick über die bisherigen Ergebnisse.
Optimierungsmethoden für lastflexible Reaktoren
Die Optimierung eines lastflexiblen Reaktors unterscheidet sich erheblich von der eines normalen stationären Reaktors. Das Problem wird komplexer aufgrund mehrerer Arbeitspunkte, die zu deutlich unterschiedlichen Eigenschaften der Reaktion führen können. Sicherheitsgrenzen wie maximale Temperatur und Produktivitätsbeschränkungen, darunter die akzeptable Produktgaszusammensetzung, schränken zusätzlich ein, was das Problem bei bestimmten Betriebspunkten verschärft.
Im Fall der CO2-Methanisierung besteht die größte Herausforderung darin, die Reaktionswärme effizient abzuführen. Abbildung 4 fasst die Probleme zusammen, die beim Betrieb auftreten können. Normalerweise findet die Reaktion in Festbettreaktoren mit gekühlten Wärmetauscherflächen statt, deren hohes Verhältnis von Oberfläche zu Volumen für einen angemessenen Wärmeaustausch sorgt.19) Eine Laständerung führt dazu, dass sich die axiale Geschwindigkeit des Fluids ändert, was auf die Wärmeübertragungseigenschaften wirkt. Das wiederum hat mehrere Auswirkungen:20)
In erster Linie ändert sich möglicherweise die Größe des Hotspots, was den Katalysator aufgrund der höheren Temperatur stärker belastet. Im schlimmsten Fall kann dadurch sogar die Reaktion durchgehen. Zweitens kann sich das Temperaturprofil entlang der axialen Reaktorkoordinate verschieben, wodurch die chemische Reaktion früher oder später aktiviert wird. Dies verringert die Reaktorleistung, und die erforderliche Produktivität wird möglicherweise nicht erreicht. Drittens kann eine Änderung der Reaktorlast ein Fehlverhalten auslösen (wrong-way behaviour): Der Reaktor würde sich dann an einem anderen Punkt stabilisieren als erwartet.
Der naheliegendste Parameter, um solche unerwünschten Effekte bei der Änderung der Reaktordurchsätze zu vermeiden, ist die Kühlmitteltemperatur.21,22) Die größte Einschränkung dieses Ansatzes ist, dass er die Flexibilität des Kühlsystems einschränkt: Dessen dynamisches Verhalten ist durch die Konstruktion vorgegeben. Strategien zur Prozessintensivierung sind Gegenstand der Forschung; die wichtigsten Alternativen fasst Abbildung 5 zusammen. Bei Festbettreaktoren kommen in Frage:
Darüber hinaus sind andere Reaktortypen denkbar, etwa ein Wirbelschichtreaktor, bei dem die Wärmeübertragungseigenschaften weniger vom Beschickungsstrom abhängen.
Es hat sich gezeigt, dass eine gestaffelte Zufuhr der Edukte die Leistung des CO2-Methanisierungsreaktors unter stationären Bedingungen nicht verbessert, während sich das schrittweise Entfernen eines Produkts wie Wasser aus dem Gasstrom positiv auf die Reaktorleistung auswirken kann.. Die schrittweise Zugabe eines einzelnen Edukts (vorzugsweise CO2, um Verkokungen aufgrund des hohen C-H-Verhältnisses zu vermeiden) kann jedoch unter dynamischen Bedingungen vorteilhaft sein, da das Schwankungen im Hotspot der Reaktion begrenzt.24)
Wie sich kürzlich herausstellte, erhöhen mehrstufige Reaktoren die Gesamtleistung des lastflexiblen Methanisierungsreaktors. Noch besser ist es, wenn sich die Verdünnung des Katalysators über die Stufen hinweg ändert, wobei der Anteil des aktiven Katalysators über die axiale Koordinate des Reaktors zunimmt.25) Ein gestuftes Zuführen der Edukte und das Verdünnen des Katalysators im Reaktor lassen sich also kombinieren.
