Gesellschaft Deutscher Chemiker

Chemie im Alltag

Leuchtender Gin Tonic und schäumendes Bier

Nachrichten aus der Chemie, Februar 2023, S. 16-19, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Lehramtsstudierende der Chemie erklären chemische Phänomene im Wirtshaus, und zwar so, dass ihre Erläuterungen auf einen Bierdeckel passen. Ihr Ziel: Die Kneipen- und Biergartenbesucher unterhalten und zum Experimentieren anregen. Die angehenden Chemielehrer:innen lernen dabei, wie wichtig es ist, ihre Zielgruppe zu kennen.

Chemiker:innen wissen: Chemie ist überall. Für Laien sind chemische Prozesse nicht so leicht zu erkennen1) oder sie fallen ihnen nicht so leicht ins Auge. Hier setzt das Spotting-Science-Projekt an und will naturwissenschaftliche Phänomene im Alltag zeigen. Angefangen mit einem chemischen Lehrpfad auf dem Campus der Universität Wien2) haben Studierende des Lehramts Chemie im Laufe des Projekts weitere Standorte und Stationen zu chemischen Phänomenen auf dem Campus erarbeitet. So wurde beispielsweise für den Christkindlmarkt das Abkühlverhalten von Glühwein aufbereitet.

Die neuen Stationen machen mit einer Frage und einer Abbildung auf das jeweilige Phänomen vor Ort aufmerksam. Auf dem Gletscher des Dachsteins wurden auf diese Weise in Zusammenarbeit mit der Dachsteinseilbahn mehrere Stationen zu naturwissenschaftlichen Phänomenen am Berg konzipiert und umgesetzt. So können Besucher:innen zum Beispiel der Frage nachgehen, warum Wolken an Bergen hängen (Abbildung oben).

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Aufkleber „Warum hängen Wolken an Bergen?“ in einer Gondel der Dachsteinseilbahn.

Spotting Science und damit die Vermittlung naturwissenschaftlichen Wissens an Laien soll nun verstärkt in die Ausbildung der Chemielehrer:innen an der Universität Graz integriert werden. Diese erlernen so, chemische und naturwissenschaftliche Themen für Laien fachdidaktisch aufzubereiten.

Eine Grundlage für das Handeln im Unterricht und die Auseinandersetzung mit fachlichen Themen ist die didaktische Rekonstruktion.3) Hier ist es besonders wichtig, Vorstellungen der Schüler:innen zu analysieren und sie bei der Aufbereitung der fachlichen Inhalte und der Planung des Unterrichts zu berücksichtigen. Um dies zu schulen und zudem die Kommunikation naturwissenschaftlicher Themen in die Öffentlichkeit stärker in die Lehramtsausbildung zu integrieren, wurde das Spotting-Science-Projekt auf die Lehre erweitert. In seiner Bachelorarbeit hat sich Robin Gludovatz damit beschäftigt, Bierdeckel über chemische Phänomene zu gestalten,4) und legte unter anderem die Designkriterien für das Projekt fest.

Chemische Bierdeckel

Grundidee der Bierdeckel ist, im Gasthaus auf ein chemisches oder naturwissenschaftliches Phänomen hinzuweisen. Dies geschieht wie im Projekt Spotting Science üblich mit einer Frage. Hier war es: „Woher kommen die Bläschensäulen?“ oder: „Was sind nasse und trockene Schäume?“ Als Blickfang dient dabei jeweils eine Abbildung, die das entsprechende Phänomen zeigt. Auf der Rückseite der Bierdeckel stehen dann eine bebilderte Kurzerklärung mit kleinem Experiment sowie ein QR-Code und ein Link auf eine Webseite. Dort erfahren Besucher:innen dann mehr über das Phänomen, erhalten eine genauere Experimentieranleitung oder können weitere Bierdeckel und Phänomene entdecken (Abbildung links).

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Erster Entwurf (Vorder- und Rückseite) für Bierdeckel zum Thema Bläschen im Bier.

