Gesellschaft Deutscher Chemiker

Trendbericht Biochemie 2022

Enzyme in neuem Licht

Nachrichten aus der Chemie, Juli 2022, S. 70-73, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Über spezialisierte Enzyme, Affinitätsselektionsmethoden, um bioaktive Substanzen zu entdecken, hochauflösende Strukturanalyse von Proteinkomplexen und die Kombination von Bio- und Photokatalyse.

Der diesjährige Trendbericht umfasst vier Teilbeiträge: Der Abschnitt „Späte Funktionalisierung mit Biokatalysatoren aus Naturstoffsynthesen“ beschäftigt sich mit der Frage, wie sich funktionelle Gruppen gezielt in Moleküle einführen lassen, ohne auf langwierige Schutzgruppenstrategien rückgreifen zu müssen. Dabei können spezialisierte Enzyme helfen, die vielfach in natürlichen Synthesewegen von Naturstoffen vorkommen. Es gibt einige Beispiele, wie sich diese Enzyme in der chemischen Synthese nutzen lassen.

Im Abschnitt „Bioaktive Substanzen entdecken: von Display-Methoden zu selbstkodierten Substanzbibliotheken“ geht es darum, neue bioaktive Substanzen zu identifizieren – das ähnelt manchmal der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Affinitätsselektionsmethoden beschleunigen diesen Prozess, indem sie Milliarden Substanzen gleichzeitig screenen. Selbstkodierte Substanzbibliotheken erweitern die Möglichkeiten und Substanzklassen.

Der Abschnitt „Strukturbiologie an der Schnittstelle zwischen Mensch und Mikrobe“ behandelt Interaktionen. Mikroben interagieren mit unserem Körper sowohl auf symbiotische als auch auf pathogene Art. Proteinkomplexe sind das Bindeglied zwischen Körper und Mikroben und daher ein wichtiges Ziel für therapeutische Interventionen. Für diese ist hochauflösende Strukturanalyse der Interaktionsfläche von entscheidender Bedeutung.

Und im Abschnitt „Enzymatische Photokatalyse“ geht es um die Kombination von Biokatalyse und Photokatalyse. Sie eröffnet neue Möglichkeiten für nachhaltige Synthesestrategien, denn Lichtanregung erweitert das Spektrum enzymatischer Reaktionen. Kürzlich entwickelte Photoenzyme erlauben unter anderem stereoselektive Radikalreaktionen. Eine Auswahl wird präsentiert.

Enzymatische Photokatalyse

Eine der größten Herausforderungen in der Biokatalyse ist die Entwicklung von Enzymen, deren synthetisches Repertoire über das der Natur hinausgeht. Die Anregung mit sichtbarem Licht erschließt hier alternative Reaktionswege. Gleichzeitig führen spezifische Wechselwirkungen zwischen den reaktiven Intermediaten und der chiralen Umgebung des Proteins zu hoher Regio- und Stereoselektivität.

Methoden des Protein Engineering machen maßgeschneiderte Photoenzyme zugänglich (Abbildung a). Diese können rational designt werden, beispielsweise indem das Proteingerüst kovalent mit synthetischen Photokatalysatoren verknüpft wird. Aber auch die katalytische Variabilität natürlicher Enzyme lässt sich nutzen. Neben den wenigen bekannten Photoenzymen, die die Natur hervorgebracht hat, sind hier besonders Redoxenzyme mit Nicotinamid- und Flavinkofaktoren im Fokus der Forschung. Diese katalysieren bei Belichten oft alternative Reaktionen. Außerdem werden vermehrt Kaskadenreaktionen entwickelt, die synthetische Photokatalysatoren und Enzyme in einem Topf kombinieren.

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a) Strategien zur Entwicklung von Photoenzymen. b) Die Photodecarboxylase ermöglicht, langkettige Alkane direkt aus Fettsäuren herzustellen (PDB-Code: 5NCC). c) Bei Bestrahlen mit sichtbarem Licht katalysieren natürliche Enreduktasen stereoselektive radikalische Cyclisierungen. d) Die Racemisierung von β-Keto-Stereozentren durch duale Photo- und Organokatalyse wird kombiniert mit stereoselektiver enzymatischer Reduktion durch Alkoholdehydrogenasen und Ketoreduktasen. e) Ein rational designtes Photoenzym, das auf dem YFP-Gerüst basiert, zeigt lichtabhängige Dehalogenase-Aktivität (PDB-Code: 5YR3). S = Substrat, P = Produkt, FAD = Flavin-Adenin-Dinukleotid, SET = Einelektronenübertragung, HAT = Wasserstoffatomübertragung, EDA = Elektron-Donor/-Akzeptor, ADH = Alkoholdehydrogenase, KRED = Ketoreduktase, YFP = gelb fluoreszierendes Protein, BpA = Benzophenon-Alanin, GDH = Glucosedehydrogenase

In allen Strategien kommt ein Vorteil proteinbasierter Katalysatoren zum Tragen: ihre Evolvierbarkeit. Eine anfänglich oft geringe Aktivität oder Selektivität lässt sich durch gerichtete Evolution in iterativen Zyklen von Mutagenese und Screening verbessern. Dieser Trendbericht stellt eine Auswahl aktueller Arbeiten vor, die durch Lichtanregung das synthetische Spektrum der Biokatalyse hin zu neuen Reaktivitäten erweitert haben.