Der Katalysator lässt sich auf mehrere Arten verdünnen. Entweder werden aktive und inerte Teilchen vermischt; dabei ist es vorteilhaft, wenn der inerte Anteil allmählich abnimmt, um die Reaktionsgeschwindigkeit am Reaktoreinlass zu verringern und am Auslass zu erhöhen.4) Der inerte Anteil lässt sich auch durch einen Träger mit großer Wärmekapazität maßschneidern.26) Alternativ lassen sich Inertanteil und Katalysator in einer Egg-Shell- oder Core-Shell-Konfiguration mischen und so die unterschiedlichen Diffusionseigenschaften der beiden Schichten ausnutzen. Für die CO2-Methanisierungsreaktion sind Core-shell-Pellets vermutlich günstig, da sich dort eine diffusionsbegrenzende Schicht bildet, die die Reaktionsgeschwindigkeit bei hohen Temperaturen begrenzt, was in homogenen oder eierschalenförmigen Katalysatoren nicht passiert.8,27) Solche Katalysatoren lassen sich durch Wirbelschichtbeschichtung synthetisieren und die entsprechenden Reaktoren sind widerstandsfähiger gegen die Bildung übermäßiger Reaktionshotspots.28,29)
Katalysatoren nutzen
Strukturierte Katalysatoren für die CO2-Methanisierungsreaktion sind seit einigen Jahren Gegenstand mehrerer Forschungsarbeiten, und vor Kurzem zeigte sich das Prozessintensivierungspotenzial solcher Systeme mit verschiedenen Modellkatalysatoren. Getestet wurden etwa offenporige Schaumsysteme,30,31) monolithische Strukturen,32) Mini-Monolithen,33) Nanofasergewebe34) und Keramikfaser-basierte strukturierte Katalysatoren.35) Diese Lösungen funktionieren bei der dynamischen CO2-Methanisierungsreaktion, da sich der Einfluss der Gasgeschwindigkeit auf den Wärmeübertragungsmechanismus verringert. Tatsächlich ist der Beitrag der Wärmeleitung zum Gesamtwärmeübertragungskoeffizienten größer als in Standardschüttbettreaktoren. Dadurch ändert sich der Wärmeübergang bei einer anderen Gasgeschwindigkeit nicht stark, anders als bei der im Wesentlichen konvektiven Wärmeübertragung.36)
Eine weitere Möglichkeit, die Reaktionsgeschwindigkeit im Reaktor anzupassen und den Prozess robuster gegenüber Lastschwankungen zu machen, ist es, unterschiedliche Katalysatoren zu verwenden. Da verschiedene Katalysatoren unterschiedliche Reaktionsgeschwindigkeiten bedingen, lassen sich diese je nach der im Reaktor zu erwartenden Temperatur auswählen.37) Ähnlich wie bei der Katalysatorverdünnung ist es von Vorteil, wenn sich die Aktivität des Katalysators über die Reaktionskoordinate schrittweise erhöht.38) Dies wird möglich durch aufeinanderfolgende Katalysatorschichten mit unterschiedlichen aktiven Phasen oder durch unterschiedliche Formulierungen desselben Katalysators.39,40) Ein besonderer Vorteil dieser Lösung ist, dass sie robust ist gegenüber der Bildung unerwünschter kohlenstoffbildender Spezies im Hotspot (etwa CO), die sich in einem koksresistenten Folgeschritt selektiv umwandeln lassen.39,41)
Bei stark exothermen Reaktionen wie der Methanisierungsreaktion lohnt es sich mitunter, andere Optionen der Wärmeübertragung in Betracht zu ziehen, etwa den Katalysator zirkulieren zu lassen. In diesem Sinn ist der Wirbelschichtreaktor vielversprechend. In jüngster Zeit haben mehrere experimentelle Berichte die Machbarkeit dieses Reaktionsmodus gezeigt.42 – 44) Eine ähnliche Leistung erzielten Blasensäulenreaktoren für die Methanisierung.45) Das Fluidisierungsregime kann ausgeprägte Hotspots vermeiden und so die Leistung des Systems verbessern. Folglich ist der Wirbelschichtreaktor unter bestimmten Bedingungen aus wirtschaftlicher Sicht eine vielversprechendere Lösung als der Festbettreaktor.46) Wie dieses System auf Laständerungen reagiert, lässt sich über den Systemdruck einstellen, sodass das Wirbelschichtregime aufrechterhalten und ein guter Wärmeübergang im Reaktor gewährleistet bleibt.17) Die Hauptvorteile dieser Technik zeigen sich jedoch, wenn schwierigere Rohstoffe als reine H2-CO2-Gemische verarbeitet werden, etwa CO-CO2-Gemische, da das Zirkulieren des Katalysators dazu beiträgt, Deaktivierungserscheinungen zu vermeiden.15,47)
