Gesellschaft Deutscher Chemiker

Trendbericht Physikalische Chemie 2022

Reaktionsdynamik lichtgetriebener Reaktionen

Nachrichten aus der Chemie, Mai 2022, S. 68-71, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Die Aufklärung von Reaktionsmechanismen ist in der Katalyse wichtig, um die geschwindigkeitsbegrenzende Schritte zu verstehen und zu beschleunigen. Mit maschinellem Lernen lassen dann sich auf Basis der Mechanismen neue Katalysatoren entwickeln. Photochemische Umsetzungen in weichen Membranen folgen einer anderen Kinetik als Reaktionen in Lösung. Mikroschwimmer, Mikromotoren oder Phototaxis zählen zu aktiver Materie. Sie wandeln kontinuierlich Energie aus ihrer Umgebung um und bewegen sich autonom.

Reaktionsdynamik lichtgetriebener Reaktionen

Damit chemische und lichtgetriebene Reaktionen effizient verlaufen, werden molekulare Komponenten in weiche Materialien oder an speziellen Grenzflächen integriert. Beispielhaft für diese weichen Materialien sind Phospholipid-Doppelschichten, die ähnlich wie natürliche Zellmembranen aufgebaut sind (Abbildung 1 a,b).1–3)

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Struktur von a) Amphiphilen wie b) Phospholipiden, die c) in Wasser zu Lipiddoppelschichten aggregieren, die Vesikel aufspannen. Dabei umspannt die Lipiddoppelschichtmembran ein inneres wässriges Kompartiment, das d) vom äußeren Kompartiment abgeschlossen ist; e) Verankerungsstrategien.2)

In Wasser aggregieren die amphiphilen Phospholipide zu Doppelschichten, die als Membran von Vesikeln fungieren. Dabei werden drei Kompartimente aufgespannt: das innere wässrige Kompartiment, die hydrophobe Membran und die äußere wässrige Lösung. Alle Kompartimente und Grenzflächen sind für Reaktionen nutzbar. Um die Reaktanden einzuschließen oder zu assemblieren, gibt es verschiedene Strategien (Abbildung 1e).

Physikalisch-chemische Untersuchungen und Katalysen werden häufig an Liposomen durchgeführt, die meist kleiner als 1 µm sind und sich monodispers herstellen lassen (Abbildung 1d).

Je nachdem, wie die Reaktionspartner eingeschlossen oder verankert sind, lassen sich Reaktionswege durch räumliche Nähe selektiv beschleunigen. Besonders interessant ist das für lichtgetriebene Reaktionen, da diese aufgrund der Lebensdauer der lichtabsorbierenden Photosensitizer meist nur Nanosekunden bis Mikrosekunden lang dauern.

Um die Mechanismen aufzuklären, werden spektroskopische Methoden an Liposomen eingesetzt.

Bimolekulare Reaktionen in der zweidimensionalen Ebene

Bei bimolekularen Reaktionen in weichen Materialien, zum Beispiel bei lichtinduziertem Elektronentransfer innerhalb von Lipiddoppelschichten, unterscheidet sich die Dynamik deutlich von der in homogener Lösung. Das hängt mit den Diffusionskinetiken zusammen, die aufgrund der Membraneigenschaften verändert sind.

Das Einbetten lichtabsorbierender Photosensitizer und Quencher (Lumineszenz-Löscher) ermöglicht effizienten Energie- oder Elektronentransfer.

Wie schnell ein Elektron übertragen und damit die Lumineszenz des angeregten Photosensitizers gelöscht wird, hängt vom Abstand zwischen den Reaktionspartnern ab. Ein Quencher-Molekül, das in direkter Nähe zu einem angeregten Photosensitizer an der Membran sitzt, reagiert sehr schnell. Alle Quencher-Moleküle, die weiter entfernt sind, werden entweder gar nicht oder mit geringerer Wahrscheinlichkeit und später aktiv, da sie zunächst zum Photosensitizer diffundieren müssen. Falls das innerhalb der Lebensdauer des angeregten Zustands stattfindet, wird die Energie übertragen (Abbildung 2).

