Dreißig Unternehmen hatten sich beworben, Teilnehmende der Renewable Materials Conference haben ihre Favoriten gewählt:
Kritische Rohstoffe
Weder selten noch alternativlos
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Viel Lärm um Seltene Erden für grüne und digitale Technologien, etwa für Elektroautos und Windräder – aber am Ende braucht man sie dafür gar nicht. Denn schon deuten sich Alternativen an.
Ein häufiges Argument gegen Fahrzeuge mit Elektroantrieb lautet: Dafür braucht man einen Haufen Seltene Erden, und die lassen sich auf dem aktuellen Stand von Politik und Technik nur um den Preis importieren, dass man sich von Diktaturen abhängig macht. Die gute Nachricht dazu: Man kann diese kritischen Metalle auch in Europa fördern und wird sie irgendwann für Elektroautos und Windräder gar nicht mehr brauchen.
Politische Aspekte
Die politischen Gremien der Europäischen Gemeinschaft beschäftigen sich zurzeit damit, Lagerstätten und Lieferketten rund um kritische Rohstoffe genau einzuschätzen [diese Nachr. S. 36]. Als kritisch gelten Materialien, die für grüne Technologien, für die Digitalisierung, für Raumfahrt und für Verteidigung benötigt werden. Ziel ist es, die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der EU-Länder und ihre strategische Unabhängigkeit zu sichern und auszubauen. So steht es im Gesetzesvorschlag der EU-Kommission über kritische Rohstoffe (Critical Raw Materials Act) vom März.1)
Die Europäische Kommission zählt zu den kritischen Rohstoffen insbesondere Silicium (Halbleitermaterial), Lithium, Kobalt und Nickel (für Batterien und Akkus) sowie Seltene Erden (Permanentmagnete für Elektroautos und Windräder).
Bei den Materialien für die grünen und digitalen Technologien sieht sich Europa in einem Dilemma: Für die Energiespeicherung in Batterien etwa wird Kobalt benötigt, aber das stammt zu 63 Prozent aus der Demokratischen Republik Kongo. Das Land steht unter dem Verdacht, Kinderarbeit sowie unmenschliche Arbeitsbedingungen zu begünstigen. Darüber hinaus erfolgt die Weiterverarbeitung von Kobalt zu 60 Prozent in der Volksrepublik China. Aus China stammen auch 97 Prozent des global benötigten Magnesiums und sogar 100 Prozent der für Permanentmagnete verwendeten Seltenen Erden. Allerdings steht China im gesellschaftlichen Wettbewerb mit dem Westen und außerdem unter Verdacht, Taiwan durch einen militärischen Überfall einnehmen zu wollen.
Wunschpartner für die „grün-digitale Zwillingstransformation“ sähen anders aus. Darum hat die Europäische Kommission in ihrem Gesetzesvorschlag einige Benchmarks gesetzt: Mindestens zehn Prozent der benötigten strategischen Rohstoffe sollen aus der EU selbst stammen, 40 aus in der EU weiterverarbeitetem und 15 Prozent aus recyceltem Material. Vor allem jedoch sollen nicht mehr als 65 Prozent des EU-Jahresverbrauchs eines strategischen Rohstoffs aus einem einzigen Drittland kommen. Diese 65 Prozent beziehen sich auf jede Verarbeitungsstufe. Es geht also nicht nur um das geförderte Rohmaterial, sondern es kann sich auch um definiert gereinigtes, weiterverarbeitetes oder veredeltes Material handeln.
Mit anderen Seltenen Erden
Nun setzt ein Gesetzesvorschlag notwendigerweise bei einem Status quo an. Gerade bei den Seltenen Erden ist der aber nicht so sehr in Stein gemeißelt, wie es zunächst scheint.
Ein Beispiel sind die hitzebeständigen Permanentmagnete für getriebelose Stromgeneratoren von Elektroautos und Windrädern. Als entscheidende Rohstoffe für ihren Bau werden oft Dysprosium, Praseodym und Neodym genannt. Neodym kommt dabei in Form von Neodym-Eisen-Borverbindungen zum Einsatz (NdFeB).
