Chemiewettbewerbe
Wie Urin die Welt ernährt
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Für den Wettbewerb Chemplant entwickelten Studierendengruppen Konzepte und Verfahren, die Phosphor zurückgewinnen. Bei Chemcar triumphierten nicht die schnellsten Autos, sondern solche, die eine bestimmte Strecke fahren und dann von selbst bremsen. Bonuspunkte gab es für clevere und sichere Ideen.
Eine chemische Reaktion beschleunigte das Fahrzeug Glorious Blue und hielt es gezielt nach zehn Metern an. Gebaut hat es das Studierendenteam Spektronics der Universität Surabaya in Indonesien. Das Team ging als Sieger des Wettbewerbs Chemcar und mit 2000 Euro Preisgeld nach Hause. Bei dem Wettbewerb fahren Miniaturautos eine kurz vorher ausgeloste Distanz und stoppen dann autonom. Ausschließlich (bio-)chemische Reaktionen treiben die Fahrzeuge an.
Im Schwesterwettewerb Chemplant konzipierten Studierende dieses Jahr Prozesse und Anlagen, die Phosphatdünger rückgewinnen. 16 Teams von 13 Hochschulen hatten Verfahrenskonzepte eingereicht, die bioverfügbaren Phosphor produzieren sollen.
Phosphatdünger aus Urin
Die Sieger:innen des KIT proklamieren in ihrer Präsentation „how urine can feed the world“. Sie wollen Urin sammeln, der bei Großveranstaltungen und Bauernhöfen anfällt. Darauf folgen Prozessschritte, die bestehende Bauteile in Kläranlagen einbeziehen. So möchten sie schließlich festen Phosphatdünger erzeugen, gewannen aber zunächst 2000 Euro Preisgeld. Vor ihnen hatte schon der deutsche Alchemist Hennig Brand im Jahr 1669 Phosphor in Urin gefunden, diesen allerdings wenig pflanzenfreundlich als weißen Phosphor isoliert.
Landwirte bringen Phosphate zurzeit flächendeckend als Teil des Klärschlamms auf deutschen Feldern aus – und mit ihm Schwermetalle und organische Schadstoffe. In manchen Bundesländern ist Klärschlamm auf Äckern deshalb nicht mehr erlaubt. Urin dagegen bewerben die Studierenden des KIT als schwermetallarm, gestehen aber ein, dass der Prozess beim Konzentrieren viel Energie benötige.
Eine Handvoll Länder baut einen großen Teil der mineralischen Phosphatvorkommen ab, allen voran China, Marokko, die USA und Russland. Die EU hat dagegen keine mineralischen Phosphorquellen und ist auf Phosphate aus Sekundärquellen wie Klärschlamm angewiesen.
Phosphatsammelnde Bakterien
Die Zweitplatzierten der TU Dortmund lassen ein Bakterium für sie arbeiten, das Phosphat aus Schweinegülle anreichern soll. Beggiatoa leptomitoformis lagert Phosphat aus der Gülle als Polyphosphat in das Zellinnere ein. Nachdem die Bakterien das Phosphat geerntet haben, werden sie von der Gülle getrennt. Bei höherer Temperatur schleusen sie das Phosphat wieder aus der Zelle aus.
Aus Klärschlamm wollen die Drittplatzierten von der RWTH Aachen Phosphorverbindungen gewinnen. Hydrothermale Karbonisierung macht aus Biomasse in wenigen Stunden Kohle, wofür die Natur Zehntausende bis Millionen von Jahren benötigt. Ihre Folgeprozesse extrahieren die Phosphorverbindungen aus der Kohle und wandeln diese zu Superphosphat um. Das bei der thermalen Karbonisierung anfallende Prozesswasser verarbeiten sie zu Stickstoffdünger und Biodiesel.
Das sagt das Umweltbundesamt
Das Umweltbundesamt hält besonders zwei Methoden für aussichtsreich, um Phosphor in Düngemittelqualität zurückzugewinnen: Nasschemische Verfahren sind günstig und liefern bioverfügbares Phosphat. Allerdings gewinnen sie lediglich 5 bis 30 Prozent des Phosphors zurück. Der organische Anteil enthält oft Schadstoffe. Thermische Verfahren zerstören diese Schadstoffe und gewinnen 90 Prozent des Phosphors zurück, sind aber teuer.
Die kreativen jungen Verfahrensingenieure (kjVI) der VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Ingenieruwesen (GVC) veranstalten Chemplant seit 2018. Dieses Jahr geht der Wettbewerb in eine neue Runde. Anmeldeschluss ist der 10. April 2023, kurz danach wird die neue Aufgabe bekannt gegeben. Schwerpunkte sind Prozess- und Anlagenplanung, Nachhaltigkeit sowie Digitalisierung und Industrie 4.0.
Auto mit Sauerstoffantrieb
Fast alle Gefährte beim Chemcar-Wettbewerb treibt Gasdruck an. Das Siegergefährt Glorious Blue tankt Wasserstoffperoxid – je mehr H2O2, desto weiter kommt das Fahrzeug. Nur 16 Zentimeter fehlten zur Punktlandung auf den geforderten zehn Metern. Das Team injizierte eine FeCl3-Lösung, die die Disproportionierung von H2O2 zu H2O und O2 katalysiert. Der O2-Druck baut sich zunächst auf und wird durch ein elektrisches Bauteil verzögert abgelassen. O2 verdrängt Wasser, das eine Turbine antreibt, die schließlich das Auto bewegt.
Drei der fünf Fahrzeuge sind dieses Jahr gar nicht losgefahren. Lediglich das zweitplatzierte Team Lama der TU Berlin hat an der Einmeterlinie gekratzt. Als B-Note erhielten die Teams Punkte für Sicherheitskonzepte, Innovation und Präsentation. Carmpagner der RWTH Aachen überzeugte dort und sicherte sich so den dritten Platz. Expandierendes CO2 treibt beide Fahrzeuge an.
Der Stoppmechanismus war Namensgeber für den Wagen Silver Arrow der TU Dortmund. Beim Start drückt eine Pipette Glucose in ein Reagenzglas mit Silbernitrat-Lösung, wodurch sich in einer Tollens-Reaktion elementares Silber abscheidet. Eine Reflexionslichtschranke unterbricht daraufhin den Stromkreis des Antriebs. Je mehr Glucose, desto früher sollte der Wagen halten, da sich das Silber schneller ablagert.
Für Chemcar sind ebenfalls die kjVI verantwortlich. Stattgefunden hat der Wettbewerb im September 2022 bei der Processnet-Jahrestagung in Aachen.
Luca Blicker ist Volontär bei den Nachrichten aus der Chemie und zieht Kleinstwägen brachialen Luxusschlitten vor.
Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...
Wenn Sie ein registrierter Benutzer sind, zeigen wir in Kürze den vollständigen Artikel.