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Trendbericht Theoretische Chemie 1/2: Lichtgetriebene Reaktionen unter der Theorielupe

Photoinduzierte Prozesse sind elementar in unserem Leben und Techniken zur Umwandlung von Energie, etwa von Sonnenlicht in Strom. Moderne Ultrakurzzeitspektroskopie ermöglicht es, solche chemischen Prozesse in Echtzeit zu beobachten. Aber nur im Wechselspiel aus Theorie und Experiment lassen sich...

Zwanzig Jahre nach seiner Vorhersage wurde in Suspensionen kolloidaler Ellipsoide ein Zustand mit eingefrorenen Orientierungen entdeckt – flüssiges Glas. Wie teilchenaufgelöste Fluoreszenzmikroskopie zeigt, bilden längliche Kolloide eine amorphe Struktur, in der sie beweglich bleiben, aber ihre Ausrichtung nicht ändern.
Kolloidale Suspensionen sind hervorragende Modelle für atomare und molekulare Systeme. Neue Untersuchungen mit optischer Mikroskopie geben nun Einblicke in Struktur und Dynamik anisotroper Kolloide.Kolloidale Suspensionen sind fein verteilte gleichartige Teilchen in einem oft flüssigen Medium. Die Teilchen sind mit einem Durchmesser von wenigen Nanometern bis zu einigen Mikrometern klein genug, um thermisch getrieben auf einer Längenskala ihres Durchmessers auf einer Sekundenskala schnell zu diffundieren. Während jedes einzelne Teilchen für sich keine besonderen Eigenschaften aufweist, treten vor allem in dichteren Suspensionen kollektive Effekte auf. Dabei bilden sich ausgedehnte Strukturen.<h2>Dynamik in der Struktur</h2>Strukturdynamik bestimmt in kolloidalen Suspensionen unter anderem deren Fließeigenschaften. Die Kenntnis der Dynamik hilft auch dabei, das Verhalten anderer, schwerer zugänglicher Systeme zu verstehen, etwa von atomaren und molekularen Gläsern. Denn wie diese entstehen, wirft immer noch Rätsel auf.1)Ein Schritt hin zur Verwendung kolloidaler Suspensionen als Modelle war der Nachweis, dass Suspensionen kugelförmiger Polymerteilchen, flüssige, glasartige und kristalline Phasen bilden.2) Die Teilchen selbst werden dabei durch Oberflächenmoleküle sterisch stabilisiert, wodurch sie sich wie harte Kugeln verhalten. Damit lassen sich Phasendiagramme aufstellen, in denen der Anteil an Teilchen in der Suspension eine ähnliche Rolle hat wie die Temperatur in Phasendiagrammen atomarer oder molekularer Systeme. Daher wurden Phasenübergänge kolloidaler Suspensionen untersucht (Abbildung 1).3) Kolloidteilchen dienen dabei als Modelle für Atome. Das ermöglicht Einblicke in Struktur und Dynamik, die in atomaren oder molekularen Systemen nicht möglich sind.<figure><img src="https://media.graphcms.com/NDbLpY2UTsCnEb7QPRVd"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Beispielhafte Phasendiagramme kolloidaler Suspensionen. Links das Phasendiagramm sphärischer Kolloide als Funktion des Volumenbruchs ϕ. Rechts das Phasendiagramm prolater ellipsoidaler Kolloide als Funktion des Längenverhältnisses von langer zu kurzer Achse.</figcaption></figure>
