Gesellschaft Deutscher Chemiker

Pro & Contra Zukunft der energieintensiven Chemieproduktion in Deutschland

Preiswerte Energie ist nötig

Nachrichten aus der Chemie, Februar 2025, Seite 9, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

André Thess findet: Um die chemische Industrie aus der Krise zu führen, braucht es neben gewinnorientiertem Führungspersonal preiswerte Energie.

Laut Milch-Milliardär Theo Müller muss sich ein Unternehmer um drei Dinge kümmern: „Erstens um Gewinn, zweitens um Gewinn, drittens um Gewinn.“ Deutschen Industriekapitänen scheint diese Erkenntnis weitgehend abhandengekommen zu sein. Darunter leidet neben Automobilbauern und Stahlkochern auch die chemische Industrie.

So kündigte der ehemalige BASF-Vorstandsvorsitzende Martin Brudermüller an, sein Unternehmen bis 2050 emissionsfrei zu machen. Den VDI-Nachrichten vom 17. November 2023 verriet er: „Technisch kriegen wir das alles weg. Das ist nur eine Frage der Wirtschaftlichkeit.“ Wer die Wirtschaftlichkeit ans Ende schiebt, steht mit einem Fuß in der Planwirtschaft. Zu den falschen Prioritäten gesellen sich wirklichkeitsferne Vorstellungen über Klimaneutralitätskosten. So ging Brudermüller „von einem Investitionsvolumen der BASF in Höhe von bis zu 4 Milliarden Euro bis 2030 für die Transformation hin zu einem klimaneutralen Chemiekonzern“ aus.

Mit Solar-, Wind- und Kernenergie ergänzt durch Wärmespeicher, Carnot-Batterien und Wasserstoff ist es ohne jeden Zweifel technisch möglich, ein Chemieunternehmen bis 2050 klimaneutral zu machen. Es ist jedoch ganz und gar unwissenschaftlich, den Eindruck zu erwecken, man könne dieses Ziel durch Investitionen im Umfang eines kleinen einstelligen Prozentsatzes des Jahresumsatzes erreichen.

Ein Chemieunternehmen wie die BASF verbrauchte im langjährigen Mittel vor der Krise Erdgas mit einem Energiegehalt von 40 TWh. Dies entspricht bei Verbrennung einer CO2-Emission von rund 12 Millionen Tonnen. Selbst bei optimistisch angenommenen CO2-Vermeidungskosten zwischen 100 und 300 Euro pro Tonne würde allein dieses Unterfangen 1,2 bis 3,6 Milliarden Euro kosten – pro Jahr. Dabei handelt es sich nur um einen Baustein der Klimaneutralität. Der Opportunismus deutscher Firmenchefs vermengt sich mit energiepolitischen Standortnachteilen zu einem giftigen Cocktail für die Chemiebranche.

Die deutsche Chemie erwirtschaftet – laut der Studie „Chemiewirtschaft in Zahlen“ des VCI – 260 Milliarden Euro Umsatz, beschäftigt 350 000 Mitarbeiter und verbrauchte 154 TWh Energie im Jahr 2022. Dies umfasste 92 TWh Gas, 11 TWh Kohle, 4 TWh Heizöl und 46 TWh Strom. Jede Verteuerung schwächt die Wettbewerbsfähigkeit – sei es teures Gas wegen geopolitischer Krisen oder teurer Strom wegen des CO2-Zertifikatehandels der EU und der Stilllegung von Kohle- und Kernkraftwerken. Zwei Zahlen verdeutlichen dies: Steigt der Strompreis um einen Cent pro Kilowattstunde, werden die deutschen Chemieunternehmen mit 460 Millionen Euro Mehrkosten belastet. Jeder Cent Preiserhöhung pro Kilowattstunde bei der Beschaffung von Primärenergieträgern schlägt mit 1,54 Milliarden Euro zu Buche.

Um die chemische Industrie aus der Krise zu führen, sind zwei Dinge nötig – preiswerte Energie und gewinnorientiertes Führungspersonal. Anderenfalls wandern Chemieproduktion und Arbeitsplätze ins Ausland ab. Für billige Energie muss Deutschland die Stilllegung grundlastfähiger Kohlekraftwerke stoppen, das Inlands-Fracking-Verbot aufheben, das Erneuerbare-Energien-Gesetz abschaffen und die Nutzung der CO2-armen Kernenergie ermöglichen. Kernkraftwerke passen aufgrund gleichzeitiger Bereitstellung von Strom und Wärme übrigens gut zu Chemieparks. Sie können auch Wasserstoff durch Elektrolyse herstellen – der nicht weniger grün ist als aus Wind- oder Solarstrom.

Zum anderen brauchen Unternehmen Führungspersonal, das die Ökonomie in den Mittelpunkt des Handelns stellt, statt geschönte Klimaneutralitätskosten zu verbreiten. Oder um es mit einem abgewandelten Spruch aus längst vergangenen Zeiten auszudrücken: Von Müller lernen heißt siegen lernen!

Der Autor

André Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart. Er ist Autor des Buches „Sieben Energiewendemärchen?“. Sein neues Buch „Der Energiegipfel – Ausweg aus dem Klimakampf“ erscheint im Februar 2025.https://media.graphassets.com/OwK4ng4qTi9vsoPTSTjM

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