Natürlich vorkommende Photoenzyme

Aus der Natur kennen wir nur wenige Photoenzyme, etwa eine aus Algen isolierte Photodecarboxylase (Abbildung b). Das biokatalytische Potenzial dieses Enzyms besteht darin, aus Fettsäuren direkt die entsprechenden C1-verkürzten Alkane zugänglich zu machen. Den Enzymmechanismus hat eine Studie im Detail analysiert.1) Dabei kombinierten die Forschenden statische und zeitaufgelöste Methoden der Kristallographie und Spektroskopie mit quantenchemischen Rechnungen, um den photokatalytischen Zyklus des Blaulicht-abhängigen Flavoenzyms zu verstehen. Dieses Wissen eröffnet Wege, die Photodecarboxylase für Anwendungen gezielt zu modifizieren: So führten zielgerichtete Mutationen beispielsweise zur selektiven Decarboxylierung längerer (C18:0) und kürzerer (C12:0) gesättigter Fettsäuren.2) Daraus ergibt sich Potenzial, Kraftstoffe photobiokatalytisch herzustellen.

Einer weiteren Studie zufolge ist eine Unterscheidung zwischen ungesättigten cis- und trans-Fettsäuren durch Mutationen in ausgewählten Positionen im Enzym möglich.3) Für die in diesem Zusammenhang diskutierte Anwendung in der Lebensmitteltechnologie sind aber noch Hürden zu überwinden.

Natürliche Redoxenzyme mit alternativer lichtabhängiger Aktivität

Flavine kommen in der chemischen Photoredoxkatalyse zum Einsatz, denn die Anregung mit blauem Licht ermöglicht effiziente Einelektronenübertragungen aus dem oxidierten wie aus dem reduzierten Zustand. In der Natur enthalten etwa die Enzymkofaktoren Flavin-Adenin-Dinukleotid (FAD) und Flavin-Mononukleotid (FMN) das Flavinmotiv. Deren natürliche Funktion ist – mit wenigen Ausnahmen wie der diskutierten Photodecarboxylase – die lichtunabhängige Übertragung von zwei Elektronen und zwei Protonen.

Wie Pionierarbeiten der letzten Jahre gezeigt haben, sind natürliche Redoxenzyme bei Belichtung katalytisch hochvariabel, und das macht stereoselektive Radikalreaktionen zugänglich. Im Fokus der ersten Arbeiten standen FMN-abhängige Enreduktasen, die natürlicherweise C-C-Doppelbindungen stereoselektiv reduzieren. Anregung mit blauem Licht führte hier zu enantioselektiven radikalischen Cyclisierungen von α-Halo-Carbonylverbindungen, die fünf- bis achtgliedrige Lactamringe hervorbringen (Abbildung c).4)

Spezifische Wechselwirkungen halten die reaktiven radikalischen Intermediate in einer bestimmten Orientierung innerhalb der chiralen Bindetasche und ermöglichen daher Stereokontrolle. Regeneriert wird der Flavinkofaktor über eine gekoppelte enzymatische Oxidation von Glucose. Enreduktasen aus verschiedenen Organismen wurden eingesetzt, um beide Produkt-Enantiomere zu erhalten. Zudem wurde die entsprechende intermolekulare Radikalreaktion mit hoher Stereoselektivität realisiert (bis zu 98 % ee).5)

Mechanismus-Untersuchungen legen nahe: Flavinkofaktor und Substrat bilden einen Elektron-Donor/Akzeptor(EDA)-Komplex, den das Protein stabilisiert.4) Die EDA-Komplexe zeigen rotverschobene Absorptionsbanden, die sich selektiv anregen lassen.

Das photobiokatalytische Spektrum der Enreduktasen wurde in den letzten fünf Jahren kontinuierlich erweitert. Beispielsweise sind α-tertiäre Amine durch stereoselektive radikalische Addition an Oxime und anschließende chemische Reduktion der gebildeten Hydroxylamine zugänglich (Abbildung c).6)

In vielen Fällen optimierten gezielte Mutationen im aktiven Zentrum die Effizienz und Selektivität der photoenzymatischen Katalyse. Daher arbeiten immer mehr Forschungsgruppen an der gerichteten Evolution von Photoenzymen. Experimentell ist dies mit zusätzlichen Herausforderungen verbunden: Das Screening muss nicht nur mit einer einheitlichen Belichtung gekoppelt werden; in den meisten Fällen muss zudem unter Ausschluss von Sauerstoff gearbeitet werden, da dieser die Radikalreaktionen behindert und reaktive Sauerstoffspezies Enzyme schädigen. Wie erste Arbeiten dazu gezeigt haben, lassen sich Photoenzyme dennoch in einem Hochdurchsatz-Setup evolvieren.7)

Es ist davon auszugehen, dass sich auch andere Arten von Redoxenzymen zu Photoenzymen umfunktionieren lassen. Wie sich kürzlich zeigte, wird die FAD-abhängige Monooxygenase PqsL in Anwesenheit sichtbaren Lichts und eines Nicotinamidkofaktors aktiviert.8) Die beobachtete Hydroxylierung einer aromatischen Aminogruppe läuft sonst nur ab, wenn eine Flavinreduktase als Redoxpartner zugegen ist.

