In einem binationalen Promotionsverfahren können Nachwuchsforschende wie der Autor dieses Beitrags an zwei Universitäten in zwei Ländern promovieren.
Eine binationale Promotion ist in Deutschland ein Sonderfall: Nach Angaben des Statistisch...
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Die Chemikerin und Youtuberin Mai Thi Nguyen-Kim erklärte sich mit ihren Videos in kurzer Zeit an die Spitze der deutschsprachigen Wissenschaftskommunikation. Die Nachrichten aus der Chemie sprachen mit ihr über ihren Anspruch, über Evidenz und darüber, ob sie das Labor noch manchmal vermisst.
Mit Ihrem Youtube-Kanal maiLab erreichen sie ein Millionenpublikum. Hatten Sie Vorbilder?
Vorbilder eher nicht, aber einen Anspruch. Nämlich nicht nur in der Laien-Öffentlichkeit gut anzukommen, sondern dass meine Arbeit auch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gewürdigt wird. Die Wertschätzung aus der Chemie – etwa nun mit dem Preis der GDCh für Journalisten – bedeutet mir viel. Ich will meine Arbeit so machen, dass mein ehemaliger Doktorvater nicht „oh, oh“ denken muss, sondern stolz ist.
Mit maiLab beleuchten Sie häufig, wie Wissenschaft funktioniert. Wollen Sie vor allem wissenschaftliches – und damit eigenständiges – Denken fördern, oder reicht es, wenn die Botschaft einfach geglaubt wird?
Es ist wohl Realität, dass viele mir einfach vertrauen, so nach dem Motto: Wenn das in maiLab so gesagt wird oder wenn etwas in meinen Büchern steht, dann stimmt das. Dadurch habe ich große Verantwortung. Aber tatsächlich will ich nicht bloß sagen „so ist es“, sondern ich lege Wert auf Methoden und darauf, zu erklären, wie wissenschaftliche Ergebnisse zustande kommen. Ich will vermitteln, was der Unterschied zwischen Bauchgefühl, Hinweisen und Evidenz ist.
Unter den maiLab-Videos steht immer eine Beschreibung mit allen Quellen. Können Laien damit wirklich etwas anfangen?
Begrenzt – es fängt ja schon damit an, dass ich mit wissenschaftlicher Originalliteratur arbeite. Da stößt mancher Laie schon auf praktische Probleme: Vieles liegt hinter einer Paywall oder ist auf Englisch. Um manche Sachen zu verstehen, braucht es eine naturwissenschaftliche Bildung. Die wertvollste Dienstleistung, die ich mit meinem Redaktionsteam aus Wissenschaftlern und Wissenschaftskommunikatoren anbiete, ist deshalb: eine Brücke zu sein zwischen Experten und Laien.
Allein eine Quellenliste sagt aber noch nichts. Viele Verschwörungsmythiker klatschen einem seitenweise Literaturlisten hin …
Weil die genau wissen, dass der Laie das nicht nachprüfen kann. Die nutzen naturwissenschaftliche Begriffe, und wenn man hinschaut, muss man sagen: Die sind falsch. Und sie kommen damit durch, weil Wissen über Chemie und Naturwissenschaften schon in der Schule als zweitrangig gilt und später nicht zur Allgemeinbildung eines sich als intellektuell sehenden Menschen gehört. Deshalb muss ich in meiner Arbeit manchmal Grundlagen vermitteln. Quellenkompetenz in den Naturwissenschaften erfordert wissenschaftliche Allgemeinbildung.
An dieser Quellenkompetenz hapert es aber auch bei den Journalisten. So entsteht ja das Problem der false balance, also dass zu jedem Thema selbst die am weitesten abweichende Ansicht im öffentlichen Diskurs erscheint.
False balance ist ein ganz großes Problem in der Wissenschaftsvermittlung in den Medien. Der Zuschauer sieht in der Talkshow einen Wissenschaftler, der einen Konsens vertritt, der auf Evidenz beruht. Gleichzeitig vertritt ein anderer eine Meinung – was völlig legitim ist –, die aber auf schwächerer oder sogar keiner Evidenz fußt. Es müsste also Evidenz thematisiert werden, aber eben die hat keinen Raum in einer Talkshow. Mancher Redaktion einer Talkshow oder politischen Sendung ist gar nicht klar, dass es nicht darum geht, Meinungen abzufragen, und die Wissenschaftsjournalisten, die sie darauf hinweisen könnten, sitzen nicht in diesen Redaktionen.
Aber Sie sind zum Beispiel eine Wissenschaftsjournalistin mit Einfluss, sodass Sie in der öffentlichen Wahrnehmung fast schon als Expertin rüberkommen. Wie sehen Sie das?
Das ist grundsätzlich nicht gut. Bei manchen Interviewanfragen merke ich: Aha, ich bin hier offensichtlich die Expertin für alles. Das ist natürlich Quatsch. Im Herzen bin ich zwar Wissenschaftlerin, aber in meiner Arbeit verstehe ich mich als Wissenschaftsjournalistin.
