Das erste heterobimetallische Dimetallocen; mit sterisch anspruchsvollen Liganden lassen sich einfach-koordinierte Hauptgruppenverbindungen der Gruppen 13 bis 15 herstellen; neue Diazoverbindungen erlauben es, B-R-Einheiten und Kohlenstoffatome zu...
Trendbericht Anorganische Chemie 2024
Hauptgruppen‐ und Molekülchemie
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Das erste heterobimetallische Dimetallocen; mit sterisch anspruchsvollen Liganden lassen sich einfach-koordinierte Hauptgruppenverbindungen der Gruppen 13 bis 15 herstellen; neue Diazoverbindungen erlauben es, B-R-Einheiten und Kohlenstoffatome zu übertragen.
Hauptgruppen- und Molekülchemie
Gruppe 1 – Alkalimetalle
In der präparativen Chemie ist kaum untersucht, wie das Alkalimetallkation die Reaktivität beeinflusst. Verschiedene Arbeiten zeigen jedoch: Hier gibt es Unterschiede und Trends von Li bis Cs.
Wie die Arbeitsgruppe Gessner feststellte, sind Ketenyl-Lithium-Verbindungen des Typs [RC(Li)CO] (mit R = Ph2P(E), E = O, S, Se) thermisch weniger stabil als ihre Kalium-Homologe. Sie führen das darauf zurück, dass das Sauerstoffatom des Ketenteils stärker an das härtere Metallkation koordiniert; das führt zu einem stärker ausgeprägten Inolat-Charakter.1)
Die Hexamethyldisilazanid-Gruppe ist wichtig in Haupt- und Nebengruppenchemie. Ihre Alkalimetallsalze dienen oft als nichtnukleophile Basen, wobei kaum untersucht ist, wie das Alkalimetallion deren Verhalten bestimmt. In zwei Arbeiten untersuchte die Gruppe um Collum für NaHMDS2) und KHMDS,3) wie das Lösemittel Spezies in Lösung und die Reaktivität beeinflusst. In THF existiert das NaHMDS-Dimer im Gleichgewicht mit dem Monomer, wobei das Monomer die Reaktivität bestimmt (Abbildung 1). Für KHMDS werden Monomere, Dimere und höhere Aggregate diskutiert, abhängig von Lösemittel und Sequestrierungsreagenzien wie Kronenethern und anderen mehrzähnigen Liganden.
Das Oxidationspotenzial von Ce3+-Komplexen kann vom Alkalimetallgegenion abhängen, wie die Gruppen um Popov und Pierre über Cyclovoltammetriemessungen zeigen. Der Analyse der Einkristallröntgenbeugungsdaten zufolge korreliert der Grad der Strukturverzerrung der sekundären Koordinationssphäre linear mit dem gemessenen Oxidationspotenzial (Abbildung 2). Die elektronische Absorptionsspektroskopie in Lösung bestätigt, dass sich die Strukturen auch in Lösung unterscheiden.4)
Viele Elemente bilden Metallocene, doch nur Zn und Be bildeten bislang Dimetallocene des Typs Cp–E–E–Cp (Cp = C5H5). Nun wurde das heterobimetallische Dimetallocen CpR–Li–Al–CpR (CpR = C5iPr5) hergestellt (Abbildung 3). Die Li–Al-Bindung ist stark ionisch und wird von dispersiven Wechselwirkungen der Cyclopentadienylringe stabilisiert.5)
Gruppe 2 – Erdalkalimetalle
Die Gruppe um Boronski und Aldridge untersuchte die Be-Be-Bindung. Aus Beryllocen synthetisierte sie die Verbindung [K{(HCDippN)2BO}2]Be–BeCp (Abbildung 4). Quantenchemischen Rechnungen zufolge ist die Be–Be-Bindung so stark polarisiert, dass sich der Komplex als Be0/BeII-Komplex mit gemischtem Oxidationszustand formulieren lässt. Dementsprechend lässt sich das „Beryllyl“-Anion [BeCp]– auf ein organisches Substrat übertragen, analog zur Reaktivität von sp2-sp3-Diboranen. Wie diese Arbeit zeigt, ähneln sich die homoelementaren Bindungen von Beryllium und Bor verblüffend stark, trotz der metallischen Natur des Berylliums und der nichtmetallischen des Bors.6)
Zudem wurde erstmals ein Komplex mit einer Mg–Be-Bindung hergestellt. Wie quantenmechanische Rechnungen zeigen, lässt sich der Komplex am besten als eine MgIIBe0-Verbindung beschreiben.7)
