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Kurioses, Erstaunliches, &Uuml;berraschendes &mdash; was vor 50 Jahren in den &bdquo;Nachrichten aus der Chemie&ldquo; stand, die damals noch &bdquo;Nachrichten aus Chemie und Technik&ldquo; hie&szlig;en.

Vor 50 Jahren

Gefahr durch BleiIm Frühjahr 1971 fasste ein Übersichtsartikel in den Nachrichten aus Chemie und Technik die Erkenntnisse zu Bleiverbindungen in der Umwelt zusammen. Die meisten Untersuchungen dazu stammten aus den USA.<div><img src="https://media.graphcms.com/pUF1EtIXSwaOXyH27AXR">

</div>Zu der Zeit gab es noch keine Regelung, wie viel Bleitetraethyl Kraftstoffe als Antiklopfmittel enthalten durften. Verbleites Normalbenzin wurde in Deutschland im Jahr 1988 verboten, verbleites Superbenzin acht Jahre später. Verbleite Kraftstoffe sind in der EU und in der Schweiz seit dem Jahr 2000 nicht mehr erlaubt.Den ganzen Artikel „Gefahr durch Blei“ lesen GDCh-Mitglieder in der ersten Maiausgabe des Jahres 1971, Zugang über myGDCh.

Meldung

Gefahr durch BleiIm Frühjahr 1971 fasste ein Übersichtsartikel in den Nachrichten aus Chemie und Technik die Erkenntnisse zu Bleiverbindungen in der Umwelt zusammen. Die meisten Untersuchungen dazu stammten aus den USA. Zu der Zeit gab es noch keine Regelung, wie viel Bleitetraethyl Kraftstoffe...