<h2>Unter dem Fluoreszenzmikroskop</h2>Während anfangs vor allem Streumethoden eingesetzt wurden, dient seit etwa 20 Jahren zunehmend die konfokale Fluoreszenzmikroskopie dazu, konzentrierte Suspensionen zu untersuchen. Denn kolloidale Teilchen sind groß genug, um sie mit optischer Mikroskopie zu beobachten.Konfokale Fluoreszenzmikroskopie, die eine Tiefenauflösung von etwa 1 μm hat, kann so die Position einzelner Kolloidteilchen in einer Suspension mit einer zeitlichen Auflösung von wenigen Millisekunden und einer dreidimensionalen räumlichen Genauigkeit von besser als 50 nm festhalten (Abbildung 2). Man kann damit Trajektorien einzelner Teilchen verfolgen.4,5) Das ist so, als beobachte man Atome oder Moleküle auf ihrem Weg aus einer Lösung zu einem Gitterplatz in einem Kristall.<figure><img src="https://media.graphcms.com/gP8cs0aJQmeqI226FUgJ"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Konfokale Fluoreszenzmikroskopie erlaubt es, Ort und Orientierung Tausender Kolloidteilchen in Suspensionen mit hoher Genauigkeit zu bestimmen (etwa 20 nm und 5 °). Diese Daten lassen mit einer zeitlichen Auflösung von etwa einer Sekunde aufnehmen, woraus sich Trajektorien aller Teilchen erzeugen lassen.</figcaption></figure>
Experimente mit Fluoreszenzmikroskopie erfordern entsprechende Kolloide: Sie sollen die gleiche Dichte wie das Suspensionsmedium haben, um darin nicht zu sedimentieren. Zudem sind mikroskopische Messungen tief in der Probe nötig.Um eine Streuung des Anregungslichts zu verhindern, muss der Unterschied der Brechungsindices zwischen Teilchen und Suspensionsmedium möglichst klein sein. Dies ist bei fluoreszenzmarkierten Polymethylmethacrylat(PMMA)-Teilchen in Mischungen von Decalin und Cyclohexylbromid als Suspensionsmedium gegeben.6)Verwendet man darüber hinaus Teilchen mit fluoreszierend angefärbtem Kern und einer nicht oder anders gefärbten Schale, so lassen sich auch in dichten Suspensionen Bilderstapel der Größenordnung 100 × 100 × 100 µm3 aufnehmen, die 10 000 und mehr Teilchen enthalten.7) Durch wiederholte Aufnahme solcher Bilderstapel erhält man Bewegungstrajektorien jedes einzelnen Teilchens als Funktion der Zeit und damit Einblicke in die Dynamik der Suspensionen. Optische Mikroskopieexperimente mit derartigen kolloidalen Suspensionen zeigen beispielsweise Heterogenitäten in der Dynamik5) oder die Nukleation beim Kristallwachstum.8)<h2>Orientierung in zwei Dimensionen</h2>In den meisten Fällen wurde bislang nur die Position der Kolloidteilchen analysiert, nicht aber deren Orientierung. Der Hauptgrund hierfür ist die Schwierigkeit, Orientierungen der Teilchen experimentell zu bestimmen. Dafür sind anisotrope Teilchen erforderlich und eine Markierung ihrer Ausrichtung. Solche Teilchen bieten einen neuen Blick auf molekulare Glasbildner, in denen komplexe Teilchenformen geordnete Zustände verhindern.Wie erste Experimente mit tetraedrischen Probeteilchen in einer Suspension kugelförmiger Kolloide zeigen, treten Glasübergänge für die Translationsbewegung und die Rotationsbewegung der Kolloide bei unterschiedlichen Packungsdichten auf.9)Formanisotrope Kolloide dienen als Modelle für komplexere Systeme. Dies erfordert im ersten Schritt die Synthese prolater (langgezogener) oder oblater (abgeplatteter) ellipsoidaler Kolloidteilchen. Ellipsoidale Polymerkolloide entstehen aus kugelförmigen Teilchen durch Quetschen oder Strecken der Teilchen in einer Wirtsmatrix.10,11)Anders als kugelförmige Teilchen, haben ellipsoidale Teilchen neben den Translationsfreiheitsgraden Rotationsfreiheitsgrade. Dadurch ist das Phasenverhalten der Suspensionen komplexer als