Muss die Arbeitsweise nicht ähnlich sein?
Es gibt da Parallelen. Guter Journalismus muss auch belegen und beruht auf Evidenz, im Journalismus gibt es das Vier-Augen-Prinzip, in der Wissenschaft gibt es Peer Review. Wenn wir Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten wirklich immer korrekt und prinzipientreu unseren Job machen, dann stehen wir auf derselben Seite, nämlich auf der Seite der Evidenz. Dann geht es höchstens noch da um Meinungen, wo es Unsicherheiten gibt.
Ich ziehe für mich eine Grenze: Ich bin Expertin für Wissenschaftskommunikation, nicht für jedes beliebige Wissenschaftthema.
Wie weit sollten Wissenschaftler zu Experten für Wissenschaftskommunikation werden? Können und sollten sie ihre Wissenschaft so erklären, dass alle die Prinzipien verstehen?
Das ist vielschichtig. Zuerst: Wissenschaftskommunikation ist genauso wichtig wie die Forschung selbst. Das gilt sogar für Grundlagenforschung, und umso mehr, wenn aus der Wissenschaft gesellschaftlich relevante Innovationen entstehen können. Ich habe als Wissenschaftlerin etwa zur Drug Delivery geforscht, für siRNA damals. Und momentan ist mRNA ja total relevant.
Aber: Es ist nicht sinnvoll, jeden Wissenschaftler dazu zu zwingen, zu kommunizieren.
Warum?
Wenn man in die Öffentlichkeit geht, sollte ein Wissenschaftler genau dieselben Ansprüche an sich haben wie etwa auf einer wissenschaftlichen Konferenz. Wenn ich auf eine Konferenz gehe und dort Quatsch erzähle, dann wird das kritisiert. Ein Paper muss ich zurückziehen, wenn es falsch ist. Die Wissenschaft hat eine eingebaute Selbstkorrektur, die aber noch nicht auf die Wissenschaftskommunikation ausgeweitet ist. Sobald jemand ins Fernsehen geht, heißt es: Meinungsfreiheit, und die Verantwortlichkeit endet.
Die Beiträge im maiLab-Channel lassen auch Uneindeutigkeit zu – ich erinnere mich an die Videos zu Glyphosat und Antidepressiva.
Ja, aus dramaturgischer Sicht sind beide nicht zufriedenstellend, weil sie keine klaren Antworten geben. Man kann am Ende nicht sagen, ob Antidepressiva helfen oder nicht oder ob Glyphosat schlimm ist oder nicht. Wir haben trotzdem ausführliche Beiträge dazu gemacht, um zu zeigen, warum die Unsicherheit besteht. Damit bei Laien nicht das typische Verschwörungsmythosbild ankommt: Die einen sagen das und die anderen sagen das, weil der ist von dem bezahlt und der vom anderen.
Aber nicht alles ist eben einfach aufzulösen: Mach mal zum Beispiel eine kontrollierte Studie mit schwer Depressiven. Du gerätst in ein massives ethisches Dilemma, wenn du in der Kontrollgruppe schwer Depressive nicht behandelst. Deswegen ist die Studienlage in diesem Bereich schwach. Das kann und muss man erklären.
Abgesehen von Corona und Klimawandel: Was sind gerade die besonders heißen Themen?
Grüne Gentechnik: Die Frage, wie wir uns nachhaltig ernähren werden, steht im Raum, gerade weil das auch ein Wahlkampfthema werden könnte. Außerdem: Künstliche Intelligenz, Data Science, wie beeinflussen Algorithmen unser Miteinander. Aber das Team und ich können es kaum erwarten, nach der Corona-Zeit wieder klassische naturwissenschaftliche Themen, auch chemische, zu machen.
Die 1,3 Millionen Abonnenten von maiLab: Sind das andere Leute als die, die den Wissenschaftsteil der Sonntagszeitung lesen?
Definitiv. Das liegt in erster Linie am Format, also an der Plattform Youtube, weniger grundsätzlich am Alter. Das ist ein Missverständnis: Innerhalb der Öffentlich-Rechtlichen bin ich eine der Jüngsten, und viele denken, ich erreiche die 18-Jährigen, weil ich denen jung und hipp und fresh erscheine. Aber im Ernst: Ich bin jetzt Anfang 30. Wenn ich 18-Jährige treffe, siezen die mich. Als wir 18 waren und Anfang-30-Jährige gesehen haben, haben wir die auch nicht für unsere Kumpel gehalten.
Was verbindet in der Wissenschaftskommunikation die unterschiedlichen Kanäle?
Die Inhalte. Ich stelle mir Wissenschaftskommunikation wie eine Zwiebel vor: Innen die wissenschaftliche Originalliteratur und außen Instagram oder Tiktok. Man muss die Leute irgendwo abholen und sie dann weiter reinziehen in die Zwiebel. Deswegen hat auch jede Schicht der Zwiebel ihre Berechtigung, und alle werden gebraucht.
Vermissen Sie manchmal das Allerinnerste der Zwiebel, also das Labor?