Spotting Science – Chemie für die Allgemeinheit im Seminar

Während einer Lehrveranstaltung zum Einsatz digitaler Medien im Chemieunterricht im Wintersemester 2021/22 erstellten drei Studierende weitere Bierdeckel (Abbildung unten). In dieser Lehrveranstaltung sollen Studierenden ein Projekt entwickeln und umsetzen, in dem sie ein Thema aus der Chemie der Allgemeinheit vermitteln. Dabei entwarfen die Teilnehmenden nicht nur Bierdeckel, sondern auch Sticker für den Supermarkt (zum Thema Zitronensäure), Papierbeutel für die Bäckerei (über Stärke im Brot) oder Unterlagen für Restaurants (über die Bräunung von Pommes).

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Beispiele für Bierdeckel (jeweils Vorder- und Rückseite untereinander), die von Seminarteilnehmer:innen gestaltet wurden. Der QR-Code (rechts) führt zu einer Übersicht aller konzipierten Bierdeckel und Links zur jeweiligen Webseite (spottingscience.at/bierdeckel/).

Um die Studierenden während der Umsetzung des Projekts bestmöglich zu unterstützen und damit den Lernerfolg zu verbessern, haben die Dozenten ein Feedbackkonzept für diese Phase der Lehrveranstaltung erstellt. Aufbauend auf Empfehlungen aus der Literatur5) wurde dabei auf drei Feedbackrichtungen Wert gelegt: von Lehrenden an Studierende, von Studierenden an Studierende und von Studierenden an Lehrende, und zwar während der gesamten Veranstaltung.

Für ihre Rückmeldungen bildeten die Studierenden kleinere Gruppen, um einander Projektideen vorzustellen und zu diskutieren. Ziel war, die Projektidee kurz und prägnant den Lehrenden zu präsentieren (Elevator Pitch). Dabei sollten die Studierenden konkret eine Zielgruppe des Science-Spot nennen sowie das Thema fachdidaktisch und zielgruppengerecht aufbereiten. Inzwischen wurden die Pitches ausgebaut, und die Teilnehmenden besprechen auch die Attraktivität der Stationen und Präsentationen. Ein wichtiger Punkt war, Science-Spotlights, die ähnlich wie die Bierdeckel aufgebaut sind, und Webseite zu gestalten.

Zum Abschluss des Projekts gaben sich die Studierenden dann gegenseitig schriftlich Feedback. Zudem schrieben die Lehrenden einen Bericht für jede:n Studierende:n.

Wie sich dabei herausstellte, sollten die Studierenden vor allem das Layout verbessern, andere Farben wählen sowie das Verhältnis von Bild und Text optimieren. Die Rückmeldungen halfen ihnen dabei, die Inhalte für die Zielgruppe aufzubereiten.

Die Studierenden nutzten für ihre Projekte oft schon kommunizierte und fachlich reduzierte Inhalte aus dem Internet und verpackten diese lediglich neu. Daher regen die Lehrenden sie dazu an, sich mit der Originalliteratur und sich selbst fachdidaktisch mit den Inhalten auseinanderzusetzen, um eigene Erklärungen und Formulierungen zu finden.

Bierdeckel beim Pint-of-Science-Festival

In Kooperation mit dem Pint-of-Science-Festival in Österreich und München wurden die Bierdeckel hergestellt und als Tischdekoration genutzt. Das Pint-of-Science-Festival stammt ursprünglich aus England, dabei stellen Wissenschaftler:innen ihre Forschung in Kneipen und Gasthäusern vor.

In Österreich gab es die Bierdeckel in Wien, Krems, Graz und Innsbruck. An einigen Abenden ergänzte Experimentiermaterial die Bierdeckel (Abbildung). So konnten die Gäste an den Tischen selbst ausprobieren, ob Gin Tonic leuchtet oder Bläschensäulen im Bier erzeugen. Die Experimentieranleitungen auf der Webseite waren über den QR-Code auf den Bierdeckeln erreichbar. Experimente und Material waren darauf ausgelegt, keine Gefahren hervorzurufen. Die Mengen waren so gering, dass möglichst wenig Abfall am Tisch entstand.

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Bereitgestelltes Experimentiermaterial, mit dem die Wirtshausbesucher:innen untersuchen können, wie sich die Bläschen im Bier bilden und Tonic Water leuchtet.