das solcher mit isotropen Teilchen. Vor allem treten flüssigkristalline Phasen auf.Die ersten optischen Mikroskopieexperimente an prolaten Kolloidteilchen wurden in zweidimensionalen Filmen mit Durchlichtmikroskopie durchgeführt.12) In diesen Systemen zeigte sich ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Clustern mit glasartiger Struktur und dynamischen Heterogenitäten. Das Längenverhältnis von langer zu kurzer Achse der Teilchen hat sich als entscheidend dafür erwiesen, ob der Glasübergang für Translation und Rotation bei gleichen oder unterschiedlichen Packungsdichten liegt.Für Experimente in zwei Dimensionen sind weniger Teilchen nötig als für dreidimensionale Proben. Außerdem muss nur eine Teilchenlage untersucht werden. Dadurch entfällt die Schwierigkeit, die Teilchen von denen in der Tiefe der Probe optisch abzugrenzen.In neuen Experimenten ließen sich durch prolate ellipsoidale Kolloidteilchen mit unterschiedlich angefärbten Kernen und Schalen (Abbildung 3) in dichten Suspensionen Trajektorien der Translations- und Rotationsbewegung einzelner Teilchen aufnehmen. Dabei wird die Position der Teilchen bestimmt, indem die Kerne verfolgt werden. Die Teilchenorientierung hingegen wird durch das Signal der Teilchenschale beobachtet. Der Glasübergang bei diesen Proben erfolgt für Translation und Rotation der Kolloidteilchen bei unterschiedlichen Packungsdichten. Dabei friert die Rotation ein, bevor die Translationsbewegung der Teilchen stoppt.<figure><img src="https://media.graphcms.com/9fwrvkHqRQiGcRPAHpNI"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Aus runden Kern-Schale-Kolloiden (A, B) werden durch Strecken prolate, ellipsoidale Kern-Schale-Kolloide. Kern und Schale sind unterschiedlich fluoreszenzmarkiert.</figcaption></figure>
Der so entstehende neuartige Zustand wurde theoretisch vorhergesagt14) und lässt sich als flüssiges Glas bezeichnen (Abbildung 4): Sowohl die Anordnung der Teilchen, als auch ihre Orientierung sind ungeordnet, sie können zwar noch ihre Position, nicht aber ihre Ausrichtungen ändern.<figure><img src="https://media.graphcms.com/YZ2nRdStQRmfg4wzG02W"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Cluster von Teilchen gleicher Ausrichtung bei verschiedenen Volumenbrüchen ϕ. Rechts unten ist ein Beispiel, in dem gleich orientierte Teilchen (grün) von zufällig orientierten durchdrungen werden. Dies verhindert eine Gesamtordnung. Bei ϕ = 0,57 ist die Rotation der Teilchen unterbunden, während sie noch ihren Platz wechseln können. Dies ist ein flüssiges Glas.</figcaption></figure>
<h2>Fraktale Cluster</h2>Wie die Analyse der Mikroskopiebilder ergibt, ist das glasartige Verhalten daran gebunden, dass sich Teilchencluster mit einer besonderen Struktur bilden: In den Clustern werden einheitlich orientierte Teilchen von isotrop ausgerichteten Teilchen und anderen, unterschiedlich orientierten Clustern durchdrungen. Die fraktalen Cluster behindern sich gegenseitig, sodass Reorientierungsprozesse einfrieren und sich kein flüssigkristalliner Gleichgewichtszustand bildet, obwohl das Wachsen der (kritischen) Orientierungskorrelationen in der ungeordneten Phase die pränematischen Cluster erst verursacht. Hier zeigt sich die Stärke der direkten Verfolgung der Teilchen mit optischer Mikroskopie: Während mit mittelnden Methoden wie Lichtstreuung in diesem Fall nur eine insgesamt isotrope Orientierung zu beobachten ist, zeigt sich die besondere Ordnung der Cluster erst in den Mikroskopbildern.Die Eigenschaften flüssigen Glases sollten sich in künftigen Studien mechanisch offenbaren, da es fließen kann wie eine Flüssigkeit, aber Drehmomente übertragen wie ein Festkörper, obwohl es anders als ein Flüssigkristall keine mesoskopischen Direktorfelder besitzt.