Bildung + Gesellschaft

Kurioses, Erstaunliches, &Uuml;berraschendes &mdash; was vor 50 Jahren in den &bdquo;Nachrichten aus der Chemie&ldquo; stand, die damals noch &bdquo;Nachrichten aus Chemie und Technik&ldquo; hie&szlig;en.

Vor 50 Jahren

<h2>Chemiestudium in Regensburg</h2>
&bdquo;Nur die Studenten fehlen noch&ldquo; titelten im Februar 1972 die Nachrichten aus Chemie und Technik &uuml;ber die Universit&auml;t Regensburg. Denn Erstsemester in Chemie nahm die im Jahr 1964 gegr&uuml;ndete Hochschule erst zum Wintersemester 1972/1973 auf, 32 Studienpl&auml;tze gab es. Ab 1971 h&auml;tten 15 Chemiestudenten nach dem Vordiplom in Regensburg studieren k&ouml;nnen, es waren aber nur zwei gekommen. Im Wintersemester 2021/2022 haben sich in Regensburg &uuml;brigens 44 Studierende in den Bachelorstudiengang eingeschrieben. Und anders als vor 50 Jahren vergibt die Uni heute Promotionsnoten; die Promotion ohne Bewertung erwies sich als Hemmnis auf dem Arbeitsmarkt. Noch mehr &uuml;ber die damals junge Universit&auml;t lesen Sie im Online-Heftarchiv mit Ihrer GDCh-Mitgliedsnummer und Passwort: <a href="https://www.gdch.de/doi/10.1002/(ISSN)1868-0054" target="_blank" rel="noopener">www.gdch.de/doi/10.1002/(ISSN)1868-0054</a>
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Vor 50 Jahren in den Blauen Blättern

Noten auf die Promotion?

Chemiestudium in Regensburg „Nur die Studenten fehlen noch“ titelten im Februar 1972 die Nachrichten aus Chemie und Technik über die Universität Regensburg. Denn Erstsemester in Chemie nahm die im Jahr 1964 gegründete Hochschule erst zum Wintersemester 1972/1973 auf, 32 Studienplätze gab es. Ab 1...

Den Chemiker:innen stellen sich st&auml;ndig ethische Fragen &ndash; vom Umgang mit Dual-Use-Themen bis zur Gentechnik. Aber sind sie darauf vorbereitet? Ein Gespr&auml;ch mit der Philosophin Julia Dietrich.
Nachrichten aus der Chemie: Nach einer Studie, die Sie vor ein paar Jahren durchgef&uuml;hrt haben, vermitteln Chemiestudieng&auml;nge selten Kenntnisse in Ethik &ndash; anders als Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften und andere Naturwissenschaften. Was unterscheidet die Chemie hier von den Ingenieurwissenschaften?
Julia Dietrich: Ich formuliere mal eine vorsichtige Hypothese aus philosophischer Sicht: Wissenschaften oder Disziplinen, die unmittelbar mit Interaktion und Kommunikation zu tun haben, sind eher offen f&uuml;r <xref rid="nadc20224116268-fig-0001" ref-type="fig">ethische Fragen</xref>. Biologie hat unmittelbar mit Leben zu tun, in den Wirtschaftswissenschaften geht es um menschliche Interaktionen.
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<figcaption><label>Abb. 1: </label>freshidea/Adobe Stock</figcaption>
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Ich denke, dass die Chemie eine Wissenschaft ist, die sehr pr&auml;zise und kontrolliert mit Stoffen umgeht. Entsprechend ist vermutlich der gedankliche Fokus. In meiner Wahrnehmung spielt das fachspezifische Wissen in der Chemie eine viel gr&ouml;&szlig;ere Rolle als in st&auml;rker kompetenzorientierten Studieng&auml;ngen.
Das w&uuml;rde erkl&auml;ren, warum sich angehende Ingenieure mehr mit ethischen Problemen befassen als Chemiker.
