Wissenschaft + Forschung

&Uuml;ber das gesamte Jahr verteilt publiziert die Redaktion der Nachrichten aus der Chemie Trendberichte &uuml;ber alle chemischen Disziplinen hinweg.

Trendberichte

Prof.Dr.rer.nat.habil.

Artikel

Trendbericht Technische Chemie

Chemie 4.0 und Diesel-Fahrverbot – die technische Chemie setzt zunehmend auf modulare Anlagen auf Basis von Mikroverfahrenstechnik und Flow Chemistry, um die Produktion von Chemikalien flexibler zu gestalten. Zudem forciert sie die Anstrengungen in der Emissionskontrolle, insbesondere in der Abga...

Die Bemühung, die Infektionskrankheit Malaria weltweit zurückzudrängen, ist ins Stocken gekommen. Neue Ansätze gegen deren einzellige Krankheitserreger sind erforderlich – nicht nur bei den Molekülen, sondern auch bei Mücken und Menschen.
Das neue Jahrtausend hatte für die Bekämpfung der Malaria enorme Fortschritte gebracht. Moskitonetze, die mit lang haltbaren Insektiziden imprägniert sind, und vorbeugendes Besprühen der Wände in Wohnungen haben in den Jahren 2000 bis 2015 vermutlich 1,3 Milliarden Malariaerkrankungen verhindert und knapp sieben Millionen Menschen das Leben gerettet.1)In den letzten Jahren allerdings gehen die Erkrankungszahlen nicht weiter zurück: Nach dem neuesten Malariabericht der Weltgesundheitsorganisation WHO sind es derzeit etwa 220 Millionen Fälle pro Jahr. Die Zahl der Toten im Jahr 2017 betrug 435 000, im Vorjahr waren es 451 000.2)Grund des Plateaus ist vor allem, dass die Moskitos der Art Anopheles gambiae, die in Afrika der hauptsächliche Überträger des einzelligen Krankheitskeims Plasmodium falciparum sind, inzwischen Resistenzen gegen die verwendeten Insektizide entwickelt haben. Bisher werden die Netze ausschließlich mit Insektiziden aus nur einer Substanzklasse, den Pyrethroiden (Abbildung 1), imprägniert. Daher ist zu befürchten, dass der Selektionsdruck die resistenten Populationen weiter begünstigt und die Wirkung der Maßnahmen nachlassen wird.<figure><img src="https://media.graphcms.com/7MSH8kdBTYKG7ZvWgAAB"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Pyrethrin 1 (blau) und 2 (orange) sind die Hauptwirkstoffe des natürlichen Insektizids Pyrethrum. Dieses wird hauptsächlich aus den Blütenkörbchen der Dalmatinischen Wucherblume Tanacetum cinerariifolium (Foto) extrahiert. Pyrethrine sind Vorlagen für die synthetischen Pyrethroide. Foto: Kenpei, Wikipedia, CC BY-SA 3.0</figcaption></figure>
Auch die Krankheitserreger selbst zeigen bereits Resistenzen, und zwar gegen das Medikament, mit dem Malariakranke am häufigsten behandelt werden: den Naturstoff Artemisinin (Abbildung 2). Für dessen Entdeckung und Erforschung erhielt die Chinesin Tu Youyou im Jahr 2015 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.<figure><img src="https://media.graphcms.com/fOPcS0bUTiGtfPYTN1jZ"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Der Naturstoff Artemisinin wirkt gegen Malaria. Wie, ist unbekannt.</figcaption></figure>
Die Malariaforschung braucht nun neue Konzepte – am besten solche, die unabhängig voneinander wirken, um so Resistenzen zu vermeiden.<h2>Übertragung verhindern</h2>Das komplexe ökologische Dreiecksverhältnis zwischen dem Mikroorganismus Plasmodium falciparum und seinen Wirten Mücke und Mensch macht die Malariabekämpfung schwierig, bietet aber auch unerwartete Chancen.Die Arbeitsgruppe von Flaminia Catteruccia an der Universität Harvard hat vor kurzem einen neuen Ansatz vorgestellt. Er setzt die Puzzlesteine etwas anders zusammen als bisher üblich. Die Forscher nutzten ein etabliertes Malariamittel, Atovaquon – dieses nehmen Reisende aus Europa oft vorbeugend ein, wenn sie sich in Malariagebieten aufhalten. Der Wirkstoff schädigt die Plasmodien, indem er das Enzym Cytochrom b in deren Mitochondrien hemmt.Catteruccias Arbeitsgruppe verabreichte das Medikament aber nicht den Menschen, sondern den Mücken.3) Die Harvarder Forscher ließen Anopheles gambiae für bis zu sechs Minuten auf einer Oberfläche ruhen, die mit Atovaquon (Abbildung 3) behandelt war – dies entspricht in etwa der Zeit, die Mücken auf Bettnetzen verbringen. Sie absorbieren dabei Chemikalien wie Atovaquon und Insektizide durch ihre Beine.