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Reaktionskinetiken in weichen 2-D-Phospholipidmembranen sind geprägt von langsamer Diffusion in der Membran, sodass nichtexponentielle Kinetiken für bimolekulare Prozesse zu beobachten sind.2,4) In den gelöschten Lumineszenz-Zerfällen zeigt eine gestrichtelte Linie die diffusionsbasierte Komponente. Adaptiert von Lit.2)

Die Diffusion innerhalb der zweidimensionalen Membran ist langsamer als in homogener Lösung, und die Kinetik weicht deutlich von klassischen exponentiellen Kinetiken ab. Relevant sind diese veränderten Reaktionsdynamiken beispielsweise bei der lichtgetriebenen CO2-Reduktion sowie bei der Wasserstoff- und Sauerstoffentwicklung an Liposomen,5–8) wo lichtabsorbierende Photosensitizer und der jeweilige molekulare Katalysator über Alkylketten in der Membran verankert wurden. Dabei zeigen transiente Absorptionsspektroskopie und Fluoreszenz-Korrelations-Spektroskopie an porenüberspannenden Lipidmembranen (microcavity supported lipid membrane, MLSB), dass kürzere Alkylketten für größere Mobilität in der Membran sorgen und damit die Effizienz der Katalyse steigern.5) Alternativ lässt sich die Mobilität innerhalb der Membran durch den Aggregatzustand der Lipiddoppelschicht beeinflussen. Je nach Reaktionssystem ist eine fluide oder gelartige Membran für den Prozess von Vorteil.7–9)

Wie das Beispiel der lichtgetriebenen Wasseroxidation zeigt, kann sich der geschwindigkeitsbestimmende Schritt durch Co-Assemblierung von Photosensitizer und Katalysator in der Membran verändern: Der Ladungstransfer zwischen oxidiertem Photosensitizer und Katalysator ist in der Membran schneller als in homogener Lösung und damit nicht mehr limitierend. Diese Veränderung der Reaktionsdynamik stabilisiert den Photosensitizer.6)

Membran-Wasser-Grenzfläche

Reaktionen an der Membran-Wasser-Grenzfläche von Vesikeln finden typischerweise zwischen einer verankerten, relativ immobilen Spezies und einer wasserlöslichen Spezies statt. Ähnlich wie in homogener Lösung sind diese Prozesse diffusionsabhängig, wobei die wasserlösliche Komponente hier mobiler ist. Genau wie in homogener Lösung hängt die Effektivität eines lichtinduzierten Ladungstransfers davon ab, ob die unproduktive Rekombination verhindert werden kann oder zumindest langsamer als die Vorwärtsreaktion abläuft. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn Reaktanden schnell voneinander wegdiffundieren.

Abbildung3 zeigt zwei Szenarien: Aufgrund gleicher Ladung von Membran und wasserlöslichem Elektronendonor wird dieser direkt nach lichtinduziertem Elektronentransfer auf den membranständigen Photosensitizer von der Membranoberfläche abgestoßen. Im Gegensatz dazu besteht bei gegensätzlicher Ladung zwischen Membranoberfläche und Elektronendonor eine elektrostatische Anziehung, sodass die Rekombination stattfindet, bevor der Elektronendonor wegdiffundieren kann.10,11)

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Einfluss der Oberflächenladung auf lichtinduzierten Elektronentransfer zwischen elektrostatisch verankertem Photosensitizer und wasserlöslichem Elektronendonor unterschiedlicher Ladung.

Die Szenarien wurden vornehmlich mit UV-Vis-Absorptionsspektroskopie bei konstanter Beleuchtung charakterisiert. Für das nanoskopische Geschehen an der Membran-Wasser-Grenzfläche kommen zudem spektroskopische Techniken wie Summenfrequenzspektroskopie infrage.9)

Kompartmentalisierung

Die Kompartmentalisierung bezeichnet das Einschließen oder Verkapseln von Substrat in einem separaten (Reaktions-)Raum. In der Natur finden chemische Reaktionen typischerweise in zellulären Kopartimenten statt, welche die Reaktionsräume aufspannen (zum Beispiel Mitochondrien, Chloroplasten). In künstlichen Systemen bedeutet das, die Reaktanden in einem kleinen dreidimensionalen Raum einzuschließen, etwa in Wassertropfen,12) polymerbasierte Mizellen,13) oder hydrophobe Lipiddoppelschichten.14)

In der Regel ist dieser Reaktionsraum zusätzlich beengt, sodass intermolekulare Stöße mit erhöhter Wahrscheinlichkeit stattfinden. Ein Beispiel, in dem dieser Umstand genutzt wurde, ist die Aufwärtskonvertierung von niedrig energetischem Licht in höherenergetisches, sichtbares Licht mithilfe von Liposomen. Da Stöße zwischen angeregten Lichtabsorbern und zwei Energieakzeptoren diesen Prozess auslösen, ist er generell relativ unwahrscheinlich. Durch Kompartmentalisierung von entsprechenden Komponenten in der hydrophoben Lipiddoppelschicht von Liposomen wurde rotes in grünes Licht und grünes Licht in blaues Licht umgewandelt (Abbildung 4a).14) Durch erhöhte Temperatur erreichte die Membran einen fluiden, mobilen Aggregatzustand, was intermolekulare Stöße und Aufwärtskonvertierung fördert.

