Es gibt zwar in einigen Ausbildungsberufen einen Männer- oder Frauenüberschuss, allerdings gleichen sich die Geschlechterverhältnisse langsam an. Das zeigen Zahlen des S...
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„Frauenförderung hat qua Wort eine Schwelle“
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Womit beschäftigt sich eine Gleichstellungsbeauftragte, wie viel Geld hat sie zur Verfügung, welche Förderungsprogramme legt sie auf? Nina Schumacher, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Universität Marburg, gibt nicht nur dazu einen Einblick – sie verrät auch, wie sie mit Sexismus und Belästigungen umgeht, warum sensible Sprache wichtig ist und was sie von der Frauenquote hält.
Nachrichten aus der Chemie: Bis zu Ihrem Amtsantritt hieß das Gleichstellungsbüro der Universität Marburg Frauenbüro. Warum hat sich das geändert?
Nina Schumacher: Als ich den Job im Jahr 2016 übernommen habe, wollte ich das gerne ändern. Die Möglichkeit, umzubenennen, ist allerdings auch rechtlich geregelt. Das Gleichstellungsgesetz hat ein paar Jahre vorher die Möglichkeit eröffnet, Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte zu sein oder beides. Wir haben uns für Frauen und Gleichstellung entschieden. „Frauen“ aus historischen Gründen, weil Frauenförderung oft noch notwendig ist, weil wir beispielsweise insgesamt immer noch nicht genug Professorinnen an der Universität haben und es immer noch Bereiche gibt, die unglaublichen Förderbedarf haben. „Gleichstellung“ wollten wir mit reinnehmen, um es ein bisschen zugänglicher zu machen. Gleichstellung bezog sich hier anfangs vor allem darauf, dass in der Familienförderung auch Männer angesprochen werden sollen, was wir ja wollen, weil Männer auch Väter sind. Und die sollen sich ja auch um ihre Kinder kümmern.
Das klingt nach einem auch sprachlich sensiblen Ansatz.
Wenn ich immer nur „Frauenförderung“ mache, ist schon qua Wort eine Schwelle eingebaut. Und gleichzeitig hat Frauenförderung, sozialwissenschaftlich betrachtet, einen Defizitansatz, so nach dem Motto „Wir müssen die Frauen fördern, mit denen stimmt irgendwas nicht, die brauchen Unterstützung“.
Bei Gleichstellung geht es eher darum, Chancengerechtigkeit für alle herzustellen und nicht eine bestimmte Kategorie zu fördern und den anderen anzugleichen. Unterm Strich soll es einfach für alle besser werden.
Und kommen allein durch die Umbenennung oder überhaupt in den letzten Jahren mehr Männer? Oder hat sich da gar nichts verändert?
Männer kommen wenig. Trans-, Inter- und non-binäre Personen sind eher die Menschen, mit denen wir inzwischen deutlich mehr zu tun haben. An der Philipps-Universität haben wir auch eine Antidiskriminierungsstelle. Wir sitzen im selben Gebäudetrakt und arbeiten sehr eng zusammen. Inzwischen ist die Geschlechtervielfaltsthematik ein deutlich größeres Thema als früher. Das hat mit dem Bundesverfassungsgerichtsentscheid aus dem Jahr 2018 zu tun, der offiziell eine dritte positive Geschlechtsoption ermöglicht hat. Wir sind aber trotzdem eine Hürde für non-binäre Personen, und wir sind zugleich immer noch eine Hürde für Männer. Die ist nicht so hoch, dass sie gar nicht kommen würden; bei Drittmittelanträgen etwa nutzen selbstverständlich alle unser Fachwissen. Aber Männer, die Beratung suchen aufgrund von Diskriminierung, die sie erfahren haben, sind deutlich seltener bei uns. Obwohl es die gibt, aber da ist definitiv eine Schwelle.
Vielleicht gibt man als Mann nicht gern zu, dass einem so etwas passiert ist. Apropos: Wie oft kommen Menschen wegen sexueller Belästigung zu Ihnen? Und wie geht es dann für sie weiter?
