Bildung + Gesellschaft

<p>Kurioses, Erstaunliches, &Uuml;berraschendes &mdash; was vor 50 Jahren in den &bdquo;Nachrichten aus der Chemie&ldquo; stand, die damals noch &bdquo;Nachrichten aus Chemie und Technik&ldquo; hie&szlig;en.</p>

Vor 50 Jahren

<h2>&Uuml;ber das Selbstverst&auml;ndnis von Industriechemikern</h2>
<p>Im Wintersemester 1970/71 befragten Soziologen von der Universit&auml;t des Saarlandes promovierte Industriechemiker zu ihren Erfolgserwartungen. 90 Prozent der Befragten arbeiteten in der Gro&szlig;industrie. Im M&auml;rz 1972 erschienen einige der Studienergebnisse in den Nachrichten aus Chemie und Technik. Eines der Ergebnisse: Blenden, R&uuml;cksichtslosigkeit und Beziehungen seien entscheidender f&uuml;r den Erfolg als Leistung, da ein Teil der h&ouml;heren Vorgesetzten korrupt sei und mit der Beurteilung eines Industriechemikers fachlich oder zeitlich &uuml;berfordert.</p>
<div><img src="https://media.graphcms.com/YjjWpZ5SvWVyhHuEt4Mf" /></div>
<p></p>
<p>Was Industriechemiker Anfang der 1970er Jahre noch als Erfolgskriterien sahen, lesen Sie im Online-Heftarchiv mit Ihrer GDCh-Mitgliedsnummer und Passwort: <a href="https://www.gdch.de/doi/10.1002/(ISSN)1868-0054" target="_blank" rel="noopener">www.gdch.de/doi/10.1002/(ISSN)1868-0054</a></p>

Vor 50 Jahren in den Blauen Blättern

Über das Selbstverständnis von Industriechemikern

Über das Selbstverständnis von Industriechemikern Im Wintersemester 1970/71 befragten Soziologen von der Universität des Saarlandes promovierte Industriechemiker zu ihren Erfolgserwartungen. 90 Prozent der Befragten arbeiteten in der Großindustrie. Im März 1972 erschienen einige der Studienergebn...