Anders als bei anderen Pub-Science-Formaten6) drehten sich die Erklärungen auf den Bierdeckeln ausschließlich um naturwissenschaftlichen Phänomene, die im Gasthaus vorkommen.

Die Bierdeckel und Experimente wurden zudem bei weiteren Veranstaltungen wie dem naturwissenschaftlichen Sommerabend „Glühwürmchen und Gin Tonic“ eingesetzt, einem naturwissenschaftlichen Experimentierabend im Kulturzentrum Stieglerhaus. Bei diesen themenbezogenen Experimentierabenden sollen Laien naturwissenschaftliche Themen experimentell entdecken und diskutieren.

Laien und die Ziele der Lehramtsausbildung

Die ersten Erfahrungen im Seminar deuten darauf hin, dass Lehramtsstudierende davon profitieren, wenn sie im Studium Produkte zur Wissenschaftskommunikation erstellen. Besonders die Auseinandersetzung mit der Zielgruppe, deren Alter, Voraussetzungen und Vorwissen zeigt ihnen, wie wichtig es für die Unterrichtsplanung ist, die Schüler:innengruppe zu analysieren.

Durch die Konzentration des Spotting-Science-Projekts auf den Alltag rückt dieser für die Lehramtsstudierenden bei der Unterrichtskonzeption stärker in den Vordergrund. Für den späteren Unterricht lernen sie, Inhalte motivierend und ansprechend aufzubereiten.

Auch die Arbeitsgruppe Chemiedidaktik an der Universität Osnabrück gibt Beispiele für gelungene Umsetzungen von Elementen der Wissenschaftskommunikation in Studium und Unterricht.

Robin Gludovatz (Universität Wien), Stefanie Ortner, Martin Theuermann und Eva Wakolbinger (Universität Graz) haben die gezeigten Bierdeckel und die zugehörigen digitalen Inhalte konzipiert und umgesetzt. Wir bedanken uns beim Rektorat der Universität Graz für die finanzielle Unterstützung der Produktion der Bierdeckel. Ebenso danken wir dem Pint-of-Science-Festival Austria und München für die Umsetzung im Rahmen des Festivals 2022.

Die Autoren

Diesen Beitrag haben Philipp Spitzer (oben) und Sebastian Tassoti verfasst. Spitzer ist seit dem Jahr 2020 Assistenzprofessor für Didaktik der Chemie an der Universität Graz. Zuvor war er Assistent an der Universität Wien, hat in Siegen Chemie und Physik für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen studiert, bei Martin Gröger promoviert und war Referendar an der Maria-Montessori-Gesamtschule in Aachen. Tassoti hat in Graz Chemie studiert, über NMR promoviert und arbeitet seit Mai 2021 als Postdoc am Fachdidaktikzentrum Chemie in der Arbeitsgruppe von Spitzer.https://media.graphassets.com/4vGqGMa6TmuMA9EI35svhttps://media.graphassets.com/OIi452KLQkqARohuQzlr

AUF EINEN BLICK

Im Spotting-Science-Projekt entwerfen angehende Chemielehrer:innen Medien, mit denen sie Laien chemische Phänomene aus dem Alltag erklären.

Dabei setzen sie sich mit der Zielgruppe, deren Alter und Vorwissen auseinander – eine Voraussetzung für funktionierende Wissenschaftskommunikation.

Die Studierenden bekommen so einen Blick für Alltagschemie und lernen, Inhalte motivierend und ansprechend aufzubereiten.

  • 1 D. Krischer, P. Spitzer, M. Gröger, HEE-Journal 2016, 8, 7–13
  • 2 A. Lembens, G. Heinzle, A. Tepla et al., Chemistry Teacher International 2022, 0, DOI 10.1515/cti-2021–0025
  • 3 U. Kattmann, R. Duit, H. Gropengießer, M. Komorek, Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften 1997, 3, 3–18
  • 4 R. Gludovatz, P. Spitzer, Chemie & Schule 2021, 36, 17–21
  • 5 J. Hattie, H. Timperley, Review of Educational Research 2007, 77, 81–112
  • 6 M. Beeken, M. Budke, J. Chem. Educ. 2018, 95, 1323–1330

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