Kaskaden aus chemischer Photokatalyse und Enzymkatalyse

Eine Alternative, das biokatalytische Spektrum natürlicher Redoxenzyme durch Licht zu erweitern, sind Kaskadenreaktionen mit synthetischen Photokatalysatoren. Zwei Arbeiten haben dieses Konzept für dynamische kinetische Racematspaltungen (Deracemisierungen) genutzt, die ohne Lichtanregung nicht oder nur schwer realisierbar wären:

Das erste Beispiel zeigt, dass eine Kombination aus Organo- und Photokatalyse die Racemisierung statischer β-Keto-Stereozentren ermöglicht. Stereoselektive Enzyme wie Alkoholdehydrogenasen, Ketoreduktasen oder Transaminasen überführen anschließend die racemischen β-substituierten Ketone vollständig in jeweils ein definiertes Stereoisomer der entsprechenden γ-substituierten Alkohole oder Amine (Abbildung d).9)

In der zweiten Studie synthetisierte ein Team enantiomerenreine Sulfoxide durch Zyklen von enantioselektiver enzymatischer Reduktion und unspezifischer photokatalytischer Oxidation.10) Das verwendete Enzym war eine Methioninsulfoxidreduktase. Als Photokatalysator diente Protochlorophyllid.

Eine weitere Studie kombinierte Redoxenzyme mit einem heterogenen Kohlenstoffnitrid-Photokatalysator.11) Hier ließ sich über die Wellenlänge das Redoxpotenzial und damit die Reaktivität des Photokatalysators einstellen. Kombination mit einer Alkoholdehydrogenase oder einer unspezifischen Peroxygenase lieferte dann ausgehend von Ethylbenzol und Sauerstoff jeweils entgegengesetzte Enantiomere des Produkts 1-Phenylethanol.

Rational designte Photoenzyme

Künstliche Photoenzyme entstehen durch Einbau synthetischer Photokatalysatoren in Proteingerüste. Bioorthogonale Reaktionen und die Erweiterung des genetischen Codes erlauben dabei, gezielt an einer ausgewählten Position im Protein zu verknüpfen.

Diese Strategie kam bereits für organische und für Übergangsmetall-Photokatalysatoren zum Einsatz. Beispielsweise entstand ein künstliches Photoenzym für Sulfoxidationen, indem ein Acridiniumkatalysator in ein Proteingerüst eingebaut wurde.12)

Analog ermöglichte die kovalente Verknüpfung mit einem substituierten Ru(bpy)32+ reduktive Cyclisierungen von Dienonen sowie [2+2]-Photocycloadditionen in Proteinen.13) In beiden Fällen beeinflusste das Protein die photophysikalischen Eigenschaften des Katalysators. Allerdings wurden nur racemische Produkte isoliert. Verbessertes Design, Laborevolution oder beides sind also erforderlich, um die Selektivität dieser künstlichen Photoenzyme zu steigern.

Ein weiterer rationaler Ansatz nutzte als Startpunkt das gelb fluoreszierende Protein (YFP).14) Hier wurde der natürliche Chromophor in einen effizienten Triplettsensibilisator verwandelt, indem anstelle des Tyrosins eine unnatürliche Aminosäure mit Benzophenon-Seitenkette genetisch kodiert wurde (Abbildung e). Eine zweite, kovalente Modifikation des Proteins mit einem Nickelkomplex ermöglichte dann eine photoenzymatische CO2-Reduktion. Eine Folgearbeit zeigte für den gleichen Hybridkatalysator hydrolytische Dehalogenierungen von Aromaten.15)

Obwohl die Photoenzyme zu optimieren und deren praktische Anwendbarkeit zu verbessern sind, wird die photoenzymatische Katalyse voraussichtlich weiter an Bedeutung gewinnen.

Cathleen Zeymer, Center for Functional Protein Assemblies (CPA) und Fakultät für Chemie, Technische Universität München cathleen.zeymer@tum.de

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Die Autorin

Cathleen Zeymer, Jahrgang 1985, ist seit 2020 Professorin für Proteinchemie an der TU München. Sie studierte Chemie an der TU Dresden und der UC Berkeley, promovierte am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg und war Postdoktorandin an der ETH Zürich. Forschungsschwerpunkt ihrer Gruppe sind Design und gerichtete Evolution künstlicher Metallenzyme und Photoenzyme.

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