Gesellschaft Deutscher Chemiker

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Pro Patentfreigabe

Nachrichten aus der Chemie, April 2022, Seite 10, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Gerade bei einer Pandemie muss der Staat beim Patentschutz das letzte Wort haben.

Patente kommen nicht vom Himmel und werden auch nicht von Gott als unumstößliche Rechte gesandt. Patente sind irdisch verliehene gewerbliche Schutzrechte, basierend auf irdischen Erfindungen. Patente werden nach den Bestimmungen von Patentgesetzen erteilt, die das Ergebnis eines politischen und gesetzgeberischen Willensbildungsprozesses sind. Patentgesetze und Patente sind insofern nicht unpolitisch. Patente verleihen dem Inhaber das Recht, jedem anderen die gewerbsmäßige Nutzung der Erfindung zu verbieten. Das Patent sichert seinem Inhaber eine Monopolstellung im Markt, die zur Preistreiberei verleiten kann.

Muss der Staat vor einem Patentwucherer kapitulieren, sogar in Notlagen recht- und tatenlos zusehen? Nein, der Staat muss in außergewöhnlichen Notlagen das Verbietungsrecht des Patentinhabers einschränken dürfen. Zweifellos ist die Covid-19-Pandemie eine solche Notlage. Impfstoffe und Therapeutika zur Bekämpfung der Pandemie sind patentgeschützt. Sie treffen nicht auf einen Markt aus Konsumenten mit freier Kaufentscheidung, sondern auf einen Absatzmarkt mit Milliarden Bedrohten und Erkrankten, die auf Gedeih und Verderb auf die Medizinprodukte angewiesen sind. Eine Verlockung für gewinnorientierte Firmen, ihr patentgeschütztes Monopol beispielsweise wie folgt zu überdehnen: a) überhöhte Preise mal gigantische Absatzmengen ergeben exorbitante Umsätze, b) kategorische Ablehnung der Lizenzvergabe, c) Fehlsteuerung der Belieferung: fremde, Höchstpreise zahlende Länder vor dem Heimatland, obwohl dieses öffentliche Ressourcen (Geld, Infrastruktur, Bildung) für die Medizinproduktentwicklung investierte. Wird das Patentsystem wie dargestellt missbraucht, muss der Staat eingreifen dürfen. Auch geistiges Eigentum verpflichtet. Der Staat muss in Notlagen Patente ohne die Erlaubnis des Patentinhabers selbst nutzen oder deren Nutzung anderen erlauben dürfen, um so den Bedarf beispielsweise an Medizinprodukten im eigenen Land oder in bedürftigen Ländern zu decken. Dies ist in den Patentgesetzen vieler Länder unter „Staatliche Benutzungsanordnung“ und „Zwangslizenz“ sowie international in in den Artikeln 31 und 31bis des Übereinkommens über geistiges Eigentum (Trips) der Welthandelsorganisation kodifiziert. Allerdings sind die Bestimmungen zu komplex und bürokratisch für eine Pandemie. Dies ist zu reformieren, bevor die nächste Epidemie oder Pandemie kommt. Wird mit der Zwangslizenz und der staatlichen Benutzungsanordnung das Gespenst der Enteignung oder Verstaatlichung heraufbeschworen? Nein. Der Patentinhaber hat bei Anordnung dieser Instrumente Anspruch auf angemessene Entschädigung.

Mit welchem moralischen Recht darf der Staat in die Gewerbefreiheit und das geistige Eigentum eines Privatunternehmens eingreifen? Er darf das dann, wenn er dem Privatunternehmen öffentliche Forschungsgelder zur Verfügung gestellt hat. Außerdem ist der Staat während eines gesundheitlichen Notstands gezwungen, große Mengen Impfstoffe und Therapeutika bei der Privatwirtschaft zu kaufen (staatlich garantiertes Umsatzversprechen), es sei denn, die Entwicklung dieser Produkte ist in staatlicher Hand. Das Patentsystem ist fein austariert. Es berücksichtigt den Schutz geistigen Eigentums und das Gemeinwohlinteresse. Es erfüllt seine Funktion besonders dann, wenn Staat und Patentinhaber mit Vernunft handeln. Wird der Patentinhaber in Notlagen zu gierig, so muss der Staat einschreiten. Muss dazu das Patentsystem insgesamt in Frage gestellt werden? Nein.

Der Autor

Rüger Schlund war von 1993 bis 2019 Referent für Patente und Verträge zu technischem Wissen in einem internationalen Chemieunternehmen. Nach Chemiestudium, Promotion und Postdoc begann er im Jahr 1989 als Forschungschemiker seine Industrielaufbahn. Für diesen Pro-Beitrag schlüpfte er in die Rolle des Advocatus Diaboli.

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