Die Bundesrepublik Deutschland ist eines der Länder, die eine Ständige Vertretung bei der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) in Den Haag unterhalten. Deutschland als einer der größten Chemiestandorte wel...
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Mit Recht gegen den Missbrauch der Chemie
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Neue deutsche Gesetze setzen die Erfahrungen aus 30 Jahren Chemiewaffenübereinkommen um. Sie sollen Proliferationsrisiken senken, also die Gefahr der Weitergabe chemischer Massenvernichtungswaffen, Rechtslücken schließen sowie für klare Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten bei Inspektionen sorgen.
Das Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ) zielt als einer der erfolgreichsten multilateralen Abrüstungsverträge auf die weltweite Ächtung chemischer Waffen. Es verbietet die Entwicklung, den Besitz und Einsatz solcher Waffen und verbindet dies mit einem umfassenden Verifikationssystem. Mit der Überarbeitung der deutschen Gesetzgebung zum CWÜ möchte die Bundesregierung Proliferationsrisiken weiter reduzieren und gleichzeitig als gutes Beispiel für die internationale Gemeinschaft bei der nationalen Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen vorangehen. Damit setzt die Bundesregierung auch den Auftrag aus der Nationalen Sicherheitsstrategie um, sich verstärkt dafür einzusetzen, chemische, biologische und nukleare Risiken einzuhegen.
Mit der Ratifikation des CWÜ im Jahr 1994 hat sich Deutschland wie alle 193 Vertragsstaaten dazu verpflichtet, die Produktion und Verwendung von Vorprodukten für chemische Waffen zu kontrollieren und alles dafür zu tun, um einen Missbrauch der friedlichen Nutzung der Chemie zu verhindern. Um diese Verpflichtungen in deutsches Recht umzusetzen, wurde 1994 das Ausführungsgesetz zum CWÜ verabschiedet. Im Jahr 1996 folgte die Ausführungsverordnung, welche die gesetzlich getroffenen Regelungen weiter detailliert.
Klarere Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten bei Inspektionen
30 Jahre Erfahrung mit der Umsetzung des CWÜ sind in die Überarbeitung von Ausführungsgesetz und -verordnung eingeflossen, konkret: Erfahrungen beim Begleiten von Industrieinspektionen, dem Handel mit gelisteten Chemikalien und dem Fund alter chemischer Waffen. Auch Verbesserungsvorschläge aus der direkt betroffenen chemischen Industrie flossen über die Verbändebefassung in die Gesetzesnovelle ein. Die Anfang März 2024 in Kraft getretenen Änderungen sollen dabei insbesondere die nationalen Bestimmungen bei Inspektionen, Meldepflichten und der Aufklärung von Unstimmigkeiten bei Export- und Importmeldungen gelisteter Chemikalien präzisieren, Zuständigkeiten festlegen und Unklarheiten weitgehend vorbeugen.
Deutschland ist wegen seiner bedeutenden chemischen Industrie einer der am häufigsten inspizierten Vertragsstaaten des CWÜ. Seit Inkrafttreten des CWÜ wurden zirka 250 Industrieinspektionen in Deutschland durchgeführt.
Auf Grundlage dieser Erfahrungen wurden die dazugehörigen Regelungen überprüft und angepasst mit dem Ziel, die Umsetzung der Inspektionen effizienter zu gestalten und Anforderungen, Rechte und Pflichten deutlicher darzulegen. Die neue Gesetzgebung präzisiert beispielsweise Mitwirkungs- und Duldungspflichten. Das bedeutet etwa, dass Unternehmen künftig verpflichtet sind sicherzustellen, dass alle notwendigen Daten bei Inspektionsbeginn vorliegen. Bei Nichterreichen der Inspektionsziele muss das Unternehmen bei einer Nachprüfung unterstützen.