Die kommen auf jeden Fall, wobei ich auch Sexismus einschließen würde. Wir haben ein eigenes Gremium zum Schutz vor sexueller Belästigung und Gewalt, den Vertrauensrat. Den gibt es seit 2008. Das ist nicht Standard, so ein Gremium gibt es noch gar nicht so lange an Hochschulen und bis jetzt noch nicht an allen. An dieses Gremium können sich Menschen wenden, beginnend beim dummen, sexistischen Spruch des Kollegen bis hin zum physischen Übergriff. Wir selbst nehmen auch Beratungsfälle an. Aber der Vertrauensrat ist das Gremium, das Beschwerden vertraulich nachgeht. Und das – solange keine direkte Gefahr für Leib und Leben besteht – auch vertraulich handelt, also nur das tut, was die Personen möchten.
Ist das nicht immer so?
Wir versuchen immer, die Hoheit des Falls bei der ratsuchenden Person zu lassen. Denn wenn wir tätig würden, ohne dass der Mensch das möchte, dann wäre das ein Wiedererleben einer etwaigen Ohnmachtserfahrung. Das ist furchtbar für Betroffene, wenn ihnen (wieder) etwas gegen ihren Willen genommen wird. Deswegen schauen wir immer: Was möchten die Leute, die zu uns kommen?
Und was ist das?
Das ist sehr unterschiedlich. Einige wollen lediglich eine Entschuldigung, die es manchmal auch gibt. Andere wollen nicht mal das. Die wollen das nur einmal irgendwo abladen für die Akten, und das reicht. Das ist auch okay. Und andere sagen: „Nein, ich will, dass hier was passiert. Das muss bis zum Präsidenten. Der soll Sanktionen aussprechen.“ Und diesen Weg gehen wir mit, wenn der Sachverhalt sanktionswürdig ist. Das ist er in den allermeisten Fällen durchaus.
Wie sind denn so die Fallzahlen?
Es werden mehr. Wir spüren das. Wir haben damit in den vergangenen Jahren mehr Arbeit bekommen. Aber die Dunkelziffer wird trotzdem, wie überall in diesem Bereich, da ist die Universität keine Ausnahme, riesig sein.
Meinen Sie, es wird objektiv mehr, oder sind die Leute einfach sensibler dafür geworden?
Letzteres. Fälle, die vielleicht vor zehn Jahren noch als „Ach na ja, da reden wir mal und dann ist das irgendwie auch okay, das ist jetzt nicht so dramatisch“ eingestuft worden wären, werden das mittlerweile nicht mehr. Auch die Relevanz von Sexismus wird deutlich schneller erkannt.
Welche Statusgruppen äußern denn Beschwerden? Und liegt bei Übergriffen immer ein Machtgefälle vor?
Beschwerden kommen aus allen Statusgruppen, ebenso wie die Verursachenden. Es gab mal die Vermutung – weil Studien das nahegelegt haben –, dass es bei Studierenden häufig Peer-to-Peer-Gewalt ist. Also Studierende, die gegenüber Studierenden Gewalt ausüben. Um zu ermitteln, ob das stimmt, haben wir extra ein Forschungsprojekt mit dem Gender-Zentrum durchgeführt. Aber dann hat sich gezeigt: Häufig passieren Sexismus-Übergriffe in einem hierarchischen Verhältnis.
Universitäten sind ja auch hierarchisch strukturiert …
Eben. Es gibt Personen, die sehr viel Macht haben. Und Personen, die sehr abhängig sind. Das begünstigt solche Fälle.
Als Mensch mit Beschwerde bin ich ja emotional oft in einem Zwiespalt.
Menschen, die sich bei uns melden, haben oft eine Riesenangst, dass das negativ auf sie zurückfällt. Und worum wir uns bemühen, ist, sie trotzdem zu empowern, sich zu beschweren. Wir leugnen aber nicht, dass eine Gefahr besteht. Denn es wäre gefährlich, jemandem zu versprechen, es würde auf keinen Fall irgendwie negativ oder unangenehm werden.
Gibt es Maßnahmen, damit besser umzugehen?
Wir versuchen natürlich, es so wenig unangenehm wie möglich zu machen. Beispielsweise ist es beim Vertrauensrat so, dass, wenn irgend möglich, der Beschwerdegegner gar nicht den Namen erfährt. Das ist immer dann einfach, wenn es etwa in einem Seminar Diskriminierungen gab. Denn dann waren im Idealfall mehrere Menschen anwesend, und jede dieser Personen hätte sich beschweren können. Bei 1-zu-1-Situationen geht das natürlich nicht, etwa wenn die Situation in einem Fahrstuhl stattgefunden hat. Dann wird der Beschwerdegegner wahrscheinlich wissen, um wen es sich handelt. Und auch für uns ist das dann notwendig, denn sonst könnten wir die Beschwerde nicht weiter verfolgen.