Es gibt daneben Samarium-Kobalt-Magnete. Sie sind teurer, aber dafür noch hitzebeständiger. Um Neodym-Eisen-Bor-Permanentmagnete weniger hitzeempfindlich zu machen, werden Dysprosiumanteile beigemischt. Grundsätzlich könnte man zwar Permanentmagnete auch auf Basis von Eisen und Kupfer herstellen, doch bringen diese Metalle viel mehr Gewicht auf die Waage und machen die Handhabung einer Turbine für ein Windrad unhandlich. Auch aus Cerverbindungen lassen sich Magnete für Elektromotoren fertigen, wenn auch mit geringerer Temperaturbeständigkeit.2) Baut man jedoch die Permanentmagnete für heißere Motoren mit Neodym und Dysprosium und diejenigen für kühlere Motoren mit Cer, hätte man zumindest eine zusätzliche Säule geschaffen.
Selbstverständlich ist bei einer Alternative zu prüfen, inwieweit es sich bei dieser um ein knappes Gut handelt, das womöglich an anderer Stelle benötigt wird. Als vor zwölf Jahren China seine Ceroxidausfuhr drosselte, schlugen die deutschen Hersteller von Analysen-, Bio- und Labortechnik Alarm: Sie brauchten Ceroxid als Poliermittel für die Politur hochpräziser Optiken. Bei der Suche nach Alternativen landet man beispielsweise bei Aluminium- und Zirkonoxiden, die aber an die kombinierte Polier- und Oberflächenversiegelungswirkung von Ceroxid nicht heranreichen, oder bei Lanthanoxid, also wiederum bei einem Seltenerdelement.
Trotz der Einschränkungen bleibt festzuhalten: Vermeintliche Monopolisten unter den Seltenen Erden lassen sich oft ersetzen – zumindest durch andere Seltene Erden. Über solche Substitutionsmöglichkeiten hinaus verheißen auch optimierte Herstellungsverfahren für Permanentmagnete (mehr Spritzguss) und das Recycling von Elektroschrott eine gewisse Entspannung. Recyclingmagnete sind bis zu 96 Prozent so leistungsfähig wie neue Magnete.2)
Ohne Seltene Erden
Die Seltenen Erden lassen sich zwar teilweise untereinander austauschen, allerdings nicht so leicht durch andere Werkstoffe ersetzen. Um für den Motor eines Elektroautos eine echte Alternative zu bekommen, ist daher neben chemisch-werkstofflichen Erwägungen immer auch die mechanisch-elektronische Gesamtkonstruktion mitzudenken und gegebenenfalls zu ändern.
Alle Motoren im Elektroauto sind Synchronmotoren (SM) und bestehen aus einem unbeweglichen Teil (Stator) und einem beweglichen (Rotor). Der Stator besitzt zwecks Magnetisierung eine Spule, während der Rotor dafür entweder einen Permanentmagneten oder eine Spule braucht. Entsprechend heißt der Motor entweder Permanentmagnetsynchronmotor (PSM) oder elektrisch erregter Synchronmotor (EESM).
Für Permanentmagnete benötigt man in der Regel Seltene Erden (klassischerweise NdFeB). Die chemische Alternative sind Ferritmagnete, beispielsweise auf Basis von Strontiumferrit (SrFe12O19), Bariumferrit (BaFe12O19) oder Kobaltferrit (CoFe2O4). Sie weisen allerdings eine geringere magnetische Energiedichte auf, was in der Praxis bedeutet: Die Motoren sind etwa 30 Prozent schwerer als mit NdFeB-Permanentmagneten.
Eine neue Option könnte auf einer Legierung von Eisen und Nickel im Verhältnis 1:1 basieren, mit Zusätzen an Phosphor, um die Bewegungsfähigkeit der Atome innerhalb des Metalls zu erhöhen. Daran arbeitet die Universität Cambridge im Vereinigten Königreich. Das Material ist als Tetrataenit bekannt und kommt von Zeit zu Zeit mit Meteoriten zu uns. Inzwischen lässt es sich auch künstlich im Schmelzgussverfahren herstellen.
Alternative Ansätze für Permanentmagnete gehen unter anderem von eisenhaltigen Sinterkeramiken aus. Eine neuere Idee beruht auf Eisen-Kobalt-Verbindungen, doch werden sie nicht als massiver Block eingesetzt, sondern als aneinandergereihte nanometerkleine magnetische Stäbchen, fixiert in einer Matrix. Daran arbeitet unter anderem Siemens Corporate Technology in München.