<p>Verhalten sich Professorinnen und Gruppenleiterinnen in den Naturwissenschaften anders gegen&uuml;ber Mitarbeiter:innen als ihre m&auml;nnlichen Kollegen? Oder werden sie nur anders beurteilt? Eine Spurensuche.</p>
<p>Mit der Arch&auml;ologie-Professorin Nicole Boivin hat Ende letzten Jahres eine weitere Max-Planck-Direktorin ihre Position verloren. Im Jahr 2018 musste eine f&uuml;hrende Forscherin das Max-Planck-Institut f&uuml;r Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig verlassen. Beiden Frauen wurde Fehlverhalten gegen&uuml;ber Mitarbeiter:innen vorgeworfen bis hin zum Mobbing. Einer Direktorin am Max-Planck-Institut f&uuml;r Astrophysik in Garching wurde 2018 ebenfalls Machtmissbrauch vorgeworfen, sie konnte sich jedoch auf ihrer Stelle halten &ndash; mit deutlich verkleinerter Arbeitsgruppe.</p>
<p>In diesem Zusammenhang kam die Frage auf, ob Frauen in F&uuml;hrungspositionen strenger beurteilt werden oder &ouml;fter von dem Vorwurf betroffen sind, ihre F&uuml;hrungsrolle nicht ad&auml;quat auszuf&uuml;llen.<sup>1)</sup></p>
<p>Ich kenne keine der drei Direktorinnen. Unabh&auml;ngig von den betroffenen Personen m&ouml;chte ich aus eigener Erfahrung zur Diskussion beitragen. Dabei liegt mir nichts ferner, als irgendjemandem, Mann oder Frau, einen Freibrief f&uuml;r Mobbing <xref rid="nadc20224124054-fig-0001" ref-type="fig">auszustellen</xref>.</p>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/a6dNsGpLQ6y7eRfuRYLC" />
<figcaption><label>Abb. 1: </label>Grafik: melita/Adobe Stock</figcaption>
</figure>
<h2>F&uuml;hrungstraining f&uuml;r Frauen</h2>
<p>Zu der Zeit, als ich an der Universit&auml;t Bochum eine Nachwuchsgruppe leitete, hatte ich die Chance, an Vortr&auml;gen und Workshops deutscher Expert:innen f&uuml;r berufliche Kommunikation zwischen M&auml;nnern und Frauen teilzunehmen. Kurz zusammengefasst lernte ich dort, dass M&auml;nner im Durchschnitt (sprich: das kann im Einzelfall anders sein) zu knapper, faktenbezogener Kommunikation tendieren. Frauen dagegen neigten im Durchschnitt in ihrer Kommunikation dazu, einen gr&ouml;&szlig;eren Kontext herzustellen, der durchaus mal &uuml;ber die harten Fakten hinausgeht und in der Konsequenz mehr Zeit in Anspruch nimmt. Des Weiteren ziele m&auml;nnliche Kommunikation h&auml;ufiger darauf ab, mit kurzen Ansagen die hierarchische Struktur zu verdeutlichen und zu festigen. Frauen hingegen versuchten eher, auf gleicher Ebene alle mitzunehmen und emotional f&uuml;r die Sache zu begeistern. Die Veranstaltungen sollten vor allem &ndash; nach meinem Empfinden &ndash; Frauen bef&auml;higen, so zu kommunizieren wie M&auml;nner.</p>
<p>In einem dieser Vortr&auml;ge kam ich ins Gr&uuml;beln: Eigentlich ergeben beide Typen der Kommunikation je nach Situation Sinn. Wenn &bdquo;die H&uuml;tte brennt&ldquo; und schnell ohne gro&szlig;e Diskussion eine Entscheidung zu treffen ist, dann ist die &bdquo;m&auml;nnliche Kommunikation&ldquo; von Vorteil. Umgekehrt konnte ich mir gut vorstellen, dass die &bdquo;weibliche Kommunikation&ldquo; manchmal die &Uuml;berlegene sein k&ouml;nnte, etwa wenn Ressourcen innerhalb einer Arbeitsgruppe zu verteilen sind oder emotional schwierige Sachverhalte besprochen werden m&uuml;ssen, beispielsweise Konflikte innerhalb der Gruppe. Dies brachte mich zu der Frage, ob auch einmal jemand versuchte, den M&auml;nnern nahezubringen, so zu kommunizieren wie Frauen. Oder anders ausgedr&uuml;ckt: Mir als weiblicher F&uuml;hrungskraft bringt es herzlich wenig, wenn meine Doktorandin gelernt hat, wie sie mit einem m&auml;nnlichen Chef kommuniziert. Also fragte ich den in diesem Fall m&auml;nnlichen Dozenten nach seinem Vortrag, ob denn auch M&auml;nner darin geschult werden, so zu kommunizieren wie Frauen. Die Antwort war m&auml;nnlich knapp: &bdquo;Nein.&ldquo; Ich fragte, warum nicht. Antwort: &bdquo;Das w&uuml;rde nicht funktionieren.&ldquo; Soso. Das beantwortete zwar nicht meine Frage, aber ich lie&szlig; es dabei bewenden.</p>