<figure><img src="https://media.graphcms.com/BLb9l2lRbOQbP85zxYMJ"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Struktur des Malariamedikaments Atovaquon. Menschen setzen es bei Reisen in Malariagebiete oft prophylaktisch ein. Es bekämpft die Krankheitserreger der Malaria aber auch in deren Überträgern, den Mücken der Art Anopheles gambiae.</figcaption></figure>
Nahmen die mit Atovaquon behandelten Mücken anschließend Plasmodien auf, schieden sie keine lebenden Plasmodien mehr mit dem Stich aus. In einer Verdünnungsserie ermittelten die Forscher, wie viel der Substanz nötig ist, um die Einzeller unschädlich zu machen. Die erforderliche Menge entsprach etwa der Insektizidmenge, die derzeit bei den Netzen genutzt wird, nämlich 100 μmol · m–².Eins der wenigen Mittel, die beim Menschen erfolgreich sind, im großen Maßstab einzusetzen, wäre allerdings unklug. Dieses Vorgehen könnte zur Resistenzbildung beitragen, die den Patienten eine Therapiemöglichkeit nähme. Stattdessen schlagen die Autoren andere Substanzen vor, die derzeit nicht für Malariakranke verwendet werden, aber ebenfalls gegen Plasmodien in Mücken wirken.Wie sie mit Modellstudien außerdem zeigen, kann diese Art Einsatz wesentlich dazu beitragen, Malariaerkrankungen zu verringern. Bis sich die neue Idee aber im Großmaßstab einsetzen lässt, dürften noch einige Jahre vergehen, warnt Janet Hemingway von der Liverpool School of Tropical Medicine.4)<h2>Mücken zurückdrängen</h2>Hemingway gibt außerdem zu bedenken: Auch eine Strategie, die darauf abzielt, die Plasmodienübertragung zu verhindern, sollte nicht darauf verzichten, die Mücken zurückzudrängen.Eine neue Methode dazu, die sowohl Hoffnungen als auch Ängste auslöst, ist der „gene drive“. Dabei soll eine ungefährliche die gefährliche Moskitopopulation verdrängen. Dafür kann man sich den Umstand zunutze machen, dass nur weibliche Moskitos stechen und so Malaria übertragen. Ein Gene-drive-Ansatz ist bereits laborerprobt: Dazu wurden männliche Moskitos so manipuliert, dass sie ausschließlich männliche Nachkommen haben, die wiederum diese Eigenschaft erben.Die Manipulation beruht auf einem DNA-abbauenden Enzym, einer Endonuclease. Deren Gen ist im Y-Chromosom eingebaut und darauf programmiert, während der Reifeteilung aktiv zu werden. Diese Meiose ist bei der Mücke wie beim Menschen eine Zellteilung der Keimbahnzellen, die den Chromosomensatz halbiert. Im Männchen mit dem Geschlechtschromosomenpaar XY bedeutet dies, dass die Meiose aus einer Zelle zwei Spermien produziert, die nur ein X- oder nur ein Y-Chromosom enthalten. Die auf dem Y-Chromosom codierte Nuclease greift während dieser Phase das X-Chromosom an und macht damit alle Spermien, die sonst weiblichen Nachwuchs zeugen würden, unbrauchbar. Da die Weibchen die Fruchtbarkeit der Population begrenzen, kommen nach einer Paarung immer noch genausoviele Moskitos zur Welt – aber eben nur männliche.Die manipulierten männlichen Moskitos breiten sich in der Population aus, da eine Moskitomutter doppelt so viele von ihnen erzeugt wie im Normalfall von den nicht manipulierten. Daraus resultiert ein doppelter Nutzeffekt: Es gibt weniger Weibchen, die stechen können, und die weitere Vermehrung der Population ist blockiert. Im Extremfall könnte dies die Moskitos sogar ausrotten.Die Methode ist noch nicht felderprobt, da es umstritten ist, genmanipulierte Organismen freizusetzen – insbesondere wenn diese fliegen und sich nicht an Landesgrenzen halten. Artenschützer sehen solche Ideen mit Sorge. Die Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen