Artikel
Früher war (nicht) alles besser
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Wie war das Studium der Chemie für Frauen in den 1970er und 1980er Jahren? Wie war der Berufseinstieg? Wie ging es damals Chemikerpaaren? Danach fragt ein Projekt, das weiterhin Zeitzeug:innen sucht.
Gabes in der chemischen Industrie Bereiche, die von vornherein für Chemikerinnen ausgeschlossen waren? Wie sehen deren Partner das im Rückblick? Wie war die Situation in anderen Ländern?
Bisher 16 Seniorchemikerinnen und -chemiker teilen ihre Erinnerungen – alle Beiträge finden sich unter t1p.de/00a2f. Ihre Erzählungen sind so unterschiedlich wie sie selbst und ihre Berufswege.
Gemeinsamkeiten gibt es aber doch. Diejenigen Chemikerinnen, die in der DDR studiert und gearbeitet hatten, stießen auf weniger Probleme, einen Job zu finden, als ihre Geschlechtsgenossinnen in der Bundesrepublik. Insbesondere was Kinderbetreuung angeht, waren die Frauen im Westen stark benachteiligt und mussten etliche Klimmzüge machen, um Job und Privatleben unter einen Hut zu bekommen. Die Titulierung „Rabenmutter“ war in den 1980er Jahren noch weit verbreitet.
Die damaligen Zustände veranschaulichen drei Zitate:
„Inzwischen war ich alleinstehend, was aber kein Problem für meine verantwortungsvolle Arbeit darstellte. Die Kinder wurden liebevoll in Kita, Schule und Hort betreut. Da sie auch warmes Mittagessen erhielten und die Hausaufgaben erledigt und kontrolliert wurden, habe ich die Zeit am Nachmittag und abends intensiv mit ihnen genutzt.“
„Ich habe bereits ein halbes Jahr nach der Geburt meines Sohnes wieder angefangen, stundenweise zu arbeiten, teilweise von zu Hause aus, was damals völlig unüblich war. Bis mein Sohn drei Jahre war, musste ich mein gesamtes Gehalt für seine private Betreuung ausgeben.“
„Ich habe keine längere Babypause gemacht, meine Arbeitszeit aber für einen längeren Zeitraum reduziert. Das ging ziemlich problemlos, war dann letztlich ein Karrierekiller. Mit Hilfe einer überaus engagierten Kinderfrau, die uns immer treu geblieben ist, gelang es, Familie und Arbeit zu managen.“
Es fällt nicht schwer zu erraten, aus welchen Teilen Deutschlands die Erzählungen stammen.
Zurück zum Studium und der Zeit an der Universität: Erstaunlich, was sich einige Autorinnen von Beiträgen zu unserem Seniorexperten-Projekt anhören mussten. So wurde die Berufung auf eine Vollzeit-Assistentenstelle an der TU Darmstadt mit der Begründung abgelehnt, dass „Frauen keine Gasflaschen transportieren und öffnen können und der Rotor der Ultrazentrifuge zu schwer für sie sei“. Dort gab es Jahre später auch Komplimente wie „Sie sehen doch recht nett aus, mein liebes Fräulein, glauben Sie mir, Sie müssen den Doktor nicht selbst machen, das ist nämlich sehr anstrengend. Sie können sich hier einfach einen aussuchen“ – das war wahrscheinlich gut gemeint, wirkt aber heute mehr als fragwürdig.
Aber natürlich gab es auch viele positive Beispiele sowohl im Studium als auch später im Beruf:
„Mein Doktorvater und Mentor Kurt Dehnicke war es, der mich motivierte, über eine akademische Laufbahn nachzudenken. So begann ich nach meiner Promotion, meine eigene wissenschaftliche Laufbahn zu planen, wobei mich Kurt Dehnicke mit Rat unterstützte und begleitete.“
„Bei Bayer hatte ich Vorgesetzte, die mein Engagement bei der GDCh und im Arbeitskreis Chancengleichheit in der Chemie unterstützt haben – ihnen war klar, dass es sinnvoll, notwendig und auch im Interesse der Firma ist, Chemikerinnen zu fördern.“
Das Projekt, diese Phase der Entwicklung der Chancengleichheit in der Chemie durch Zeitzeugenberichte zu dokumentieren, ist noch nicht beendet. Wir Projektverantwortlichen – Barbara Pohl, Barbara Elvers, Hildegard Nimmesgern, Gisela Boeck, Eva E. Wille – würden gerne weitere Geschichten veröffentlichen, insbesondere von männlichen Chemikern und Chemikerpaaren, auch von Student:innen aus dem Ausland, die zum Studium oder nach Abschluss des Studiums nach Deutschland gekommen sind. Melden Sie sich dazu gerne unter
Die Autorin
Diesen Beitrag hat Barbara Elvers verfasst. Die promovierte Chemikerin leitete bis zum April 2020 die Ullmann-Redaktion. Dieser steht sie noch heute als Editorial Advisor zur Seite; außerdem engagiert sie sich bei den Seniorexperten Chemie. In ihrer Freizeit erfreut sie sich am Kochen, Blumentopfgärtnern und mit ihrem Mann an den drei Enkelkindern.
Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...
Wenn Sie ein registrierter Benutzer sind, zeigen wir in Kürze den vollständigen Artikel.