Wenn nun aber Professor X sich mir gegenüber im Fahrstuhl nicht regelkonform benimmt, ich aber noch eine Prüfung bei ihm habe, dann komme ich doch nicht sofort zu Ihnen.
In solchen Fällen gibt es unterschiedliche Maßnahmen. Manchmal kommen die Betroffenen erst dann, wenn ihre Prüfungen fertig sind, um die Beschwerde einzureichen. Das muss nämlich nicht sofort passieren. Es gibt keine Verjährungsfrist. Und es besteht auch die Möglichkeit, zum Beispiel wenn es um eine konkrete Prüfung geht, diese Prüfung von jemand anderem abnehmen zu lassen und zu sagen, wir geben das an den Prüfungsausschuss des jeweiligen Fachbereichs. Die suchen eine andere Person, die prüfen kann, oder die Prüfung findet zu einem ganz anderen Zeitpunkt statt oder so. Also wir bemühen uns darum, diese Schwelle so niedrig wie möglich zu halten. Trotzdem wird es definitiv auch Fälle geben, bei denen sich Leute nicht melden, weil sie genau diese Befürchtung haben.
Gibt es Sexismus hauptsächlich an Fachbereichen, an denen überwiegend Männer und wenig Frauen arbeiten?
Grundsätzlich ist es über alle Bereiche der Universität gleich verteilt. Also nicht nur die Fachbereiche, sondern auch alle anderen Einrichtungen. Je größer der Fachbereich, desto mehr Fälle konzentrieren sich natürlich.
Und wie ist es mit der Schwere der Fälle?
Es gibt schon Unterschiede. Wenn ein Fachbereich generell schon eher eine verhältnismäßig gute Kultur hat, mit sowas umzugehen, dann wird auch schneller ein weniger dramatischer Fall gemeldet. Fachbereiche, die nicht so sensibilisiert sind, kommen eher erst bei Gravierendem. Und es gibt noch Fachbereichsspezifika. Die Medizin zum Beispiel unterscheidet sich von anderen Fachbereichen, weil sie sowas hat wie Unterricht am Krankenbett, diesen ganzen Klinikbetrieb, der eine ganz neue Komponente einbringt.
Gibt es feste Termine, an denen Sie mit dem Präsidenten besprechen, wie es in einer bestimmten Sache oder generell weitergehen soll oder was es zu tun gibt?
Als Institution sind wir weisungsungebunden. Zugleich sind wir aber nicht unabhängig in dem Sinne, dass niemand mit uns redet. Wir haben alle 14 Tage mit der Vizepräsidentin für Chancengerechtigkeit und Karriereentwicklung einen Jour-fixe und telefonieren oder mailen auch zwischendurch in anderen Angelegenheiten. Da besprechen wir alles, um was es so standardmäßig geht.
Und was wären besondere Dinge?
Etwa ein neuer Personalgewinnungsleitfaden, eine neue Art und Weise, wie wir Personal einstellen wollen. Da gibt es Gleichstellungsparameter, die wir vorher besprechen und dann entsprechend einbringen in diese Dokumente. Es ist eine unserer zentralen Aufgaben, bei solchen Prozessen dabei zu sein. Und das besprechen wir mitunter auch direkt mit dem Präsidium. Mit dem Präsidenten selbst haben wir vor allem dann zu tun, wenn es Beschwerdefälle im Rahmen des Vertrauensrats gibt.
Das heißt, Sie müssen jedes Dokument oder jeden Leitfaden, in dem es um Gleichstellung geht, vorher daraufhin prüfen, ob er so okay ist?
Nein. Wir prüfen nicht jedes Dokument, in dem es um Gleichstellung geht. Wir prüfen jedes Dokument, das an der Universität insgesamt mit Belang für die ganze Universität verabschiedet wird. Wir sichten jedes Dokument, das mit Personal oder Studierenden zu tun hat, in unterschiedlicher Intensität. Also sowas wie Berufungsleitlinien oder eben alles im Personalbereich.
Wie ist das: Haben Gleichstellungsbüros ein bestimmtes Budget zur Verfügung?