Wird CO einem tetrametallischen Magnesiumhydridcluster zugefügt, deoxygeniert das CO, und es bildet sich eine C=C-Doppelbindung (Abbildung 5). So entsteht das Acetaldehyd-Enolat [C2OH3]–, das am Cluster koordiniert bleibt, wie Crimmin und Mitarbeitende zeigen. Dichtefunktionaltheorie(DFT)-Studien zufolge erzeugt der nukleophile Angriff eines Oxymethylens auf einen Formylliganden ein instabiles [C2O2H3]3–-Fragment; dieses wird anschließend deoxygeniert.8)
Milstein berichtet von Calciumkomplexen mit P,N,P- und P,N,N-Liganden basierend auf Pyridin. Durch Metall-Ligand-Kooperation und wenn gleichzeitig das Pyridin dearomatisiert wird, können die Calciumkomplexe N2O aktivieren. Dabei entstehen Calciumdiazotatkomplexe, bei denen Teile aromatisch sind. Darüber hinaus aktivieren die dearomatisierten Calciumkomplexe reversibel N–H-Bindungen und H2. Das ermöglicht, ungesättigte Moleküle katalytisch zu hydrieren.9)
Die Gruppe um Harder hat einen kohlenwasserstofflöslichen Barium-Anthracen-Komplex durch Metalldampfsynthese hergestellt (Abbildung 6). Nachdem das tiefviolette Ba(Anth‘‘) mit Diethylether extrahiert wurde, kristallisiert es als cyclisches Oktamer [Ba(Anth‘‘)-Et2O]8. Wird es in Benzol gelöst, lässt es sich als Ba(Anth‘‘)-Aren isolieren, da der Ether durch Verdünnen verdrängt wird. In Lösung liegt die Verbindung als Trimer vor. Der Komplex reagiert als Ba0-Synthon, wie Reaktivitätsstudien mit Luft, Ph2C=NPh oder H2 zeigen. Dabei wird neutrales Anth‘‘ freigesetzt.10)
Selten und kaum charakterisiert sind molekulare Calciumfluoridkomplexe, in denen der F–-Ligand nicht verbrückend ist und die keine Clusterverbindungen bilden. Nun wurde ein anionischer Ca–F-Komplex hergestellt, indem ein sterisch anspruchsvoller N,O,N-Pinzettenligand genutzt wurde. Das Fluoridion wurde anschließend auf Elektrophile übertragen.11)
Gruppe 13 – Triele
Methylaluminoxan (MAO), ein Hydrolyseprodukt von AlMe3, aktiviert Präkatalysatoren für die großtechnische Produktion von Polyolefinen. Die Molekülstruktur dieses Reagenz war bisher jedoch schlecht verstanden. Nun erhielten Mitarbeitende von Exxon-mobil mit Röntgenkristallographie Einblicke in die Struktur einer aktiven MAO-Komponente. So wurde nachvollzogen, wie [Al(CH3)2]+-Einheiten erzeugt werden, die die Katalyse starten.12)
Zhang, Cummins und Gilliard haben die erste Bordiazaverbindung hergestellt (Abbildung 7). Diese setzt Distickstoff frei, reagiert als Borylenquelle und eignet sich für [3+2]-Cycloadditionen.13)
Wie die Arbeitsgruppen Unterreiner und Breher zeigten, lassen sich solche AlIII-Bisalkylzentren photochemisch anregen, die redox-aktive Bis(pyridylimino)isoindolidenliganden haben. Hierbei wird eine Al–C-Bindung homolytisch gebrochen, wodurch Alkylradikale entstehen. Diese wurden anschließend eingesetzt, um elektronenarme Alkene zu hydromethylieren.14)
β-Diketiminatoaluminium-Radikalkomplexe schwächen O–H- und N–H-Bindungen, indem sie daran koordinieren, wie die Arbeitsgruppe Mankad zeigte. Das macht protonengekoppelte Elektronentransferreaktionen zugänglich.15)
Durch Bor(I)-Verbindungen lässt sich N2 metallfrei fixieren. So lassen sich funktionalisierte Hydrazine und N2-haltige Heterocyclen darstellen. Bei keinem der beiden Reaktionspfade bilden sich N1-Intermediate.16,17)
Wird ein NHC-stabilisiertes Bisarylalan mit dem Hydridakzeptor [Ph3C][B(C6F5)4] umgesetzt, entsteht ein seltenes dreifach koordiniertes AlIII-Kation (Abbildung 8). Die Verbindung ist etwa so Lewis-sauer wie Al(C6F5)3 und aktiviert CO2, Alkene und Alkine in Gegenwart einer sterisch anspruchsvollen Phosphorbase.18)