In den vergangenen Jahren haben sich darüber hinaus auch Anforderungen der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) bei den Inspektionen geändert, weshalb die deutsche Gesetzgebung angepasst werden musste. Da die OVCW bei Industrieinspektionen jetzt zum Beispiel auch Mengenbewegungen prüft, die vor der Meldepflicht erfolgt sind, haben die Unternehmen in Deutschland ab sofort die Pflicht, die entsprechenden Daten bereits sechs Monate vor der Meldepflicht aufzuzeichnen.
Chemiewaffen und Terrorismus: Proliferationsrisiken senken
Die Änderungen von Ausführungsgesetz und -verordnung haben darüber hinaus das Ziel, die Bevölkerung zu schützen und die Gefahr zu reduzieren, dass Terroristen Zugriff auf toxische Substanzen erhalten.
Daher hat die überarbeitete Gesetzgebung zwei zentrale neue Regelungen. Der Gesetzgeber hat eine Meldepflicht geschaffen, wenn chemische Waffen oder im CWÜ gelistete Chemikalien gefunden oder gestohlen werden, und ein Verfahren definiert, um Transferdiskrepanzen – also Unstimmigkeiten bei Export- und Importmeldungen – zu lösen. Diese Unstimmigkeiten haben meist praktische Gründe wie unterschiedliche Schwellenwerte, Meldungen über den Jahreswechsel oder Ausnahmebestimmungen für geringe Konzentrationen.
Das bisher auf freiwilliger Basis durchgeführte Verfahren zur Aufklärung der Transferdiskrepanzen wurde nun in Gesetz und Verordnung aufgenommen und ausgeführt. Die Regelung soll sicherstellen, dass keine gelisteten Chemikalien für verbotene Zwecke verwendet werden.
Das höchste Proliferationsrisiko verursachen die Liste-1-Chemikalien. Darunter fallen chemische Kampfstoffe wie VX, Sarin und Senfgas, aber auch ihre direkten Ausgangsstoffe und strukturverwandte Chemikalien. Deshalb wurden bei der Gesetzesänderung Sicherungs- und Auskunftspflichten insbesondere mit Blick auf diese Chemikalien ausgeweitet. So müssen künftig auch Einrichtungen, die nur eine Anzeige-, aber keine Genehmigungspflicht für Tätigkeiten mit Liste-1-Chemikalien haben, Maßnahmen treffen, damit die Chemikalien nicht in unbefugte Hände gelangen.
Lücken schließen und aus Evakuierungsoperationen lernen
Die Gesetzesänderungen haben auch das Ziel, bisherige Rechtslücken zu schließen. So wurde nun der besondere Fall von Verdachtsinspektionen detaillierter geregelt. Verdachtsinspektionen dienen der Aufklärung eines konkreten Verdachts, dass ein Vertragsstaat gegen das Chemiewaffenverbot verstoßen haben könnte. Sie können überall – auch außerhalb gemeldeter Einrichtungen – im Vertragsstaat durchgeführt werden.
Eine weitere Änderung betrifft den CWÜ-konformen Einsatz von Mitteln zur Bekämpfung von Unruhen, etwa Tränengas: Wie militärische Evakuierungsoperationen wie zuletzt im Sudan und Afghanistan deutlich gemacht haben, ist auch in solchen Situationen Tränengas als milderes Mittel gegenüber dem Schusswaffengebrauch zu bevorzugen. Die Gesetzesänderung ermöglicht daher nun der Bundeswehr, diese Mittel CWÜ-konform auch außerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit zu nutzen. Die bisherige gesetzliche Regelung war restriktiver, als es das CWÜ erfordert.
Fazit
Proliferationsrisiken senken, für klare Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten bei Inspektionen sorgen und Rechtslücken schließen – all diese Ziele der neuen deutschen Gesetzgebung zeigen, wie wichtig eine umfassende und moderne nationale Gesetzgebung zum CWÜ ist.
Die Autorin
Vivica Münkner ist Referentin beim Auswärtigen Amt, zuständig für den Themenbereich Abrüstung chemischer Waffen. Das Auswärtige Amt nimmt die Aufgabe der Nationalen Behörden zur Umsetzung des Chemiewaffenübereinkommens wahr.
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