„Unterhaltsam zu sein, ist die Basis“
Interview mit Lars Fischer
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Der Chemiker und Blogger Lars Fischer hat in diesem Jahr den Preis der GDCh für Journalismus erhalten. Mit den Nachrichten aus der Chemie sprach er darüber, ob er lieber unterhalten oder lieber informieren möchte und warum er Filterblasen in Social Media für überschätzt hält.
Mit Ihrem Blog haben Sie schon Onlinejournalismus gemacht, als das für andere noch eine Spinnerei war. Wie kam es dazu?
Am Anfang wollte ich Chemiker werden. Ich hatte Chemie studiert und weil sich die Suche nach einer Doktorandenstelle hingezogen hat, habe ich mich bei Spektrum der Wissenschaft auf ein Praktikum beworben. Meinen ersten Artikel hat Spektrum der Wissenschaft dann gleich gekauft für – damals aus Studentensicht – doch relativ viel Geld. Dann habe ich mir gesagt: Naja, wenn ich das kann, mach ich lieber Journalismus, statt zu promovieren.
Als Student waren Sie schon einige Jahre Moderator in einem Chemieforum?
Ja, bei Chemie-online.de, das es heute leider nicht mehr gibt. Deshalb galt ich von Anfang an als Onliner. 2006, 2007 ging das in den Medien los mit dem Internet. Das war natürlich ein Vorteil für mich und für alle, die schon in irgendeiner Weise im Internet aktiv waren, einfach weil das in der Branche damals noch so selten war.
Hatten Sie journalistische Vorbilder?
Nein, ich hatte mich vorher gar nicht mit Journalismus beschäftigt. Ich war nie auf einer Journalistenschule und habe auch nicht ab sechs Jahren FAZ gelesen. Ich hatte einfach Lust, über Wissenschaft zu schreiben, und habe deshalb meinen Blog, den Fischblog, gestartet. Ich habe mich nicht an Vorbildern orientiert, sondern letztendlich an dem, was meine Leserinnen und Leser gut fanden.
Der Fischblog läuft bis heute, zudem sind Sie Onlineredakteur bei Spektrum.de. Was ist Ihr Lieblingstextformat?
Es gibt ja zwei Punkte im Leben eines Autors, einmal das „Werde schreiben“ und dann das „Geschrieben haben“. Beim „Werde schreiben“, ist mein Lieblingsformat das Kurzformat. Es gibt einen Sachverhalt wieder, vielleicht ein Paper oder eine Meldung. Ich setze mich hin, recherchiere und schreibe runter, was man weiß, was man nicht weiß, ein bisschen Hintergrund und Kontext. Nach zwei, drei Stunden ist ein Text fertig, der ein aktuelles Thema behandelt. Dann bin ich glücklich. Aber beim „Geschrieben haben“ sind meine Lieblingstexte dann doch die ganz großen, die aufwendig recherchierten: Wenn ich mir ein Thema schnappe und erstmal auf Google Scholar Literatur suche, 20, 30 Paper runterlade und lese. Dann liegt das Ganze erstmal einen Monat, und dann schreibe ich Version eins und Version zwei und Version drei, und am Ende habe ich einen Artikel mit 20 000 Zeichen, in dem alles drinsteht, was ich über das Thema denke.
Neben klassischen Texten, sei es im Blog oder im Onlinemagazin sind Sie auch auf Youtube und besonders Twitter aktiv.
Ich mag inzwischen sehr gerne Twitter-Threads, also solche Tweet-Ketten. Ein einzelner Tweet auf Twitter sind ja 280 Zeichen, da passt nicht allzu viel rein, aber heute gibt es die technische Möglichkeit mehrere Tweets aneinanderzuhängen. Mir kommt das entgegen, weil ich auch längere Texte so schreibe: ein Absatz, ein Argument oder ein Absatz, ein Gedanke. So sechs bis zehn Tweets zu einem Thema, bei dem ich dann eine grundsätzliche Idee und Argumentationskette zu einem Thema entwickle. Am Ende entsteht ein kleiner, runder Erklärtext zu einem aktuellen Thema, an dessen Ende der Stand der Dinge als Abfolge von aneinander gehängten Tweets klar ist. Ich denke, dass dieses journalistische Format Potenzial hat.