Der Einsatz von Hydrindacen-Ligandengerüsten in der Synthese einfach koordinierter Hauptgruppenelemente weitet sich aus: Mit einem solchen sterisch anspruchsvollen Liganden wurde erstmals eine einfach koordinierte GaI-Verbindung hergestellt (Abbildung 9). Zusätzlich zur oxidativen Addition kleiner Moleküle wie Methyliodid wurden Alkine redox-neutral in die Ga-Ligand-Bindung eingeschoben, wie es häufig in der Übergangsmetallkatalyse geschieht.19)
Gruppe 14 – Tetrele
Ph3P=C=N2 lässt sich durch Reaktion von PPh3=C=PPh3 mit N2O direkt herstellen. Die Verbindung dient als Quelle für C0-Atome bei der Umsetzung mit Carbonylen (Abbildung 10). Je nach Reaktionspartner lassen sich auch die Fragmente Ph3P=C: und N2=C: auf organische Substrate übertragen sowie Klickreaktionen durchführen.20)
Das Cyanoketenylanion [NCCCO]– wurde erstmals im Grammmaßstab erhalten. Ähnlich zu C3O2 ist das Molekül im Grundzustand gebogen. Die Reaktion mit kleinen Molekülen wie Wasser, Ammoniak oder Methanol liefert Produkte, die für die Industrie wichtig sind, etwa Cyanessigsäure.21)
Erstmals wurde ein Dicyanoketenimin hergestellt, indem [C(CN)3]– silyliert wurde (Abbildung 11, S. 50). Die analoge protonierte Verbindung liegt als Methanderivat vor, jedoch bildet sich durch den sterischen Anspruch der Trimethylsilylgruppe bevorzugt das Dicyanoketenimin-Isomer. Wird anschließend zweifach silyliert, bildet sich das Dikation [C(CNSiMe3)]2+.22)
Für 2-Tetrelavinylidene (C=EH2; E = Si, Ge) wurde stets vorhergesagt, sie seien instabil und würden schnell zu den entsprechenden 1-Tetrelavinylidenen (E=CH2) isomerisieren. Diese bislang noch nicht beobachteten Verbindungstypen wurden nun mit sterisch anspruchsvollen Liganden und NHC-Donoren stabilisiert (Abbildung 12).23) Durch Umsetzen mit GeBr2(1,4-Dioxan) bilden sich die entsprechenden Bromogermine.
Silyl-Anionen liegen typischerweise in trigonal-pyramidalen oder planaren Strukturen vor. Nun wurde ein T-förmiges Silyl-Anion dargestellt, indem ein rigider N,N,N-Pinzettenligand eingesetzt wurde. Das Anion aktiviert CO2, Wasserstoff und Isonitrile sowie C–F- und C–H-Bindungen.24)
Ein planarisiertes Stannat-Dianion kombiniert mehrere charakteristische Effekte geometrisch verzerrter Hauptgruppenverbindungen. Wird es mit Chloriminsalzen umgesetzt, bilden sich direkt acyclische Aminocarbeneinheiten, die sich anschließend auf CuCl-Einheiten übertragen lassen.25)
Erstmals wurde ein anorganischer viergliedriger neutraler 2π-Aromat hergestellt. Reagiert ein Silylen mit PhBCl2 gefolgt von Reduktion mit KC8, ergibt sich ein Produkt mit zentralem Si2B2-Vierring (Abbildung 13). Hierbei liegt ein delokalisiertes 2π-Elektronensystem vor, das sich aus B(p)- und σ*(Si–N)-Orbitalen zusammensetzt.26)
Arylisocyanide lassen sich mit Imino(silyl)silylenen in Silylcyanide und Disilene umsetzen. Möglich wird die Reaktion durch eine Sequenz oxidativer Addition und reduktiver Eliminierung am Silylen. Sie ist ein weiterer Schritt, um siliciumbasierte Katalysatoren zu entwickeln.27)
Die Salzmetathese von Germacyclopentadienyldiiden mit Cp*AlCl2 liefert Germaaluminocene mit ambiphiler Reaktivität. Das Germaaluminocen reagiert mit C–I-, C–OTf- und Si–OTf-Bindungen. Die Reaktionsprodukte entsprechen Verbindungen, die ausgehend von den Heterofulvenen (R2Ge = AlR‘) erwartet würden (Abbildung 14).28)
Die Liu-Gruppe hat mit sterisch anspruchsvollen Substituenten das erste basenfrei isolierbare Stannin (R–C≡Sn–R‘) hergestellt. Die Kohlenstoff-Zinn-Bindung hat ionischen Charakter, sodass sich das Zinn- und Kohlenstoffzentrum funktionalisieren lassen.29)
