Artikel
Von CO₂‐Abschneidern und F‐gedopten Athleten
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Manchmal ist es traurig, dass in der Welt da draußen so viele Menschen herumlaufen, die Chemie nach der 9. Klasse abgewählt haben. Aber oft entsteht dadurch auch irrsinnig Komisches.
Die Sportbetrüger werden immer dreister (und lebensmüder?), das weiß zum Beispiel Der Spiegel:
Doch gemach, es geht nicht um Fluordoping des Skijäger-Organismus, sondern um das seit letzter Saison verbotene Fluorwachs für die Skier. Und tatsächlich: Bei der „Dopingprobe“ wird per FT-IR der Fluorgehalt des Wachses bestimmt.
Ein Krankenhausaufenthalt kann auch für Chemiker lehrreich sein, schreibt uns Leser W. Denn die Asklepios-Klinik will das chemische Wissen verbessern. Auf jeder Wasserflasche fand sich der Spruch:
„Wussten Sie, dass Wasser durchsichtig ist, weil es aus seltenen Molekülen besteht? Die reflektieren das Licht, weil sie in exakt derselben Art wie Lichtwellen schwingen. Faszinierend.“
In der Tat. Leser W. fragt sich nun: Wenn Wasser durchsichtig ist, weil die Moleküle so selten sind, sollten dann nicht auch die Seltenen Erden durchsichtig sein?
So selten ist Wasser übrigens nicht. Schon gar nicht in diesem „April, April“-Trendbericht. Beim durchstöbern des europäischen Patentblatts stieß Stefan Fokken etwa auf folgende sensationelle Methode:
„Verfahren zum Entwässern von Wasser“
Sowas passiert, wenn eine KI übersetzt. Der englische Titel ergibt mehr Sinn: „Method of draining water“.
In – im Wortsinn – unbekannte Dimensionen stößt Publik vor:
So richtig verstanden, worum es auf einer Pressekonferenz eines bekannten Chemieunternehmens aus Ludwigshafen ging, hat die Heilbronner Stimme wohl nicht. Unter dem (noch korrekten) Titel „Treibhausgase werden versenkt“ skizziert sie folgenden abenteuerlichen Weg. Zuerst mal CCS, also:
„Mit innovativen Technologien wird das CO2 abgeschnitten.“
Später fahren dann die CO2-Abschneider
„die mit flüssigem Kohlenstoff beladenen Schiffe“
hinaus aufs Meer, um dort (dies zur Abwechslung korrekt) CO2 in leere Gasfelder einzupressen. Na dann, Schiff ahoi.
Überhaupt, das CO2. Warum wollen wir es eigentlich loswerden? Laut Kölner Stadt Anzeiger ist es doch so:
Ein weiteres Kapitel der unendlichen Reihe „Gute Chemie – böse Chemie“ schreibt die österreichische Wochenzeitschrift Profil. Dort erläutert der Ökologe Johann Zaller, dass im ökologischen Landbau grundsätzlich keine chemisch-synthetischen Mittel ausgebracht werden. Im Notfall erlaubt sind allerdings
„natürliche chemische Elemente wie Schwefel oder Kupfer.“
Natürlich.
Die böse Chemie – sie lauert einfach überall. Im US-Bundesstaat New Jersey hat jemand 200 Kilo Teigwaren illegal entsorgt. So weit, so unappetitlich. Doch wie groß die Gefahr tatsächlich war, berichtete die Website 20min.ch (und dort las es Dario Rothauer). Schuld ist nämlich die Chemie,
„da Nudeln einen pH-Wert haben, der das Wasser verunreinigen könnte“.
Ein wenig Ahnung vom pH-Wert schadet nicht. Auch nicht den Kollegen von der NZZ, die schreiben (Max Ebert hat‘s gelesen):
Oder liegt es vielleicht an lokalen Besonderheiten? Denn nicht nur die Neue Zürcher hätte eine pH-Wert-Fortbildung nötig, auch die Zürichsee Zeitung überraschte ihre Leser (darunter Werner Hälg) mit der Erklärung, woher der Saurenbach seinen Namen hat: Das Wasser sei sauer,
„weil der Bach kalkhaltiges Wasser führt“.
