Industrie + Technik

Prof.Dr.Dr.-Ing.E.h.

Die Basischemikalie Wasserstoffperoxid wird seit mehr als hundert Jahren im industriellen Maßstab hergestellt. Inzwischen dient H2O2 dazu, Propylen zu Propylenoxid für Polyurethan-Vorprodukte zu oxidieren – mit Katalysator und mit Wasser als Nebenprodukt.
Die Industrie verbrauchte im Jahr 2021 dem „Chemical Economics Handbook“ zufolge weltweit etwa 6,3 Millionen Tonnen Wasserstoffperoxid. Es sollen demnach jährlich über fünf Prozent mehr werden.<h2>Das Kreislaufprinzip</h2>Anfang der 1930er Jahre suchten Chemiker der IG Farben (später BASF) in Ludwigshafen nach Verfahren, die sich als Kreisprozess zur Wasserstoffperoxidherstellung eignen. Georg Pfleiderer und Hans-Joachim Riedl arbeiteten ab dem Jahr 1935 daran, das Anthrachinonverfahren zu entwickeln, das als Autoxidationsverfahren (AO-Verfahren) in abgewandelten Formen heute noch genutzt wird (<xref rid="nadc20224127010-fig-0001" ref-type="fig">Abbildung</xref> rechts).<figure><img src="https://media.graphassets.com/x6A3ljkZS8qEOkdEvC7M"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Beim Anthrachinonverfahren werden alkylierte Anthrachinone katalytisch zu Hydrochinonen hydriert, die bei der Reaktion mit Sauerstoff Chinone und Wasserstoffperoxid als Koppelprodukt bilden.</figcaption></figure>
Das Verfahren beruht auf der zyklischen Reduktion und Oxidation eines alkylierten Anthrachinons. In Summe entsteht aus Wasserstoff und Sauerstoff quantitativ Wasserstoffperoxid; die Chinone wirken als organischer Katalysator und sind Reaktionsträger. Der erste Schritt, die Hydrierung, läuft in einem mit Alkylanthrachinonlösung (Arbeitslösung) gefüllten Reaktor. Dort verbindet sich Wasserstoff in Gegenwart eines Hydrierkatalysators (früher auf Basis von Raney-Nickel, heute Palladium) mit Chinon zu Hydrochinon. Der Katalysator wird anschließend aus der Arbeitslösung abfiltriert und erneut eingesetzt.Im zweiten Schritt, der Oxidation, wird Luft mit großen Kompressoren in einen mit Arbeitslösung gefüllten Blasenreaktor gepumpt. Hydrochinon in der organischen Phase oxidiert bei Kontakt mit Sauerstoff unter Bildung von Wasserstoffperoxid zurück zum Chinon. Die Tatsache, dass diese Reaktion ohne Katalysator abläuft, gab dem Autoxidationsverfahren seinen Namen.Im dritten Schritt, der Extraktion, gelangt die Arbeitslösung in eine Trennkolonne. H₂O₂ wird mit Wasser im Gegenstrom extrahiert. Das Ergebnis ist eine 35 bis 50-prozentige wässrige Wasserstoffperoxidlösung, die sich beispielsweise durch Vakuumdestillation oder Reinigungsschritte aufbereiten lässt. Die Arbeitslösung geht nach der Extraktion in die Hydrierung zurück, sodass ein neuer Zyklus beginnen kann. Alle Prozessschritte laufen unter milden Reaktionsbedingungen (Druck unter 1 MPa, also 10 bar, Temperatur unter 100 °C) und kontinuierlich.<h2>Das Geheimnis der Arbeitslösung</h2>Chinon und Hydrochinon dürfen während des Verfahrens nicht ausflocken. Die Löslichkeit lässt sich über die Alkylsubstituenten und die Lösemittelzusammensetzung anpassen. Dazu dienen alkylierte Derivate wie 2-Ethyl-, 2-tert.