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NMR‐Spektroskopie – Von Kriminalistik über Prozessanalytik bis zur Petrochemie
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Während Analysengeräte vielfach in Miniaturausführung verfügbar sind, beanspruchten NMR-Systeme bisher viel Stellplatz. Das ändert sich jetzt. Kleinere Geräte und erschwingliche Preise eröffnen neue Anwendungen.
Die Medizin kommt nicht ohne NMR-Verfahren aus, etwa in der Tumordiagnostik, und im Labor dient sie als zerstörungsfreies Verfahren zur Strukturaufklärung. Experten rechnen damit, dass der Stellenwert der NMR-Spektroskopie in den kommenden fünf Jahren zunehmen wird, unter anderem in der Prozessanalytik und in der Qualitätssicherung.1)
Klimakammer im mobilen Kriminallabor
Das Landeskriminalamt Niedersachsen nutzt Benchtop-NMR-Geräte in Einsatzfahrzeugen, um illegale Drogen im Straßenverkauf direkt am Tatort zu identifizieren. Für das Labor auf vier Rädern haben Spezialisten des Kriminaltechnischen Instituts (KTI) eine fahrzeugspezifische Konstruktion realisiert und entwickeln sie kontinuierlich weiter. Die Konstruktion sichert den stabilen Betrieb des NMR-Geräts in jeder Einsatzlage, auch wenn sich beispielsweise die Temperatur ändert. Deshalb gibt es im Fahrzeug eine klimatisierte Zone.
Um eine Datenbank mit Vergleichsspektren zu erstellen, wurden Betäubungsmittel und neue psychoaktive Substanzen (Designerdrogen) mit dem NMR-Gerät vermessen. Momentan entwickelt das Institut mit externen Partnern eine Software für das NMR, die nach der Messung einer unbekannten Substanz das Probenspektrum automatisch mit der Datenbank abgleicht.
Das KTI bewertet das Benchtop-NMR als „vielversprechend“. Das System soll unbekannte Stoffe „auf Knopfdruck“ identifizieren. Ein Plug-and-play-Gerät ist das Benchtop-NMR allerdings nicht. Genau wie bei Großgeräten bereitet Fachpersonal die Proben vor und wertet die Daten aus.
Prozessanalytik auf engem Raum
Miniaturisierte NMR-Gerätevereinen ihre Elektronik auf kleinem Raum und erlauben auch Messungen in einer Durchflusszelle. Damit wird die NMR-Spektroskopie eine Option für die Prozessanalytik (PAT).
PAT mit NMR erfordert einen Bypass und ein homogenes Magnetfeld. Dieses erzeugen Benchtop-NMR-Spektrometer mit Permanentmagneten statt mit Supraleiterspulen. Eine Heliumkühlung ist also nicht erforderlich.
Ein homogenes Magnetfeld ist bei Permanentmagnetgeräten durch die räumliche Anordnung mehrerer Magnetprismen erreichbar. Die Magneten müssen für stabile Messungen allerdings auf einige Millikelvin genau temperiert werden. Wegen des beschränkten Raums für die thermische Entkopplung kommen die Geräte an ihre Grenzen, wenn die Probe in der Durchflusszelle wärmer ist als die Magnetprismen und damit ihre Temperierung erschwert. Auch wenn die Magnete die Probe erhitzen, kann das die Ergebnisse verfälschen.
Die Hersteller arbeiten bereits an Konzepten, die Temperierung des Messbereichs zu entkoppeln, um das Anwendungsspektrum zu erweitern. Eine Problemlösung sieht folgendermaßen aus: Kurzzeitige Wärmeeffekte können im Messraum kompensiert werden, sofern sie das Gleichgewicht im Magneten nicht stören. Ein Hersteller hat eine thermische Entkopplung bis 65 °C im Angebot. Bei einem anderen kann die Magnettemperatur auf bis zu 60 °C steigen, und das Gerät läuft weiter stabil.