Erstmals wurde ein einfach koordiniertes Blei(I)-Radikal hergestellt. Elektronenspinresonanz(ESR)-Spektroskopie zeigt eine präzedenzlose g-Anisotropie der Verbindung. Diese rührt daher, dass das ungepaarte Elektron auf dem Bleiatom fast vollständig lokalisiert ist. Auch hier wurde ein von Hydrindacen abgeleiteter Ligand verwendet.30)
Die Arbeitsgruppe Munz hat eine weitere exotische Bleiverbindung vorgestellt. Dazu bestrahlten sie einen Bleidiazomethanidkomplex bei –50 °C. Dabei wird Distickstoff frei und es bildet sich ein Carben mit Triplett-Grundzustand, was ungewöhnlich ist. Die Verbindung reagiert mit Toluol, indem sich das Radikal in eine Benzyl-C-Bindung einschiebt.31)
Gruppe 15 – Pnictogene
Im Jahr 2023 wurden einfach koordinierte Pnictogene mit sterisch anspruchsvollen Ligandengerüsten hergestellt, welche sich vom Hydrindacen ableiten.
Nun haben die Arbeitsgruppen Hupf und Beckmann das erste kristalline und bei Raumtemperatur stabile Nitren (R–N) synthetisiert (Abbildung 15). Die Verbindung hat einen Triplett-Grundzustand, und erst ab 140 °C schiebt sich das Nitren-N-Atom in eine C–H Bindung des sterisch anspruchsvollen Liganden ein.32)
Geometrisch verzerrte Phospheniumkationen ermöglichen es, kleine Moleküle metallomimetisch zu aktivieren. Wie gezeigt wurde, bilden sp- und sp²-hybridisierte C–H-Bindungen die entsprechenden PV-Spezies. Das geschieht durch oxidative Addition teils reversibel mit Phospheniumkationen, die von Pinzettenliganden ligiert sind.33)
Die Arbeitsgruppe Dobrovetsky hydrierte metallomimetisch phosphorkatalysiert C=C-Bindungen (Abbildung 16). Dazu nutzte sie Liganden mit elektronenziehenden Carboraneinheiten und H2 als Wasserstoffquelle.34)
Erstmals wurde ein anionisches Phosphinidenoxid isoliert, stabilisiert durch sterisch anspruchsvolle Terphenylliganden (Abbildung 17). Diese Substanzklasse wurde zuvor nur bei tiefen Temperaturen in Matrizen beobachtet.35) Das Phosphorzentrum reagiert mit Wasser, Iod oder Ph2Se2 zu den entsprechenden PV-Oxoverbindungen.
Die metallfreie Funktionalisierung weißen Phosphors ist seit kurzem besser verstanden. Bei der Hydrostannylierung wurden Schlüsselschritte identifiziert, die als Vorlage dienen können, um Reaktionen zu entwickeln.36) Darüber hinaus wurden Diazadiphosphole zugänglich, indem P4 mit Diazoalkenen umgesetzt wurde (Abbildung 18). Wird tBuCP als Phosphorquelle verwendet, bilden sich die entsprechenden Diazaphosphole. Diese zeigen mehrere Koordinationsmodi mit Lewis-Säuren und Metallkomplexen, darunter N-, P- und η5-gebunden.37)
Das Pentaarsaferrocen [Cp*Fe(η5-As5)] (Cp* = C5Me5) reagiert mit Tetrylenen zu verschiedenen Verbindungsklassen: N-heterocyclische Carbene binden an den As5-Ring. Wenn das Ferrocen mit cyclischen (Alkyl)(Amino)Carbenen umgesetzt wird, fragmentiert der Ring jedoch, und es bilden sich As-Ketten. Bei der Reaktion des Ferrocens mit Silylenen entstehen Ferrocenderivate mit cyclischen SiAs4- und As6Si-Strukturen. Reagierten stattdessen Germylene, wurden nur Ferrocenderivate mit GeAs6-Einheiten erhalten.38)
Die Chemie des schwersten stabilen Elements Bismut hält weiterhin Überraschungen bei der Katalyse, Radikal- und Strukturchemie bereit: Wird ein Bis(germylen)ligand verwendet, lässt sich ein BiI-Komplex darstellen, der um ein Elektron zur offenschaligen BiII-Verbindung oxidiert wird.39) Mit Multi-Frequenz-EPR-Spektroskopie wurde die Kopplungskonstante der 209Bi-Hyperfeinwechselwirkung bestimmt, die außergewöhnlich groß ist (A = [1370, 2920, 1650] MHz).