zum Beispiel hat bei ihrer Konferenz in Cancun, Mexiko, im Dezember 2016 beschlossen, dass bei jeglicher Anwendung solcher Verfahren das Vorsorgeprinzip gelten muss. Somit sind alle denkbaren Schäden soweit wie möglich zu vermeiden.Ace North und Kollegen an der Universität Oxford haben unterdessen mit Überlegungen und Computermodellen ausprobiert, ob der Ansatz Erfolg hätte, wenn er in Afrika angewendet würde.5) Die Forscher bezogen sich dabei auf die konkreten Gegebenheiten im westafrikanischen Burkina Faso und dessen Umgebung. Wie sich zeigte, führt je nach geografischen und Umweltbedingungen die Freisetzung weniger manipulierter Mücken zu einer starken Reduktion der Anopheles-Populationen und in manchen Regionen sogar zur Ausrottung.<h2>Plasmodien bekämpfen</h2>Ist es trotz aller Maßnahmen zu einer Übertragung auf den Menschen gekommen und die Plasmodien zirkulieren im Blut, muss die Wissenschaft diesen Abschnitt des Plasmodienlebenszyklus besser verstehen, um ihn zu bekämpfen.Ein wichtiger Schritt für den Krankheitserreger ist sein Eindringen in die roten Blutkörperchen. Dabei entsteht ein Komplex aus drei Proteinen, der in der Membran der Plasmodien verankert ist und an den Basigin-Rezeptor der Blutzellen andockt. Die Kristallstruktur des Komplexes aus einem der Proteine und dem Rezeptor gibt es seit 2014. Doch erst jetzt hat die Arbeitsgruppe von Alan Cowman an der Universität von Melbourne, Australien, durch Kryoelektronenmikroskopie ein Strukturbild des gesamten Komplexes erhalten.6)Diese Struktur ermöglicht, detailliert zu untersuchen, über welchen Mechanismus die Plasmodien die Blutkörperchen entern. Sie dürfte außerdem Anhaltspunkte für Impfstoffe gegen Malaria liefern.Gerade bei der Bekämpfung der Plasmodien im Blut gibt es noch einiges zu erforschen. Selbst beim lang etablierten Artemisinin bestehen noch Wissenslücken. Die Arbeitsgruppe von Hermann Schindelin an der Universität Würzburg publizierte vor kurzem eine erste Strukturanalyse des Wirkstoffs mit einem Zielprotein.7) Doch hierbei handelt es sich um ein menschliches Protein, das für Nebenwirkungen des Medikaments relevant sein könnte und eventuell für neue Einsatzgebiete bei anderen Krankheiten, aber nicht direkt für die Bekämpfung von Malaria. Den genauen Wirkmechanismus des Artemisinins gegen Plasmodien kennt die Wissenschaft bisher nicht.Der promovierte Chemiker Michael Groß ist freier Wissenschaftsjournalist in Oxford, England. <a href="https://www.michaelgross.co.uk" target="_blank">www.michaelgross.co.uk</a><h2>Quergelesen</h2>Die Anopheles-Mücke, die Plasmodien überträgt, ist gegen gängige Wirkstoffe resistent geworden.Es könnte helfen, statt Menschen Mücken mit einem Antimalariawirkstoff zu behandeln.Eine andere Möglichkeit sind genmanipulierte Mücken, die nur männliche Nachkommen bringen, um so zunächst die stechenden weiblichen und dann alle Mücken auszurotten.Um in die roten Blutkörperchen einzudringen, verwenden die Plasmodien einen Komplex aus Proteinen. Dessen Struktur zu untersuchen, soll helfen, Impfstoffe gegen Malaria zu entwickeln.
<ul><li>
1 G. Killeen, H. Ranson, Lancet 2018, 391, 1551–1552</li><li>
2 World Health Organization: World Malaria Report 2018. <a href="https://www.who.int/malaria/publications/world-malaria-report-2018/report/en/" target="_blank">www.who.int/malaria/publications/world-malaria-report-2018/report/en/</a></li><li>
3 D. G. Paton, L. M. Childs, M. A. Itoe et al., Nature 2019, 567, 239–243</li><li>
4 J. Hemingway, Nature 2019, 567, 185–186</li><li>
5 A. North, A. Burt, C. J. Godfray, BMC Biol. 2019, 17, 26</li><li>
6 W. Wong, R. Huang, S. Menant et al., Nature 2019, 565, 118–121</li><li>
7 V. B. Kasaragod, T. J. Hausrat, N. Schaefer et al., Neuron 2019, 101, 673–689</li></ul>

Artikel

Trendbericht Technische Chemie

Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...