Der Experimentalphysiker Frank Müller sucht in wissenschaftlichen Zeitschriften nach gefälschten Daten. Ein Gespräch über die Triebkraft für Betrug, was die Wissenschaft weiterbringen könnte und warum Wissenschaftler nicht die besseren Menschen sind.
Nachrichten aus der Chemie: Sie suchen nach Fälschungen in Publikationen aus Physik, Materialforschung und Chemie. Hat es Sie überrascht, wie viele Fälschungen Sie gefunden haben?Frank Müller: Bei meinem ersten Fall ist für mich eine Art Weltbild zusammengebrochen. Es gab 2002 den Fall Jan Hendrik Schön, der erfundene Ergebnisse in Science und Nature veröffentlichte.1) Aber ich hatte gedacht, so etwas kommt einmal in zig Jahren vor.Seit dem Jahr 2013 beschäftigen Sie sich intensiv damit, solche Fälschungen aufzudecken. Wie kam es dazu?Damals habe ich für eigene Arbeiten Referenzdaten recherchiert, Photoemissionsspektren für Titanverbindungen. Ich stieß auf drei Veröffentlichungen einer indischen Universität und schaute mir die Daten genauer an: Es waren dieselben Daten für verschiedene Experimente. Und wie es der Zufall will, stieß ich auf Publikationen der gleichen Universität, die Daten enthielten, die nach der gleichen Systematik gefälscht waren. Ich schrieb dann den Herausgebern.Und die Reaktion?Kam überraschend schnell. Eine Zeitschrift hat die Publikation innerhalb von zwei Wochen zurückgezogen, bei den anderen dauerte es sechs bis acht Wochen. Aber noch heute sind Fälle, die ich vor drei bis vier Jahren gemeldet habe, in der Warteschleife.Was war die raffinierteste Fälschung, die Sie entdeckt haben?Ich suche nur nach Fällen, bei denen ich mit bloßem Auge sehe, dass die Daten gefälscht sind. Das sind alles Arbeiten, bei denen ich keine Daten analysieren oder Rohdaten anschauen muss. Raffiniert ist da keine. Ich kann Ihnen aber die dümmste Fälschung nennen.Gerne.Eine Gruppe publizierte über ein neues Wundermaterial. Signale in einer Messung standen für eine bestimmte Eigenschaft, die dieses Material nicht haben sollte. In der Publikation stand eine Abbildung mit den Messdaten des Ausgangsmaterials – mit den unerwünschten Signalen – und des modifizierten Materials – die Daten zeigten die Signale nicht mehr. Aber bei genauem Hinsehen war zu erkennen: Die Autoren haben dafür ein Stück Untergrund ausgeschnitten und periodisch aneinandergereiht. Dabei geht so etwas mit einem kostenlosen Zufallsgenerator, ohne dass es auffällt.Die Autoren haben nicht mal versucht, das Untergrundrauschen zu manipulieren?Nein. Bei diesen groben Fälschungen ist es immer dasselbe: Die Autoren nehmen dieselben Daten und belegen damit unterschiedliche Experimente. Im einfachsten Fall verändern sie nichts, sondern schreiben nur einen anderen Probennamen dran.Beobachten Sie nur so plumpe Fälschungen?Nein, ich habe sie in mehrere Stufen eingeteilt. Die zweite Stufe wäre: Man nimmt dieselben Daten, arbeitet sie aber leicht nach, indem man sie nur entlang der X-Achse verschiebt oder entlang der Y-Achse reskaliert. Das Rauschen ist unverändert. Die dritte Stufe wäre, dass Autoren einige Punkte leicht ändern, dass ein Peak eine Schulter bekommt oder ein Doppelpeak entsteht, aber das Untergrundrauschen ist nach wie vor dasselbe. Die vierte Stufe wären die Patchwork-Daten, die wie aus einem Lego-Baukasten aus verschiedene Sequenzen beliebig zusammengesetzt sind, sodass sich eine Vielzahl vermeintlich verschiedener Daten ergibt.Bei mikroskopischen Aufnahmen finde ich oft ein und denselben Partikel mit allen möglichen Schattierungen an mehreren Stellen, manchmal auch rotiert.Wie schnell finden Sie solche Fälschungen?Wenn ich anfange, eine Zeitschrift oder Zeitschriften aus einem Verlag durchzuschauen, habe ich nach einer halben Stunde den ersten Treffer. Inzwischen reicht mir bei einer Publikation die Vorschau einer Abbildung, um Fälle zu erkennen.Wie hoch schätzen Sie den Anteil an Fälschungen insgesamt ein?Das ist schwer zu sagen, mein privates Archiv enthält ein paar hundert Einträge bei Millionen Publikationen pro Jahr. Ich habe aber mal ein Experiment gemacht.Welches?Ich habe Paper aus Indien gesucht und nach einer experimentellen Technik, mit der ich mich