Ausgehend von BiI-Zentren mit N,C,N-Pinzettenliganden wurde die ungewöhnliche Oxidationszahl +II des Bismuts photochemisch erhalten. Das ermöglicht photokatalytische Cyclopropanierungen und Trifluormethylierungen.40,41)
Die Arbeitsgruppen Weigend und Greb stellten erstmals eine tetrakationische Bi4-Einheit her und analysierten diese quantenchemisch (Abbildung 19). Dazu setzten sie ein Bismutcalix[4]pyrrolat mit InBr3 um, wobei sich eine InBr-Einheit in das Ligandengerüst einlagert. Dieses stabilisiert das Bi44+-Fragment. Wie Rechnungen zeigen, lässt sich der Bi-Vierring als σ-Aromat mit 16 Valenzelektronen beschreiben.42)
Kationische BiIII-Verbindungen dienen als Katalysator, um metallomimetisch allylische C–H-Bindungen zu funktionalisieren, wie die Gruppen Lichtenberg und Wang berichten.
Die Alkene werden aktiviert, indem BiIII-Zentren mit ihnen π-Komplexe bilden. Das ermöglicht Deprotonierung, woraufhin die C–C-Bindung geknüpft wird.43)
BiI lässt sich als schwerer Halogenbindungsakzeptor einsetzen, wie die Arbeitgruppe Malischewski zeigt (Abbildung 20). Der Einkristallstrukturanalyse eines Bismuthiniden-Aryliodid-Komplexes zufolge doniert das freie Elektronenpaar des BiI-Zentrums in σ-Löcher – so wird das Elektronenpaar stabilisiert.44)
Gruppe 16 – Chalcogene
Wie Ammoniak kann auch Wasser Elektronen solvatisieren. Wie sich die Struktur des Wassers ändert, das das Elektron solvatisiert, lässt sich mit zeitabhängiger Röntgenabsorptionsspektroskopie sichtbar machen. Das Bild der Elektronensolvatation in Wasser ist das eines Elektrons, welches in einen zufällig vorkommenden Hohlraum zwischen den Wassermolekülen eintritt – das stört das umgebende Wasserstoffbrückenbindungsnetz. Das konkurrierende Bild, das Elektron sei delokalisiert, wurde so widerlegt.45)
Moleküle, in denen ein Kohlenstoffatom mehr als eine OH-Gruppe trägt, spalten Wasser ab. Dass sich diese Regel bei tiefen Temperaturen umgehen lässt, zeigt das Team um Kaiser, Mebel und Yang, indem es Methantriol HC(OH)3 synthetisierte. Wassereis wird zusammen mit Sauerstoff bei etwa 5 K mit Synchrotronstrahlung zur Reaktion gebracht, wobei Methantriol entsteht. Die Energiebarriere der unimolekularen Zersetzung ist hoch (148 kJ · mol–1), was Methantriol in der Gasphase erstaunlich stabil macht.46)
Dithiolenliganden können redox-aktiv sein. Der Radikalcharakter ist dabei Teil des organischen Gerüstes und bleibt auch erhalten, wenn die Liganden an ein anderes Teilchen koordinieren. Die Gruppe um Robinson synthetisierte nun ein Aluminium-tris(dithiolen)triradikal, indem sie AlI3 mit einem sterisch anspruchsvollen Lithiumdithiolen umsetzt (Abbildung 21).47) Die Spezies zeigt einen Quartett-Grundzustand und Curie-Verhalten.
