Bildung + Gesellschaft

<p>Kurioses, Erstaunliches, &Uuml;berraschendes &mdash; was vor 50 Jahren in den &bdquo;Nachrichten aus der Chemie&ldquo; stand, die damals noch &bdquo;Nachrichten aus Chemie und Technik&ldquo; hie&szlig;en.</p>

Vor 50 Jahren

<h2>Juni 1970: Technologie im 21. Jahrhundert</h2><p>In der zweiten Juniausgabe vor 50 Jahren berichteten die Nachrichten aus Chemie und Technik über Zukunftsforschung. Der Bericht attestierte den Forschern „ein nicht zu geringes Quantum spekulativer Phantasie“, und zwar auf einer Konferenz der American Geographical Society. Dort „spekulierte“ E. D. Bergmann (Hebrew University, Jerusalem) über die Zeit nach Erdöl und Kohle:</p><div><img src="https://media.graphcms.com/xWq3tzbnR5mnmQ8HX7q9">

</div><p></p><p>L. R. Brown vom Overseas Development Council stellte auf derselben Veranstaltung fest, „daß nach aller Voraussicht die Biotechnologie ein Hauptzweig der chemischen Industrie werden wird.“</p><div><img src="https://media.graphcms.com/ZHA61BjESdCQgikz7yOS">

</div><p></p><p>Weniger bewahrheitet hat sich die Prognose des französischen Hochkommissars für Atomenergie. Er sah die Zukunft der Energieversorgung in schnellen Brütern und die Kernbrennstoffversorgung der Menschheit auf zehn Millionen Jahre gesichert.</p><p>Ansonsten finden GDCh-Mitglieder in den alten Ausgaben mehr über die Vergangenheit als über die Zukunft, und zwar unter <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.gdch.de/nachrichten" target="_blank">www.gdch.de/nachrichten</a></ext-link> und „mygdch“.</p>

Meldung

Juni 1970: Technologie im 21. JahrhundertIn der zweiten Juniausgabe vor 50 Jahren berichteten die Nachrichten aus Chemie und Technik über Zukunftsforschung. Der Bericht attestierte den Forschern „ein nicht zu geringes Quantum spekulativer Phantasie“, und zwar auf einer Konferenz der American Geog...

Prof.Dr.

<p>Mit dem Fortschritt wachsen die Möglichkeiten, unerwünschte Wirkungen von Innovationen frühzeitig zu erkennen und zu bewerten.</p>
<p>Innovationen sind definiert als neuartige Problemlösungen. Sie eröffnen unerwartete Wege und erweitern Konzepte. In der Evolution vollzogen sich Innovationen nach dem Prinzip von Trial and Error in langen Zeiträumen. Die Innovationskultur des Menschen unterscheidet sich davon in drei wesentlichen Merkmalen. 1. Der Verstand führt Regie. 2. Das Wissen wird kumuliert und tradiert. 3. Die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Innovationssträngen führen zu neuartigen Möglichkeiten. In der Summe ergibt sich ein Phänomen, das über die Natur hinausgeht: die progressive Akzeleration.</p><p>So hat das Innovationsgeschehen eine Dynamik gewonnen, die einerseits viele Menschen verängstigt fragen lässt: „Wo soll das hinführen?“ Andererseits sind durch den Fortschritt Lebensbedingungen entstanden, die weder einfach umkehrbar noch sorglos extrapolierbar sind. Die wachsende Zahl der Menschen und ihr ungebremster Ressourcenverbrauch haben unübersehbare Auswirkungen auf die Natur. Deren Dimension zeigt der Klimawandel. Von alleine werden sich diese Probleme nicht lösen. So ist die Menschheit in eine Zwickmühle geraten. Gerade die Erfolge des Fortschritts erfordern nun sowohl Verhaltensänderungen als auch weitere tiefgreifende Innovationen. Nur so lassen sich die Lebensbedingungen auf unserem Planeten nachhaltig gestalten.</p><p>Moratorien im Sinne von Innehalten und Abwarten könnten verheerende Folgen haben. Verantwortliches Handeln heißt nämlich auch, das Notwendige nicht zu verzögern oder gar zu versäumen. Aber es gelten die Binsenweisheiten: Jede Innovation hat auch unbeabsichtigte Folgen, und jede Innovation lässt sich missbrauchen. Das galt für den Faustkeil und endet nicht mit der Gentechnik. Wachsamkeit, kritische Begleitung und vor allem moralische Reflexion sind unverzichtbar. Darüber hinaus gibt es jedoch den wichtigen positiven Effekt einer inhärenten kontrollierenden Kompetenz. Mit dem Fortschritt wachsen die Möglichkeiten, unerwünschte Wirkungen früh und sicher zu erkennen sowie sie zu bewerten. In der Chemie kennen wir dieses Phänomen aus der Entwicklung von Wirkstoffen und deren analytischer Verfolgung. Der Spurenanalytik entgeht heute fast nichts mehr.</p><p>Das Vorsorgeprinzip ist wichtig, kann aber auch überzogen werden. Dann werden vor lauter Besorgnis Chancen versäumt. Ein Beispiel: In einer Enquetekommission des Bundestags forderte die Fraktion „Die Grünen“ im Jahr 1987, „jede Anwendung der Gentechnologie zu stoppen“. Weltweit würden heute Millionen Patienten mit Rheuma oder Krebs auf effektive Therapien verzichten müssen oder aktuell auf Hoffnung auf einen Impfstoff gegen Covid-19. Die Zeiten von blauäugigem Fortschrittsoptimismus sind weitgehend vorbei, das ist gut, aber ein überängstlicher Rückzug in populistische Fortschrittsskepsis birgt ebenfalls Risiken.</p><p>Ein Beispiel: Alle Probleme, die sich für die Zukunft abzeichnen, werfen für uns Chemiker Fragen nach passenden Materialien auf. Der bequeme Rückgriff auf die Kohlenstoffreserven der Erde erweist sich zunehmend als problematisch. Weniger die langfristige Verfügbarkeit macht Sorgen, vielmehr ist es die Belastung der Ökosphäre mit Abfall und Nebenprodukten. Noch ist nicht abzusehen, wie die Auswege aussehen werden. Auf jeden Fall muss eine neue Balance zwischen der Bereitstellung neuer Materialien und deren Nachhaltigkeit gefunden werden. Dabei ist sicher: Es werden riesige Herausforderungen auf die Chemie zukommen. Das Vorsorgeprinzip kann und muss deshalb lauten, die Anstrengungen für Innovationen weiter zu steigern. Kreativität und Mut zu neuen Wegen sind gefragt wie nie zuvor, denn die Zeit scheint knapp zu werden.</p><h2>Der Autor</h2><p>Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger hat in München Chemie und Anthropologie studiert. Er leitete bei der BASF die Forschung. Als GDCh-Präsident initiierte er die Verabschiedung des Verhaltenskodexes. Er ist Autor von Fachbüchern und Aphorismen und hat mehrere Lehrvideos auf youtube veröffentlich.</p><div><img src="https://media.graphcms.com/y4FKge9RTUKhczdbaWUI">

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