Ja, deren Produkte gehen ja unmittelbar erfahrbar in die Lebenswelt von Menschen ein. Offenheit f&uuml;r ethische Reflexionen hat viel mit der Erfahrbarkeit der Folgen zu tun. Wenn ich im Labor Fehler mache, dann merke ich das als Chemiker:in zwar meistens sofort. Aber die gesellschaftlichen Folgen chemischer Forschung zeigen sich erst zeitverz&ouml;gert. Aus meiner Sicht ist es daher psychologisch nachvollziehbar, sich erst auf den engeren Forschungsprozess zu konzentrieren.
Kann mangelnde Praxisn&auml;he der Chemie die einzige Erkl&auml;rung f&uuml;r Ihren Befund sein?
Ich habe mich damit besch&auml;ftigt, wann aus psychologischer Sicht Menschen &uuml;berhaupt reflektieren. Das ist dann, wenn sie Zeit haben und wenn sie weder k&ouml;rperlich noch emotional oder geistig &uuml;berfordert sind. Wenn sie Hunger und Angst haben und sich unter gro&szlig;em Druck f&uuml;hlen, scheint das ein schlechter Zeitpunkt zum Nachdenken. Aber Studierende in der Chemie m&uuml;ssen unter extrem hohem Zeitdruck unglaublich viel Wissen erwerben. Das sind Bedingungen, die es ihnen sehr schwer machen zu reflektieren.
Das f&uuml;hrt direkt zur n&auml;chsten Frage: Chemiestudierende m&uuml;ssen schon sehr viel lernen, wie sollen die Fachbereiche noch Ethik im Studium unterbringen?
Dieser starke Wissensbezug in der Chemie und die &Uuml;berlastung des Studiums, die daraus folgt, k&ouml;nnte ein Ausdruck von Verantwortung sein. Die Selbsteinsch&auml;tzung ist dann: In diesem Fach ist alles wirklich genau zu nehmen, denn es ist lebensgef&auml;hrlich, ungenau zu sein. Verantwortungsvolles Handeln h&auml;ngt m&ouml;glicherweise von dem ab, was man wei&szlig; und was nicht. Daraus erg&auml;be sich die paradoxe Situation, dass Chemiker:innen aus ethischen Gr&uuml;nden keine Zeit f&uuml;r Ethik haben.
Ein Dilemma.
Wenn man sich klar macht, dass diese Wissensorientierung vielleicht auch gute Gr&uuml;nde hat, sollte genau diese Verantwortungs&uuml;bernahme zu folgender Abw&auml;gung f&uuml;hren: Es w&auml;re effizienter, ab und zu diesen gro&szlig;en Druck zu Gunsten eines Freiraums zur Reflexion zu &ouml;ffnen.
Das w&uuml;rde bedeuten, die eigene Arbeit infrage zu stellen.
Nicht unbedingt. Den Begriff Ethik empfinde ich manchmal als Hindernis, weil er all diese moralisierenden, reglementierenden, von au&szlig;en kommenden, schlechte Laune machenden Konnotationen hat, die ich damit nicht verbinde. Ich verstehe unter ethischer Reflexion nicht, nur gegen etwas zu sein und zu fragen, ob etwas falsch ist. Ethische Reflexion ist nachdenken &uuml;ber das, was ich tue. Das kann zu dem Ergebnis f&uuml;hren, dass das gut und wichtig ist, und zwar gut begr&uuml;ndet und nachvollziehbar &ndash; nicht nur aus dem Bauch heraus.
Trotzdem bleibt die Frage: Wie sollen Universit&auml;ten Ethik im Chemiestudium unterbringen?
Dieses &bdquo;Wir m&uuml;ssen schon so viel wissen&ldquo; erscheint mir wie eine Abwehrstrategie nach dem Motto: &bdquo;Wir wissen selber, was wir zu tun haben&ldquo;. Das kann ich gut verstehen. Wenn jemand von au&szlig;en kommt und mir sagt, wie ich meine Lehre zu organisieren habe, reagiere ich auch erstmal so.
