Industrie + Technik

Studierende lassen Modellfahrzeuge gegeneinander antreten. Die letztjährigen Sieger starteten ihr Gefährt mit einer elektrochemischen Reaktion und stoppten über eine Kristallisation.
Der Wettbewerb des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) „Chemcar“ verlangt selbstgebaute Minifahrzeuge, die eine erst kurz vor dem Start ausgeloste Distanz möglichst genau erreichen. Mittel dafür sind chemische oder biochemische Reaktionen. Studierendenteams entwickeln die Gefährte, punkten mit ihrer Idee, einem Sicherheitskonzept und einer Präsentation beim Posterwettbewerb.Chemcar fand zuletzt auf dem Jahrestreffen der Processnet-Fachgemeinschaften im November in Dortmund statt. Dem Siegerfahrzeug aus Dortmund fehlten nur zwei Zentimeter bis zur Zielmarke. Das Konzept des „Crystalizairs“ bestand aus getrennten Modulen für Start und Stopp: Die elektrochemische Reaktion in einer Aluminium-Luft-Batterie erzeugte Strom für einen Elektromotor als Antrieb. Der Stoppmechanismus basierte auf der Kristallisation von Natriumacetat zu Natriumacetat-Trihydrat in einem transparenten Rohr. Über Lichtschranken gibt der Kristall dem Chemcar das Signal anzuhalten (Abbildung).Außer der zentimetergenauen Präzision überzeugten das Sicherheitskonzept und die Posterpräsentation der Dortmunder die Jury. Es folgten die Teams aus Aachen, Berlin und aus dem Iran. Für Ljuba Woppowa, Geschäftsführerin der VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen, führt der Wettbewerb „zum Austausch über Fakultäts- und Landesgrenzen hinaus“. Die Teams entdeckten demnach die Verfahrenstechnik unabhängig vom Unialltag neu.Der Wettbewerb läuft in diesem Jahr wieder auf der Processnet-Jahrestagung, und zwar vom 21. bis zum 24. September in Aachen – ein Team aus Indonesien hat sich schon angemeldet. Die Unternehmen BASF, Covestro, Evonik, Inburex, Lanxess und Merck unterstützen das Wettrennen. Konzepte nimmt der VDI bis zum 15. April entgegen. MB<a href="https://t1p.de/56rq" target="_blank">https://t1p.de/56rq</a><figure><img src="https://media.graphcms.com/81EjsPCxQguZ3Mm95Z3w"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Die elektrochemische Reaktion in einer Aluminium-Luft-Batterie erzeugt Strom für den Antrieb eines Elektromotors. Die Kristallisation von Natriumacetat zu Natriumacetat-Trihydrat zwischen zwei Lichtschranken stoppt das Chemcar (oben). Unten: Skizze des Stoppmechanismus. Abbildungen: M. Dziennus/Chemcar-Team TU Dortmund</figcaption></figure>

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Wettbewerb: Präzision schlägt Tempo

Studierende lassen Modellfahrzeuge gegeneinander antreten. Die letztjährigen Sieger starteten ihr Gefährt mit einer elektrochemischen Reaktion und stoppten über eine Kristallisation. Der Wettbewerb des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) „Chemcar“ verlangt selbstgebaute Minifahrzeuge, die eine ers...

Schmierstoffe für die Metallverarbeitung enthalten in der Regel Additive auf Mineralölbasis. Eine alternative Rohstoffquelle sind Mikroalgen. Denn sie produzieren Substanzen, die in ihrer Wirkung den konventionellen Zusatzstoffen ähneln.