<h2>Fehler im Referenzsystem</h2>
<p>Weiter gedacht hei&szlig;t das: Es wird implizit von Frauen erwartet, f&uuml;r eine F&uuml;hrungsposition eine Art Fremdsprache zu lernen. Nun erreicht man im Allgemeinen in der Fremdsprache nicht das gleiche Niveau wie ein Muttersprachler. Schreiben Sie mal einen Artikel auf Franz&ouml;sisch und versuchen dabei so gut zu sein wie ein Franzose.</p>
<p>Es ist also kein Wunder, wenn Frauen in diesem System mehr Fehler passieren als M&auml;nnern. Allerdings werden diese Fehler oft nur deswegen als solche definiert, weil wir die traditionell m&auml;nnlich gepr&auml;gte Kommunikation als Referenz ansehen, als das unumst&ouml;&szlig;lich Richtige. So gilt es eben als normal, wenn ein Mann eine kurze und pr&auml;gnante Ansage macht, ganz ohne H&ouml;flichkeitsfloskeln. Einer Frau, die erst einmal den Hintergrund ihrer Entscheidung erl&auml;utert und versucht, alle zu begeistern, h&ouml;rt nach den ersten zwei S&auml;tzen vielleicht keiner mehr zu. Oder die eigentliche Aufforderung ger&auml;t durch die vielen Begr&uuml;ndungen in Vergessenheit. Wenn eine Frau es stattdessen mit kurzen und knappen Ansagen einem Mann gleichtut, kann sie als unnat&uuml;rlich auffallen und als ruppig wahrgenommen werden. Ob Frauen in F&uuml;hrungspositionen also strenger beurteilt werden, kann ich nicht beantworten, aber es liegt nahe, dass sie an einem unfairen Referenzsystem gemessen werden.</p>
<h2>Wer sich Fehlverhalten erlauben kann</h2>
<p>Mobbing, Herumschreien oder Drohungen an Mitarbeiter:innen sind in keinem Fall zu tolerieren, egal ob ein Chef oder eine Chefin mobbt, schreit oder droht. Es scheint aber, dass M&auml;nner eher damit durchkommen.</p>
<p>Anfang Dezember ist ein Artikel erschienen,<sup>2)</sup> der die Ergebnisse einer Untersuchung des Promovierendennetzwerks der Max-Planck-Gesellschaft zusammenfasst:<sup>3)</sup> Nach Empfinden der Betroffenen kommt Mobbing bei m&auml;nnlichen und weiblichen Vorgesetzten gleich oft vor. Trotzdem wurden in den vergangenen vier Jahren nur 0,4 Prozent der Direktoren, aber 7,4 Prozent der Direktorinnen mit Mobbingvorw&uuml;rfen konfrontiert. Als m&ouml;gliche Ursachen daf&uuml;r wurde die geringere oder als geringer wahrgenommene Karrierestufe der Direktorinnen vorgeschlagen sowie eine unterschiedliche Wahrnehmung des Konflikts basierend auf Unconscious Bias, also Vorurteilen. Zudem wurde eine Erwartungshaltung der fehlenden Unterst&uuml;tzung bei der Meldung eines m&auml;nnlichen Vorgesetzten als m&ouml;gliche Begr&uuml;ndung genannt.<sup>2,3)</sup></p>
<p>Tats&auml;chlich kann ich mir vorstellen, dass es M&auml;nnern leichter f&auml;llt, ihr &uuml;blicherweise m&auml;nnlich dominiertes wissenschaftliches Netzwerk<sup>4)</sup> zu ihrer Unterst&uuml;tzung zu aktivieren. Ein:e Mitarbeiter:in, der oder die inad&auml;quates Verhalten eines m&auml;nnlichen Chefs meldet, muss demzufolge bef&uuml;rchten, aus einem ausgedehnten wissenschaftlichen Netzwerk versto&szlig;en zu werden. Voraussetzung ist hier, dass das Verhalten des Vorgesetzten grenzwertig ist und nicht im juristischen Sinne strafbar.</p>
<p>Eine Chefin wird in einem &auml;hnlichen Fall Unterst&uuml;tzung ihres vermutlich ebenfalls m&auml;nnlich dominierten Netzwerks<sup>4)</sup> m&ouml;glicherweise nicht erfahren. Das sind Vermutungen, aber ich w&uuml;rde mich &uuml;ber jede sozialwissenschaftliche Studie freuen, die diesen Fragen nachgeht.</p>