Wenn man aber ernst nimmt, dass es tats&auml;chlich irre viel zu wissen gibt, folgt f&uuml;r mich die Frage, f&uuml;r welche Inhalte wie viel Zeit investiert wird? Wenn im Master- oder Bachelorstudium beispielsweise f&uuml;nf Leistungspunkte f&uuml;r ethische Reflexion vergeben werden, dann sind das maximal f&uuml;nf Prozent. Was ist wichtiger: ein Wissenschaftler, eine Wissenschaftlerin, die grunds&auml;tzlich versteht, wo Schnittstellen des eigenen Tuns zu ethischen Fragen sind? Oder jemand, der f&uuml;nf Punkte mehr Wissen gesammelt hat, das sowieso eine geringe Halbwertszeit hat und zu dem Zeitpunkt, an dem es im Beruf relevant wird, neu erarbeitet werden muss?
Ich bin mir nicht sicher, ob allen B&uuml;rger:innen klar ist, dass niemand von den Wissenschaftler:innen, denen sie ihr Leben in die H&auml;nde geben, jemals einen Ethikkurs gemacht hat. Wahrscheinlich nicht.
Die GDCh-Studienkommission hat im Herbst neue Leitlinien f&uuml;r das Bachelorstudium herausgegeben und empfohlen, dass Ethik gelehrt werden sollte.
Aber nur in der Einleitung. Es ist ein Widerspruch, wenn sich Fachgesellschaften gesellschaftliche Verantwortung auf die Fahne schreiben und gleichzeitig auf der Handlungsebene im Studium daf&uuml;r kein Raum geschaffen wird. Bei den Studierenden kommt an, dass Ethik nicht wichtig ist.
Vielen Forschenden steht vor Augen, welche gesellschaftliche und ethische Relevanz ihr Tun hat. In dem Moment, wo sie das ins Studium lassen, holen sie sich wom&ouml;glich Kr&auml;fte in ihr Umfeld, die sie als Reglementierung empfinden. M&ouml;glicherweise k&ouml;nnen sie dann nicht mehr so weitermachen wie bisher. Ich kann nachvollziehen, dass das verunsichert. All die Forschenden an den entscheidenden Stellen haben ja keinerlei wissenschaftsethische Grundbildung. Sie sch&ouml;pfen zumeist aus ihrer menschlichen und professionellen Intuition heraus.
Aber reicht diese Intuition &ndash; oder auch gesunder Menschenverstand &ndash; nicht aus?
Zwischen Menschenverstand und Ethik gibt es einen Unterschied, und das ist wichtig. Man unterscheidet zwischen Moral und Ethik. Moral ist das Feld aller Werte und Normen, an denen sich Menschen orientieren &ndash; der gesunde Menschenverstand geh&ouml;rt dazu. Und dann gibt es eine Reflexion darauf mit dem Anspruch, nicht Meinungen zu produzieren, sondern begr&uuml;ndetes Wissen. Hier liegt Ethik und Naturwissenschaften das gleiche Wissenschaftsverst&auml;ndnis zugrunde. Insofern reicht der gesunde Menschenverstand nicht aus, denn ethische Reflexion bedeutet ja gerade, diesen kritisch zu pr&uuml;fen.
F&uuml;r Ihre Studien haben Sie mit Hochschullehrern gesprochen. Welche Einw&auml;nde &auml;u&szlig;ern diese gegen die Lehre von Ethik im Studium?
Beispielsweise kommt: Die Studierenden sind erwachsen, die lassen sich nicht mehr erziehen. Hier ist das Ethikverst&auml;ndnis das einer Moralerziehung, die gar nicht gemeint ist. Oder wir haben geh&ouml;rt: Wir lehren das schon. Und auf Nachfrage hei&szlig;t es dann: Wir lassen die Studierenden manchmal diskutieren. Aber ein Meinungsaustausch ist keine professionalisierte ethische Reflexion. Oder: Das brauchen wir nicht, eine gute F&uuml;hrungskraft wei&szlig; von allein, was das Gute ist. Das &uuml;berh&ouml;ht die Pers&ouml;nlichkeit. Im Einzelfall mag das funktionieren, aber wir reden &uuml;ber fl&auml;chendeckende Ausbildungsstrukturen.