Ja. Aber dann sagen mir mein Mann und meine Freunde, dass ich das romantisch verkläre. Wahrscheinlich haben sie recht: Nach zwei Wochen würde ich wohl wieder tauschen wollen.
Wie wichtig ist es, als Wissenschaftskommunikatorin eine eigene Marke zu sein?
Das macht es auf jeden Fall einfacher. Wenn es um wissenschaftliche Inhalte geht, zählt zwar immer der Inhalt, die Vortragenden sind nur die Verpackung. Aber die ist nur scheinbar oberflächlich: Sie bestimmt, ob und wie stark sich Menschen angesprochen fühlen. Zum Beispiel spreche ich automatisch mehr Mädchen und Frauen an als andere naturwissenschaftliche Kanäle mit männlichen Protagonisten.
maiLab besteht aus einem vierköpfigen Team, davon mit Ihnen drei promovierten Wissenschaftlern. Wie lange dauert es, bis ein Video recherchiert und fertig ist?
Die allermeiste Zeit brauchen die Recherche und das Skript. Wir recherchieren natürlich viel mehr, als dann am Ende im Skript landet. Das Skript selbst trägt so für 20 Minuten, die Informationsdichte ist hoch, der Schnitt bei Youtube folgt der Devise: Wenn’s zu schnell war, spulst du halt zurück und guckst es nochmal. Zu unserer Recherche gehört neben Studienlesen, sich in Facebook-Gruppen einzuloggen und zu schauen, welche Desinformationen zirkulieren. Wir sind ja in so einer Bubble von Naturwissenschaftlern und wissen oft gar nicht, welche Misconceptions draußen herumgeistern. Das dauert teilweise Wochen bis Monate für ein Thema. Vieles überschneidet sich, wir arbeiten an mehreren Themen parallel. Das Drehen ist unspektakulär – Kamera, Stativ, da hat sich nicht so viel geändert über die Jahre. Vielleicht haben wir heute ein besseres Händchen fürs Licht, eine bessere Kamera, besseren Ton. Die Produktion mache ich alleine zuhause. Das ist anstrengend, aber praktisch.
Wesentlich für maiLab ist die Interaktion mit den Abonnenten. Vor ein paar Wochen haben Sie sich aber mit den Worten „Wir müssen reden“ an Ihre Zuschauer gewendet, da Trolle und Hatespeech in den Kommentaren überhand nahmen. Wie sieht es momentan aus?
Krass. Vor Corona habe ich allen gesagt, die aus diesen Gründen Sorgen hatten, in die Öffentlichkeit zu gehen: Keine Angst, Wissenschaft ist ein dankbares Pflaster. Ich habe immer die maiLab-Community als Vorzeigecommunity genommen, um zu zeigen, wie konstruktiv und respektvoll – und dabei kritisch – die Kommentierenden sind.
Und das hat sich geändert?
Der Kern ist immer noch so, wird aber manchmal unter Wellen begraben. Unsere Videos werden in Telegram-Gruppen gepostet, und da wird dann zu einem konzertierten Dislikeangriff aufgerufen. Diese Leute sind nicht an einem Diskurs interessiert, die wollen nur Hass da lassen.
Die letzten Jahre hat die Community sich mehr oder weniger selbst gemanagt – auch weil mich persönliche Beleidigungen nicht so richtig jucken. Aber jetzt müssen wir eingreifen, also blocken oder Kommentare löschen, um der Community Platz zum sachlichen Austausch zurückzugeben.
Ist es besser geworden?
Den Hass verbreitet eine Gruppe, die mobil ist, die laut ist und die Zeit dafür hat. Aber sie ist eine Minderheit. Der große Teil, diese über eine Million Abonnenten, sind stille Zuschauer und Zuschauerinnen. Und viele von denen haben jetzt kommentiert. Das war schön und berührend, dass sich so viele einfach gemeldet haben, um uns den Rücken zu stärken.
Die promovierte Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim startete im Jahr 2015 ihre Karriere als Wissenschaftskommunikatorin mit dem Youtube-Kanal The Secret Life of Scientists, im Jahr darauf folgte schönschlau. Dieser vom öffentlich-rechtlichen Onlinemediennetzwerk funk finanzierte Youtube-Kanal heißt seit 2018 maiLab. Daneben moderierte Nguyen-Kim für die ARD die Wissenschaftssendung Quarks, im Frühling 2021 wechselte sie zum ZDF.
Um Wissenschaft und deren Kommunikation geht es auch in ihren Büchern: das 2019 erschienene Buch „Komisch, alles chemisch!“ sowie das im März 2021 veröffentlichte „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“.
Die GDCh würdigte Mai Thi Nguyen-Kim mit dem GDCh-Preis für Journalisten und Schriftsteller 2020 für „ihre vielfältige mediale Darstellung der Chemie, die zurzeit konkurrenzlos zur Popularisierung der Chemie beiträgt“. Die Preisverleihung findet am 30. August auf dem virtuellen GDCh-Wissenschaftsforum Chemie statt: wifo2021.de
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