Gesellschaft Deutscher Chemiker

Lebensmittelindustrie

Nebenströme nachhaltig nutzen

Nachrichten aus der Chemie, September 2024, S. 42-44, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Unter den 2842 Ausstellern der Prozessindustriemesse Achema im Juni nutzten 130 das Stichwort Lebensmittel in ihrer Tätigkeitsbeschreibung. Beim zugehörigen Kongress beschäftigten sich damit mehr als 40 Vorträge, etwa mit Fermentieren, Verarbeiten oder Verpacken.

In der Vortragssession Bioprocessing for Bioeconomy sprach Kathrin Rübberdt von der Dechema für die Dialogplattform industrielle Bioökonomie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Sie stellte drei Projekte vor:

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Die Mikroalgenanlage, ein geschlossenes Photobioreaktor-System des Start-ups Algoliner aus Messel. Zur Bioökonomie stellten kleine und mittlere Unternehmen auf einem Gemeinschaftsstand von Technologieland Hessen aus.

den Fasercluster Zerkall, den Unternehmen der Papier- und Verpackungsbranche gegründet haben (mit Ulrich Schurr vom Forschungszentrum Jülich),das Zentrum für Trockenfaseraufbereitung etwa für Papier (mit Tilo Gailat von TBP Future) undeine Demonstrationsanlage, die Proteine für Lebens- und Futtermittel aus industriellen Nebenströmen herstellen soll (mit Tomas Kurz von Proteindistillery).

Geschmack aus Bierhefe

Tomas Kurz vom baden-württembergischen Start-up Proteindistillery berichtete über die Demonstrationsanlage, die Proteine produzieren soll, und zwar aus Nebenströmen der Genussmittelindustrie wie Bierhefe aus Brauereien. Das Produkt Prewtein ersetzt tierische Bestandteile und Zusatzstoffe in veganen Fleisch-, Milch- und Eieralternativen sowie in Backwaren. Das Verfahren zerlegt Bierhefe in Proteinfraktionen und setzt diese entsprechend der Kundenbedürfnisse neu zusammen. Die Produkte eignen sich etwa als Binde- und Schaummittel oder Geschmacksverstärker.

Anders als Ersatzprodukte aus Pilzmyzel oder Präzisionsfermentation, die Proteinzellen mit veränderten Hefen oder Bakterien vermehren, benötigen Proteine aus Bierhefe in der EU keine Zulassung als neuartiges Lebensmittel. Die Anlage soll im Jahr 2025 in Betrieb gehen. Dabei unterstützt das bayerische Unternehmen Netzsch, das Mahl- und Dispergiermaschinen, Pumpen sowie Analyse- und Prüfgeräte vertreibt.

Fleischersatz aus Nussschalen

Heike Frühwirth, Hochschule Biberach, berichtete im Kongress über kaskadisches Verwerten von Seitenströmen der Lebensmittelproduktion. Aus Gemüse- und Obstschalen, Nusspresskuchen und Nussschalen sollen Proteinquellen für die menschliche Ernährung und biobasierte Materialien entstehen. Dafür werden Nährstoffe aus Reststoffen extrahiert, die bisher als Futtermittel in der konventionellen Fleischproduktion dienten. Sie kultivieren Pilzkulturen.

Die Produkte daraus sollen Fleisch ersetzen oder Myzelfaserstoffe liefern. Die Forschenden untersuchen dafür die Fadenpilze Pleurotus ostreatus und Hericium erinaceus. Ständerpilze helfen, Mykotoxinprobleme während der Kultivierung zu vermeiden. Die Untersuchungen befassen sich zudem mit technischen Fragen wie Reaktordesign, Energieversorgung und Prozessüberwachung.

Schmierstoffe aus Ölresten

Derzeit basieren etwa 95 Prozent aller Schmieröle auf Mineralölen, die teuer zu entsorgen sind und Umwelt und menschliche Gesundheit schädigen. Als biologisch bezeichnete Schmieröle bestehen meist aus einer Mischung pflanzlicher Öle und synthetischer Ester. Ein biobasierter Grundstoff ist beispielsweise Rapsöl. Dieses ist oxidationsstabil, da es wenig freie Fettsäuren enthält. Der Triglyceridgehalt ist für gute schmierende Eigenschaften verantwortlich.

Das Fraunhofer Institute for Process Engineering and Packaging aus Freising sucht biobasierte Grundmedien, die nicht mit Lebensmitteln konkurrieren. Die Forschenden nutzen einen Abfallstrom aus der Speiseölherstellung: desodoriertes Destillat. Die Desodorierung ist der letzte Schritt der Raffination, der Geruchs- und Geschmacksstoffe abtrennt – vor allem Aldehyde, Ketone, Lactone und freie Fettsäuren. Fraunhofer bearbeitet das Destillat enzymatisch und verestert es mit Glycerin. Aus diesem Grundöl lassen sich biologisch abbaubare Schmierstoffsysteme herstellen, die zudem biobasiert sind.

Für die Additive gehen die Forschenden von sekundären Pflanzenstoffen wie Polyphenolen aus, die in etlichen Restströmen der Agrar- und Lebensmittelindustrie vorkommen. Polyphenole verhindern Oxidation und mindern Reibung und Verschleiß.