-Butyl- oder 2-Amylanthrachinon. Um das Chinon in Lösung zu halten, sind häufig unpolare Stoffe wie C9-/C10-Alkylbenzolgemische Teil der Arbeitslösung. Polare Stoffe wie Tris-(2-ethylhexyl)-phosphat, Diisobutylcarbinol, Tetrabutylharnstoff oder Methylcyclohexylacetat übernehmen diese Aufgabe für das Hydrochinon.Wichtig für den Prozess ist, dass die Arbeitslösung in der Anlage regelmäßig gereinigt wird und inaktiv gewordene Komponenten regeneriert werden. Zwar ist sie theoretisch unbegrenzt nutzbar – würden jedoch in jedem Durchlauf nur 0,1 Prozent des Chinons in Nebenreaktionen irreversibel geschädigt, bräche der Prozess innerhalb von zwei Monaten zusammen. In manchen Anlagen ist seit mehr als 50 Jahren die gleiche Arbeitslösung, nur regelmäßig ergänzt mit Chinon und Lösemittel um Verluste durch chemischen Abbau auszugleichen.<h2>In Deutschland verboten</h2>Das AO-Verfahren wurde in einer Pilotanlage, genannt Permalinbetrieb, bei der IG Farben in Ludwigshafen-Oppau mit einer Kapazität von 360 Jahrestonnen erprobt. Der Prozess lieferte eine 20-prozentige wässrige H2O2-Lösung, die sich konzentrieren ließ. Im Jahr 1945 wurde die Versuchsanlage demontiert und in die USA gebracht, und die Alliierten erhielten das Riedl-Pfleiderer-Verfahren. BASF nahm die H₂O₂-Produktion nicht wieder auf.Das US-amerikanische Unternehmen Dupont brachte das Verfahren zur technischen Reife. Die erste Großanlage für zirka 5000 Jahrestonnen zur H2O2-Produktion nach dem AO-Verfahren ging im Jahr 1953 in Memphis, Tennessee, in Betrieb.In Europa startete die erste Großanlage nach dem AO-Verfahren bei Laporte in England 1958. Es war die damals größte H2O2-Anlage der Welt mit einer Kapazität von zirka 10 000 Jahrestonnen. Verfahrenslizenzen von Laporte gingen an die Unternehmen Oxysynthese in Frankreich, Foret in Spanien, Montecatini-Edison in Italien und an Laporte-Joint-Ventures in mehreren Ländern. Auch bei EWM in München wurde 1962 eine Anlage mit Laporte-Lizenz errichtet.Solvay nahm die erste AO-Anlage nach eigenem Verfahren im Jahr 1959 in Belgien in Betrieb, innerhalb von zwei Jahren folgten Solvay-Anlagen in Frankreich, Italien und Deutschland.In Deutschland hatten die Allierten Aktivitäten zum AO-Prozess bis zum Jahr 1955 untersagt. So musste Degussa weiter das elektrochemische Weissensteiner Verfahren nutzen. Durch gute Beziehungen zum Elektrochemical Department von Dupont, das nach dem ersten Weltkrieg die Aktivitäten des Unternehmens Roessler &amp; Hasslacher in Niagara Falls mit einer Lizenz für das Weissensteiner Verfahren übernommen hatte, erhielt Degussa Wirtschaftlichkeitszahlen zum AO-Verfahren. So begann das Unternehmen auf Basis der BASF-Erfahrungen, ein eigenes AO-Verfahren zu entwickeln.Eine Zusammenarbeit mit FMC in den USA förderte die weitere Entwicklung. Eine erste Anlage für etwa 2400 Jahrestonnen ging als Großversuchsanlage im Jahr 1962 in Rheinfelden in Betrieb. Drei Jahre später startete eine zweite Anlage mit 12 000 Jahrestonnen. Es folgten Anlagen in Weißenstein, Österreich, (1967) und in Antwerpen (1970, <xref rid="nadc20224127010-fig-0002" ref-type="fig">Abbildung</xref> oben). In Amerika wurde die erste Degussa-AO-Anlage im Jahr 1987 in Mobile, Alabama in Betrieb genommen.<figure><img src="https://media.graphassets.com/75tVORORSkm4AnpI0lzv"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Anthrachinonanlage in den 1970er Jahren bei Degussa in Antwerpen. Alle Fotos: Evonik</figcaption></figure>
