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Kurioses, Erstaunliches, &Uuml;berraschendes &mdash; was vor 50 Jahren in den &bdquo;Nachrichten aus der Chemie&ldquo; stand, die damals noch &bdquo;Nachrichten aus Chemie und Technik&ldquo; hie&szlig;en.

Vor 50 Jahren

<h2>Februar 1970</h2>Zum Wintersemester 1969/1970 begann nach sechsjähriger Bauzeit an der Universität Bochum der Lehrbetrieb. Ein nicht namentlich gekennzeichnetes Redaktionsmitglied der Nachrichten aus Chemie und Technik hatte die neue Uni besucht und berichtete darüber:<div><img src="https://media.graphcms.com/YC6wJZfeQ8im8PUAwN86">

</div>Heute sind an der Ruhr-Uni fast 50 000 Studierende eingeschrieben, darunter 1420 in Chemie- und Biochemiestudiengängen. Damit ist sie eine der größten Universitäten Deutschlands.Mitglieder der GDCh haben Zugriff auf sämtliche Nachrichten-Jahrgänge – bis zurück zur ersten Ausgabe der GDCh-Mitgliederzeitschrift aus dem Jahr 1953, und zwar über <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.gdch.de/nachrichten" target="_blank">www.gdch.de/nachrichten</a></ext-link> und „mygdch“.

Meldung

Februar 1970Zum Wintersemester 1969/1970 begann nach sechsjähriger Bauzeit an der Universität Bochum der Lehrbetrieb. Ein nicht namentlich gekennzeichnetes Redaktionsmitglied der Nachrichten aus Chemie und Technik hatte die neue Uni besucht und berichtete darüber: Heute sind an der Ruhr-Uni fast...

Prof.Dr.