Bei der zweiten Problemlösung ist das NMR-Spektrometer als miniaturisierte Sonde ausgeführt. Der Leiter des Fachbereichs Prozessanalytik bei der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung Michael Maiwald geht davon aus, dass heute verwendete Materialien für kleine Supermagnete ebenfalls temperaturabhängig sind und Feldstärke sowie Homogenität des Magnetfelds beeinflussen. Ein Lösungsansatz könnte seiner Ansicht nach auf einer elektronischen oder modellbasierten Kompensation der Effekte beruhen, er schränkt aber ein: „Dies könnte aber durchaus noch eine Dekade bis zur Realisierung brauchen.“
Innerhalb dieser Grenzen gibt es bereits heute Online-NMR-Spektroskopie für PAT-Anwendungen. Die Geräte lassen sich ins Internet of Things einbinden und können über künstliche Intelligenz Prozesse optimieren.
Praxistaugliche Benchtop-Geräte
Bei Benchtop-NMR-Spektrometern gibt es schwere, mittelschwere und wie beim LKA Niedersachsen leichte Geräte. Schwer ist beispielsweise das X-Pulse, 60 MHz, von Oxford Instruments, das 150 kg wiegt. Das Fourier 80, 80 MHz, von Bruker wiegt 94 kg. Leichter ist das Spinsolve 60, 60 MHz, von Magritek (60 kg). Das 60e/60PRO, 60 MHz von Nanalysis gehört mit 26 kg zu den leichteren Geräten. Das QM-125, 125 MHz, von Q Magnetics wiegt 28 kg. Teilweise sind Steuer- und Auswertecomputer integriert, bei manchen lässt sich ein externer PC ankoppeln.
Die Geräte sind in der Regel nach der Protonenresonanzfrequenz klassifiziert. Grundsätzlich gilt: Je höher die Protonen-Resonanzfrequenz, desto höher ist die theoretische Empfindlichkeit. Für ideale Magnete steigt dann das Signal-Rausch-Verhältnis, und umso schmaler und besser aufgelöst sind die Signale.2) Im Einzelfall liefert das 60-MHz-Benchtop-Gerät im mobilen Labor ein Spektrum höherer Ordnung als das 400-Mhz-Spektrometer aus der Forschung.
Bei der Auswahl eines Geräts ist noch auf Stabilität und Homogenität des Magnetfelds zu achten. Denn Inhomogenitäten beeinträchtigen die Auflösung und damit das Anwendungsspektrum.
„Bei den Benchtop-NMR-Geräten geht es letztlich auch darum, das Messverfahren günstiger zu machen“, sagt Thomas Rehm vom Fraunhofer-Institut für Mikrotechnik und Mikrosysteme IMM, Mainz. Man zahle statt 300 000 Euro für ein 400-MHz-Gerät 50 000 für ein 60-MHz-Benchtop-NMR-Spektrometer. Interessant seien dabei generell die Protonen-NMR-Spektroskopie und vor allem für die Pharma- und Polymerindustrie die Fluor-NMR-Spektroskopie. Eine typische Anwendung sieht Rehm in der Qualitätsprüfung von Rohstoffen. Das Fraunhofer-Institut selbst nutzt Benchtop-NMR-Spektroskopie dazu, chemische Reaktionen zu beobachten und deren Schnelligkeit und Selektivität zu bestimmen. Die kleineren Geräte werden oft für die Ausbildung genutzt.
Auf der Ölbohrplattform
Ein Anwendungsbeispiel aus der Industrie ist die Bestimmung des Wassergehalts von Rohöl. Klassischerweise wird dazu im Labor eine Phasentrennung durchgeführt. Mit Benchtop-NMR-Spektrometern ist diese Gehaltsbestimmung direkt auf der Ölbohrplattform möglich.
Die Probenvorbereitung des hochviskosen Rohöls lässt sich standardisieren; anschließend muss der Mitarbeiter sein Probenröhrchen mit einem Barcode versehen, in das NMR-Gerät einstellen und auf „Start“ drücken. Alles Weitere läuft im Hintergrund, und die Software zeigt ein grünes oder ein rotes Fenster, je nachdem, ob die Qualität in Ordnung ist oder nicht.
Alternativ liefert eine NMR-Sonde (Krohne, Duisburg) ein Signal. Die Sonde hat keine spektrale Auflösung, sondern bestimmt, wie das Ausgangssignal abnimmt, wenn die Probe aus dem Magnetfeld ausgetreten ist (Time-Domain-NMR), dabei ändert sich das Magnetfeld.