<h2>Chlorfrei bleichen</h2>Im Zeitraum 1950 bis 1970 hatte das AO-Verfahren die elektrochemischen Anlagen zur H₂O₂-Herstellung verdrängt. Zu den Gründen gehörten der niedrigere Energiebedarf und die steigende Verfügbarkeit des Rohstoffs Wasserstoff durch Steamreforming aus Kohlenwasserstoffen wie Erdgas und als Beiprodukt der Chlor-Alkali-Elektrolyse. Im Jahr 1977 erreichte die weltweite H₂O₂-Produktion 500 000 Jahrestonnen.Die Umstellung der Zellstofffabriken auf chlorfreie Bleichverfahren ließ in den 1980ern und beginnenden 1990ern den Wasserstoffperoxidbedarf steigen. Alle etablierten und neu hinzugekommenen Hersteller, darunter Kemira in Finnland, bauten neue Anlagen. Typische Anlagengrößen lagen zwischen 25 000 und 60 000 Tonnen pro Jahr.Mitte der 1980er Jahre verkaufte PPG in den USA das H₂O₂-Geschäft an Interox America, nicht aber die H2O2-Produktionsanlage in Barbarton selbst. Damals war die AO-Technik nur bei den etablierten Herstellern verfügbar. Zwei ehemalige Manager von PPG kauften die Anlage, verschifften sie nach Indien und bauten sie bei Asian Peroxides wieder auf. Sie vermarkteten die Technik zum Bau kleinerer AO-Anlagen im Bereich von jährlich 5000 bis 10 000 Tonnen. Diese sollten vor allem den H₂O₂-Bedarf großer Zellstoff- und Papierhersteller vor Ort (on site) decken. Zwei Jahrzehnte später griff Solvay die Idee mit einem weiterentwickelten Konzept zum Bau von On-site-Anlagen bei Zellstofffabriken auf.Einer der Manager verkaufte die Technik angereichert mit Elementen des Interox-Verfahrens an den deutschen Anlagenbauer Uhde (später Thyssen-Krupp Industrial Solutions, TKIS); der andere verkaufte sie an das schwedische Unternehmen Chematur Engineering, das sie später mit Elementen der bei EKA in Schweden praktizierten AO-Technik verfeinerte. Aus beiden Linien gingen kleinere AO-Anlagen in Korea, Südafrika, Indonesien, Israel, der Türkei, Polen und Indien hervor.In China begann das Liming-Forschungsinstitut in den 1970er Jahren, eine eigene AO-Technik zu entwickeln. Es ging vom bei der IG Farben im zweiten Weltkrieg praktizierten Prozess aus und arbeitete dann vor allem mit Elementen der bei FMC in den USA weiterentwickelten Technik. China ist heute das Land mit den meisten AO-Anlagen weltweit und hat Westeuropa als größten H₂O₂-Hersteller abgelöst.Eine Innovation in der Logistik der Versorgung mit H₂O₂ war der von Degussa erstmals im Januar 1996 durchgeführte Transport mit dem Tankschiff „Trans Scandic“ von Antwerpen in Belgien nach Aracruz in Brasilien (<xref rid="nadc20224127010-fig-0003" ref-type="fig">Abbildung</xref> oben). An beiden Standorten waren Großtankterminals für Wasserstoffperoxid errichtet worden. Zu diesem Transportkonzept gehörte zudem eine Tankanlage am Sankt-Lorenz-Strom im Hafen von Quebec.<figure><img src="https://media.graphassets.com/bQgvILaRS16axwa3PuZQ"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Das Tankschiff „Trans Scandic“ fuhr erstmals im Januar 1996 von Antwerpen nach Aracruz in Brasilien und versorgte Degussa mit H2O2.</figcaption></figure>
<h2>Der schwierige direkte Weg</h2>Es gab immer wieder Versuche, H2O2 direkt aus einem Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch zu synthetisieren. Bereits 1882 hatte Schuller festgestellt, dass bei der Verbrennung von Wasserstoff in Sauerstoff geringe Mengen H₂O₂ entstehen. Im 20. Jahrhundert kamen Prozesse durch elektrische Entladung hinzu, die aber zu energieintensiv waren. Einen wesentlichen Fortschritt erreichte Dupont im Jahr 1985 mit einem Palladiumkatalysator unter hohem Druck: Aus explosionsfähigen Wasserstoff-Sauerstoff-Mischungen ergaben sich Konzentrationen von bis zu 25 Prozent H₂O₂. Universitäten und H₂O₂-Hersteller intensivierten daraufhin die Suche nach geeigneten Katalysatoren und Reaktionsbedingungen.Als Vorteil der Direktsynthese gelten die gegenüber dem AO-Verfahren einfachere Prozessführung und damit