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Chemische Energie richtig speichern
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Um erneuerbare Energie effizient zu nutzen und CO2-Emissionen zu senken, braucht es zusätzliche Energiespeicher und ein besseres System, um die Stromnachfrage flexibel an die Verfügbarkeit anzupassen. Wie lassen sich dafür chemische Energiespeicher wie Wasserstoff einsetzen?
Durch die Elektrifizierung energie- und treibhausgasintensiver Prozesse sind der Klassifikationsgesellschaft DNV zufolge die globalen Stromspeicherkapazitäten bis Mitte des Jahrhunderts um das 17-Fache auszuweiten: Lag die Speicherkapazität im Jahr 2023 noch bei 1,75 Terawattstunden, wird in rund 25 Jahren eine Kapazität von 30 Terawattstunden nötig sein.1) Auch für die Wärmeversorgung ist mit einer Zunahme der benötigten Energiespeicherkapazität zu rechnen, um auf treibhausgasneutrale Wärme umzustellen. Da etwa im Winter und nachts kaum Strom aus Solar- und Windkraftwerken verfügbar ist, sind Ersatzspeicher für Öl und Gas nötig, etwa Holzabfälle oder Biogas.
Was chemische Speicher leisten können
Einen Überblick zu Energiespeicheroptionen sowie speziell zur Stromspeicherung gaben wir bereits in früheren Ausgaben der Nachrichten aus der Chemie [Nachr. Chem. 2023, 71(9), 32; 2024, 72(10), 28].
Chemische Energiespeicher basieren auf reversiblen chemischen Reaktionen und schließen damit einen Stoffkreislauf. Verglichen mit anderen Speichern, etwa physikalisch-mechanischen, elektrischen oder elektrochemischen, hat das Vorteile:
Die gravimetrische und volumetrische Speicherdichte der technisch relevanten chemischen Energiespeicher ist um ein bis zwei Größenordnungen höher als die von Lithiumionenakkus. Sie liegt etwa bei 12 kWh · kg
–1 für Benzin, 33 kWh · kg
–1 für Wasserstoff, 14 kWh · kg
–1 für Methan und jeweils 6,4 kWh · kg
–1 für Methanol und Ammoniak verglichen mit 0,1 – 0,3 kWh · kg
–1 für Lithiumionenakkus.
2)
Wo Wasserstoffenergie sinnvoll ist
Ein Nachteil chemischer Speicher ist verglichen mit Batteriespeichern die geringe Energieeffizienz. Wird beispielsweise Wasserstoff hergestellt, gespeichert und rückverstromt, ergibt das derzeit nur rund ein Drittel der ursprünglich eingesetzten elektrischen Energie. Werden synthetische Kraftstoffe mit Wasserstoff hergestellt, reduziert sich dieser Wert durch zusätzliche Umwandlungsverluste nochmals.3) Mit dem Energieaufwand, der für ein mit synthetischem Kraftstoff betriebenes Fahrzeug nötig ist, ließen sich fünf bis sechs Elektroautos betreiben.
Ziel muss also sein, regenerativen Strom möglichst unmittelbar zu nutzen oder verlustarme Speicher einzusetzen, etwa Batterien oder physikalische Speicher. Lithiumionenbatterien etwa bieten Roduner et al. zufolge eine Energieeffizienz von 85 bis 98 Prozent [Nachr. Chem. 2024, 72(10), 28].
Chemische Speicher können sinnvoll sein, wenn keine Alternativen vorhanden sind oder wenn sich dadurch teure Infrastrukturinvestitionen vermeiden lassen.
Wie sich Wasserstoffenergie nutzen lässt, zeigt Tabelle 1. Wasserstoff ist wertvoller, wenn er als Rohstoff genutzt wird anstatt als chemischer Stromzwischenspeicher oder um Wärme zu erzeugen. Wo Strom direkt zu einem Energie-effizienzgewinn führt, sind statt Wasserstoff andere Optionen zu bevorzugen. Dies gilt beispielsweise beim Landverkehr mit batterieelektrischen Fahrzeugen, beim Erzeugen von Wärme oder Kälte mit Wärmepumpen oder dem Nutzen von Prozesswärme. Wasserstoff eignet sich allerdings, um Eisen, Stahl und Grundchemikalien wie Ammoniak oder Methanol nahezu treibhausgasneutral herzustellen. Außerdem lässt sich mit Wasserstoff regenerativ erzeugte Energie langfristig speichern, um die Energieversorgung in einer Dunkelflaute zu sichern oder Notstrom zum Überbrücken plötzlicher Versorgungsengpässe zur Verfügung zu stellen.
