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„Deutschland hat eine besondere Verantwortung und Vorbildfunktion“
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Die Bundesrepublik Deutschland ist eines der Länder, die eine Ständige Vertretung bei der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) in Den Haag unterhalten. Deutschland als einer der größten Chemiestandorte weltweit könne entscheidend dazu beitragen, die weltweite Sicherheit zu stärken, sagt Botschafter Thomas Schieb.
Herr Botschafter Schieb, was steht derzeit auf der Agenda der Organisation für das Verbot chemischer Waffen, OVCW?
Thomas Schieb: Im Juli 2023 hat die OVCW eine ihrer zentralen Aufgaben erfüllt: Die letzten erklärten Chemiewaffenbestände aus dem Kalten Krieg wurden vernichtet. Die Gefahr des Einsatzes von Chemiewaffen besteht aber fort. Wir müssen leider davon ausgehen, dass weiterhin verdeckte Chemiewaffenprogramme existieren. Es gibt nach wie vor Unstimmigkeiten bei den Angaben zum damaligen syrischen Chemiewaffenprogramm, welche die Regierung beim Beitritt Syriens zum Chemiewaffenübereinkommen, CWÜ, 2013 gemacht hatte. Die OVCW ist seit Jahren bemüht, diese offenen Punkte zu klären, ein wirklicher Kooperationswille auf syrischer Seite ist aber nicht zu verzeichnen. Besorgniserregend ist weiterhin, dass chemische Grundstoffe in falsche Hände geraten und zum Beispiel Terroristen selbst hergestellte Chemiewaffen einsetzen könnten. Auch der Einsatz von Unruhebekämpfungsmitteln, zum Beispiel Tränengas gegen geschützte Stellungen, wie es das russische Militär im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine tut, ist absolut inakzeptabel und eine klare Verletzung der Konvention.
Welche Rolle sollte die OVCW in der Zukunft spielen?
Es bleibt wichtig, eine erneute Verbreitung von Chemiewaffen zu verhindern, insbesondere mit Blick auf nichtstaatliche Akteure. Angesichts der rasanten Entwicklungen in Wissenschaft und Technologie – Stichwort Künstliche Intelligenz – muss die OVCW kontinuierlich entsprechendes Know-how und Fähigkeiten aufbauen, um ihr Mandat erfüllen zu können. Eine weitere wichtige Aufgabe ist es, Beweismaterial zu sammeln und zu sichern, das in späteren Gerichtsverfahren gegen die für den Einsatz von Chemiewaffen verantwortlichen Personen verwendet werden soll. Hiermit trägt die OVCW dazu bei, diese zur Rechenschaft zu ziehen und Straflosigkeit zu bekämpfen. Auch Industrieinspektionen und die Unterstützung der Vertragsstaaten, die die Konvention noch nicht vollständig umgesetzt haben, bleiben essenziell. Weiterhin arbeiten wir gemeinsam mit der OVCW daran, die letzten vier Staaten, die das CWÜ bisher nicht unterschrieben beziehungsweise ratifiziert haben, zu überzeugen, also Ägypten, Israel, Südsudan und Nordkorea.
Deutschland gehört zu den wenigen Vertragsstaaten der Chemiewaffenkonvention, die eine eigenständige Vertretung bei der OVCW unterhalten. Warum ist das so?
Das stimmt, Deutschland ist neben den USA das einzige Land mit einer Ständigen Vertretung, die sich allein auf die OVCW konzentriert. Das zeigt den hohen Stellenwert, dem wir dem CWÜ und der Arbeit der OVCW beimessen. Das CWÜ ist einer der erfolgreichsten multilateralen Abrüstungsverträge und ein wichtiges Element der internationalen Abrüstungs- und Rüstungskontrollarchitektur. Zudem hat Deutschland als einer der größten Chemiestandorte weltweit eine besondere Verantwortung sowie Vorbildfunktion. Wegen der Größe seiner Chemieindustrie ist Deutschland auch durchgängig im Exekutivrat der OVCW, dem Entscheidungsgremium der Organisation, vertreten.
Die OVCW arbeitet eng mit Vertragsstaaten zusammen, um den Einsatz von Chemiewaffen zu verhindern. Wie kann Deutschland die internationale Zusammenarbeit hierbei stärken?
Seit vielen Jahren unterstützt Deutschland zum Beispiel mit freiwilligen Beiträgen Projekte des Afrikaprogramms der OVCW, etwa mit Blick darauf, analytische Fähigkeiten und Kapazitäten von Laboren zu verbessern. So fördern wir derzeit eine Laborpartnerschaft zwischen einem deutschen und algerischen Labor, mit dem Ziel, dass sich das algerische Labor als ein OVCW-Labor designieren lassen kann. Zudem unterstützt die Bundeswehr die Ausbildung von OVCW-Inspektoren mit Trainingsprogrammen. Wir ermutigen auch die deutsche Chemieindustrie, Vertragsstaaten mit zu unterstützen, etwa im Rahmen von Fortbildungsmaßnahmen oder durch Praktikaangebote für ausländische Chemikerinnen oder Chemieingenieure.
Apropos deutsche Chemieindustrie – wie gestaltet sich hier die Zusammenarbeit mit der OVCW?