Vor einigen Jahren haben Sie mit einer Twitter-Reportage zu Ihrer Nierentransplantation einen Preis gewonnen. Sie machen immer wieder Geschichten, die sehr privat sind und Krankheiten oder Handicaps thematisieren. Wie persönlich darf oder soll Wissenschaftsjournalismus sein?
Das kommt aufs Medium an und auf die Plattform. Bei Texten für Spektrum und auf meinem Blog bin ich relativ unpersönlich und recherchelastig. Ich habe meine Perspektive und Haltung, aber ich zieh mich als Person hinter mein Thema zurück. In sozialen Medien – und dazu zähle ich auch Youtube – funktioniert das nicht, soziale Medien laufen über das Zwischenmenschliche, dort muss man sich zugänglich machen. In sozialen Netzwerken muss man etwas von sich offenbaren, und das bietet dann in meinem Fall den Anschlusspunkt für Wissenschaft.
Wie wählen Sie Themen aus?
Ich habe ein großes Privileg: Ich darf machen, wozu ich Lust habe. Na gut, bei Spektrum haben wir eine Redaktionskonferenz, und dann heißt es manchmal: Schreib mal darüber, und ich denke mir „Ach, naja, ok“. Aber die besten Artikel sind die, in denen ich mir Sachen erkläre, die ich selbst verstehen will.
Erklären oder unterhalten – was ist die Hauptaufgabe?
Auf der einen Seite erkläre ich natürlich, aber ich verstehe mein Medium letztendlich als Unterhaltung. Gerade als Onliner, also als Wissenschaftsblogger und als Onlinejournalist, stehe ich nicht nur in Konkurrenz mit anderen journalistischen Medien, sondern auch mit Youtube oder mit irgendwelchen nicht wissenschaftlichen Diskussionen auf Social Media. Da muss ich versuchen, an die Leute ranzukommen. Unterhaltsam zu sein, ist dafür die Basis. Die Leute, die im Internet rumhängen, sind ja nicht da, um von mir was erklärt zu kriegen, sondern sie wollen sich ablenken lassen, sie wollen Leute treffen oder sich selbst produzieren. Da gibt es ganz viele Motivationen, Information ist kein Selbstläufer – ich konkurriere mit Pornoseiten oder Computerspielen. Ich habe keine andere Wahl, als unterhaltsam zu sein.
Trotzdem lernt man eine ganze Menge aus Ihren Texten. Woher bekommen Sie dieses Wissen?
Meine Basis sind die wissenschaftlichen Artikel. Ich bin nicht der klassische Journalist, der menschliche Quellen befragt, sondern ich gehe direkt über wissenschaftliche Suchmaschinen wie Google Scholars in die Originalliteratur. Ich bin also in der wunderbaren Situation, in der bestimmt viele Chemiker und Chemikerinnen gerne wären: Die ganze Zeit Papers lesen. Ich muss nicht forschen, ich kann mich einfach nur in die Literatur versenken.
Was sind die wichtigsten wissenschaftsjournalistischen Themen momentan?
Nachhaltigkeit und Klimawandel, natürlich nach wie vor Corona. Aber im Detail fasert das alles stark aus. Bei Corona zum Beispiel: Wie geht das weiter mit den Varianten, also eine virologische und genetische Frage? Dann epidemiologisch: Wie gehen wir mit der Krankheit um, wie ist die Dynamik?
Wollen Sie Themen setzen? Also auch mal sagen: Leute interessiert euch dafür.
Manchmal schon. Ich schreibe viel über die Themen, die mich interessieren, und ich finde, diese Themen sollten auch viele andere Leute interessieren. Infektionskrankheiten sind ein langjähriges Thema von mir, schon lange vor Corona. Auf Social Media, in meinem Blog, bei Spektrum will ich immer wieder darüber aufklären.
Erreichen Sie so tatsächlich Leute, die nicht wissenschaftlich vorgebildet sind?
Das ist der Vorteil vom Unterhaltungsansatz, denn unterhalten werden wollen alle. Gerade Leute, die nicht so ganz wissenschaftsnah sind und mit klassischen wissenschaftsjournalistischen Texten nicht viel anfangen können, bekommen auf Social Media eher einen Zugang dazu, wenn man Themen persönlicher aufbereitet. Sicher ist ein großer Teil meines Publikums das klassisch wissenschaftsinteressierte Publikum. Aber ich denke, ich mache immer Wissenschaft für alle.