Da sprechen Sie etwas an, das gar nicht so bekannt ist. Denn auch Verwaltungseinheiten, was wir ja letztlich sind, sind zunehmend von Drittmitteln abhängig. Die bedingen maßgeblich, was wir umsetzen können. Unser Sachmittelbudget ist im mittleren fünfstelligen Bereich pro Jahr. Damit kommen wir ganz gut hin, aber wir könnten damit nicht alle Mentoringprojekte gestalten oder ähnliches. Momentan habe ich jährlich ungefähr eine halbe Million Euro Drittmittel für Gleichstellungsmaßnahmen.
Liegt Ihr Budget im Durchschnitt?
Das kann ich aus dem Stegreif nicht beantworten. Was ich aber sagen kann, ist, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften. Die sind in der Regel deutlich schlechter ausgestattet.
Was für Maßnahmen und Programme bieten Sie denn an?
Wir haben mehrere Mentoringprogramme, zum Beispiel sind wir Teil von Mentoring Hessen – ein hessenweites Netzwerk mit unterschiedlichen Förderlinien. Das haben wir für die Philipps-Universität in den letzten Jahren verstetigt. Dann ein internes Mentoringprogramm für die Geistes- und Sozialwissenschaften, inzwischen auch verstetigt. Gerade versuchen wir, sehr spezifische Maßnahmen aufzulegen für die unterschiedlichen Fachbereiche, um da noch besser passgenau zu fördern. In der Vergangenheit war Gleichstellung zentralisiert, vieles unterlag den jeweiligen Frauen- und Gleichstellungsbüros, es gab kaum Struktur in den Fachbereichen. Das versuchen wir jetzt zu ändern. Wir haben inzwischen beispielsweise das Projekt „Mehr (für) Physikstudentinnen!“. Denn an diesem Fachbereich sind immer noch sehr wenig Frauen, und die wenigen kennen sich dann noch nicht mal untereinander, die bringen wir miteinander in Kontakt. Weil das so gut läuft, wird das Projekt jetzt ausgeweitet auf die Fachbereiche Mathe und Informatik.
Und neben Mentoring und Vernetzung?
Wir haben eine Summer School für Schülerinnen, die sich für die Naturwissenschaften interessieren, um mehr Frauen an die Uni zu kriegen. Es gibt eine Förderlinie, in der wir Gelder ausschreiben, damit sich Fachbereiche bei uns bewerben und selbst sagen können, was sie brauchen. Ganz klassisch die Familienfördermaßnahmen, an denen wir gemeinsam mit dem Familienservice arbeiten. Und dann machen wir projektförmig einen Entgeltgleichheitscheck. Denn es wird ja immer unterstellt, im Tarifvertrag gebe es keine Geschlechterdiskriminierung. Das stimmt aber nicht.
Für wie viele Menschen entwerfen Sie diese Maßnahmen?
Die Universität Marburg hat ungefähr 4000 Beschäftigte, das privatisierte Klinikum nicht eingerechnet. Dazu kommen um die 20 000 Studierende.
Was halten Sie als Gleichstellungsbeauftragte von der Frauenquote?
Das kommt auf den Bereich an. Generell hat sich nicht nur an Hochschulen, sondern auch in Vorständen et cetera gezeigt, dass sich ohne eine Zielmarge extrem wenig tut. Deswegen ist sie auf jeden Fall gut. Und auch mit Blick darauf, wie viele Wissenschaftlerinnen es beispielsweise unter Postdocs gibt und wie viele am Ende eine Professur erlangen, ist es gut, eine Zahl zu haben, um das abgleichen zu können. Denn sie gehen verloren. Und das nicht, weil es schlechte Wissenschaftlerinnen sind, sondern aus anderen Gründen.
Und abgesehen von der leaky pipeline, also dass weniger Frauen auf der akademischen Karriereleiter aufsteigen als Männer?
In anderen Bereichen bin ich mittlerweile kritischer, etwa bei Gremienbesetzungen. Noch vor ein paar Jahren war völlig klar, dass jedes Gremium zur Hälfte aus Frauen bestehen sollte, darunter am besten ganz viele Wissenschaftlerinnen. Aber vor allem in Bereichen mit wenig Frauen sitzen diese dann tendenziell überproportional viel in Gremien gegenüber ihren männlichen Kollegen. Dadurch haben sie weniger Zeit für Forschung, um Preise einzuheimsen, Drittmittelanträge zu stellen … Deswegen haben wir, als wir vor ein paar Jahren den Frauenförder- und Gleichstellungsplan erneuert haben, uns darauf geeinigt zu versuchen, Frauen vor allem für die Ämter zu gewinnen, in denen sie dann tatsächlich Einfluss haben und Einfluss gewinnen können.