niedrigere Investitionskosten. Eine Schwierigkeit ist, die gleichzeitige Bildung von Wasser zu unterdrücken. Die Firma Headwaters in den USA entwickelte einen Nano-Katalysator und gründete mit Degussa im Jahr 2004 ein Gemeinschaftsunternehmen, um die Direktsynthese für H₂O₂-Großanlagen, vor allem kombiniert mit dem Herstellverfahren für Propylenoxid (PO), zu vermarkten. PO ist Rohstoff für Polyurethan-Schaumstoffe und Polyesterharze. Eine Pilotanlage entstand, doch sind die apparativen und sicherheitstechnischen Aufwendungen erheblich.<h2>Das Isopropanolverfahren</h2>Bei der Umsetzung sekundärer Alkohole mit Sauerstoff entsteht neben dem Keton quantitativ Wasserstoffperoxid. Das ist Grundlage des Isopropanolverfahrens, das Shell Oil in einer 15 000-Jahrestonnen-Anlage in den USA von 1957 bis 1980 praktiziert hat. Shell nutzte das H2O2 zum großen Teil on site, um Glycerin zu synthetisieren. Als diese petrochemische Route gegenüber der Glycerin-Gewinnung auf Basis natürlicher Fette und Öle nicht mehr konkurrenzfähig war, stellte Shell auch die H₂O₂-Produktion ein.Das Isopropanolverfahren wird in Russland in zwei Anlagen seit dem Jahr 1968 beziehungsweise 1972 genutzt.<h2>H2O2 in der Synthese</h2>Die bessere Verfügbarkeit von H2O2 durch das AO-Verfahren weckte ab den 1960er Jahren gesteigertes Interesse, das Potenzial von H₂O₂ in der chemischen Synthese auszuloten.So entstanden Prozesse für die Oxidation von Fettsäureaminen für Tenside. In Frankreich entwickelte das Unternehmen PCUK einen großtechnischen Prozess, der Hydrazin aus Ammoniak und H₂O₂ herstellt, sowie Rhone-Poulenc einen Hydroxilierungsprozess für Phenol.Da H₂O₂ allein oft zu reaktionsträge ist, dienen mit H2O₂ erzeugte organische Persäuren als Oxidationsmittel. So synthetisierte Interox in Warrington in England das Kunststoffmonomer Caprolacton über die Bayer-Villiger-Oxidation von Cyclohexanon mit Peressigsäure. Die Epoxidierung von Sojaöl als Weichmacher für Kunststoffe mit In-situ-Perameisensäure oder Peressigsäure nutzen Firmen weltweit.Die heute mengenmäßig bedeutendste Anwendung von H₂O₂ in der chemischen Synthese ist die PO-Produktion aus Propen.In den 1970er Jahren entwickelten Degussa und Bayer gemeinsam ein Verfahren zur Epoxidierung von Propen mit Perpropionsäure. Sie dachten dabei für die H₂O₂-Versorgung an eine 100 000-Jahrestonnenanlage. Interox und Carbochimique verfolgten mit ihrem Gemeinschaftsunternehmen Propylox einen ähnlichen Weg über Persäuren. Beide Verfahren kamen über den Status von Pilotanlagen nicht hinaus.<h2>H2O2 im HPPO-Verfahren</h2>Forscher des staatlichen Unternehmens Enichem in Italien entwickelten Anfang der 1980er Jahre einen Titansilicalit-Katalysator, der die direkte Umsetzung von H₂O₂ mit Propen zu Propylenoxid erlaubte. Das Enichem-Know-how ging im Jahr 2001 an das US-amerikanische Unternehmen Dow, das es später in ein Joint Venture mit BASF einbrachte.Nach Labor- und Pilotanlagen-Studien in den 1990er Jahren entschloss sich Degussa im Jahr 2000 zusammen mit Uhde dieses Verfahren (Hydrogen-Peroxide-to-Propylene-Oxide, HPPO) auf Basis des Titansilicalit-Katalysators weiterzuentwickeln und zu vermarkten.Die weltweit erste Anlage nach dem HPPO-Verfahren ging im Jahr 2008 in Südkorea bei SKC mit einer Verfahrenslizenz von Degussa-Uhde in Betrieb (<xref rid="nadc20224127010-fig-0004" ref-type="fig">Abbildung</xref> oben links). Im Jahr 2012 betrug die Kapazität der PO-Anlage 130 000 Jahrestonnen. Das für den Prozess notwendige H₂O₂ kommt aus einer auf Wurzeln von PPG Technologie gebauten AO-Anlage (heute SKC Evonik Peroxide Korea) am gleichen Standort. Evonik verdoppelte mit eigener Technik die Anlagenkapazität auf mehr als 68 000 Tonnen pro Jahr innerhalb des ersten Betriebsjahrs.<figure><img src="https://media.graphassets.com/VU4TSG1WQGUY9dD7ORjQ"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Anlage von SKC in Ulsan, Südkorea, zur Produktion von Propylenoxid.</figcaption></figure>