Die industrielle und gewerbliche Metallbearbeitung setzt in spanenden und umformenden Prozessen Schmierstoffe ein, um zu kühlen und die Reibung zwischen dem zu bearbeitenden Werkstoff und dem Werkzeug zu reduzieren. Die Schmierstoffe enthalten Mineralöle, synthetische Basisflüssigkeiten, Pflanzenöle oder auch Wasser. Entscheidend für die Wirkung der Schmierstoffe sind Additive, die auf die jeweilige Anwendung abgestimmt sind.Konventionelle Additive sind schwefel- und phosphorhaltige, veresterte oder ethoxylierte Kohlenwasserstoffe, Fettalkohole und Fettsäureester sowie mittelkettige Chlorparaffine. Die Additive wechselwirken elektrochemisch mit der zu bearbeitenden Metalloberfläche. Dadurch erreichen sie die erwünschten technischen Eigenschaften, etwa eine gute Zerspan- und Umformleistung, Vermeidung von Verschweißen oder Korrosion.Die Art und Stärke der Wechselwirkung ist abhängig von den beteiligten Partnern an der Metalloberfläche, also Menge und Art der Legierungsbestandteile und Oxidstruktur der Metalloberfläche, sowie von der chemisch-strukturellen Charakteristik der Schmierstoffadditive.Viele Algenarten synthetisieren Äquivalente zu den in Schmierstoffen verwendeten Additiven, reichern sie in ihren Zellen an und geben sie in ihre Umwelt ab. Dazu zählen insbesondere schwefel- und phosphorhaltige Polysaccharide (Abbildung unten) sowie Proteinkomponenten.<figure><img src="https://media.graphcms.com/E6JWuMuVTdGEitaZf0Hp"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Beispiele für Monomerbausteine sulfatierter Polysaccharide: Fucoidan- und Porphyran-Monomer (links bzw. rechts).</figcaption></figure>
Die Schwefel-, Phosphor- oder Sauerstoffatome der Proteine und Polysaccharide wechselwirken mit Metalloberflächen und sollen daher die konventionellen Additive in Schmierstoffen ersetzen. Idealerweise übertreffen sie dann die konventionellen in deren technischer Wirkung.<h2>Strukturanaloga zu den bekannten Additiven</h2>Viele Mikroalgenarten produzieren Exopolysaccharide (EPS) und sekretieren sie in ihre Umgebung. Die Substanzen schützen die Algen vor Austrocknung, Strahlung und vermutlich vor Viren und Bakterien. EPS bilden komplexe Strukturen aus Zuckern wie Galactose, Arabinose, Furanose, deren Derivaten sowie Sulfatgruppen, Säuren und Proteinen. EPS sind Strukturanaloga zu aktuell verwendeten Additiven.Die derzeit am besten charakterisierten EPS sind die sulfatierten Polysaccharide der Zellwand von makroskopischen Rot- und Braunalgen: Carrageen, Agar und Alginat. Diese werden seit Jahrzehnten kommerziell in Asien und Ostafrika gewonnen und genutzt.1)Mikroalgen, die hohe Proteingehalte aufweisen, werden in der Regel für die Lebensmittelindustrie produziert. Die Trockensubstanz von Arten wie Arthrospira platensis und Chlorella vulgaris enthält bis zu 65 Prozent Proteine. Die Aminosäurezusammensetzung ähnelt der kommerziell genutzter Proteinpflanzen wie der Sojabohne und dient daher als Nahrungsergänzungsmittel.Ein weiteres Anwendungsgebiet von Algenbestandteilen ist die Produktion proteinbasierter Pigmente wie den Phycobilliproteinen. Die Lebensmittelindustrie nutzt sie als blaue oder rote Farbstoffe; aufgrund ihrer antioxidativen und entzündungshemmenden Wirkung haben sie in der pharmazeutischen Industrie an Bedeutung gewonnen.2,3)<h2>Rohstofflieferant Mikroalgen</h2>Zu den Mikroalgen zählen mikroskopisch kleine, zumeist einzellige, phototrophe Organismen (Beispiele in der Abbildung rechts). Sie besiedeln sowohl Gewässer als auch Steine und Erdboden. Es gibt zahlreiche Arten, die sich an besonders extreme Bedingungen angepasst haben.