Alternative Kohlenstoff
Einen grundsätzlich anderen Weg weisen nanostrukturierte Kohlenstoffe, Kohlenstoffnanoröhren, Fullerene und Graphen. Schon heute gibt es Ansätze, mit ihnen eine Reihe kritischer Rohstoffe zu substituieren. Zu ihnen zählen das bereits erwähnte Kobalt, daneben Gallium (Halbleiter), Germanium (optische Fasern), Indium (transparente Elektroden), Silber (Elektronik) und Tantal (Kondensatoren). Glaubt man einem Review von Forschern der Chalmers University of Technology im schwedischen Göteborg, lassen sich diese strategisch wichtigen Metalle sämtlich durch Kohlenstoff ersetzen.3) Zwar schließt das Review Seltene Erden nicht ein, doch wäre es einen Versuch wert, auch sie teilweise durch nanostrukturierte Kohlenstoffe zu substituieren. Das geht selbstverständlich nicht von heute auf morgen.
Jenseits dieser rein chemisch-werkstofflichen Alternative besteht die Möglichkeit, statt des PSM einen EESM zu verwenden. Bei einigen Autos mit Allradantrieb werden beide kombiniert (zum Beispiel VW ID.4 GTX, Audi Q4 e-tron): Hinterachsenantrieb mit PSM (hoher Wirkungsgrad), Vorderachsenantrieb mit EESM (kurzzeitige Überlastfähigkeit). Ausschließlich mit EESM angetrieben sind zum Beispiel der BMW iX3, der Audi i4, der iX, der Renault Zoe und der Nissan Ariya. Hier stecken gar keine Seltenen Erden im Motor.
Fund in Schweden
Luft verschaffen könnte Europa ein kürzlicher Fund in Schweden, und zwar in der Gegend von Kiruna. Die dort tätige staatliche schwedische Bergwerksgesellschaft LKAB hat die Vorkommen an Seltenen Erden auf eine Million Tonnen beziffert (bezogen auf die Metalloxide). Die Vorkommen könnten einen großen Anteil des Bedarfs der EU decken. Diese Hoffnung betrifft insbesondere Neodym, neben Dysprosium das Seltenerdmetall mit den größten Nachfragesteigerungen in den vergangenen fünfzehn Jahren. Allerdings dürfte es bis zur Förderung und Vermarktung der begehrten Rohstoffe noch einmal zehn bis fünfzehn Jahre dauern – einstweilen befindet man sich in der Erkundungsphase.
Ökonomisch sollte sich der Abbau in Kiruna schon deswegen lohnen, weil sich neben den Seltenen Erden auch große Mengen Eisen sowie Phosphor- und Fluorverbindungen fördern lassen. Darüber hinaus dürfte der Fund militärstrategisch von hohem Wert sein. Schließlich braucht man Seltene Erden unter anderem für Legierungen von hoher Härte (sowohl für gepanzerte Fahrzeuge als auch für Projektile, die nach Aufschlagen in tausend scharfe Bruchstücke zerspringen), für Nachtsichtgeräte, Laserentfernungsmesser, Lenksysteme (Raketen) und vieles mehr. Schweden ist Sitz eines bedeutenden Rüstungsunternehmens: Saab in Linköping.
Seltene Erden finden sich in Europa außerdem in der Ukraine. Die EU-Staaten kommen zwar zurzeit wegen des Krieges mit Russland nicht heran, aber danach könnte ein Seltene-Erden-Pakt mit der Ukraine eine Option darstellen.
Zusammenfassung
Der Fund Seltener Erden in Schweden und womöglich auch zusätzliche Quellen in der Ukraine könnten der EU einen entscheidenden Zeitgewinn verschaffen. Sie braucht ihn, um für die „grün-digitale Zwillingstransformation“ Alternativen zu schaffen: nanometerkleine Eisen-Kobalt-Stäbchen, Kohlenstoffspezialitäten, elektrisch erregte Synchronmotoren.
Die Bezeichnung „Seltene Erden“ suggeriert, dass wir es hier mit besonders seltenen Bodenschätzen zu tun haben. Das stimmt aber nicht. Für einige Vertreter ist sogar das Gegenteil richtig. Und ebenso wenig sind Seltene Erden auf ihren jeweiligen Anwendungsgebieten alternativlos.
Der promovierte Chemiker Christian Ehrensberger ist freier Mitarbeiter der Nachrichten aus der Chemie.
- 1 Proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council establishing a framework for ensuring a secure and sustainable supply of critical raw materials and amending Regulations (EU) 168/2013, (EU) 2018/858, 2018/1724 and (EU) 2019/102, single-market-economy.ec.europa.eu/publications/european-critical-raw-materials-act_en, (Stand 11.6.2023)
- 2 seltene-erden.fraunhofer.de (Stand 13.1.2023)
- 3 R. Arvidsson, B. Sandén, „Carbon nanomaterials as potential substitutes for scarce metals“, J. Clean. Prod. 2017, 156, 253 – 261
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