Es ist doch zu bef&uuml;rchten, dass mehr ethische Diskussionen in der Chemie die Forschungsfreiheit einschr&auml;nken. Ist das mit dem Selbstverst&auml;ndnis einer Universit&auml;t vereinbar?
Die Grundidee der Wissenschaft an der Universit&auml;t ist: Es muss einen Freiraum geben, in dem man ohne Handlungsdruck einfach herausfinden will, wie etwas funktioniert. Als Philosophin teile ich diese Idee. Das ist ein Menschenrecht und geh&ouml;rt zu einem gelingenden Leben.
Oder einfach formuliert: forschen. Molek&uuml;le bauen, ohne zu wissen, ob sie jemals Anwendung finden.
Genau, aber damit nehme ich in Anspruch, dass ich das Recht dazu habe, das ist eine ethische Voraussetzung. Wissenschaft nimmt hier einen bestimmen ethischen Freiraum f&uuml;r sich in Anspruch. Wissenschaft und Ethik ist also keine Gegen&uuml;berstellung. Ganz abgesehen davon hei&szlig;t Forschungsfreiheit nicht, dass man alles darf.
Bei der Evaluation einer Ethik-Lehrveranstaltung vor ein paar Jahren haben Studierende gesagt, die bringe sie im Alltag nicht weiter. Zudem lehnten sie es ab, f&uuml;r Grundlagenforschung Verantwortung zu &uuml;bernehmen, weil sie nicht absehen k&ouml;nnen, was aus ihrer Forschung gemacht wird. Was entgegnen Sie darauf?
Ich bringe am besten mal ein Beispiel aus der Philosophie. Sonst komme ich in eine unangenehme Rolle.
In der sind Sie wahrscheinlich sowieso schon, davon kann ich Sie nicht entlasten.
Ich will darauf hinaus, dass Philosoph:innen solche Probleme auch haben. Die sind ja per se Grundlagenforscher:innen, man unterstellt ihnen immer, dass sie vom wahren Leben keine Ahnung haben. Trotzdem tr&auml;gt die Philosophie Verantwortung. So hat John Locke einmal die Unterscheidung zwischen Mensch und Person erfunden. Diese f&uuml;hrt dazu, dass wir gedanklich die M&ouml;glichkeit haben, manchen Menschen Personenstatus zuzusprechen und anderen nicht. Diese harmlos erscheinende philosophische Unterscheidung hat wom&ouml;glich eine enorme Wirkung, denn sie f&uuml;hrt dazu, dass die einen sterben gelassen werden und die anderen nicht. Das konnte niemand vorhersehen. Etwas nicht vorhersehen zu k&ouml;nnen, bedeutet nicht, dass wir nicht beizeiten dar&uuml;ber nachdenken sollen, welche weiteren Entwicklungen es geben k&ouml;nnte.
Der Grundlagenforscher ist also nicht verantwortlich f&uuml;r die Folgen seiner Ergebnisse.
Doch, ist er. Es ist zwar eine Schw&auml;che im Verantwortungskonzept, dass wir meinen, nur der Verursachende trage Verantwortung. Aber wir als B&uuml;rger:innen k&ouml;nnen noch weniger wissen, ab wann etwas aus der Grundlagenforschung anwendungsreif wird. Wir haben auch keine Szenarien im Kopf, was man mit den Ergebnissen aus der Grundlagenforschung anfangen k&ouml;nnte. Solche Szenarien werden zum Teil sehr fr&uuml;h formuliert, etwa in Projektzusammenfassungen. Auf diese Ideen kommen am fr&uuml;hesten die Wissenschaftler:innen selbst. Wer sollte denn als Fr&uuml;hwarnsystem dienen und die Verantwortung tragen, wenn nicht die Wissenschaftler:innen?