Flexible Nutzung von Biomasse
Die energetische Nutzung von Biomasse kann das Energiesystem flexibler machen. Die meisten Produkte aus der energetischen Nutzung von Biomasse enthalten CO2-Anteile, die aufgrund ihrer biogenen Natur als klimaneutral gelten. Aus diesem CO2 lassen sich entweder kohlenstoffneutrale synthetische Kraftstoffe mit erneuerbarem H2 herstellen, oder es wird abgeschieden und dauerhaft gespeichert, was zu negativen CO2-Emissionen führt. Im ersten Fall heißt das System Carbon Capture and Utilisation (CCU),48) im zweiten Fall Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (BECCS). Die BECCS-Strategien gelten derzeit als vielversprechende Wege, um schneller Kohlenstoffneutralität zu erreichen.49) Ein wichtiges unerschlossenes Potenzial liegt darin, beide Strategien zu kombinieren. Dabei werden die Biomasseproduktionsanlagen zur Plattform, um überschüssige Energie zu absorbieren, wenn sie verfügbar ist, oder um im Standardbetrieb negative Emissionen zu erzeugen.50) Im Folgenden wird ein solches System für zwei spezifische Fälle vorgestellt: Biogasaufbereitung und Biomassevergasung. Das Prinzip lässt sich jedoch auch auf andere biomassebasierte Energienutzungen anwenden (Abbildungen 6 und 7).
Biogas ist ein Gemisch aus CH4 und CO2, das bei anaerober Abfallverwertung entsteht.51) CO2 lässt sich beispielsweise durch physikalische oder chemische Wäsche oder durch Membranen abtrennen.50) Der resultierende hochkonzentrierte CH4-Strom lässt sich dann direkt in das Erdgasnetz einspeisen und ersetzt so fossiles Methan. Da der CO2-Strom relativ rein ist, lässt er sich mit geringem zusätzlichem Aufwand, etwa durch Entschwefelung, weiterverwenden. Je nach Einsatz ist CO2 zu komprimieren oder zu verflüssigen.
Bei der Entwicklung integrierter BECCS-CCU-Einheiten zeigen sich oft erhebliche Synergien zwischen den beiden Betriebsarten, die die Investitionskosten senken und die Betriebsstunden für die Energiespeicherung verlängern können. Ein Beispiel ist die Biogasaufbereitung durch Membrantrennung. Kommerzielle Membranen für die CO2-CH4-Trennung eignen sich auch für die H2-CH4-Trennung und lassen sich daher sowohl nach einer Biogasproduktionsanlage als auch nach einem CO2-Methanisierungsreaktor einsetzen, um das H2 zu entfernen, das über die Netzeinspeisespezifikation hinausgeht.52)
So lässt sich dieselbe Anlage in beiden Betriebsarten einsetzen und liefert das ganze Jahr über dasselbe Produkt, allerdings in unterschiedlichen Mengen, je nach Randbedingungen. Darüber hinaus ermöglicht dieser flexible Betrieb der Biogasaufbereitungsanlage, den Betrieb des Methanisierungsreaktors erheblich zu verlängern; er kann in Bereitschaft bleiben, wenn vorübergehend keine erneuerbare Energie verfügbar ist. Durch die Kopplung mit der Biogasaufbereitung arbeiten alle Nebenaggregate (etwa die Verdichtung) im kontinuierlichen Betrieb.
Eine weitere Möglichkeit, Bioenergie flexibel zu nutzen, ist es, Vergasung und Energiespeicherung zu integrieren. Das bei der Biomassevergasung erzeugte Synthesegas enthält einen Überschuss an Kohlenstoff im Verhältnis zu H2, wobei das Verhältnis von der Zusammensetzung des Ausgangsmaterials und dem Vergasungsverfahren abhängt.55) Daher ist entweder CO2 zu entfernen oder H2 hinzuzufügen, um das C-H-Verhältnis zu korrigieren. In diesem Fall arbeitet eine Anlage, die synthetische Kraftstoffe herstellt, kontinuierlich, und ihr Betriebsbereich lässt sich durch die Zugabe von H2 aus erneuerbaren Energiequellen erweitern.
