Wissenschaftler sollen ihre Ergebnisse dauerhaft und sofort unter einer offenen Lizenz (CC BY) für alle frei verfügbar publizieren, fordert der Wissenschaftsrat. Die Lizenz CC BY bedeutet, dass jeder Inhalte einer Publikation nutzen und verändern ...
Meinungsbeitrag
Gemeinsam die Transformation gestalten
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Die Innovationskraft der Chemie fasziniert mich immer wieder: Polymerschäume, die Gebäude dämmen, Batteriematerialien für die E-Mobilität, Hochleistungskunststoffe in Autos oder Enzyme in Waschmitteln. Ohne Chemie wäre unser heutiger Lebensstandard nicht denkbar. Damit Chemie aber passieren kann, müssen Chemikalien reaktiv sein. Was daher für die Verwendung notwendig ist, kann bei unsachgemäßer Handhabung Mensch und Umwelt gefährden. Um dies zu vermeiden, hat die Europäische Union mit Reach (Registration, Evaluation and Authorization of Chemicals) eine der umfangreichsten Chemikaliengesetzgebungen weltweit erlassen. Und das ist auch gut so. Reach regelt, dass nur Stoffe auf den Markt gelangen, die sicher in ihrer jeweiligen Anwendung sind. Unternehmen sind dazu verpflichtet, (öko-)toxikologische Studien durchzuführen und Daten zur Verwendung zu erheben. Basierend auf der Gefährlichkeit und Exposition werden dann stoffspezifische Risikobewertungen angefertigt.
Obwohl die Behörden anerkennen, dass Reach gut funktioniert, schlägt die EU-Kommission als Teil des europäischen Green Deals vor, mit der Chemicals Strategy for Sustainability (CSS) Reach zu verschärfen. Ziel der CSS ist der noch bessere Schutz der Gesellschaft vor Chemikalien bei gleichzeitiger Förderung von Innovationen. Während ich diesen beiden Zielen vollumfänglich zustimme, bereitet mir die vorgeschlagene Vorgehensweise große Sorgen. Eine durch den europäischen Chemieverband Cefic beauftragte unabhängige Studie zeigt, dass allein zwei der CSS-Maßnahmen jährlich zu einem Umsatzrückgang in der europäischen Chemieindustrie zwischen 12 und 28 Prozent führen könnten: nämlich die Einführung neuer Gefahrenklassen und der Paradigmenwechsel weg von der stoffspezifischen Risikobewertung hin zu einem generischen, rein gefahrenbasierten Ansatz. Das widerspricht fundamental Paracelsus‘ Prinzip: „Die Dosis macht das Gift“. Als Gesellschaft können wir Stoffe mit intrinsisch gefährlichen Eigenschaften sicher handhaben und tun dies jeden Tag, indem wir entsprechende Schutzmaßnahmen ergreifen – im einfachsten Fall eine Reduktion der eingesetzten Konzentrationen, am Arbeitsplatz zudem durch persönliche Schutzausrüstung und Schulungen. Insbesondere aufgrund dieser Schutzmöglichkeiten am Arbeitsplatz sehe ich die von CSS geforderte Gleichstellung der Regularien für Konsumenten und gewerbliche Anwender besonders kritisch.
Ich bin überzeugt, dass wir das angestrebte Schutzniveau mit spezifischeren Maßnahmen besser erreichen. Daher möchte ich im Zug meiner Cefic-Präsidentschaft mit der EU-Kommission gemeinsam einen Transformationspfad erarbeiten, wie wir als Industrie die Anforderungen an Klimaneutralität, Kreislaufwirtschaft, Digitalisierung und CSS meistern können – und dabei weltweit wettbewerbsfähig bleiben. Die Chemieindustrie schlägt vor, Priorität auf die Substitution von Stoffen mit dem höchsten Risiko zu legen und das Risikoprinzip zu erhalten. Unsere Branche benötigt ausreichend Zeit, um Safe-and-Sustainable-by-Design-Produkte zu entwickeln – und deren Entwicklung muss sich wirtschaftlich lohnen! Getrieben durch die gestiegenen Datenanforderungen, etwa bei der Polymerregistrierung, müssen dabei neue Ansätze zur Datenerhebung entwickelt werden, wie tierversuchsfreie In-vitro-Methoden und In-silico-Modellierungen. Hierzu ist eine Zusammenarbeit mit der akademischen Forschung nötig.
Als leidenschaftlicher Chemiker freue ich mich darauf, mit der Kommission an einer Innovationsagenda zu arbeiten, die uns als Industrie klare Rahmenbedingungen und Anreize gibt, damit die EU-Chemikalienstrategie zum Wachstumstreiber für Europa wird. Das sollte unser gemeinsames Ziel sein.
Dr. Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender BASF, Ludwigshafen
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