Wo w&uuml;rden Sie Ethik im Studium verankern?
Idealerweise? Die meisten Studierenden studieren aus einer ethischen Motivation im weitesten Sinne: Sie haben n&auml;mlich Lust auf ihr Fach und finden es wichtig. Wie Studien aus Kiel zeigen, sinken Studienabbrecherquoten, wenn man Studierende in der Studieneingangsphase &uuml;ber gesellschaftliche Relevanz und ethische Fragen ihrer F&auml;cher nachdenken l&auml;sst. Studierende bekommen eine Perspektive, wozu das Studium gut sein k&ouml;nnte. Aus diesem Grund w&uuml;rde ich Ethik zumindest an den Anfang setzen. Im Grunde m&uuml;sste Ethik studienbegleitend gelehrt werden.
Schafft die Lehre in Ethik die Grundlage f&uuml;r gute wissenschaftliche Praxis?
Gute wissenschaftliche Praxis durchzuhalten, ist gar nicht so einfach. Sie wird zum Beispiel dann erschwert, wenn man Wissenschaft haupts&auml;chlich als Wettbewerb versteht, der durchg&auml;ngig davon gepr&auml;gt ist, wer als erste oder erster etwas publiziert. Der Angriff auf die sch&ouml;nen Tugenden Ehrlichkeit und Transparenz ist systemische Norm. Es w&auml;re ein Ansatzpunkt zu begreifen, wie anspruchsvoll gute wissenschaftliche Praxis f&uuml;r den einzelnen sein kann &ndash; dabei kann die Ethik helfen.
Wie l&auml;sst es sich vermeiden, dass ethische Reflexion im Studium im luftleeren Raum stattfindet?
Ethische Reflexion muss immer an realen F&auml;llen funktionieren. In einem meiner Seminare haben Wissenschaftler:innen aus ihrer Forschung berichtet und ein aktuelles ethisches Problem vorgestellt. Wir haben dann diese Situation theoriegeleitet erschlossen, aber keine Empfehlungen im engeren Sinne formuliert. Stattdessen haben wir nach Handlungsm&ouml;glichkeiten und Zweifeln gefragt.
Wo sehen Sie bei Chemikern die gr&ouml;&szlig;ten Bildungsl&uuml;cken die Ethik betreffend?
Die Chemie ist ein faszinierender Ausnahmefall. Ich habe in Baden-W&uuml;rttemberg ein philosophisches Grundlagenstudium f&uuml;r alle Lehramtsstudieng&auml;nge mitkonzipiert und organisiert, und in jedem Fach gibt es einen Forschungsstand &bdquo;Fach plus Ethik&ldquo;: Bioethik, Medizinethik, Ethik der Verwaltungswirtschaft, der Musik, der Mathematik etc. Mir f&auml;llt beinahe kein Fach ein, das keine solche Fach- oder Bereichsethik hat, die sich anhand von Publikationen, Fachgesellschaften und Professuren etabliert hat. In der Chemie ist das beinahe inexistent. Es gibt die Zeitschrift Hyle &uuml;ber Philosophie in der Chemie, es gibt einzelne wegweisende Sammelb&auml;nde. Aber Chemieethik existiert in dieser Weise einfach noch nicht.
Chemiker, die sich auch mit Ethik besch&auml;ftigen, sind fachliche Au&szlig;enseiter?
Ich vermute, dass viele Forschende und Studierende Interesse daran h&auml;tten, wenn die zeitliche &Uuml;berlastung nicht w&auml;re. Ich sehe viel guten Willen und starre Strukturen. Ich habe manchmal den Traum, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft das Format des Ethik-Freisemesters erf&auml;nde, gerade f&uuml;r die Chemie. Dass jemand, der Interesse hat, engagiert ist und &uuml;ber seine Lehre nachhaltig wirken k&ouml;nnte, freigestellt wird, um sich Zeit und Raum zu nehmen, die ethischen Fragen in seiner Forschung und Lehre zu erschlie&szlig;en. Und dann bietet man diesem Menschen ein interdisziplin&auml;res Begleitprogramm, &uuml;ber das er sich mit Gleichgesinnten austauschen kann. Das m&uuml;sste ein Angebot sein, das ihn auf Gedanken und didaktische Ideen bringt.