BASF und Dow Europe starteten wenig später eine HPPO-Anlage mit einer Kapazität von 300 000 Jahrestonnen in Antwerpen. Das H₂O₂ liefert Solvay aus einer dortigen Anlage mit einer Kapazität von 230 000 Jahrestonnen.Solvay errichtete im Jahr 2011 in Map Ta Phut in Thailand die derzeit weltweit größte AO-Anlage mit 330 000 Jahrestonnen, die die PO-Anlage von Dow (390 000 Tonnen PO pro Jahr) und den asiatischen Markt versorgt. Im Jahr 2016 baute ein Joint Venture von Solvay und Sadara eine 300 000-Jahrestonnen-H2O2-Anlage in Saudi-Arabien für den HPPO-Prozess.Evonik errichtete im Jahr 2013 eine H₂O₂-Anlage mit jährlich 230 000 Tonnen H₂O₂-Kapazität im chinesischen Jilin (<xref rid="nadc20224127010-fig-0005" ref-type="fig">Abbildung</xref> oben). Die Evonik-TKIS-Lizenz für den HPPO-Prozess hält Jishen Chemical Industry. Weitere Lizenzen gingen im Jahr 2017 an die Unternehmen MOL in Ungarn (200 000 Jahrestonnen PO) und 2019 an Zibo Qixiang Tengda Chemical (300 000 Jahrestonnen PO) in China. Die Lizenzen für die zugehörigen H2O2-Anlagen stammen von Evonik.<figure><img src="https://media.graphassets.com/DeZhLPd6Sx2OyuhUWWd1"><figcaption><label>Abb. 5: </label>Wasserstoffperoxidanlage von Evonik im chinesischen Jilin.</figcaption></figure>
Heute wird der für die H2O2-Synthese benötigte Wasserstoff hauptsächlich auf Basis fossiler Rohstoffe wie Erdgas gewonnen. Obwohl in Westeuropa nur zirka ein Prozent des erzeugten Wasserstoffs für die Herstellung von H₂O₂ genutzt wird, ist die künftige Versorgung großer H₂O₂-Anlagen, die mehr als 15 000 m³ H₂ pro Stunde benötigen, mit „grünem“ Wasserstoff herausfordernd.<h2>Die Autoren</h2>Den Beitrag haben Jürgen Glenneberg, Heribert Offermanns und Hermann Schlosser verfasst. Glenneberg, Jahrgang 1958, ist seit mehr als 20 Jahren für die Prozesschemie des Evonik-eigenen Wasserstoffperoxid-Herstellverfahrens zuständig. Er hat in Frankfurt am Main in Chemie promoviert und in der Aktivsauerstoffforschung bei Degussa in Hanau sowie in der H2O2-Produktion in den USA gearbeitet. Offermanns, Jahrgang 1937, ist seit 1988 Honorarprofessor an der Universität Frankfurt am Main. Er war von 1976 bis 2000 Degussa-Vorstandsmitglied. Der Industriekaufmann Schlosser war von 1987 bis 2002 Geschäftsführender Gesellschafter des Infrarotsensorenherstellers Impac Electronic in Frankfurt am Main. Er hatte bei Degussa ab 1958 im Geschäftsgebiet Aktivsauerstoff gearbeitet. Von 1971 bis 1987 verantwortete er dort den Bereich Chemie.<h2>AUF EINEN BLICK</h2>Das Anthrachinonverfahren zur H2O2-Produktion geht auf die 1930er Jahre zurück. Im Lauf der Jahrzehnte wurde es mehrfach modifiziert.Es gibt Ansätze, H2O2 mit Katalysatoren direkt aus einem Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch zu synthetisieren. Jedoch sind die apparativen und sicherheitstechnischen Aufwendungen erheblich.Die heute mengenmäßig bedeutendste Anwendung von H2O2 in der chemischen Synthese ist die Produktion von Propylenoxid, einem Ausgangsstoff für Polyurethan-Vorprodukte.