<figure><img src="https://media.graphcms.com/38upNUTHQDqsCl96XL01"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Drei Mikroalgenarten, die sich in verschiedenen Formen zusammenlagern: A = Arthrospira Platensis, kettenförmig; B = Galderia Sulphuraria, ungeordnete Cluster einzelner Zellen; C = Chroococcus Turgidus, Zwei- und Vierfach-Cluster. Bild: Imke Lang, Hochschule Bremerhaven</figcaption></figure>
Die geschätzten zirka 100 000 Algenarten4) enthalten viele Stoffe, für die sich die Biotechnologie, die Nahrungs- und Futtermittelindustrie und auch technische Branchen interessieren. Die Produktion von Mikroalgenbiomasse wird bisher insbesondere für die Lebensmitteltechnologie (Pigmente, Lipide) und Biotreibstoffbranche erforscht und kommerzialisiert.3,5)Anzucht und Ernte der zirka 20 industriell genutzten Mikroalgenarten sind technisch beherrscht. Dies ist die Voraussetzung dafür, neue Anwendungsfelder für diese Rohstoffe zu entwickeln. Da die Kultivierung von Mikroalgen nicht an Agrarflächen gebunden, sondern an beliebigen Orten möglich ist, bleibt der Tank-Teller-Konflikt, der bei anderen Energiepflanzen zu diskutieren ist, weitgehend vernachlässigbar.<h2>Vorgehensweise in der Schmierstoffentwicklung</h2>Das Forschungsvorhaben Albina zur Entwicklung neuer algenbasierter Additive für Schmierstoffe gliedert sich in sechs Schritte.<list list-type="simple"><list-item></list-item></list>Auswahl von Mikroalgen: Zunächst sind solche Mikroalgen zu identifizieren, aus denen sich Strukturanaloga zu den bekannten Additiven gewinnen lassen.<list-item>Vermehrung: Die Algen werden mit unterschiedlichen Kultivierungsverfahren (Batch, Fed-Batch, kontinuierlich) gezüchtet, dabei werden die physiologischen Parameter (phototroph, mixotroph) eingestellt. Sobald eine Standardmethode steht, folgt das Scale-up vom Labor- zum Technikumsmaßstab.</list-item><list-item>Extraktion der Substanzen: Mit Ultraschall, Mikrowellen und Gefriertrocknung werden die Zellen aufgeschlossen; die Zellinhaltsstoffe, zunächst Proteine und Fettsäuren, werden anschließend extrahiert. Parallel dazu werden Polysaccharidstrukturen isoliert.</list-item><list-item>Chemische Identifikation der extrahierten Substanzen: Lösungsverhalten, Trennung und Aufbereitung. Das Ziel sind standardisierte Analysemethoden.</list-item><list-item>Ökotoxikologische Prüfung: Verhalten, Verbleib und Wirkung der neu entwickelten Additive in Wasser und Boden. Untersucht werden akute und langfristige Wirkung auf Zielorganismen, mikrobielle Abbaubarkeit und Persistenz der Stoffe. Die Untersuchungen werden nach OECD-Richtlinien durchgeführt und berücksichtigen die Kriterien für eine Bewertung nach Reach.</list-item><list-item>Bewertung der technischen Leistungsfähigkeit: Die Additive, die sich in Laborversuchen als geeignet herauskristallisiert haben, werden in praxisnahen Versuchen zur Metallumformung, zum Beispiel Tiefziehen, Fließpressen oder Gewindewalzen, auf ihre prozessrelevanten Eigenschaften geprüft.