<h2>Universum der Strukturbildung</h2>Dieses Beispiel zeigt das Potenzial der Kombination aus neuen Herstellmethoden für formanisotrope, kolloidale Teilchen und optischer Mikroskopie. Zusammen mit der Computersimulation solcher Systeme und ihrer grundlegenden theoretischen Beschreibung lassen sich die Dynamik der Struktur kolloidaler Suspensionen und die Vielfalt ihrer glasigen Zustände verstehen. Die Erkenntnisse sind nicht auf diese Systeme beschränkt, sondern versprechen Einsichten beispielsweise in das Phasenverhalten von Flüssigkristallen und die Strukturbildung im Universum, die mit verwandten Feldgleichungen beschrieben wird.15)<h2>AUF EINEN BLICK</h2>Optische Mikroskopie macht in Suspensionen die Trajektorien der Translations- und Rotationsbewegung einzelner Kolloidteilchen sichtbar.Kolloidsuspensionen verhalten sich wie flüssiges Glas, wenn die Kolloide fraktale Cluster bilden, die sich in ihrer Bewegung gegenseitig behindern.Voraussetzung ist, dass die Kolloidteilchen formanisotrop sind.<h2>Der Autor</h2>Andreas Zumbusch, Jahrgang 1966, ist Professor für physikalische Chemie am Department Chemie der Universität Konstanz. Er entwickelt neue Methoden der optischen Mikrospektroskopie und deren Anwendung für biologische und materialwissenschaftliche Fragen. <a href="mailto:andreas.zumbusch@uni-konstanz.de">andreas.zumbusch@uni-konstanz.de</a><div><img src="https://media.graphcms.com/Qv4BBaLUQmyJrVkLjRXz">

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1 P. G. Debenedetti, F. H. Stillinger, Nature 2001, 410, 259.</li><li>
2 P. N. Pusey, W. Van Megen, Nature 1986, 320, 340</li><li>
3 V. N. Manoharan, Science 2015, 349, 1253751</li><li>
4 W. K. Kegel, A. van Blaaderen, Science, 2000, 287, 290</li><li>
5 E. R. Weeks, J. C. Crocker, A. C. Levitt, A. Schofield, D. A. Weitz, Science 2000, 287, 627</li><li>
6 A. Yethiraj, A. van Blaaderen, Nature 2003, 421, 513</li><li>
7 R. P. A Dullens, M. Claesson, D. Derks, A. van Blaaderen, W. K. Kegel, Langmuir 2003, 19, 5963</li><li>
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9 K. V. Edmond, M. T. Elsesser, G. L. Hunter, D. J. Pine, E. R. Weeks, Proc. Natl. Acad. Sci. U. S. A. 2012, 109, 17891</li><li>
10 C.C. Ho, A. Keller, J.A. Odell, R.H. Ottewill, Colloid Polym. Sci., 1993, 271, 469</li><li>
11 M. Voggenreiter, J. Roller, J. Geiger, L. Ebner, A. Zumbusch, J.-M. Meijer, Langmuir, 2020, 36, 13087</li><li>
12 Z. Zheng, R. Ni, F. Wang, M. Dijkstra, Y. Wang, Y. Han, Nat. Commun. 2014, 5, 3829</li><li>
13 J. Roller, A. Laganapan, J.-M. Meijer, M. Fuchs, A. Zumbusch, Proc. Natl. Acad. Sci. U. S. A. 2021, 118, e2018072118</li><li>
14 M. Letz, R. Schilling, A. Latz, Phys. Rev. E 2000, 62, 5173</li><li>
15 I. Chuang, R. Durrer, N. Turok, B. Yurke, Science 1991, 251, 1336</li></ul>

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