Schwefelmonoxid (SO) ist eine hochreaktive Spezies, die sich nicht als Volumenmaterial isolieren lässt. SO-Gruppen sind wichtig als Bausteine in der chemischen Synthese. Die Gruppe um Saito berichtet nun von einem Sulfinylhydrazin. Aus diesem lässt sich Schwefelmonoxid freisetzen, indem das Reagenz erwärmt wird (Abbildung 22). Als Zwischenstufe entsteht dabei Singulett-SO.48)
Acyclische Silylene werden typischerweise von sterisch anspruchsvollen Resten stabilisiert. Wie Hinz und Mitarbeitende zeigten, reicht ein großer Carbazolrest, um SiII zu stabilisieren. Das ermöglicht, kleine Substituenten am Silicium einzuführen.49) Das Team zeigt dies anhand von Chalcogenatoliganden. Die Synthesestrategie unterscheidet sich dabei je nach Chalcogen: Für das Thiolatosilylen wird der Chalkogenidteil vor der Carbazolylsubstitution eingeführt. Für Alkoxid und Selenolat wird dagegen das Chalkogenid auf der Stufe des Carbazolylsilans eingebaut. Im Gegensatz dazu wurde das Tellurolatosilylen nur durch direkte Metathese mit dem Carbazolylbromosilylen hergestellt.
Gruppen 17 und 18 – Halogene und Edelgase
Die Gruppe Riedel berichtet über die Reaktion von OF2 mit Berylliumatomen in festem Neon, wobei OBeF und OBeF2 entstehen.50) Wie Matrixisolationstechnik zusammen mit IR-Schwingungsspektroskopie zeigt, ist OBeF linear und hat Oxylradikalcharakter. OBeF2 liegt dagegen trigonal-planar mit C2v-Symmetrie vor, mit Triplettcharakter am Sauerstoffatom. Stabilisiert wird dieser durch eine schwache Wechselwirkung mit BeF2, das als Lewis-Säure fungiert.
Die Arbeitsgruppe Krossing hat das starke, vergleichsweise leicht herzustellende Oxidationsmittel [NaphthalenF][F{Al(ORF)3}2] synthetisiert. Das Oxidationspotenzial ähnelt dem von ReF6 und ermöglicht, viele organische und anorganische Verbindungen sauber zu oxidieren.51)
Die Arbeitsgruppe Schulz präsentierte die Synthese des Antiaromaten [Cp(C6F5)5]+. Nach quantenchemischen Rechnungen ist der antiaromatische Triplettzustand in der Gasphase stabiler, den ebenfalls antiaromatischen Singulettzustand stabilisieren Koordination mit [Sb3F16]– oder C6F6. [Cp(C6F5)5]+[Sb3F16]– ist bei Raumtemperatur stabil, stark oxidierend und hat eine hohe Fluorid- sowie Hydridionenaffinität.52)
Die Lewis-Supersäure Al(OTeF5)3 kann eine Teflatgruppe von Xe(OTeF5)2 abstrahieren.53) Dabei bilden sich vermutlich intermediär ein freies [Xe(OTeF5)]+-Ion und das schwach koordinierende [Al(OTeF5)4]–-Ion. Dieses wird anschließend stabilisiert, indem C5F5N und C5H3F2N daran koordinieren.
Bei der Antimonverbindung [Xe(OTeF5)(NC5F5)]+[Sb(OTeF5)6]– ist das Xenonatom linear koordiniert, konsistent mit der Formulierung AX2E3 aus dem VSEPR-Modell, was zu einer Xenon(II)-Spezies passt (Abbildung 23). Das Reagenz ist ein starkes Oxidationsmittel: Es oxidiert etwa Chlorsubstituenten von Chloralkanen zu Chloroniumionen.54) Im Gegensatz zu anderen Strategien erlaubt diese Synthese quantitative Ausbeuten. Chloroniumsalze sind stark elektrophil, wie Hydridabstraktion von Alkanen zeigte (Abbildung 24).