Maschinengestützte Auswertung
Die NMR-Technik fügt sich in eine modulare Produktion mit Dosiereinheiten, Kühlmodulen und anderem. Sie liefert über weite Bereiche lineare Signale, Signal und Stoffmenge sind proportional, man braucht für die quantitative NMR (qNMR) nur eine Ein-Punkt-Kalibrierung und ein einfaches Datenauswertungsmodell, das die Signale den Komponenten zuordnet. Im Idealfall lassen sich die Signale direkt integrieren. Es gibt aber auch einfach anzuwendende Software, die auf Basis von Reinstoff-NMR-Spektren arbeitet und überlagerte Spektren auswertet.
Maschinengestützte Datenauswertungen mit neuronalen Netzen erfordern große Datensätze mit vielen hunderttausend Datenpunkten, um das Netz zu trainieren. Typische Produkt- oder Prozessentwicklungen liefern nicht so viele Daten. Da NMR-Spektroskopie linear ist, lassen sich die Spektren einfach simulieren, um neuronale Netze zu trainieren (Datenaugmentation).
Tragbare Geräte (zum Beispiel Waveguide Formula, Wave Guide Corporation)3) sollen in der Produktion verschleißbedingte Verunreinigungen in Gleitmitteln quantitativ analysieren sowie Lebensmittel und Impfstoffe kontrollieren. Oft reicht es, 30 μL in eine Einmalkartusche zu geben und sie in das tragbare Gerät einzusetzen. Eine Probenvorbereitung ist laut Herstellerangaben selten nötig.
Handmessgeräte
Wie die Entwicklung weitergeht, zeigen Patentschriften zu NMR-Handmessgeräten.4–6) Diese sollen ein bis fünf Kilogramm wiegen und NMR-Messeinheit, Ansteuerung, Auswerteeinheit und Stromversorgung umfassen.
Unter anderem auf Baustellen ließen sich damit Materialeinschlüsse, -inhomogenitäten sowie Feuchtigkeits- und Salzgehalt von Wänden, Decken, Böden bestimmen. Die Messung reicht einige Zentimeter tief.
Die Messergebnisse sollen helfen zu entscheiden, ob in eine Wand hineingebohrt werden kann. Ein NMR-Handmessgerät käme mit Holz, Glas, Kunststoff, Beton, Stein, Ziegel, Gips und Metall zurecht und könnte Kohlenstoffgehalte, Kunststoffsorten oder den Füllzustand von Kunststoffrohren bestimmen. Feuchtigkeitsmessungen erlauben Rückschlüsse auf das Risiko für Schimmelbildung.
In der Praxis hält ein Mitarbeiter das NMR-Messgerät an die Wand oder ein anderes Werkstück, kalibriert über eine Ein-Punkt-Kalibrierung und gibt über ein Touch-Display ein, wie und was er messen möchte. Alternativ zum Touch-Display ist die Bedienung über ein Tablet, einen PC oder über ein Smartphone denkbar.
NMR-Handgeräte müssen anders konstruiert sein als Standgeräte.4) Klassischerweise kreuzen sich die Magnetfelder für die Ausrichtung der Kernspins und für die Anregung der Atomkerne im Gerät. Für Handmessgeräte werden diese Magnetfelder nach außen gestülpt, sodass sie sich teilweise außerhalb des Gehäuses des Messgeräts befinden und sich in der Probe kreuzen. Das erste Magnetfeld erzeugt ein Permanentmagnet oder ein Elektromagnet, das zweite eine Hochfrequenzspule oder Antenne.
Homogene Magnetfelder werden durch zwei konstruktive Elemente erreicht: eine magnetische Abschirmung gegen äußere Einflüsse und elektromagnetische Strahlung des messgerätinternen Kernspinresonanzsensors und eine Shim-Spule. Sie erzeugt Korrekturfelder, die Schwankungen der beiden Magnetfelder ausgleichen.
Kraftstoffe und Hydrauliköl
Für die Analyse von Kraftstoffen, Ölen und Hydraulikflüssigkeiten gibt es Konzepte für Hand-NMR-Geräte:4) Eine Möglichkeit ist, den Analyten in ein Behältnis abzufüllen, zum Beispiel einen Benzinkanister, und das Gerät dranzuhalten.