<ul class="references"><li>
1 Chemical Economics Handbook (CEH), Hydrogen Peroxide, IHS Markit 2021</li><li>
2 M. Wolf, Im Zeichen von Sonne und Mond, Von der Frankfurter Münzscheiderei zum Weltunternehmen Degussa AG, 1993</li><li>
3 H. L. Salter, Gateways: The Story of Laporte 1888–1988, Laporte/Evonik Industries, 2012</li><li>
4 H. Offermanns, H. Wipfler, F. Becker, Chem. Unserer Zeit 2011, 45, 310</li><li>
5 H. Offermanns, G. Dittrich, N. Steiner, Chem. Unserer Zeit 2000, 34, 150</li><li>
6 G. Goor, J. Glenneberg, S. Jacobi, J. Dadabhoy, E. Candido, Hydrogen Peroxide, in Ullmann’s Encyclopedia of Industrial Chemistry, Wiley-VCH 2019</li><li>
7 W. Eul, A. Moeller, N. Steiner, Hydrogen Peroxide, in Kirk-Othmer Encyclopedia of Chemical Technology, Wiley Interscience, 2001</li><li>
8 W. C. Schumb, C. N. Satterfield, R. L. Wentworth, Hydrogen Peroxide, in ACS Monograph Series, Reinhold, New York 1955</li><li>
9 M. Bernhard, J. Anton, F. Schmidt, F. Sandkaulen, M. Pascaly, Chem. Unserer Zeit 2017, 51, 198</li>Alle H2O2-Produktionszahlen sind auf 100 Prozent H2O2 bezogen. Dies wird weltweit anders gehandhabt.Andrea Hohmeyer und Frank Becker von Evonik Industries Corporate Archives Communications, Hanau-Wolfgang, danken die Autoren herzlich für Ihre Unterstützung und gute Zusammenarbeit. Dank auch für die Abdruckerlaubnis der Bilder.Der Beitrag ist Roald Hoffmann zum 85. Geburtstag am 18. Juli gewidmet.</ul>

Wasserstoffperoxid

Funktioniert nach wie vor

Die Basischemikalie Wasserstoffperoxid wird seit mehr als hundert Jahren im industriellen Maßstab hergestellt. Inzwischen dient H2O2 dazu, Propylen zu Propylenoxid für Polyurethan-Vorprodukte zu oxidieren – mit Katalysator und mit Wasser als Nebenprodukt. Die Industrie verbrauchte im Jahr 2021 de...

Nanomaterialien lassen sich direkt auf eine Oberfläche schreiben, indem Elektronen die Zersetzung von Vorstufen induzieren. Damit ist die Morphologie der Nanostrukturen kontrollierbar, und der Untergrund bleibt unbeschädigt. So entstehen etwa Spitzen für die Rasterkraftmikroskopie.
Elektronenstrahlinduzierte Abscheidung (focused electron beam induced deposition, Febid) benötigt eine gasförmige Vorstufe (Precursor), die sich lokal durch den Elektronenstrahl in einem Rasterelektronenmikroskop (REM) in ein oberflächengebundenes Material umwandeln lässt.1) Hierbei schreibt ein fokussierter Elektronenstrahl einzelne Pixel oder Linien auf eine Substratoberfläche und baut damit sukzessive die Form der gewünschten Nanostruktur auf.Die computergesteuerte Kontrolle des Elektronenstrahls mit lokaler Verweildauer und exakter Positionierung lässt sich nutzen, um komplexe Geometrien oder Heterostrukturen aus verschiedenen Materialien herzustellen. Dabei scheiden sich durch die Bewegung eines Elektronenstrahls simultan Nanostrukturen ab, die vorab am Computer definiert wurden. So lassen sich Punkte, Säulen und Wände bis hin zu komplexen dreidimensionalen Objekten schreiben (<xref rid="nadc20224124691-fig-0001" ref-type="fig">Abbildung</xref> rechts).2,3)<figure><img src="https://media.graphassets.com/oiG8rHoOT2yCdPZRupxU"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Oben: 3-D-Deponate von Nanowänden unterschiedlicher Breite (W) hin zum vertikalen Nanodraht.2) Unten: Ein Modell zum Schreibprozess und das daraus resultierende Febid-Mikro-Deponat einer Amphore.3)</figcaption></figure>