Mit leicht höheren Investitionskosten lässt sich der Betrieb des Systems von einem stationären Fall auf einen hochdynamischen Fall umstellen, bei dem das System Strom abnehmen kann, wenn dieser günstig ist. Der Lastwechsel ist dann einfacher zu bewerkstelligen, da es sich lediglich um eine erhöhte Grundlast und nicht um eine Anlaufphase handelt. Der Betrieb eines solchen dynamischen Systems ist in den meisten praktischen Fällen rentabler als die Vergasung im stationären Zustand.56) Darüber hinaus eignet sich dieses Reaktionsschema bei verschiedenen Produkten, etwa Synthetic Natural Gas (SNG)57), Methanol58) oder Fischer-Tropsch-Kraftstoffen.59)
Perspektiven der technischen Chemie
Die chemischen Prozesse entwickeln sich in neue Richtungen, diktiert von der Forderung, Kohlenstoffemissionen zu vermeiden und dezentral vorhandene Ausgangsstoffe besser zu nutzen. Generell müssen sich die chemischen Prozesse, die Chemikalien herstellen, an einen kleineren Maßstab und an eine allgemein anspruchsvollere Lieferkette von Rohstoffen und Energie anpassen. Dafür braucht es robustere Reaktoren im Hinblick auf einen lastvariablen Betrieb.
Auch muss das Konzept von Prozessketten diese Flexibilisierungsaspekte von den ersten Schritten des Entwurfs an einbeziehen, indem es Prozesseinheiten auswählt, die zu einem insgesamt flexibleren Prozess besser passen. In den ersten Schritten auf dem Weg zu einem dekarbonisierten Energiesystem kann es eine einfache Lösung sein, negative Emissionen durch die Abscheidung von leicht verfügbarem biogenem CO2 zu erzeugen, etwa aus Anlagen zur Veredelung von Bioenergie. Daher sind neue Lösungen wichtig, welche die Bioenergieerzeugung mit CCS und CCU dynamisch integrieren, um die technische Verfügbarkeit aller Umwandlungseinheiten voranzutreiben, die in den dekarbonisierten Chemie- und Energiesystemen nötig sind.
Dieser Beitrag stellte die wichtigsten Werkzeuge vor, um solche Systeme experimentell und theoretisch zu untersuchen und dem Paradigmenwechsel in der technischen Chemie zu dienen: ein Umdenken in der Prozessgestaltung von hoch optimierten stationären Systemen hin zu lastflexiblen und dynamischen Systemen. Die wichtigsten Herausforderungen für die technische Chemie bestehen darin, ihre Werkzeuge zu modifizieren. Dabei werden unkonventionelle Aspekte des Prozessdesigns in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen.
Der Autor dankt Tilman Schildhauer für das Korrekturlesen des Manuskripts.
Der Trendbericht ist in englischer Sprache online verfügbar unter gdch.link/8ljg
Drei Fragen an den Autor: Emanuele Moioli
Welche Methode wurde in den letzten Jahren vermehrt genutzt, die auch Sie brauchen?
Mit Modellierungs- und experimentellen Methoden nichtstationäre Reaktoren optimieren. Denn CO2-neutrale Ressourcen wirtschaftlich nutzbar zu machen, steht heute im Zentrum der Forschung in der technischen Chemie.
In welchem Gebiet erwarten Sie in den nächsten Jahren die größten Entwicklungen und warum?
Ich erwarte eine deutliche Zunahme bei der Konstruktion und dem Betrieb von Einheiten, die unkonventionelle Ressourcen für die chemische Industrie effizient nutzen. Dazu gehören die Elektrifizierung der chemischen Industrie und die breitere Nutzung von Biomasse oder Abfall als Rohstoff.
Was sind die größten Herausforderungen Ihrer Forschung?
Lösungen zu finden, um die neuen Prozesse im für die Industrie relevanten Maßstab zu validieren.
Emanuele Moioli, Jahrgang 1990, arbeitet seit dem Jahr 2022 als R&D Project Manager bei Hitachi Zosen Inova in Zürich. Er ist verantwortlich für die Entwicklung von CO2-Methanisierungsreaktoren und anderer CO2-Nutzungsmethoden.
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