Und wenn die DFG kein Ethik-Freisemester einrichtet?
In den letzten zwei Jahren habe ich zusammen mit zwei Mitarbeiter:innen, Annett Wienmeister und Sebastian Brotkorb, eine Online-Lernplattform zum Genom-Editing am Menschen entwickelt und ver&ouml;ffentlicht.1) Wir haben sie so angelegt, dass sie auf andere Themen und Wissenschaften &uuml;bertragbar ist. Und ich k&ouml;nnte mir vorstellen, dass so ein digitales Tool mit einfach verf&uuml;gbarem Material hilfreich sein k&ouml;nnte. Das w&auml;re eine Art Ethikplattform Chemie, die sammelt, zusammenfasst und sichtbar macht, was es schon gibt und was die anderen naturwissenschaftlichen Ethiken beisteuern k&ouml;nnen.
Das passt in eine Zeit, in der Lehre digitalisiert wird.
Ja. Die TU Berlin zum Beispiel hat ein Ethikzertifikat aufgelegt, f&uuml;r das sich Studierende Veranstaltungen anrechnen lassen k&ouml;nnen. Daf&uuml;r braucht es nicht unbedingt neue Veranstaltungen, sondern es wird einfach honoriert, wenn sich jemand in dem Feld engagiert.
Mein Schwerpunkt ist im Moment, die Idee einer wissenschaftsethischen Grundbildung stark zu machen. Ich arbeite an einem Buch &bdquo;Didaktik angewandter Ethik&ldquo;, ein Teil ist das Profil einer wissenschaftsethischen Grundbildung, wie sie durch das gesamte Bildungssystem f&uuml;r alle anzustreben ist.
Sind Sie optimistisch, dass sich die Idee einer wissenschaftsethischen Grundbildung durchsetzt?
Ja. Ich bin deswegen optimistisch, weil es f&auml;cher&uuml;bergreifend unglaublich viele Ans&auml;tze zur ethischen Reflexion gibt, die sich gegenseitig st&auml;rken und von denen die Chemie profitieren kann.
<h2>Zur Person: Julia Dietrich</h2>
Julia Dietrich leitet als Akademische Oberr&auml;tin den Arbeitsbereich Didaktik der Philosophie und Ethik an der FU Berlin. Sie studierte Philosophie, Politikwissenschaft und Neuere Deutsche Literatur in Bonn und M&uuml;nchen und promovierte an der TU Dresden zur Theorie ethischer Urteilsbildung. Sie erforscht die Vermittlung angewandter Ethik, Ethik in den Wissenschaften sowie Theorien (wissenschafts-)ethischer Urteilsbildung und Grundbildung.
Mit Ethik in den Wissenschaften befasst sie sich seit dem Jahr 1992, zun&auml;chst im Graduiertenkolleg &bdquo;Ethik in den Wissenschaften&ldquo; am Internationalen Zentrum f&uuml;r Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universit&auml;t T&uuml;bingen. Von 1996 bis 1999 war sie dort Mitarbeiterin des Projekts &bdquo;Schule Ethik Technologie&ldquo;, aus dem heraus der Arbeitsbereich &bdquo;Ethik und Bildung&ldquo; am IZEW entstand, den sie bis 2015 leitete.
<ul class="references">
<li>1 <a href="https://userblogs.fu-berlin.de/genome-editing/" target="_blank" rel="noopener">userblogs.fu-berlin.de/genome-editing/</a></li>
</ul>

Vor 50 Jahren in den Blauen Blättern

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