Die Reaktion von [NMe4][BrF6] mit BrF5-Überschuss führt zur Verbindung [NMe4][Br4F21]·BrF5. Diese enthält molekulare [(µ4-F)(BrF5)4]–-Ionen, in denen vier BrF5-Moleküle das zentrale Fluoratom tetraedrisch umgeben (Abbildung 25). Quantenchemischen Berechnungen zufolge ist die µ4-F-Br-Bindung innerhalb des Anions im Wesentlichen ionisch.55)
Das Anion der Trifluormethansulfonsäure (Triflat) ist stabil und dient oft als Abgangsgruppe oder wenig koordinierendes Anion. Das Team um Wickleder synthetisierte nun das Br-Homolog, das Tribrat (Abbildung 26).56) Dazu wird Phenylmethansulfonat C6H5OSO2CH3 mit KOBr bromiert, was zu C6H5OSO2CBr3 führt, und dieses wird anschließend basisch gespalten. Wie das Triflatanion ist das Tribrat in idealisierter Form C3v-symmetrisch. Das Triidation wurde bislang nicht synthetisiert.
Drei Fragen an den Autor: Frank Tambornino
Ihre Forschung in 140 Zeichen?
Synthese kleiner reaktiver Moleküle und Ionen ohne stabilisierende Liganden, meist auf Basis von Pseudohalogeniden und Phosgen.
Was brauchen Sie heute im Beruf, was Sie im Studium nicht gelernt haben?
Lehrkompetenz und Mitarbeiterführung werden von der ersten Stunde vom wissenschaftlichen Nachwuchs erwartet, aber im Studium kaum oder nicht vermittelt. Hier war zu Beginn die Lernkurve am steilsten.
In welchem Gebiet erwarten Sie in den nächsten zwölf Monaten die größten Entwicklungen und warum?
Ich denke, die Forschung an und mit maschinellem Lernen gekoppelt mit Data-Mining wird in der anorganischen Chemie Fahrt aufnehmen. Ob sich dadurch signifikante Fortschritte für uns Experimentatoren ergeben, wird sich zeigen.
Frank Tambornino ist Nachwuchsgruppenleiter an der Universität Marburg, wo er als Emmy-Noether- und Liebig-Stipendiat seine Habiliation begonnen hat. Davor hat er als Postdoktorand in Oxford bei Jose Goicoechea gearbeitet, wo er sich der anorganischen Molekülchemie widmete. Promoviert hat er im Jahr 2019 in anorganischer Festkörperchemie bei Constantin Hoch an der LMU München.
Die drei Fragen wählen die Autor:innen aus einem redaktionell erstellten Fragenkatalog.
Drei Fragen an den Autor: Josh Abbenseth
Ihre Forschung in 140 Zeichen?
Aktivierung kleiner Moleküle durch Hauptgruppenelemente und Übergangsmetalle unter Einsatz rigider redox-aktiver Pinzettenliganden.
Welcher Trend ist in den letzten zwölf Monaten aufgekommen, den Sie so nicht erwartet haben?
Die Synthese einfach koordinierter Hauptgruppenelemente mit sterisch anspruchsvollen Hydrindacen-Liganden hat sich enorm weiterentwickelt. Neben den exotischen spektroskopischen Eigenschaften wurde auch deren einzigartige Reaktivität gezeigt.
Was brauchen Sie heute im Beruf, was Sie im Studium nicht gelernt haben?
Multitasking und Zeitmanagement sind essenziell. Lehrverpflichtungen, Betreuung der Studierenden und die eigene Laborarbeit unter einen Hut zu bekommen ist eine große, aber auch spannende Herausforderung.
Josh Abbenseth ist seit dem Jahr 2023 Liebig-Nachwuchsgruppenleiter am Institut für Chemie an der HU Berlin im Umfeld von Christian Limberg. Er arbeitete als Postdoktorand an der Universität Oxford bei Jose Goicoechea. Promoviert hat er im Jahr 2019 in Chemie in der Arbeitsgruppe von Sven Schneider an der Universität Göttingen.
Die drei Fragen wählen die Autor:innen aus einem redaktionell erstellten Fragenkatalog.