Zudem sind Wasserstoff und seine Speicherprodukte Methanol, Ammoniak oder nachhaltige Flugkraftstoffe auch für die Schiff- und Luftfahrt sowie den Schwerlasttransport auf Langstrecken relevant. Denn sie erfordern hohe Energiespeicherdichten, die sich nur durch chemische Speicher erreichen lassen.5)
CO2 vermeiden, Energie sparen
Rohstoffe aus der Natur können ebenfalls der Treibstoffproduktion dienen. Allerdings begrenzen Flächenbedarf und Nutzungskonkurrenz durch andere Anwendungen die Rohstoffmengen. Bäume und Holzreste sollten daher vorrangig als Baumaterial oder für Zellstoff genutzt werden, sodass Kohlenstoff für Jahrzehnte zwischengespeichert anstatt als CO2 in die Atmosphäre emittiert wird. Zudem erfordert es viel Energie, Biomasse zum Herstellen von Grundchemikalien aufzubereiten, ihr beispielsweise das Wasser zu entziehen: nämlich etwa viermal so viel wie Verfahren, die fossile Rohstoffe nutzen.
Energiegewinn setzt CO2 frei – und diese Emissionen sollten so weit wie möglich vermieden oder kompensiert werden. CO2 lässt sich zwar für den Kohlenstoffkreislauf reaktivieren: In der inversen Wassergas-Shift-Reaktion reagiert es mit Wasserstoff, beispielsweise aus der Wasserelektrolyse, zu Kohlenstoffmonoxid. Dieses lässt sich nutzen, um Methanol herzustellen. Das Reaktivieren von CO2 und Wasser zu Methanol erfordert allerdings eine hohe Reaktionsenthalpie von 7 MWh · t–1, die sich in der Praxis durch Wärmeverluste und Zusatzaggregate zu einem Energiebedarf von mehr als 10 MWh · t–1 Methanol summiert. Die Methanolsynthese aus Synthesegas (CO + 2 H2) ist dagegen theoretisch um 0,8 MWh·t–1 exotherm, weil Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff bereits reduzierte Formen von CO2 und Wasser sind. In der Praxis benötigt die Reaktion etwa 1 MWh · t–1 Methanol.6)
Wird CO2 durch Direktsorption (Direct Air Capture) aus der Umgebungsluft gewonnen, ist es zudem aufzukonzentrieren. Auch das ist energieaufwendig. Insgesamt benötigt es drei- bis viermal mehr Energie, CO2 abzuscheiden und zu nutzen, als biogene Kohlenstoffverbindungen zu verwenden.5)
In Fermentations- oder Synthesegasanlagen und Biomassekraftwerken lässt sich CO2 energiegünstig aus unvermeidbaren Emissionen abtrennen. Bei einer CO2-Konzentration von 20 bis 40 Prozent und einer Reinheitsanforderung von 90 Prozent sind 23 bis 45 kWh · t–1 CO2 Energie nötig7) – wenig verglichen mit Direct Air Capture bei CO2-Konzentrationen von unter einem Prozent, das höherer Energien von mehreren Megawattstunden pro Tonne CO2 bedarf. Die Nutzungsoptionen von Biomasse lassen sich daher anhand des Energiebedarfs, des Erhalts von C–C-Bindungen und der CO2-Freisetzung priorisieren (Tabelle 2).
Derzeit basieren unsere Energiewirtschaft und Chemieindustrie hauptsächlich auf fossilem Kohlenstoff: Gas und Öl sind nahezu ideale Rohstoffe für Energieträger und Chemieprodukte. Fossile Rohstoffe enthalten von Natur aus viel chemisch gespeicherte Energie und lassen sich in Raffinerien durch Cracking oder mehrfache Destillation kosten- und energiesparender aufreinigen als etwa Biomasse. Die CO2-Emissionen auf Netto-Null zu reduzieren, wird daher Energie kosten. Wenn möglich, sollte CO2 als Endprodukt deshalb vermieden werden. Das ist etwa bei der Biomassevergasung mit Wasserdampf möglich, die Wasserstoff freisetzt. Das Wasser für den Wasserdampf ist meist bereits in der Biomasse enthalten.
Wird CO2 chemisch reduziert, etwa zu Ameisensäure, Formaldehyd, Methanol oder Methan, korreliert der Energieaufwand mit der benötigten Wasserstoffmenge (Diagramm rechts oben). In der Praxis sind zudem der Marktwert der Produkte sowie Energieverluste bei der Wasserstoffelektrolyse und der Synthese von Folgeprodukten zu berücksichtigen.