Wirklich für alle? Gibt es wirklich keine spezifische Lars-Fischer-Zielgruppe?
Naja, eine gewisse Gemeinsamkeit ist sicher ein Interesse an morbiden Themen, weil das mein Ding ist.
Deshalb heißt Ihr Youtube-Channel ja auch „Wir werden alle sterben“.
Ansonsten ist mein Anspruch wirklich, dass ich alle, die unterhalten werden möchten, anspreche. Aber wie ich kommuniziere, richte ich übrigens nicht bloß darauf aus, welche Zielgruppe ich erreichen will. Im Internet funktioniert das mit den Zielgruppen anders.
Nämlich wie?
Nun es existieren dort soziale Netzwerke – also jetzt nicht im technischen Sinn von Social-Media-Plattformen, sondern man geht da rein und findet Leute mit gleichen Interessen, mit gleichen Vorlieben. Ein Netzwerk aus persönlichen Beziehungen, in das man eingebettet ist, eine Gruppe mit einer gewachsenen gemeinsamen Identität, auch mit gewissen Loyalitäten, social credits sozusagen.
Nehmen wir zum Beispiel mal die Wissenschaftsnahen. Diese teilen gerne wissenschaftliche Inhalte, um zu zeigen, dass sie eben zu dieser wissenschaftsnahen Gruppe gehören. Da geht es um Gruppenidentität. Es geht darum, ein gewisses Vertrauen in dieser Gruppe zu erwerben, das dann manchmal auch über die Grenzen der Gruppe hinausstrahlt. Für Social Media würde ich deshalb nicht von Zielgruppen sprechen, sondern eher von Netzwerken, mit denen man sich identifiziert.
Viele Leute sehen darin auch die Gefahr, dass sich abgeschlossene Blasen bilden und darin wissenschaftsfeindliche Netzwerke, etwa unter dem Banner mainstreamwissenschaftskritischer Verschwörungsmythen.
Naja, was heißt Gefahr? Menschen sind immer, in allem was sie tun, in Netzwerke, in Gemeinschaften eingebunden. Das ist im Internet nicht anders als im Alltag. Man ist dort sozial integriert, wo man arbeitet, wo man einkauft, wo man abends in die Kneipe geht. Netze, abgeschlossene soziale Blasen sind Realität zwischenmenschlicher Beziehungen. Die Behauptung, man wäre in der normalen Welt, anders als in den angeblichen Filterblasen des Internets, nach allen Seiten offen und würde ganz viele andere Leute treffen jenseits seines Horizonts, stimmt nicht. Aber im Internet hat man in sozialen Medien den Vorteil, nicht so stark mit dem Zufall der Geburt belastet zu sein, weniger bestimmt durch die soziale und kulturelle Herkunft.
Ich bin zum Beispiel speziell auf Twitter in der wissenschaftsjournalistischen Blase zuhause, aber auch in der Heavy-Metal-Community. Wir gehören also nicht nur zu einem einzelnen Netzwerk, sondern zu unterschiedlichen, die sich ein bisschen überschneiden, ein bisschen durchdringen.
Wie beeinflusst das den Journalismus?
Medien sind tatsächlich ein gutes Beispiel für Real-life-Filterblasen. Also das Problem des Journalismus ist, dass er nicht besonders divers ist. Das ist strukturell bedingt, man muss sich den Journalismus als Beruf leisten können, ja man muss überhaupt erstmal in diese bildungsbürgerliche Blase reinkommen, große Gesellschaftsgruppen sind also komplett außen vor. Im Onlinejournalismus sehe ich aber einen Trend zu mehr Diversität.
Für Sie als Blogger ist das Vertrauen der Community zentral. Wie kommt man zu dem Punkt, an dem die Leute sagen: Wenn der Lars das auf Fischblog schreibt, dann ist das auch richtig?