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Das Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme zeigte auf der Achema, wie Pflanzenzucht in geschlossenen Systemen unter kontrollierten Bedingungen funktioniert (controlled environment agriculture, CEA). Fotos: Achema

Präzisionsfermentation

Seit Jahrtausenden helfen Bakterien, Pilze oder Hefen uns Menschen, Brot, Käse, Kimchi oder Bier herzustellen. Ein neueres Beispiel sind Schlauchpilze, mit denen das britische Unternehmen Quorn in den 1980er Jahren eines der ersten Fleischersatzprodukte auf den Markt brachte.

Mit Biotechnik lassen sich heutzutage Bakterien für bestimmte Zwecke wählen und mit der Genschere Crispr programmieren. Der Begriff Präzisionsfermentation umfasst zudem nichtgentechnische Ansätze: Mit veränderten Bakterien und pflanzlichen Nährstoffen lassen Forschende Proteine wachsen, die bisher nur von tierischen Lebewesen erzeugt wurden. Das Ergebnis dient beispielsweise der Käseproduktion, die fermentativ hergestelltes Chymosin statt Kälberlab verwendet. In der Präzisionsfermentation werden Mikroorganismen oder andere Zellen zu Zellfabriken und mit der passenden genetischen Programmierung ausgestattet. Zudem müssen etwa Prozessbedingungen und Reinigungsschritte maßgeschneidert werden.

Die Präsentation Gero Greives vom Ingenieurs- und Projektabwicklungsdienstleister Eridia aus dem österreichischen Leobendorf zeigte beim Kongress, was beim Hochskalieren der Präzisionsfermentation zu beachten ist: Das Endprodukt ist zu definieren, Spezifikationen sind zu erstellen, Preise und Mengen festzulegen. Entscheidend sei, bereits in frühen Phasen der Prozessentwicklung über die Skalierung nachzudenken, um eine iterative Optimierung zu ermöglichen.

Für Prozesse der Zellverarbeitung bietet das westfälische Unternehmen GEA etwa Einwegzellseparatoren, die Rüdiger Göhmann vorstellte. Dabei ist ein Separator fürs Labor etwa so groß wie ein Ei. Größere ermöglichen Göhmann zufolge Lebensmittelproduzenten eine nahezu endlose Produktion mit der gleichen Biomasse.

Veganer Käse

Wenn es nach Verbrauchern geht, sollte veganer Käse schmecken und sich anfühlen wie klassischer Käse. Christoph Herwig vom Wiener Unternehmen Fermify zeigte beim Kongress eine kontinuierlich arbeitende Produktionsplattform mit digitalen Zwillingen. Darin produzieren Mikroben Proteine, die nicht gentechnisch verändert sind. Aus ihnen lässt sich mit Zucker und Fett Käse herstellen, der wie einer aus Kuhmilch schmeckt.

Analytik und Reaktoren

Das Zentrum für Analytik im Technologietransfer für Biotech- und Lebensmittelinnovation (Zait) der Hochschule Flensburg bietet Lebensmittel- und Bioanalytik und Masterstudiengänge zu diesen Themen. Zait analysiert vor allem Geruchs- und Geschmacksprofile und bestimmt die biologische Aktivität von Naturstoffen auch für Unternehmen.

Michael Weiss von Endress+Hauser Liquid Analysis aus Gerlingen zeigte Methoden, wie sich Proteinquellen aus Pflanzen-, Mikroben- oder Zellkulturen entwickeln lassen und wie Messtechnik Prozesse überwacht und steuert. Diese dient der Produktion von Algen, Insekten und der Fermentation. Dabei sei es vorteilhaft, die gleiche Messtechnik für die Entwicklung des Produktionsprozesses und das Überführen vom Labor- in den Prozessmaßstab zu nutzen.

Die Hochschule Kaiserslautern zeigte einen Biofilmphotobioreaktor. Die Forscher nutzen Biofilme, um Polysaccharide und Farbstoffe bakteriell zu erzeugen. Einsatzgebiete für Polysaccharide sind Futter- und Lebensmittel, Pharmazeutika und Kosmetik sowie Biokunststoffe und die Öl- und Gasförderung.

Achema: Messe und Kongress

Fast zwei Drittel der 2842 Aussteller aus 56 Ländern kamen aus Asien, davon 185 aus Indien und 438 aus China, mehr als je zuvor. Etwa die Hälfte der 106 000 Teilnehmenden reiste aus dem Ausland nach Frankfurt am Main, und zwar aus 140 Ländern. Das Kongressprogramm bot den 30 000 Zuhörenden 900 Vorträge, Diskussionsrunden und Workshops. Besonders beliebt waren Wasserstoffthemen und Vorträge zu Elektrifizierung und Flexibilisierung der Industrie. Weitere Themen waren Pharma, Lebenswissenschaften und Digitalisierung.

Die nächste Achema findet in Frankfurt am Main vom 14. bis 18. Juni 2027 statt.

Die Autorin

Nachrichten-Redakteurin Maren Bulmahn hat auf der Achema nach Lebensmittelrelevantem geschaut.

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