<h2>Sich anpassen oder scheitern</h2>
<p>Mir sind auf meinem Lebensweg Frauen in F&uuml;hrungspositionen begegnet, die es als ihre Pflicht ansahen, sich an das traditionell m&auml;nnlich gepr&auml;gte System von F&uuml;hrung und Kommunikation anzupassen, und es mir &ndash; damals noch in der Rolle der Nachwuchsgruppenleiterin &ndash; genau so nahelegten. Auch wenn ich mich damals f&uuml;r die gut gemeinten Ratschl&auml;ge bedankte, regte sich in mir Widerstand: Wenn sich alle Frauen immer nur anpassen, dann wird sich an der Kommunikationskultur nie etwas &auml;ndern. Sich nicht anzupassen birgt die st&auml;ndige Gefahr des Scheiterns &ndash; ein Dilemma, dem ich mich damals gegen&uuml;bersah.</p>
<h2>Kommunikation der Situation anpassen</h2>
<p>Zum Gl&uuml;ck &auml;ndert sich doch etwas. Im Jahr 2021 habe ich an der Leibniz-Akademie &bdquo;F&uuml;hrung leben&ldquo; teilgenommen. Das dort gelehrte Modell der &bdquo;Agil-kollaborativen F&uuml;hrung&ldquo; betrachtet n&auml;mlich genau den Aspekt, dass F&uuml;hrung situationsbezogen ist. Es kommt darauf an, wie erfahren der oder die Mitarbeiter:in ist, welche Aufgaben zu erledigen sind, wie Wissen und F&auml;higkeiten im Team verteilt sind und vieles mehr. F&uuml;hrungskr&auml;fte wie Teammitglieder sind Individuen. Es gibt eben nicht &bdquo;den Mann&ldquo; und &bdquo;die Frau&ldquo;, die sich immer gleich verhalten. In einem solchen F&uuml;hrungsstil hat alles seinen Sinn und seinen Platz &ndash; pr&auml;gnante hierarchische Ansagen ebenso wie mitrei&szlig;ende Kommunikation auf Augenh&ouml;he. Ich hoffe, dass solche Weiterbildungsangebote in allen Wissenschaftsorganisationen und Universit&auml;ten ausgebaut und genutzt werden. Ich w&uuml;nsche mir, dass wir alle, Chefs und Chefinnen, uns st&auml;rker dessen bewusst werden, dass wir als F&uuml;hrungskr&auml;fte Verantwortung gegen&uuml;ber anderen Menschen haben. Auch sollten wir gute Vorbilder sein f&uuml;r die n&auml;chste Generation. So lernen wir hoffentlich, aufeinander zuzugehen und respektvoll zu kommunizieren, egal ob nach einem Modell oder nach Bauchgef&uuml;hl.</p>
<h2>Die Autorin</h2>
<p>Die Autorin dieses Beitrags, Jennifer Strunk, ist seit 2017 Forschungsbereichsleiterin und Professorin am Leibniz-Institut f&uuml;r Katalyse an der Universit&auml;t Rostock. Nach Promotion an der Uni Bochum und Postdoc an der University of California, Berkeley, war sie von 2014 bis 2016 unabh&auml;ngige Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut f&uuml;r Chemische Energiekonversion in M&uuml;lheim an der Ruhr.</p>
<div><img src="https://media.graphcms.com/Irqr6QvQESThMafGCqmW" /></div>
<p></p>
<ul class="references">
<li><sup>1 </sup>A. Abbott, Nature 2021, 600, 20</li>
<li><sup>2 </sup>Forschung &amp; Lehre, <a href="https://www.forschung-und-lehre.de/politik/erneut-mobbing-vorwuerfe-in-der-mpg-4245" target="_blank" rel="noopener">www.forschung-und-lehre.de/politik/erneut-mobbing-vorwuerfe-in-der-mpg-4245</a>; (Stand 17.12.2021)</li>
<li><sup>3 </sup>L. Heckmann, S. Young, H. Liu, L. Bultema, <a href="https://www.phdnet.mpg.de/186798/" target="_blank" rel="noopener">www.phdnet.mpg.de/186798/</a> 2_Statement_GenderBias_Reporting_DE.pdf; (Stand 17.12.2021)</li>
<li><sup>4 </sup>M. Kwiek, W. Roszka, Journal of Informetrics 2021, 15, 101171</li>
</ul>

Vor 50 Jahren in den Blauen Blättern

Über das Selbstverständnis von Industriechemikern

Über das Selbstverständnis von Industriechemikern

Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...