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Spritzguss
Glas wie Kunststoff formen
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Das Verfahren des Freiburger Start-ups Glassomer bietet neue Möglichkeiten, Quarzglas zu formen. Dabei sinkt zudem der Energiebedarf für die Glasherstellung.
Die einzigartige Kombination aus Transparenz, chemischer, thermischer und mechanischer Festigkeit macht Glas für Industrie und Forschung relevant: von alltäglichen Dingen wie Fensterglas und Laborgläsern hin zu Optiken und Spezialanwendungen wie Mikrofluidik. Ein Blick in die Glaschemie zeigt: Glas ist nicht gleich Glas. Es gibt spezielles wie Halogenidgläser, metallische Gläser und Biogläser, aber selbst die klassischen siliciumdioxidbasierten – die Silikatgläser – sind sehr unterschiedlich.
Die bekanntesten Formen von Silikatglas sind Kalk-Natron-Glas (Fensterscheiben) und Borosilikatglas (Laborglas). Aus purem Siliciumdioxid lässt sich zudem Quarzglas herstellen, die reinste Silikatglasform.
Die Erfindung von Glassorten wie Kalk-Natron-Glas lässt sich darauf zurückführen, dass reines Siliciumdioxid schwierig zu schmelzen ist. Um es in der Schmelze zu halten und zu verarbeiten, sind Temperaturen von zirka 2000 °C nötig. Daher ging man dazu über, Alkaliionen einzubringen und so niederschmelzende Gläser zu erhalten.
Reines Quarzglas hat allerdings einige technische Vorteile: Die hohe Reinheit verleiht ihm vor allem im optischen Bereich herausragende Eigenschaften, insbesondere eine hohe UV- und IR-Transparenz. Außerdem dehnt es sich thermisch kaum, nämlich mit einem Ausdehnungskoeffizienten von nahezu Null. Daher lässt sich Quarzglas beispielsweise erhitzen und anschließend schnell abkühlen, ohne zu reißen. Auch chemisch ist Quarzglas extrem stabil und widersteht dem Angriff klassischer Laborchemikalien.
Glas effizient formen
Um Gläser nutzen zu können, müssen sie für die jeweilige Anwendung in Form gebracht werden. Neben den weitläufig bekannten Glasbläserverfahren etwa für Behälter oder künstlerische Objekte gibt es speziellere Verfahren, die kleinen, technisch interessanten Glasbauteilen Form geben: Gläser werden dazu auch heutzutage noch bis auf wenige Millimeter Größe geschnitten, geschliffen und anschließend poliert.
Ätzprozesse mit Flusssäure erzeugen noch feinere Strukturen im Mikrometermaßstab. Zudem lassen sich Gläser nasschemisch herstellen: Der Sol-Gel-Prozess, der in der Mitte des 20. Jahrhunderts aufkam, war die letzte große Innovation des Glasformens.
In neuerer Zeit wurde zudem das Präzisionsglaspressen (precision glass molding, PGM) entwickelt, das Gläser erweicht und in eine Form presst. Für Quarzgläser ist dieses Verfahren allerdings nur schwer anzuwenden, da es keine Formen gibt, die auf Dauer die hohen Temperaturen aushalten und gleichzeitig einfach mikrostrukturierbar sind.
Lernen von der makromolekularen Chemie
Kunststoffe sind im Gegensatz zu Gläsern einfach und schnell in Form zu bringen. Methoden wie Spritzguss, Thermoformen oder Heißprägen ermöglichen die Formgebung in wenigen Sekunden, oftmals bei vergleichsweise niedrigen Temperaturen je nach Verfahren ab 200 °C für gängige Kunststoffe. Die Welten von Kunststoffen und Gläsern zu verknüpfen hat sich Glassomer in Freiburg im Breisgau zur Aufgabe gemacht (
Basierend auf den wissenschaftlichen Arbeiten von Frederik Kotz-Helmer und Bastian E. Rapp am Karlsruher Institut für Technologie und an der Universität Freiburg wurde im Jahr 2018 Glassomer gegründet. Das Start-up produziert weltweit einzigartige Materialien zur Glasherstellung. Diese bestehen aus einem feinem Glaspulver in einer organischen Bindermatrix. Die flüssigen oder festen Materialien nennt das Unternehmen „Glassomere“.