Wie gehen Sie mit dem Vorurteil um, dass eine Frau nur in einem Vorstand oder ähnlichem säße, weil der eine Quote erfüllen müsse?
Wir hören das gar nicht so oft, was wahrscheinlich auch damit zu tun hat, dass Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsarbeit inzwischen sehr etabliert im Wissenschaftssystem sind. Es ist prinzipiell möglich, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft inzwischen Anträge für Sonderforschungsbereiche ablehnt, wenn da keine Frauen im Team sind. Das hat wahnsinnig viel bewegt, dass sich große Institutionen mittlerweile sehr klar dazu positionieren. Es dient auch der Exzellenz, wenn wir mehr Frauen haben, weil mehrere unterschiedliche Köpfe insgesamt mehr unterschiedliche Dinge denken und die Forschung dadurch letztlich an Qualität gewinnt. Das hat dazu geführt, dass wir diese Quoten-Ja-oder-Nein-Diskussion zumindest bei uns kaum noch führen.
Nachrichten-Redakteurin Eliza Leusmann kennt Nina Schumacher noch aus Zeiten, als das Gleichstellungsbüro der Philipps-Universität Marburg „Frauenbüro“ hieß.
Der Job: Arbeit für Profis
Gleichstellungsbeauftragte:r wird man zwar oft ungeplant, aber ohne Fortbildungen geht es nicht, sagt Nina Schumacher. „In den letzten Jahren haben sich Gleichstellungsaufgaben und Frauenförderung total professionalisiert.“ Es gebe an Hochschulen sogar extra Kommissionen, die sich nur mit Professionalisierung befassen, und Starter-Kits für Einsteiger:innen, um gut in diesen Job hineinzufinden. Denn eine Ausbildung oder den einen Weg, dieses Amt zu erlernen, gibt es nicht.
In den nötigen Fortbildungen geht es beispielsweise um Recht, also etwa um das jeweilige Landesgleichstellungsgesetz und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Weitere Themen sind Gesprächsführung, Konfliktbegleitung, Personalauswahl, -management und -entwicklung.
Zur Person: Nina Schumacher
Nina Schumacher, Jahrgang 1984, hat in Marburg Europäische Ethnologie, Soziologie und Medienwissenschaften studiert. Zu ihrem Beruf als Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte kam sie auf zugleich geplante und ungeplante Weise: Im ersten Semester sollte sie ein Referat zu einer feministischen Theorie halten, nämlich dem Dekonstruktivismus von Judith Butler. Für Butler ist nicht nur das soziale Geschlecht (gender), sondern auch das biologische Geschlecht (sex) ein Effekt von Machtdiskursen. Die Fortpflanzungsorgane zur „natürlichen“ Grundlage der Geschlechterdifferenz zu erklären sei immer schon Teil der „heterosexuellen Matrix“ gewesen. Dadurch in dieses Thema eingearbeitet konnte Schumacher es, wie es in den Sozialwissenschaften öfters ist, für anderes nutzen. Es folgte ein zweites Referat zu einem ähnlichen Thema, dann ein Seminar und so weiter. Schumacher schloss ein Praktikum im Gleichberechtigungsreferat der Stadt an und fand das Thema Gleichstellung immer interessanter. Direkt nach dem Studium wurde sie wissenschaftliche Hilfskraft im damaligen Frauenbüro. Dort promovierte sie dann nebenberuflich und setzte Gleichstellungsmaßnahmen und Mentoring um. Als ihre beiden Chefinnen in Rente gingen, bewarb sie sich auf deren Stelle und bekam sie.Nina Schumacher ist seit 2016 Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Universität Marburg. Foto: Markus Farnung
In Schumachers Gleichstellungsbüro arbeiten außer ihr derzeit sechs Personen inklusive einer Auszubildenden zur Verwaltungsfachangestellten. Zu ihrem Team und dem der Antidiskriminierungsstelle, mit der das Gleichstellungsbüro eng zusammenarbeitet, gehören Persons of Color, Menschen mit Schwerbehinderung, mit chronischen Erkrankungen, mit Kindern, eine non-binäre Person und Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Alle sind unterschiedlicher sozialer Herkunft, kommen also aus akademischen und nichtakademischen Haushalten.
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