</list-item>In der spanabhebenden Metallbearbeitung werden die Leistungen der Additive in einer Erweiterung des tribologischen Prüfverfahrens Tapping Torque Test (Bohren und Gewindeschneiden unter Betrachtung der Prozesskräfte) getestet, und zwar zunächst im Labormaßstab mit geringen Schmierstoffvolumina. Geeignete Additiv-Schmierstoffkombinationen werden danach im Technikum in Bohr- und Fräsversuchen eingesetzt, um die Bearbeitungsparameter zu analysieren.Später soll dann untersucht werden, ob die Algeninhaltsstoffe tribologisch wirksame Additive in anderen technischen Anwendungen wie Hydraulik-, Motor- und Getriebeölen ersetzen können.<h2>INFO: Das Forschungsvorhaben Albina</h2>Ein Konsortium aus fünf Forschungsstellen sowie Vertretern aus der Industrie untersucht im Forschungsprojekt Albina, ob und wie sich konventionelle Additive in Schmierstoffen durch Bestandteile aus Algen ersetzen lassen. Die Forschungsstellen sind die Hochschulen Bremen, Wismar und Bremerhaven sowie zwei Institute der Universität Bremen. Beispielanwendung für die neu entwickelten Additive sind Schmierstoffe für die Zerspanung und Umformung von Metallen. Begleitet wird das Forschungsvorhaben von einem Industriearbeitskreis, in dem sich Additiv- und Schmierstoffhersteller, Algenproduzenten und ein Branchenverband beteiligen.Das Forschungsvorhaben läuft seit einem Jahr und ist auf drei Jahre ausgelegt. Während des Vorhabens informiert die Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe über den aktuellen Stand. Projektkoordinator und Ansprechpartner ist Ralf Gläbe von der Hochschule Bremen, Thomas Koch ist sein Stellvertreter.<a href="mailto:ralf.glaebe@hs-bremen.de">ralf.glaebe@hs-bremen.de</a><a href="mailto:thomas.koch@hs-bremen.de">thomas.koch@hs-bremen.de</a>Die Mitglieder des Forschungsvorhabens Albina danken der Fachagentur nachwachsende Rohstoffe (FNR) sowie dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), das dieses Vorhaben durch einen Beschluss des deutschen Bundestags fördert.Autor dieses Artikels ist Thomas Koch, Hochschule Bremen. Dazu beigetragen haben: Ralf Gläbe, Hochschule Bremen, Natur und Technik, Yvonne Sakka, Nina Nentwig und Juliane Filser, Universität Bremen, Allgemeine und Theoretische Ökologie, Antje Siol, Jan Köser und Jorg Thoeming, Chemische Verfahrenstechnik an der Universität Bremen, Shannon Mesing und Roland Larek, Hochschule Wismar, Maschinenbau/Verfahrens- und Umwelttechnik, sowie Insa Mannott, Antonio Gavalás-Olea und Imke Lang, Hochschule Bremerhaven, Maritime Biotechnologie.<h2>AUF EINEN BLICK</h2>Algen bieten eine große Bandbreite an Inhaltsstoffen und können daher als Rohstoffquelle für technische Produkte und Prozesse dienen.Moleküle wie sulfatierte Polysaccharide, Proteine, Lipopolysaccharide oder Bestandteile mit phenolischen Strukturen können Additive in Schmierstoffen ersetzen.Die Additive auf Algenbasis verbessern die Verarbeitung, etwa Zerspanen oder Umformen, den Korrosionsschutz oder das Emulgierverhalten von Schmierstoffen.
<ul><li>
1 C. Delattre, G. Pierre, C. Laroche, P. Michaud, Biotechnol. Adv. 2016, 34, 1159</li><li>
2 A. Barka, C. Blecker, Biotechnol. Agron. Soc. Environ. 2016, 20, 427</li><li>
3 E. B. D’Alessandro, N. R. Antoniosi Filho, Renewable Sustainable Energy Rev. 2016, 58, 832</li><li>
4 <a href="https://www.algaebase.org" target="_blank">www.algaebase.org</a></li><li>
5 J. M. Rouxa, H. Lamottea, J.-L. Achard, Energy Procedia 2017, 112, 680</li></ul>

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