auskenne. Ich wollte herausfinden: Wie viele aktuelle Artikel muss ich mit diesen beiden Stichworte suchen, um zwei Fälschungen zu finden? Diese beiden Treffer hatte ich nach den ersten fünf Publikationen. Bei einer anderen Suche nach den ersten sechs. Das ist eine Trefferquote von 33 bis 40 Prozent.Wie viele Treffer haben Sie bei Veröffentlichungen aus den USA oder Europa?Für den Förderantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft habe ich eine kleine Statistik erstellt. Damals hatte ich etwa 100 Publikationen mit starken Verdachtsmomenten gesammelt. Von all diesen Papern habe ich die Institutionen aller beteiligten Autoren recherchiert und dann nach Staaten geordnet. Institutionen aus Europa und den USA haben zusammen einen Anteil von 6 Prozent; wenn ich Indien und China zusammennehme, komme ich auf 60 Prozent.Gibt es dabei nicht eine Grauzone, Autoren, die einfach nur unsorgfältig gearbeitet haben?Die Ausrede „mangelnde Sorgfalt“ dient bei Betrug inzwischen sogar als Hintertür. Wenn auffällt, dass Autoren dieselben Daten bei unterschiedlichen Experimenten publizieren, schreibt der Arbeitsgruppenleiter einfach: „PhD student confused data“. Die Korrespondenzautoren reichen dann Rohdaten nach, die in den meisten Fällen mit der Kernaussage der Abbildung nicht mehr viel zu tun haben. Ab dem Moment kann die Publikation nicht länger als begutachtet gelten.Damit sind wir bei der Frage, ob eher Arbeitsgruppenleiter oder eher Doktoranden betrügen.Wenn ich von einer Autorengruppe ein gefälschtes Paper finde, dann muss ich mir in der Regel nur die Publikationsliste des Erstautors oder des Korrespondenzautors ansehen, um noch mehr zu finden. In der Regel taucht dann nur ein Name in den Autorenlisten aller fragwürdigen Publikationen auf – der der Chefin oder der des Chefs. Also entweder kommt dieses Datenverwechseln von oben, oder die Doktoranden sind alle so dumm. Ich wette auf Erstgenanntes.Ich verstehe nicht, warum so grobe Fälschungen den Gutachtern nicht auffallen.Sicher hat jeder schon mal die Situation erlebt, dass bei einer Promotionsfeier jemand aufsteht und sagt: „Ich muss leider gehen, morgen ist ein Gutachten fällig und ich habe noch nicht ins Paper geschaut.“ Das Problem ist, dass Publizieren ein Massenphänomen ist, und das zeigt sich im Gutachterverhalten.Halten Sie das Peer-Review-System für gescheitert?Nein, ich sehe das Problem weniger im Begutachtungssystem als in der Publikationsfülle. Jemand hat das mal ganz treffend akademische Umweltverschmutzung genannt. Sorgfältig begutachten kann man, wenn im Jahr drei oder vier Anfragen kommen und nicht dreißig oder vierzig.Es heißt immer noch „publish or perish“.Es ist wissenschaftliche Planwirtschaft, wenn ich eine befristete Anstellung habe und in einem Jahr eine bestimmte Zahl an Artikeln publizieren muss, und das in Zeitschriften mit einem Mindest-Impactfactor. Es gibt noch ein anderes Problem.Welches?Eitelkeit. Ein Wissenschaftler, der publiziert, wird zu entsprechenden Konferenzen an attraktiven Orten eingeladen, hängt noch einen privaten Urlaub an, Flug ist ja bezahlt. Und in China hat in den letzten Jahren „Cash-for-Publication“ massiv zugenommen. Erstautor auf einer Publikation in Science oder Nature zu sein, ist gleichbedeutend mit einem Eigenheim.Wenn ich Sie am Anfang richtig verstanden habe, sehen Sie auch die Verlage in der Pflicht.Ja. Wenn wir einem Herausgeber einen Fall melden, kommt in der Regel ein Standardsatz: „Danke, wir werden den Fall untersuchen, aber das kann dauern.“ In einigen Fällen sind das nur Worthülsen, und es passiert nichts. Wenn man nach Jahren nachfragt, weil die betreffende Publikation immer noch als regulärer Artikel abrufbar ist und zitiert wird, kommt keine Rückmeldung mehr.Es gibt auch die Verlage, die Meldungen sorgfältig untersuchen und einen Rückruf einleiten. Aber manchmal sind Artikel immer noch regulär abrufbar, obwohl die Retraction bestätigt wurde. Nach Rückfrage heißt es dann, die Verlagsmitarbeiterin habe das übersehen.Zeitschriften fürchten bei einer hohen Zahl an Rückrufen um ihren Ruf.Es sollte aber genau umgekehrt interpretiert werden. Wenn es viele Retractions