<h2>Der Febid-Prozess</h2>Jeder, der REM-Bilder aufnimmt, kennt die ungewollte Febid-Abscheidung durch Kohlenwasserstoffrestgase in der REM-Kammer. Diese Effekte werden in der Regel vernachlässigt, da die flächigen Abscheidungen oberflächenkonform und sehr dünn sind und so die Bildinformation nicht beeinflussen. Sie lassen sich jedoch beim Wechsel der Vergrößerung als sichtbares Rechteck mit unterschiedlichem Kontrast erkennen.Beim geplanten Febid-Prozess werden die zur Abscheidung benötigten molekularen Vorstufen durch eine Gasinjektionsnadel in der Nähe der Oberfläche in das Vakuumsystem des REM eingeleitet (<xref rid="nadc20224124691-fig-0002" ref-type="fig">Abbildung</xref> S. 47). Dies ist notwendig, da ein konventionelles REM unter dem sehr geringem Basisdruck von etwa 10–6 bis 10–7 mbar betrieben wird und eine möglichst hohe Precursorbedeckung auf der Oberfläche entstehen soll, ohne den Gesamtdruck des Systems zu erhöhen.<figure><img src="https://media.graphassets.com/SmLni6J5Ro2e8PHYfABU"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Febid-Prozess (focused electron beam induced deposition) mit Gasinjektion von Molekülen, Adsorption, Diffusion sowie Abscheidung und Fragmentierung mit fokussiertem Elektronenstrahl.</figcaption></figure>
Die Moleküle bilden physisorbierte Schichten und bleiben auf der Oberfläche beweglich. In der Folge desorbieren die Precursormoleküle entweder wieder, oder der Elektronenstrahl zersetzt sie auf der Oberfläche. Die so immobilisierten Fragmente bilden das abgeschiedene Material, wobei die molekularen Vorstufen die Zusammensetzung definieren. Gasförmige Nebenprodukte entweichen aus der Zersetzungszone und werden durch das Vakuumsystem entfernt.Der wenige Nanometer breite Fokus des Elektronenstrahls bestimmt die Auflösung des Febid-Deponats. Die Ausdehnung einzelner Segmente von realen (3-D-)Deponaten liegt eher bei einigen zehn Nanometern, da der Elektronenstrahl des REM Streuprozesse in Materialien hervorruft, die Sekundärelektronen erzeugen. Diese Elektronen können ebenfalls an der Oberfläche Precursor zersetzen und die laterale Auflösung verringern.<h2>Die molekulare Ebene</h2>Zwei grundlegende Arten von Experimenten legen die Basis dafür, die elektroneninduzierte Zersetzung von Molekülen genauer zu verstehen: Gasphasenkollisionsexperimente und Experimente mit dünnen, immobilisierten Precursorschichten auf Oberflächen.Bei den Gasphasenkollisionsstudien wechselwirkt ein einzelnes Precursormolekül mit einem Elektron bestimmter Energie. Die Fragmente, die dabei entstehen, werden massenspektrometrisch identifiziert und erlauben den Rückschluss auf Fragmentierungsprozesse.Bei den Experimenten mit den Precursoren werden dünne Molekülfilme bei niedriger Temperatur von zirka –120 °C auf Oberflächen abgeschieden und die gesamte Oberfläche mit Elektronen unter Ultrahochvakuumbedingungen bestrahlt. Es wird untersucht, wie sich die Zusammensetzung der Vorstufen ändert und welche gasförmigen Zersetzungsprodukte entstehen.Die Schlussfolgerungen aus den Experimenten erlauben Rückschlüsse auf die dominierenden Reaktionen im Febid-Prozess. Eine Kaskade mit möglichen Reaktionspfaden in Zusammenhang mit dem erhaltenen Febid-Material beschreibt ein Übersichtsartikel näher.4)<h2>Die Precursoren</h2>Wichtig für die Anwendbarkeit der Methode ist die Identifikation und Herstellung von Precursoren, um Materialien mit unterschiedlichen und erwünschten physikalischen Eigenschaften herzustellen. Eine ideale Vorstufe hat einen signifikanten Dampfdruck und spaltet die vorab stabilisierenden Liganden bei der Elektronen-Molekül-Wechselwirkung ab, um das gewünschte Material zu erzeugen.Darüber hinaus sollen Sekundärreaktionen möglichst ausgeschlossen sein, darunter eine Hydrolyse mit Wasser als Restgas im REM-System. Bislang wird dies jedoch nur in wenigen Fällen erreicht, und es entstehen durch die ineffiziente Ligandenabspaltung Komposite. Diese Hybridmaterialien mit nanogranularen Metallkörnern in einer oft kohlenstoffbasierten Matrix weisen zwar ebenfalls interessante elektronische Eigenschaften auf, aber für spezielle Anwendungen ist es nötig, das Deponat nachzubehandeln, um beispielsweise reine Edelmetallnanostrukturen zu erhalten.Chemiker streben danach, Designprinzipien zu formulieren, um einen direkten Zugang zu funktionalen Materialien zu ermöglichen.4) Generell sollten Polyhapto-Liganden und Liganden mit hohen Kohlenstoffgehalten vermieden werden und die Moleküle möglichst klein sein. Dabei ist ein Kompromiss etwa zwischen Polarität, Molekularität und Bindungsstärke zu bilden, um einen passenden Precursor zu identifizieren und zu synthetisieren.