- 1 P. Duari, S. Mondal, M. Jörges, V. H. Gessner, Chem. Commun. 2024, 60, 9372
- 2 Q. You, D. B. Collum J. Am. Chem. Soc. 2023, 145, 23568
- 3 J. A. Spivey, D. B. Collum J. Am. Chem. Soc. 2024, 146, 17827
- 4 A. C. Boggiano, C. M. Studvick, A. Steiner, J. Bacsa, I. A. Popov, H. S. La Pierre, Chem. Sci. 2023, 14, 11708
- 5 I.-A. Bischoff, S. Danés, P. Thoni et. al., Nat. Chem. 2024, 16, 1093
- 6 J. T. Boronski, A. E. Crumpton, A. F. Roper, S. Aldridge, Nat. Chem. 2024, 16, 1295
- 7 C. Berthold, J. Maurer, L. Klerner, S. Harder, M. R. Buchner, Angew. Chem. Int. Ed. 2024, e202408422
- 8 W. Yang, A. J. P. White, M. R. Crimmin, Angew. Chem. Int. Ed. 2024, 63, e202319626
- 9 Y. Liang, I. Efremenko, Y. Diskin-Posner, L. Avram, D. Milstein, Angew. Chem. Int. Ed. 2024, 63, e202401702
- 10 O. P. E. Townrow, C. Färber, U. Zenneck, S. Harder, Angew. Chem. Int. Ed. 2024, 63, e202318428
- 11 J. J. C. Strujis, M. A. Ellwanger, A. E. Crumpton, V. Gouverneur, S. Aldridge, Nat. Chem. 2024, 16, 1473
- 12 L. Luo, J. M. Younker, A. V. Zabula, Science 2024, 384, 1424
- 13 C. Zhang, C. C. Cummins, R. J. Gilliard Jr., Science 2024, 385, 327
- 14 J. O. Wenzel, J. Werner, A. Allgaier et al., Chem. Int. Ed. 2024, 63, e202402885
- 15 S. Sinhababu, R. P. Singh, M. R. Radzhabov, J. Kumawat, D. H. Ess, N. P. Mankad, Nat. Commun. 2024, 15, 1315
- 16 M. Weber, T. Kupfer , M. Arrowsmith et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2024, 63, e202402777
- 17 M. Rang, M. Heinz, A. Halkić, J. Am. Chem. Soc. 2024, 146, 11048
- 18 L. Werner, J. Hagn, J. Walpuski, U. Radius, Angew. Chem. Int. Ed. 2023, 62, e202312111
- 19 S. H. F. Schreiner, T. Rüffer, R. Kretschmer, Nat. Synth. 2025, 4, 67
- 20 T. Koike, J.-K. Yu, M. M. Hansmann, Science 2024, 385, 305
- 21 F. Krischer, V. S. V. S. N. Swamy, K.-S. Feichtner, R. J. Ward, V. H. Gessner, Angew. Chem. Int. Ed. 2024, 63, e202403766
- 22 J. Surkau, J. Bresien, D. Michalik, A. Schulz, Angew. Chem. Int. Ed. 2024, e202413565
- 23 S. Kumar, L. R. Maurer, G. Schnakenburg, U. Das, A. C. Filippou, Angew. Chem. Int. Ed. 2024, 63, e202400227
- 24 X. Liu, Y. Dai, Q. Bao et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2024, e202406089
- 25 H. Ruppert, A. Meister, R. Pfretzschner, A. F. Vieira, L. Greb, J. Am. Chem. Soc. 2024, 146, 11515
- 26 S. K. Kushvaha, P. Kallenbach, S. S. Rohman, et. al., J. Am. Chem. Soc. 2023, 145, 25523
- 27 H. Zhu, A. Kostenko, J. A. Kelly, S. Inoue, Chem 2024, 20, 1213
- 28 N. Geibel, L. Bührmann, L. Albers, M. Schmidtmann, A. Weiz, T. Müller, Angew. Chem. Int. Ed. 2024, 63, e202403652
- 29 X.-F. Wang, C. Hu, J. Li, R. Wie, X. Zhang, L. L. Liu, Nat. Chem. 2024, 16, 1673
- 30 H. Chen, W. Chen, D. Wang, Y. Chen, Z. Liu, S. Ye,G. Tan, S. Gao, Angew. Chem. Int. Ed. 2024, 63, e202402093
- 31 F. Dankert, J. Messelberger, U. Authesserre et al., J. Am. Chem. Soc. 2024, 146, 29630
- 32 M. Janssen, T. Frederichs, M. Olaru, E. Lork, E. Hupf, J. Beckmann, Science 2024, 385, 318
- 33 D. Roth, A. T. Radosevich, L. Greb, J. Am. Chem. Soc. 2024, 145, 24184
- 34 D. Bawari, D. Toami, K. Jaiswal, R. Dobrovetsky, Nat. Chem. 2024, 16, 1261
- 35 C. Hu, N. H. Rees, M. Pink, J. M. Goicoechea, Nat. Chem. 2024, 16, 1855
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- 37 S. Hauer, J. Reitz, T. Koike, M. M. Hansmann, R. Wolf, Angew. Chem. Int. Ed. 2024, 63, e202410107
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