Leser Werner Hälg geht auch sonst mit offenen Augen durch die Welt der chemischen Ignoranz. Und so entdeckte er, dass die Saline Luisenhall ihr Badesalz für etwas ganz Besonderes hält:
Vielleicht freuen sie sich dort aber einfach auch nur, dass ihr Salz genauso oktaedrisch kristallisiert wie alle anderen auch.
Wenn Nicht-Chemiker über chemische Reaktionen schreiben, gilt: Heiliger Stöchiometrus, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Zum Beispiel Ammoniak aus CH4 herstellen (gefunden von Kurt Wendel im Stern):
„Bislang wird Dünger mithilfe von Ammoniak produziert, das durch die klimaschädliche Verbrennung von Kohle und Methangas entsteht.“
Hannah Goerlach wunderte sich über die Zutatenliste eines Handwärmers.
Falls wie angegeben Natrium und Wasser enthalten wären, gäbe das in der Tat warme Hände, wenn auch nur einmal. Wahrscheinlich ist dies aber nur eine Mahnung, Kommas korrekt zu setzen.
Ein Fall für unsere kleine Esoterik-Ecke (rechts, aber der Kasten war leider schon voll) ist auch die Werbung aus dem Therapiezentrum für Chinesische Medizin, in der, wie uns Annette Lechtenböhmer schreibt, holde Ahnungslosigkeit gepaart mit gesundem Halbwissen und einem kaputten Taschenrechner zu neuen Erkenntnissen in der Biochemie führen:
Zum Abschluss noch ein paar Klassiker. Zuerst eine dpa-Meldung, gefunden von Adolf Suchy in der Rhein-Neckar-Zeitung:
„Sauerstoffflaschen fangen Feuer“
Alle, die nicht innerhalb von 0,1 Sekunden „Falsch!“ geschrien haben, schreiben nun bitte hundertmal den Satz: „Sauerstoff selbst ist nicht entzündlich, fördert aber die Verbrennung.“
Für diejenigen, denen man ein N für ein NO vormachen kann, ein Beispiel aus dem Trierischen Volksfreund (der heißt wirklich so, schreibt uns Artur Sailler). Es geht um den Zustand der Wälder in Rheinland-Pfalz:
Auch der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung ist ein Oxid abhanden gekommen:
„Polizei räumt Shisha-Bar – Kohlenstoffwert zu hoch“
Aber vielleicht handelte es sich ja wirklich um Kohlenstoff in Form von Ruß (statt Kohlenmonoxid), meint Einsenderin Claudia Arnold. Bei einem so garstigen Gerät wie der Shisha sei nichts unmöglich.
Einen hab‘ ich noch (aus der FAZ):
„Silikon-Anoden für Fahrzeugbatterien entwickelt das Start-up GDI, indem es den kritischen Rohstoff Graphit durch Silikon ersetzt.“
Dann mal ab ins Silikon-Tal mit diesem Start-up.
Zum ersten Mal durfte dieses Jahr Nachrichten-Chefredakteur Christian Remenyi den Trendbericht April, April zusammenstellen – und er dankt allen Leserinnen und Lesern, die engagiert und fleißig Stilblüten und Kurioses an die Redaktion sandten. So kann es weitergehen. Also immer her mit dem Blödsinn – direkt an nachrichten@gdch.de; Stichwort: April!
Die kleine Esoterik-Ecke: Lasst die Energien fließen
100 % Ökostrom und 100 % positive Energie verspricht ein mit einem rosa Oktopus werbender Stromanbieter (fotografiert von Ulrich Scharfenort). Doch wie kann das sein? Der Energietransport erfolgt doch mit negativ geladenen Elektronen?
Vielleicht weiß die Geomantin Barbara Jurk die Antwort. Auf die Frage der FAZ (Foto rechts unten aus dem Interview), was sie gegen „unruhige Energien“ tue, wusste sie nämlich: „Unruhige Energien kann man wie einen Wasserfluss verstehen. … Diesen Fluss kann man so lenken, wie es auf dem Grundstück gebraucht wird. Wir setzen zum Beispiel Findlinge aus dem Bayerischen Wald auf das Grundstück, klopfen und polarisieren sie auf bestimmte Weise und verankern sie damit im Boden. Die Steine stabilisieren und lenken den Energiefluss auf dem Grundstück.“ Aber lassen die Steine dann zum Beispiel den Oktopus-Strom durch? Wir wissen es nicht.
Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...
Wenn Sie ein registrierter Benutzer sind, zeigen wir in Kürze den vollständigen Artikel.