<h2>Anwendung und Zusatznutzen</h2>Mit 3-D-Febid-Nanodruck gelingt es beispielsweise, Komponenten für die Rasterkraftmikroskopie (RKM) oder die Magnetkraftmikroskopie (MKM) herzustellen. Hierbei erlaubt die Wahl der Febid-Materialien unterschiedliche Detektionsverfahren und eine Auflösung von bis zu 10 nm.5)Basissonden lassen sich über Febid nach Bedarf mit Funktionalitäten ausstatten und an die zu untersuchenden Proben anpassen. Spitzen mit extrem großen Aspektverhältnissen beispielsweise bilden tiefe und lateral limitierte Oberflächenmorphologien wie Risse, Bruchkanten und Poren ab. Die Spitzen lassen sich in wenigen Minuten modfizieren, zudem sind präzise Spitzenradien unter 10 nm machbar.Das Anpassen der Materialeigenschaften und -zusammensetzung lässt sich für die elektrische, thermische oder magnetische Oberflächencharakterisierung nutzen. So charakterisieren Co3Fe-Febid-Spitzen mit MKM magnetische Oberflächen (<xref rid="nadc20224124691-fig-0003" ref-type="fig">Abbildung</xref> oben).<figure><img src="https://media.graphassets.com/m9uZ1icrRUuGjGKI3TVm"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Links: Rasterelektronenmikroskopie-Bilder mit elektronenstrahlinduzierter Abscheidung (focused electron beam induced deposition, Febid) modifizierter und komplett aufgebauter Nanospitzen. Rechts: Magnetkraftmikroskopie-Phasenabbildungen, erzeugt mit einer kommerziellen Spitze (rot gerahmt) oder mit Febid-Co3Fe-Spitzen (grün gerahmt). Alle Maßstabsleisten entsprechen 250 nm; die Ergebnisse stammen aus der Kooperation der Gruppen Barth, Huth und Plank. Bilder: H. Plank, TU Graz</figcaption></figure>
<h2>Interdisziplinäre Forschung</h2>Auf der Wunschliste von Anwendern stehen vor allem Prozessstabilität, Einstellbarkeit der Materialeigenschaften und formtreue Übertragung. Fundamentale Fragen zu bearbeiten, bleibt aber wichtig. So lassen sich geeignete Vorstufen und reine Materialien nur mit Impulsen aus der Molekülsynthese identifizieren und synthetisieren.An dieser Schnittstelle der Synthese von Precursor und deren Einsatz im Febid-Prozess arbeitet unsere Arbeitsgruppe an der Universität Frankfurt. Hierbei ermöglicht die Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Michael Huth im Physikalischen Institut Fortschritte durch Kernkompetenzen aus Chemie und Physik.6)<h2>Die Autoren</h2>Den Beitrag haben Sven Barth (oben) und Felix Jungwirth verfasst. Barth forscht an der Universität Frankfurt im Rahmen einer Heisenbergförderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Der promovierte Chemiker habilitierte sich im Jahr 2015 an der TU Wien. Jungwirth promoviert in der Arbeitsgruppe von Sven Barth auf dem Gebiet der Synthese und Evaluation von Vorstufen für den Febid-Prozess binärer Si-Metall-Verbindungen. Er studierte technische Chemie an der TU Wien.<div><img src="https://media.graphassets.com/Em5s01KqQkWuXYJIZcog">

</div><div><img src="https://media.graphassets.com/uxfXxkdVSMe6Ix5Q2PRw">

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<ul class="references"><li>
1 M. Huth, F. Porrati, S. Barth, J. Appl. Phys. 2021, 130, 170901</li><li>
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5 H. Plank, R. Winkler, C. H. Schwalb et al., Micromachines 2020, 11, 48</li><li>
6 F. Jungwirth, F. Porrati, A. G. Schuck, M. Huth, S. Barth, ACS Appl. Mater. Interfaces 2021, 13, 48252</li></ul>

Wasserstoffperoxid

Funktioniert nach wie vor

Das Kreislaufprinzip

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