Was folgt
Priorität muss in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren die Defossilisierung der Energiewirtschaft haben. Fossil befeuerte Kraftwerke sind durch Wasserkraftwerke, Solarstrom und Windenergie zu ersetzen. Physikalische oder elektrochemische Energiespeicher sowie Biomasse-Kraftwerke können Dunkelflauten, etwa an trüben Tagen im Winter, über Tage bis Wochen überbrücken und Lastspitzen kappen, also den Stromverbrauch zu Spitzenlastzeiten reduzieren. Energie aus Biomasse ist dabei billiger, als Wasserstoff in Gaskraftwerken zu verfeuern. Der Gesamtwirkungsgrad von der elektrolytischen Wasserstofferzeugung über das Speichern bis zur Rückverstromung liegt bei unter 50 Prozent.8)
Daher ist auch eine Elektrifizierung des Straßenverkehrs folgerichtig: Batteriebetriebene Landfahrzeuge sind etwa 3,5-mal so effizient wie Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren – und damit trotz höherer Anfangsinvestition auf Dauer günstiger. Gleiches gilt für Wärmepumpen.9)
Sektorenübergreifend und unabhängig von der Speicherart sind Anteil und Absolutmenge an nachhaltiger elektrischer und thermischer Energie verglichen mit dem jetzigen Zeitpunkt zu erhöhen. Nur so lassen sich die vertraglich vereinbarten Klimaziele in Deutschland und europa- sowie weltweit erreichen. Mit einem Anteil von 56 Prozent erzeugte Deutschland seinen Strom im Jahr 2023 erstmals mehrheitlich aus erneuerbaren Energiequellen.10) Bei gleichbleibenden Investitionen wird Deutschland noch mehr als 10 Jahre benötigen, um nahezu 100 Prozent zu erreichen. Da für alle Speicheroptionen viel Material und Energie nötig sind, sollte der Speicherbedarf minimiert werden. Chemische Energiespeicher können Deckungslücken überbrücken und Anwendungen dienen, die eine hohe Energiedichte voraussetzen. Für Strom und Wärme gilt: Der ökonomische Nutzen einer Speichermethode hängt von der gesamten gespeicherten Energie ab – und damit von der Zahl der Lade- und Entladezyklen über einen gegebenen Zeitraum. Ein Langzeit-Speicher, der nur wenige Zyklen pro Jahr durchläuft, darf entsprechend nur wenig kosten, um wirtschaftlich zu sein.
AUF EINEN BLICK
Chemische Energie lässt sich theoretisch beliebig lange speichern, denn das Trennen der Reaktionspartner stoppt die Reaktion.
Die Speicherdichte von Wasserstoff, Methan oder Ammoniak ist um ein bis zwei Größenordnungen höher als die von Lithiumionenakkus.
Chemische Speicher eignen sich daher etwa für Flugzeuge, Überseeschiffe oder Langzeitspeicher zur Notstromversorgung.
Chemische Bindungen zu erhalten und CO2 als Endprodukt zu vermeiden spart Energie, etwa bei der Biomassenutzung.
Die Autoren
Den Beitrag verfasst haben Thomas Osterland (Foto), Wolfgang Hübinger und Emil Roduner. Osterland ist seit 2015 Professor für chemische Technologie an der Hochschule Augsburg in der Fakultät Maschinenbau und Verfahrenstechnik. Hübinger erarbeitet bei BASF in Ludwigshafen Langfriststrategien, abgeleitet aus Technologieentwicklung, Forschungssteuerung und Scouting. Roduner ist Professor für physikalische Chemie an der Uni Stuttgart sowie außerordentlicher Professor der Uni von Pretoria (im Ruhestand).
Foto: Saskia Schweizer
- 1 DNV Energy Transition Outlook 2024: dnv.de/energy-transition-outlook/download/
- 2 A. A. Nkembi, M. Simonazzi, D. Santoro, P. Cova, N. Delmonte, Batteries 2018, 10, 88, doi: 10.3390/batteries10030088
- 3 Staiger, R., Tantau, A., Analyse von Power-to-X-Anwendungen mit grünem Wasserstoff. In: Geschäftsmodellkonzepte mit grünem Wasserstoff. Sustainable Management, Wertschöpfung und Effizienz, 2024, Springer Gabler, Wiesbaden, doi: 10.1007/978-3-658-30576-5
- 4 R. Gloor, Energiesparmöglichkeiten in Sägereien, [Hrsg.: Schweizer Bundesamt für Konjunkturfragen (Bfk)], 1996
- 5 J. Clausen, Das Wasserstoffdilemma: Verfügbarkeit, Bedarfe und Mythen, Berlin, 2022
- 6 Rechnerische Abschätzungen von Wolfgang Hübinger
- 7 M. Bui, C. S. Adjiman, A. Bardow, E. J. Anthony, A. Boston et al., Energy Environ. Sci. 2018, 11, 1062, doi: 10.1039/C7EE02342A
- 8 A. J. Headley, S. Schoenung, Hydrogen Energy Storage: t1p.de/qwztu
- 9 W. Brinker, Bunsen-Magazin 2022, 3, 72
- 10 Destatis-Pressemeldung: t1p.de/ozzwa
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