Flüssige Glassomere lassen sich über UV-Licht oder thermisch aushärten, also durch Abguss auf eine Form oder Methoden wie 3-D-Druck formen. Effizientes Dispergieren der Glasteilchen in der Matrix ist Grundlage für diese flüssigen, hochgefüllten Materialien, also Materialien mit hohem Feststoffanteil. Hier sind Füllgrade von bis zu 60 Volumenprozent Glaspartikel im Binder möglich. Dieses Verdichten der Glaspartikel ist der Schlüssel, um ein transparentes Material ohne Lufteinschlüsse zu erhalten. Das Unternehmen bietet diese Flüssigmaterialien für Abguss (Glassomer L50) und den 3-D- Druck (Glassomer-SL) auf verschiedenen Drucksystemen. Auch fertig gedruckte Glasbauteile sind auf Anfrage erhältlich.
Die festen Glassomer-Materialien haben einen thermoplastischen Polymeranteil: Glaspartikel und feste Polymerphase werden vermischt, verknetet und zu einem Granulat extrudiert (
Ein Glas entsteht
Die geformten Bauteile werden im Ofen zu Glas umgesetzt. Dabei ist der Sinterprozess vorteilhaft. Dadurch müssen die Materialien nicht geschmolzen werden, sie behalten ihre Form, und der Prozessschritt benötigt wesentlich weniger Energie: So lässt sich ein hochreines Quarzglas bei 1300 °C herstellen statt bei 2000 °C im konventionellen Schmelzprozess.
Aufgrund der geringen thermischen Ausdehnung muss nicht auf kontrolliertes Abkühlen geachtet werden – die Bauteile können schnell gekühlt und dem Ofen entnommen werden.
Die so erhaltenen Gläser sind hochtransparent mit Transmissionen von mehr als 92 Prozent zwischen 300 nm und 1000 nm sowie 84 Prozent bei 200 nm. Im IR-Bereich liegt die Transmission bei über 90 Prozent zwischen 1000 nm und 3400 nm. Alle Herstellprozesse sind international patentiert.
Neue Möglichkeiten für Chemie
Mit dem Glassomer-Prozess lassen sich klassische Laborgläser wie Küvetten herstellen. Aber die Strukturierung auf der Mikro- und Nanoebene ermöglicht neue Wege. Bei der Miniaturisierung chemischer Synthesen wird Glas mitentscheidend sein. Denn die Herstellung mikrofluidischer Systeme in Kunststoffen ist zwar möglich; diese sind aber für die harschen Bedingungen chemischer Synthesen oft ungeeignet. Mit Glas ließen sich auch diese künftig im Briefkastenformat durchführen. Glassomer stellt dafür Glas-Chips her, für die das Jenaer Unternehmen Microfluidic Chipshop komplexe mikrofluidische Designs entwirft und zu Testzwecken Prototypen fertigt (
In der Optik sind vor allem fein strukturierte Gläser wie diffraktive Strukturen interessant. Durch die Modulation von Licht auf Basis von Diffraktion statt Refraktion lassen sich dünnere Linsenstrukturen als gewöhnlich verwirklichen – aus Kunststoff sind diese Strukturen allerdings empfindlich. Mit Glassomer lassen sich solche Mikrostrukturen in Glas präzise und mit höherer mechanischer Stabilität herstellen.
Weitere Anwendungen bieten Medizin- und Verpackungstechnik. Konventionelle Gläser etwa setzen langfristig Ionen frei (Leaching). Dies ist insbesondere für empfindliche medizinische Proben problematisch.
Zudem lassen sich vollständig assemblierte Baugruppen aus Glas herstellen. So entstehen beispielsweise Photonik-Glasfaserkomponenten wie Halterungen und Linsen in einem Stück.
Glassomer baut zurzeit eine Fertigung unweit von Freiburg und erweitert damit die Produktionskapazitäten. Dort sollen präzise Glasbauteile im industriellen Maßstab entstehen.
Die Autorin
Dorothea Helmer, promovierte Chemikerin, ist Mitgründerin und CEO des Unternehmens Glassomer in Freiburg. Für die Erfindung der Technik erhielten die Firma und die Gründer etwa den Lothar-Späth-Award 2021, den Freiburger Innovationspreis 2019 und den Preis „MIT Technology Review Innovators under 35“. dorothea.helmer@glassomer.com
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