Selbst chemiebegeisterte Jugendliche werden sich nicht für eine Laborantenausbildung oder ein Chemiestudium entscheiden, wenn sie nicht wie ein Chemiker sein wollen – oder wie das, was sie dafür halten. Wir sollten also an unserem Image arbeiten.
Stellen Sie sich eine Person aus dem Bereich Physik vor!“ Naturwissenschaftliche Laien denken dann in den meisten Fällen an die „The Big Bang Theory“-Figur Sheldon Cooper: ein hochbegabter, jedoch sozial wenig fähiger, naiver und kindlicher Nerd, der als Post-Doc in der theoretischen Physik arbeitet, in seiner Freizeit Comics liest und Eisenbahnen mag. Als Naturwissenschaftler wissen wir: ein stereotypes Bild.<h2>Nicht nur Physiker gelten als seltsam</h2>Dass Sheldon Cooper Physiker ist, sollte uns nicht beruhigen. So führen uns die Ergebnisse des Draw-a-Scientist-Tests vor Augen, wie vor allem Schüler in den unteren Klassenstufen Personen aus dem Berufsfeld Chemie wahrnehmen:1) männlich, wenige Haare auf dem Kopf, weißer Kittel, wirrer Blick und in einem chaotischen Chemielabor mit gefährlichen und explosiven Chemikalien experimentierend.Eine eigene Studie mit 1113 Schülern der Jahrgangsstufen 8, 10 und 11 lieferte f ähnliche Ergebnisse. Im Vergleich mit einer Studie von Hannover und Kessels zu Prototypen in der Physik zeigen sich ähnliche Tendenzen (Grafik S. 9).2)<figure><img src="https://media.graphcms.com/tQKKTOzNTR6Jx73dr1nU"><figcaption><label>Abb. 1: </label>So beschreiben Schüler sich selbst (gestrichelte Linie) und im Vergleich dazu den typischen Chemiker sowie den typischen Physiker2) (durchgezogene Linie).2)</figcaption></figure>
So beschreiben Lernende sowohl Physiker als auch Chemiker als klüger, logisch denkender als sie selbst, jedoch zum Beispiel auch als weniger einfühlsam, sanft, gefühlsbetont und romantisch. Diese stereotypen Sichtweisen beruhen vor allem auf stereotypen Darstellungen von Personen aus Mathematik, Naturwissenschaften, Informatik und Technik, beispielsweise in Medien oder auch mit Kinderspielzeug (Foto oben).<figure><img src="https://media.graphcms.com/PKxrdm7oQTm64SzPqvvT"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Stereotype im Kinderspielzeug: Chemiker als Playmobilfigur, unrasiert, mit wirrem Haar, verwirrtem Blick, Kittel, Laborgeräten.</figcaption></figure>
Die Darstellung einer Person mit wirrem und grauem Haar, Bartstoppeln, verrücktem Blick, schiefer Krawatte, Kittel und Laborgeräten sorgt automatisch für die Assoziation „Chemiker“. Wie kaum eine andere Serien zuvor hat die im letzten Jahr geendete Serie „The Big Bang Theory“ das Image des naturwissenschaftlichen Nerds3) geprägt, den Begriff „Nerd“ im deutschen Sprachraum etabliert4) und ihn zugleich als zwar verrückten, aber liebenswerten Menschen konnotiert.<h2>Echte Chemiker sind unbekannt</h2>Obwohl sich das Bild der Chemie durchaus ins Positive gewandelt hat,5) bleibt die stereotype Vorstellung über Chemiker im Laufe der Schulzeit unverändert.6) So sehen Jugendliche Personen aus der Chemie zu Beginn des Chemieunterrichts genauso stereotyp wie in der Oberstufe. Möglicherweise ist dies auf das geringe Wissen der Lernenden über Chemieberufe im Allgemeinen und Unwissen über spezielle chemische Berufe, etwa in der Umweltanalytik oder Pharmazie, zurückzuführen.6) Schüler kennen schlichtweg keine realen Personen, die in einem chemienahen Berufsfeld tätig sind.Doch gerade für die Berufswahl ist das Image ein wichtiger Faktor. Denn vor allem Imagefaktoren entscheiden darüber, ob ein Abiturient einen Chemieberuf wählt oder nicht (Kasten).Überraschenderweise haben das Vertrauen in die eigenen chemischen Fähigkeiten (chemisches Selbstkonzept), die letzte Schulnote in Chemie oder das Image der Chemie als Wissenschaft im berechneten Modell keinen Einfluss darauf, ob Oberstufenschüler (Jahrgangsstufe 11) einen Chemieberuf wählen. Als einzige Einflussfaktoren wurden das Ansehen des Chemieunterrichts und der Abstand zwischen Selbstbeschreibung und Prototyp identifiziert – zwei Faktoren, die eindeutig zum Image gehören.Das Interesse an Chemie wurde in der eigenen Studie nicht untersucht, da dies bereits als wichtiger Einflussfaktor gilt.8)<h2>INFO: Für oder gegen einen Chemieberuf</h2>Es gibt zwei wesentliche Faktoren, die darüber bestimmen, ob ein Jugendlicher sich für einen Chemieberuf entscheidet: das Image des Chemieunterrichts und der Unterschied zwischen Selbstbeschreibung und Prototyp (Abbildung). Als weitere Faktoren wurden untersucht: die letzte Schulnote, das chemische Selbstkonzept, also das Selbstvertrauen in chemische Fähigkeiten, sowie das Ansehen der Chemie als Wissenschaft. Auf die Berufswahl haben sie nur wenig Einfluss.7)Die Regressionsgewichte beta in der Grafik geben den relativen Einfluss der beiden Faktoren auf eine chemiebezogene Berufswahl an. Das negative Vorzeichen beim Faktor „Abstand zwischen Selbstbeschreibung und Prototypenbeschreibung“ bedeutet somit: Je größer der Abstand, desto negativer der Einfluss auf die chemiebezogene Berufswahl. Die Kennzahlen R2, F und p machen eine Aussage über die Qualität des Modells; N ist die Zahl der befragten Schüler in Jahrgangsstufe 11.<div>Die beiden wichtigsten Einflussfaktoren auf die chemiebezogene Berufswahl. (R2 = 0,382, F(2,34) = 10,503, p = 0,000, N = 316)<img src="https://media.graphcms.com/37bt16oZTZmqqHucMCUA">