OVCW-Inspekteure inspizieren regelmäßig ausgewählte deutsche Chemieunternehmen. Das Verfahren zu diesen Routineinspektionen wird dabei im Licht aktueller Entwicklungen in der Chemieindustrie angepasst. In diesen Prozess sind der Verband der Chemischen Industrie, VCI, das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima und das Bundesausfuhramt, BAFA, eng eingebunden. Für dieses Jahr sind ein Besuch von Vertretern des VCI sowie von einzelnen deutschen Chemieunternehmen in Den Haag geplant. Die deutsche OVCW-Vertretung setzt sich dafür ein, dass die Chemieindustrie die OVCW nicht allein als Kontrollinstanz wahrnimmt, sondern auch als eine Organisation, die die internationale Zusammenarbeit fördert. Sie bietet ein Forum, um Strategien zu entwickeln, den Missbrauch chemischer Substanzen zu verhindern und die globale Sicherheit zu stärken. Die deutsche Chemieindustrie kann dazu viel beitragen.
Sie setzen sich für die Interaktion mit der Zivilgesellschaft und der OVCW ein – warum?
Die Fortschritte in Wissenschaft und Technologie in der Chemie sind rasant. Damit die OVCW up to date bleibt, ist ein enger Austausch mit der Wissenschaft von zentraler Bedeutung – derzeit gilt dies insbesondere für das Thema Künstliche Intelligenz. Nichtregierungsorganisationen unterstützen die Arbeit der OVCW, indem sie zum Beispiel Informationen über mögliche Einsätze von Chemiewaffen sammeln. Sie tragen auch dazu bei, ein größeres öffentliches Bewusstsein für das Thema zu schaffen. Das zeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen OVCW, Vertragsstaaten, Wissenschaft und Zivilgesellschaft ist. Gemeinsam mit Ecuador haben wir daher einen Konsultationsprozess initiiert, um diese Zusammenarbeit in Zukunft noch systematischer und gewinnbringender zu gestalten.
Ist das öffentliche Bewusstsein für das Thema denn nicht groß genug?
Das Thema Chemiewaffen und Abrüstung findet viel Beachtung. Aber trotz ihrer Erfolgsbilanz, die auch der Friedensnobelpreis im Jahr 2013 gewürdigt hat, ist die OVCW in der Öffentlichkeit bislang wenig bekannt. Wir arbeiten daran, dass sich das ändert. Nicht zuletzt deshalb, weil die OVCW auch als Arbeitgeber für deutsche Fachkräfte – nicht nur aus der Chemie – attraktiv ist.
Zusammenarbeit: Die GDCh und die OVCW
Die GDCh unterstützt die Arbeit der OVCW seit vielen Jahren mit unterschiedlichen Aktivitäten: So waren Henning Hopf, ehemaliger GDCh-Präsident und GDCh-Ehrenmitglied, sowie die Geschäftsstelle 2015 an der Ausarbeitung der „Haager Ethikleitlinien“1) beteiligt. Die OVCW hatte dazu mehrere Workshops mit mehr als 30 Wissenschaftler:innen sowie Vertreter:innen von Fachgesellschaften aus aller Welt organisiert. Der ehemalige GDCh-Präsident Thomas Geelhaar, in dessen Amtszeit sich 2015 der erste Giftgaseinsatz zum einhundertsten Mal jährte, war Mitglied der deutschen Delegation, die 2015 bei einer Gedenkveranstaltung im belgischen Ypern der Opfer weltweiten Giftgaseinsatzes gedachte. Von 2016 bis 2021 war Hans-Georg Weinig, Abteilungsleiter in der GDCh-Geschäftsstelle, Mitglied des Advisory Board on Education and Outreach der OVCW, im Jahr 2021 als Chairperson. Zudem unterstützte die GDCh den Neubau des OVCW Centre for Chemistry and Technology durch einen kleinen finanziellen Beitrag und die Gewinnung weiterer unterstützender Fachgesellschaften. Bei der feierlichen Eröffnung am 12. Mai 2023 im Beisein des niederländischen Königs Willem-Alexander überbrachte die GDCh alle guten Wünsche für die zukünftige Arbeit des Centers.Botschafter Thomas Schieb (r.) und Hans-Georg Weinig von der GDCh-Geschäftsstelle bei der Eröffnung des OVCW Chemtech Centre in Den Haag. Foto: GDCh
Auch die Zusammenarbeit der GDCh mit der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der OVCW hat mittlerweile gute Tradition und wird seit 2015 durch die bisherigen Botschafter:innen Christoph Israng, Christine Weil und Gudrun Lingner sowie aktuell durch Botschafter Thomas Schieb unterstützt.
OVCW: Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen
Nach dem Ende des Kalten Krieges war sich die Staatengemeinschaft einig, dass Chemiewaffen endgültig verboten werden und die in den Jahrzehnten zuvor produzierten, riesigen Chemiewaffenbestände schnellstmöglich vernichtet werden müssen. Die Grundlage hierfür wurde mit dem Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ) geschaffen. Es trat im Jahr 1997 in Kraft, und mittlerweile gehören ihm 193 Staaten an. Für die Umsetzung des CWÜ ist die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) mit Sitz in Den Haag zuständig. Zu ihren Aufgaben gehören insbesondere die systematische Verifikation und Vernichtung aller gemeldeten Chemiewaffen sowie derer Produktions- und Lagerstätten.
Das Verbot von Chemiewaffen ist gemäß CWÜ absolut. Das heißt: Entwicklung, Herstellung, Besitz, Weitergabe und der Einsatz von Chemiewaffen sind verboten. Vor dem Hintergrund der Dual-Use-Problematik, also der Verwendung von Techniken oder Gütern sowohl zu zivilen als auch zu militärischen Zwecken, und zur Vertrauensbildung zwischen den Vertragsstaaten sieht das Chemiewaffenübereinkommen CWÜ unter anderem weltweite Routineinspektionen der Chemieindustrien vor. So führen Inspekteurinnen und Inspekteure der OVCW auch bei deutschen Chemieunternehmen regelmäßige Inspektionen durch, um sicherzustellen, dass deren Aktivitäten nur friedlichen Zwecken dienen.
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