gibt, weiß jeder: Die Artikel, die letztendlich in der Zeitschrift verbleiben, haben Hand und Fuß. Diese Sichtweise ist bei den Herausgebern noch nicht angekommen.Mittlerweile melde ich typischerweise Pakete von 15 bis 20 gefälschten Publikationen einer bestimmten Autorengruppe an die Verlage. Eine solche Meldung geht an alle Herausgeber gleichzeitig, damit jeder mitlesen kann, bei welcher Zeitschrift Betrug entdeckt wurde. Wenn ein Herausgeber sieht, dass ein Autor bei 14 anderen Publikationen Daten mehrfach verwendet hat, wird er das nicht mehr als Datenverwechselung ansehen können.Was würden gegen den Betrug in der Wissenschaft helfen?Eine nationale oder internationale Datenbank, so eine Art Gegenstück zur Flensburger Verkehrssünderkartei. Dort würden dann Betrugsfälle in der Wissenschaft über einen gewissen Zeitraum gespeichert. Solange ein Forscher dort Einträge hat, erhält er keine öffentlichen Fördergelder.Im Grunde kann die Menge der Publikationen kein Kriterium mehr sein für eine akademische Karriere oder die Reputation eines Forschers.Vielleicht sollte man nur einen Artikel pro Jahr veröffentlichen dürfen, dann überlegt man sich genau, was man schreibt.Wie viel Zeit nimmt die Suche nach Fälschungen von Ihrer Arbeitszeit in Anspruch?Ich habe einen gewissen Jagdinstinkt entwickelt, sodass ich die Suche fast wie ein Hobby ansehe. Während beispielsweise im Labor eine Messung läuft, starte ich eine Recherche, und bei jeder finde ich etwas. Das ist mittlerweile so viel, dass ich gar nicht mehr nachkomme, alle an die Herausgeber zu melden. Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn jeder größere Forschungsverbund wie ein Sonderforschungsbereich oder ein Schwerpunktprogramm mindestens eine halbe Stelle für solche Recherchen ansetzt.Ihrer eigenen Forscherkarriere nutzt die Fälschungssuche nichts.Die Frage ist doch, was für die Wissenschaft wertvoller ist: Wenn ich in drei Jahren zehn Publikationen als Erkenntnisgewinn liefere – oder wenn ich in drei Jahren 500 Publikationen, die ein falsches Weltbild vermitteln, aus dem Verkehr ziehe?Trägt Ihre Arbeit auch dazu bei, Ihr Weltbild wieder geradezurücken?Da habe ich wenig Hoffnung. Warum sollte es in der Wissenschaft anders sein als in der Autoindustrie oder in der Finanzwelt? Wissenschaftler sind ja keine ethischeren Menschen.Aber ich hoffe schon, dass es sich herumspricht, dass Betrug erwischt wird und die zurückgezogenen Paper ihre gesamte Laufbahn an den betreffenden Forschern kleben. Man sollte bereits den Studenten klar machen: Betrug fällt vielleicht im ungünstigsten Moment auf. Vielen ist nicht klar, dass ein Paper nicht nur durch den Peer-Review-Prozess geht. Ein Paper wird, wenn es veröffentlicht ist, jeden Tag begutachtet, nämlich durch die Leser.Mit Frank Müller telefonierte Nachrichten-Redakteurin Frauke Zbikowski.<figure><img src="https://media.graphcms.com/TL6vwgJWQwelLhOwUcbw"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Auf der Spur manipulierter Daten und kopierten Grundrauschens (von links): Ulrich Herb, Anne Holtsch, Karin Jacobs und Frank Müller. Foto: Universität des Saarlandes/Thorsten Mohr</figcaption></figure>
<h2>INFO: Die Suche nach Betrug in der Wissenschaft</h2>Seit Anfang 2020 finanziert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) für drei Jahre das Projekt „Summa cum fraude – Wissenschaftliches Fehlverhalten und der Versuch einer Gegenoffensive“ an der Universität des Saarlandes. Daran beteiligt sind die Physiker Karin Jacobs und Frank Müller, Anne Holtsch, die als Postdoc in Jacobs‘ Arbeitsgruppe „Physik kondensierter Materie“ arbeitet, sowie Ulrich Herb von der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek. Stichprobenartig durchsuchen vor allem Müller und Holtsch wissenschaftliche Primärjournale aus Experimentalphysik, Chemie und Materialforschung nach gefälschten Daten. Dieses Projekt ist das einzige seiner Art, das Mittel von der DFG erhält.
<ul class="references"><li>
1 Artikel über den Betrugsfall Jan Hendrik Schön im Spiegel: <a href="https://t1p.de/29j8" target="_blank">t1p.de/29j8</a></li></ul>

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