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Photosensibilisierter Triplett-Triplett-Annihilationsprozess zur Emission von Photonen höherer Energie im hydrophoben Kompartiment der Lipiddoppelschicht; a) lichtinduzierter Energietransfer an der Membran-Wasser-Grenzfläche14) gefolgt von b) Elektronentransfer innerhalb der Membran15) beziehungsweise c) mit der wässrigen Phase.16)

Andere Studien nutzten die weiche Matrix der Phospholipidmembranen, um – ähnlich wie in der natürlichen Photosynthese – Licht zu sammeln und Elektronen innerhalb der Membran zu transferieren (Abbildung 4b,c). Durch hydrophobe Wechselwirkungen wurden die lichtabsorbierenden Energiedonoren und -akzeptoren mit der Lipid-Membran assembliert.

Im ersten Beispiel in Abbildung 4b diente ein hydrophobes Porphyrin dazu, eine funktionalisierte DNA-Struktur an der Grenzfläche zu verankern und damit einen Energietransfer vom wässrigen Kompartiment in die hydrophobe Membran zu ermöglichen. Dies triggerte einen Elektronentransfer innerhalb der Membran.15)

Im zweiten Beispiel (Abbildung 4c) waren die Energietransferkomponenten durch hydrophobe Wechselwirkungen innerhalb und an der Membran-Wasser-Grenzfläche verankert, sodass der darauffolgende Elektronentransfer mit der wässrigen Lösung stattfinden konnte (c). In beiden Fällen lief der Energietransfer über Förster-Resonanz-Energietransfer (Fret), um den lichtgetriebenen Elektronentransfer im entsprechenden Kompartiment zu ermöglichen.16)

Ausblick

Weiche Materialien wie Lipiddoppelschichten bieten Chancen und Herausforderungen für die Kontrolle chemischer lichtgetriebener Reaktionen. Gleichzeitig sind Lipiddoppelschichten und deren Grenzflächen zu Wasser ideale Modellsysteme für weitere chemische Technologien. Zum Beispiel könnten verwandte Grenzflächen wie Langmuir-Blodgett-Filme oder tensidvermittelte Wasser-Luft-Grenzflächen genutzt werden.

Andere Entwicklungspotenziale liegen in der Reaktionssteuerung orthogonaler Reaktionen in künstlichen Kompartimenten.

Drei Fragen an die Autorin: Andrea Pannwitz

Welche Entwicklung des vergangenen Jahrs hat Sie am meisten überrascht?

Ich bin sehr beeindruckt von den Initiativen zu Open Data und den Bestrebungen, Daten nach den Fair-Prinzipien zu publizieren. Das ist ein wichtiger Baustein um die großen Mengen an Forschungsdaten zu rationalisieren und Wissenstransfer zu erleichtern.

Auf welchem Gebiet erwarten Sie in den nächsten zwölf Monaten die größten Entwicklungen?

Photochemische Reaktionen werden immer besser verstanden, und ich kann mir vorstellen, dass innovative Konzepte in naher Zukunft einige Limitierungen beheben oder umgehen können.

Was würden Sie gerne entdecken oder herausfinden?

Ich würde gern Sonnenlicht effizient und produktiv für chemische Reaktionen nutzen und dafür Strukturen entwickeln, die Chloroplasten ähneln.

Andrea Pannwitz ist seit dem Jahr 2020 Juniorprofessorin an der Universität Ulm. Sie hat an der Universität Göttingen Chemie studiert, in Basel bei Oliver Wenger promoviert und war Postdoktorandin an der Universiteit Leiden in den Niederlanden. Foto: Elvira Eberhardt

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  • 8 M. Hansen, S. Troppmann, B. König, Chem. Eur. J. 2016, 22, 58–72
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  • 11 B. Limburg, M. Hilbers, A. M. Brouwer, E. Bouwman, S. Bonnet, J. Phys. Chem. B 2016, 120, 12850–12862
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  • 13 P. Qu, M. Kuepfert, M. Hashmi, M. Weck, J. Am. Chem. Soc. 2021, 143, 4705–4713
  • 14 S. H. C. Askes, A. Bahreman, S. Bonnet, Angew. Chem. Int. Ed. 2014, 53, 1029–1033
  • 15 K. Börjesson, J. Tumpane, T. Ljungdahl et al. J. Am. Chem. Soc. 2009, 131, 2831–2839
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