Das Handmessgerät könnte auch im Fahrzeug befestigt sein und Strom aus der Fahrzeugbatterie erhalten. Ebenso sind Messungen an einem Schlauchsystem denkbar. Alternativ dazu kann das Handheld so ausgeführt werden, dass es Probenröhrchen oder Fläschchen in einer Aufnahmevorrichtung misst.
Ziel der Messung ist eine Qualitätskontrolle der Flüssigkeit, zum Beispiel auf Wassergehalt, Alterungszustand, Verunreinigungen, Zusammensetzung oder Herkunft. Beim Kraftstoff kann es sich um Diesel, Benzin, Kerosin, Ethanol-Kraftstoff, Flüssigerdgas, Flüssiggas oder Benzol handeln, bei den Fahrzeugen um Kraftfahrzeuge, Flugzeuge oder Schiffe.
Ein NMR-Messgerät für Treibstoffe und Hydrauliköle ist zwar nicht so leistungsfähig wie ein 400-MHz-Gerät für die universitäre Forschung, aber es ist auf seinen Verwendungszweck ausgelegt. Interessant erscheint die Idee, den Kernspinresonanzsensor in einen Motor, einen Ölmessstab oder in ein Hydraulikflüssigkeit führendes Rohr zu integrieren – nach dem Prinzip der Prozessanalytik.
Blutzuckerbestimmung ohne Stich
Eine weitere Ausführungsform von NMR-Handmessgeräten ist für den Einsatz in der Medizin optimiert, insbesondere für die Analyse von Urin oder Blut im Körper:6) Das Messgerät wird an den Körper gehalten oder an Arm oder Bein entlanggeführt und ermittelt dabei den gewünschten Parameter. Das kann die Venenfunktion sein, eine Nachblutung unter Verbänden, eine Blutgruppe, innere Blutungen in Organen oder Ödeme oder Blutzucker – alles, ohne den Patienten zu stechen oder einen Verband zu öffnen. Blut oder Urin ließen sich so auf Entzündungs- und Krebsindikatoren, Nierenwerte, Mineralstoffgehalte, Drogen, Blutzucker, Sauerstoffsättigung, Cholesteringehalt und Konzentrationen von Lipoprotein niedriger und hoher Dichte (LDL, HDL) untersuchen, und zwar quantitativ.
Christian Ehrensberger ist freier Mitarbeiter der Nachrichten aus der Chemie.
AUF EINEN BLICK
NMR-Geräte sind in den letzten Jahren kleiner geworden. Inzwischen gibt es Ansätze für tragbare und für Hand-NMR-Spektrometer.
Die kleinen Geräte dienen weniger der Strukturaufklärung, vielmehr sollen sie unbekannte Substanzen identifizieren, die Qualität von Rohstoffen prüfen oder Blutwerte bestimmen.
Trotz der vereinfachten Messverfahren kommen nicht alle Anwendungen mit NMR-Geräten ohne Probenvorbereitung und Fachpersonal aus.
- 1 www.profi.de/technisch/technik/samson-slurrylab-guelleanalysetechnik-wissen-was-drin-ist-12104862.html (Stand 20.10.2022)
- 2 H. Friebolin, Ein- und zweidimensionale NMR-Spektroskopie. VCH, Weinheim, Basel, Cambridge, New York, 1988
- 3 www.petro-online.com/news/analytical-instrumentation/11/waveguide-corporation/worldrsquos-first-portable-nmr-device-to-transform-on-site-diagnostics-and-screening-across-industrial-medical-andnbspfood-applications/51943 (Stand 23.10.2022)
- 4 R. Krapf, K. Marx, U. Hoffmann (Erfinder): Handmessgerät und Verfahren zu dessen Betrieb. Patentanmelder: Robert Bosch GmbH. Nummer: DE201410218371 20140912
- 5 R. Krapf, K. Marx, U. Hoffmann (Erfinder): Use of a NMR measuring device for examination of fuel, oil and/or hydraulic fluid. Patentanmelder: Robert Bosch GmbH. Nummer: DE201510226179 20151221
- 6 R. Krapf, K. Marx, A. Gräßl, U. Hoffmann (Erfinder): Use of a NMR measuring device for examination of components of a human or animal body. Patentanmelder: Robert Bosch GmbH. Nummer: DE201510226168 20151221
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