</div><h2>Chemie ist nur etwas für Introvertierte</h2>Zusammen mit den eher geringen Ausbildungs- und Studienanfängerzahlen bei Chemieberufen deuten die Ergebnisse ein Imageproblem an. So versuchen auch Unternehmen der chemischen Industrie, diesem Problem entgegenzusteuern, beispielsweise mit dem Projekt Elementare Vielfalt (ELVi) und der Webseite <a href="https://www.deine-chemie.de" target="_blank">www.deine-chemie.de</a>. Unterstützt von erfolgreichen Youtubern sollen die Projekte das Image verbessern und so für chemische Ausbildungsberufe und duale Studiengänge werben.Doch sollten wir aufgrund der Daten nicht eher am Image der Personen arbeiten, die einen Chemieberuf ausüben? Hier könnte ein erster Schritt sein, überhaupt Informationen zu chemischen Berufen in den Unterricht zu integrieren. Solche Informationen sind hier nach Aussage von Lernenden eher selten.Wichtig wäre auch, Kontakte zu realen Chemikerinnen und Chemikern unterschiedlicher Disziplinen zu ermöglichen, damit Kinder und Jugendliche weniger stereotype Vorstellungen entwickeln, sondern solche, die auf Erfahrungen basieren.Auch im Sinne des Self-to-Prototype-Matching-Konzepts wären direkte Kontakte zielführend.9) Nachdiesem Konzept wählen Jugendliche solche Berufe, bei denen ihre Selbstbeschreibung und ihre Vorstellung über typische Vertreter des Berufs überlappen.Bei naturwissenschaftlich interessierten Jugendlichen zum Beispiel, die an der nordrhein-westfälischen Juniorakademie teilgenommen haben, ist der Abstand zwischen Selbstbeschreibung und Beschreibung des chemischen Prototyps geringer, wie eine Befragung ergab. Diese Jugendlichen scheinen eher dem Stereotyp „Nerd“ zu entsprechen: Sie sind introvertiert und weniger verträglich, aber weniger neurotisch als gleichaltrige Jugendliche; darauf deutet eine gleichzeitige Erhebung von Persönlichkeitsmerkmalen hin. Ähnliche Persönlichkeitsmerkmale sind bereits von Softwareentwicklern bekannt.10)<h2>Das Bild eines Naturwissenschaftlers</h2>Sollten wir uns also Gedanken über unser Image als Personen machen? Auf jeden Fall, denn es beeinflusst, ob und welche Jugendliche einen Chemieberuf ergreifen. Zurzeit überlassen wir jedoch die Imagebildung Medien und populären Fernsehserien. Sind Chemiker kriminelle Drogenproduzenten mit Hang zu Sprengstoffen, lebensfremde, aber irgendwie niedliche Nerds? Oder Menschen wie du und ich mit besonderem Interesse an Chemie? Wir sollten selbst in die Hand nehmen, wie die Gesellschaft über uns denkt.<h2>Der Autor</h2>Philipp Spitzer ist seit 2017 Postdoc am österreichischen Kompetenzzentrum für Didaktik der Chemie an der Universität Wien. Er hat in Siegen Chemie und Physik für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen studiert, promoviert und an einer Gesamtschule in Aachen das Referendariat absolviert.<div><img src="https://media.graphcms.com/B3UPgzawRtWHzUYgVweM">

</div><h2>AUF EINEN BLICK</h2>Oft haben Schüler noch nie einen Menschen kennen gelernt, der in einem naturwissenschaftlichen Beruf arbeitet.Populäre Fernsehserien wie Big Bang Theory oder Breaking Bad bestimmen das Bild des Naturwissenschaftlers.Ob sich Jugendliche mit Chemikern, die sie kennen, identifizieren können, ist für die Berufswahl entscheidend; gute Noten und Selbstvertrauen in chemische Fähigkeiten sind eher zweitrangig.
<ul><li>
1 K. D. Finson, Sch. Sci. Math. 2002 102/7, 335–345</li><li>
2 B. Hannover, U. Kessels, In: Bildungsqualität von Schule: Schulische und außerschulische Bedingungen mathematischer, naturwissenschaftlicher und überfachlicher Kompetenzen. Hrsg. von M. Prenzel, J. Doll, J. (Hrsg.). Beltz, Weinheim, 2002, 341–358</li><li>
3 M. A. Weitekamp, Phys. Today 2017, 70/1, 40–48</li><li>
4 A. Osterroth, Sprachreport 2015 31/3, 1–8</li><li>
5 S. Pietsch, S., H.-D. Barke, Chem. Unserer Zeit 2014, 48, 312–316</li><li>
6 P. Spitzer, Untersuchungen zur Berufsorientierung als Baustein eines relevanten Chemieunterrichts im Vergleich zwischen Mittel- und Oberstufe sowie Darstellung des Chem-Trucking-Projekts als daraus abgeleitete Interventionsmaßnahme für den Chemieunterricht. Siegen, 2017</li><li>
7 P. Spitzer, M. Gröger, (2018). Einflussfaktoren auf chemiebezogene Berufswahlabsichten von Schülerinnen und Schülern, CHEMKON 2018, 25/7, 263–268</li><li>
8 T. N. Höffler, C. Köhler, I. Parchmann, International Journal of STEM Education 2019, 6/1, 29</li><li>
9 P. M. Niedenthal, N. Cantor, J. F. Kihlstrom, Journal of Personality and Social Psychology 1985, 48/3, 575–584</li><li>
10 L. F. Capretz, International Journal of Human-Computer Studies 2003 58/2, 207–214</li></ul>

Meldung

Vor 50 Jahren

Februar 1970

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