Also das eine ist Qualität. Ich muss immer dafür sorgen, dass meine Sachen gut recherchiert und fundiert sind. Ein anderer ganz wichtiger Punkt ist, dass ich mit meiner Sachkenntnis zu unterschiedlichen Themen ansprechbar bin. Dass Leute mich fragen können, wie ist das denn eigentlich? Was sagst du zu diesem Thema? Was sollte ich bei diesem Problem machen? Was ist deine Perspektive darauf? Das ist etwas, das der klassische Journalismus immer noch unterschätzt. Viele Leute wollen nicht nur die Informationen, sie wollen den persönlichen Bezug zu dem, der diese Informationen gibt. Da gibt es eine interessante Analogie zur Medizin. Behandlungen sind erfolgreicher und die Patienten weniger verunsichert, wenn Ärztinnen oder Ärzte sich Zeit nehmen zu erklären und Ungewissheiten benennen.
Im Journalismus ist das ähnlich?
Absolut. Vertrauen entsteht allein dadurch, wenn man versucht, Fragen zu beantworten, ehrliche Einschätzungen zu geben und dann im Zweifelsfall auch sagt: Ich weiß es nicht.
Wie reagieren die Leute auf Sie? Gerade auf Social Media klagen viele über Anfeindungen und Trolle.
Ich lasse da sehr viel an mir abperlen. Leute, die mich persönlich anfeinden, kann ich stummschalten oder einfach blockieren. Ärgerlich finde ich die Leute, die mich einfach nur provozieren wollen mit besserwisserischem Kram.
Kommt auch konstruktive Kritik?
Die ist tatsächlich so häufig, dass ich es manchmal nicht schaffe zu reagieren. Es ist nicht so, dass ich vor allem der Communitymanager meiner Social-Media-Posts bin. Wenn ich sehe, dass jemand einen spannenden Kommentar geschrieben hat, dann reagiere ich manchmal darauf, manchmal auch nicht. Aber ich sehe normalerweise nicht alle 300 Antworten durch, mein Tag hat ja auch nur 24 Stunden.
Welchen Tipp haben Sie für Wissenschaftler, die auf Social Media kommunizieren möchten?
Spaß haben und Freunde finden. Nochmal: Das Wichtigste an den sozialen Netzwerken ist das Soziale. Den Leuten von seiner Forschung erzählen funktioniert nur, wenn man in so einer Gemeinschaft ist, in der man Vertrauen und soziales Kapital aufgebaut hat. Dann sind Leute auch bereit, einem zuzuhören. Und dann kannst du auch sagen: Leute, das hier ist jetzt mal etwas ungewöhnlich, das ist meine Forschung, guckt euch das mal an. Man ist nicht primär für die Wissenschaftskommunikation auf Social Media, das kann nicht funktionieren, sondern man ist da, um Kontakte mit Leuten aus der Forschung zu knüpfen oder einfach mit Leuten mit gemeinsamen Interessen. Ein schönes neues Paper interessiert kaum jemanden. Es ist viel spannender, zu erzählen, wie der Versuch schief ging, weil die Lösungsmittelflasche runtergefallen ist. Geschichten vom Scheitern und vom Alltag. Dann kommt die Frage zurück: Wie ist das bei Euch im Labor? Man stößt dann auf ehrliches Interesse, es entsteht Vertrauen, und dann kann man loslegen.
Muss man dann nicht sehr gläsern werden? Wissenschaftler haben doch immer die Angst, sich angreifbar zu machen.
Regel Nummer eins in Social Media: Erst denken, dann posten. Nicht einfach Sachen raushauen über sich selbst, von denen man eigentlich nicht will, dass sie im Internet stehen. Tausend Leute da draußen im Internet denken, sie kennen Lars Fischer, aber natürlich kennen sie nur das, was ich ihnen zum Beispiel auf Twitter erzählen will. Dahinter gibt es noch einiges.
Zum Beispiel?
Netter Versuch, aber nee, nee. Ich habe die freie Entscheidung darüber, was die Leute über mich wissen sollen und was nicht. Es ist gut, nicht alles rauszuhauen.
Zur Person: Lars Fischer
Lars Fischer wurde vor allem durch seinen Wissenschaftsblog Fischblog bekannt, den er im Jahr 2007 startete. Er twittert unter @fischblog. Seit 2008 ist er redaktioneller Leiter des Blogportals Scilogs des Verlags Spektrum der Wissenschaft, zudem ist er Redakteur bei Spektrum.de. Mit einem Kollegen betreibt er den Youtube-Kanal „Wir werden alle sterben“. Für die Nachrichten aus der Chemie ist Lars ein alter Bekannter: Ab dem Jahr 2007 schrieb er immer mal wieder längere Artikel.
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